Die Gesellschaft im Neoliberalismus

Die Ökonomisierung im Bildungssektor – Das Humankapital als Paradigma

Die institutionalistische Revolution ist auch in Bezug auf den Bildungssektor relevant, da ihre Modelle ebenso auf die Gestaltung von Bildung und Wissenschaft übertragen werden. Für eine stärkere ökonomische Ausrichtung in der Bildungspolitik arbeiten neoliberale Think-Tanks wie die Bertelsmannstiftung oder Mc-Kinsey.

So greift die Bertelsmannstiftung bspw. massiv in die Schul- und Hochschulpolitik ein. Ziel der Stiftung ist es, die Grenze zwischen Staat und Markt, zwischen neutralem Bildungsauftrag und privatwirtschaftlicher Indienstnahme verschwimmen zu lassen (Stichwort Humankapital). Der humboldsche Bildungs- und Aufklärungsgedanke steht den privatwirtschaftlichen Interessen hierbei im Weg. In diesem Kontext stand auch die geäußerte Kritik einiger Wirtschaftsvertreter, die deutsche Schulbildung wäre sozialistisch. Nicht zuletzt diese Aussage verdeutlicht das Interesse der Wirtschaft, das neoliberale, rein wirtschaftsorientierte Denken, also die ideengeschichtliche Theorie des „Homo Oeconomicus“ von Anfang an in der Gesellschaft als Dogma zu verankern.

In die selbe Kerbe schlagen „PISA“ und „McKinsey“, beide stehen für einen grundlegenden Wandel der Herrschaft in der Gegenwart. „Das ‘Programme for International Student Assessment’ verköpert die Transformation von Bildung in Humankapital, ‘McKinsey’ die Umgestaltung aller Lebensbereiche nach ökonomischen Denkmodellen.“[1] Dazu gehört auch die Durchsetzung einer globalen wissenschaftlich-technischen Gouvernance von Experten, von der die nationalen und lokalen Formen der Herrschaft von Parlamenten und Parteien verdrängt werden. Die Bildung wird den nationalen Eliten von einer transnationalen Koalition aus Forschern, Managern und Unternehmensberaterern aus der Hand gerissen.

Bildung wird auf die Funktion reduziert, die Vermittlung von Grundkompetenzen zu fördern, die notwendig sind, um sich auf dem offenen Markt zu behaupten. „Sie dient nur der Produktion und Reproduktion von Humankapital, das Rendite erwirtschaften soll. Das ist Sinn und Zweck des neuen Bildungs-Kapitalismus.“[2]

Der Wettbewerb der Unternehmen und Volkswirtschaften dehnt sich zu einem Wettbewerb der Bildungssysteme aus. Die neue Leitidee der Bildung als Humankapital ist eingebettet in ein Weltbild, das die Gesellschaft als „Wissensgesellschaft“ versteht, „die mit einer ‘wissensbasierten’ Ökonomie im zunehmend härteren internationalen Wettbewerb bestehen muss.“[3] Dieses Weltbild wird durch die erwähnte Koalition transnationaler Eliten gestützt, „die innerhalb der Diskursformation ‘Wirtschaft’ den Standortwettbewerb in den Vordergrund geschoben haben.“[4] Die OECD ist der Kristallisationspunkt dieser Aktivitäten.

Ebenso wie die Apologeten des Standortwettbewerbs das ökomische Paradigma in den vergangenen Jahrzehnten durchgesetzt und die von den Gewerkschaften getragene Forderung „Wohlstand für alle“ in die Defensive gedrängt haben, „ist dies den Verfechtern des ‘Humankapitals’ im Hinblick auf die maßgeblich von den Philologenverbänden getragene Diskursfraktion gelungen, die Bildung als Kulturgut und Fachwissen versteht.“[5] Mit anderen Worten: Das alte Paradigma, in dem Bildung als Kulturgut und Fachwissen verstanden wurde, wird nun durch ein neues, ökonomisches Leitbild abgelöst.

Durch diese Entwicklung werden nationale Arbeitnehmerorganisationen und Philologenverbände zusätzlich geschwächt, da ihnen die Klientel abhanden kommt. „Die neue Wissenselite von Wissenschaft und Technik verdrängt die alte Bildungselite der Humanisten und die Fachelite der historisch gewachsenen Berufe.“[6] Desweiteren lässt die Transnationalisierung der Bildungspolitik die traditionellen Konfliktstrukturen sowie Repräsentanten (Verbände, Parteien und Parlamente) obsolet werden.[7]

Durch die internationale Vereinheitlichung der Bildungssysteme und ihre Reduzierung auf ein ökonomisches Leitbild – in dessen Rahmen lokale Kulturen der Bildung zu verschwinden drohen – wird einer Eindimensionalität des Denkens Vorschub geleistet. Einer ideologisierten, marktförmig angepassten Gesellschaftskultur, die das Primat der Konkurrenz und des freien, flexiblen Marktes in Politik, Wirtschaft, Kultur und Bildung hingenommen sowie verinnerlicht hat, wird damit Tür und Tor geöffnet.

[1]Münch: Globale Eliten, lokale Autoritäten, S. 7., in: Ders.: Pisa, Mc Kinsey & Co.
[2]Ebd., S. 30.
[3]Münch: Globale Eliten, lokale Autoritäten, S. 33.
[4]Ebd., S. 33.
[5]Ebd., S. 33.
[6]Ebd., S. 34.
[7]Siehe Münch: Globale Eliten, lokale Autoritäten, S. 35.

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16 Kommentare zu "Die Gesellschaft im Neoliberalismus"

  1. “… schon von einem allmählichen Bruch des Gesellschaftsvertrages reden muss.” Aha – ein Rousseau- / Kant-Anhänger!

  2. Eric B. sagt:

    In Frankreich spricht man auch vom Übergang von der Marktwirtschaft in die Marktgesellschaft. Dies wird derzeit von Kanzlerin Merkel massiv vorangetrieben, wenn sie “marktkonforme Demokratie” fordert und die Märkte als Kettenhunde des deutschen Stabilitätspakts einsetzt. Aber es gibt Alternativen, wie Habermas und andere jüngst in einem europapolitischen Appell aufgezeigt haben. Sie wären sogar umsetzbar – wenn man nur wollte… http://lostineurope.posterous.com/alternativen-sind-machbar

  3. Karin Dorr sagt:

    Einfacher! Viel einfacher muss man die Menschen mitnehmen.
    Es muss einfach wieder mal jemand aufstehen und die Massen polarisieren. Den Frust und die daraus resultierende Gewalt kanalisieren und gegen die und das richten was den Menschen im Namen dieses Scheissmarktes kaputt macht.
    Frei nach dem Motto tötet was euch tötet

  4. Pistepirkko sagt:

    Fangen wir doch endlich einmal an zu verstehen das soziale System drauf beruhen das man an sie glaubt.
    Solange wir Wirtschaft wie eine Ersatzreligion betrachten die nur liberal läuft, solange hält das an.
    Und mein Prof. sagte immer: “BWL und VWL sind eigentlich soziale Wissenschaften”

    Fangen wir doch mal wieder mit dem Glauben an, dass aller Mehrwert die Summe UNSERES Handelns ist.
    Das Mehrwert von UNSEREN Händen und Köpfen gemacht wird und WIR daher am Mehrwert 100% beteiligt werden müssen. Der Kapitalgeber hat nur Geld gegeben, aber keine Hand eingesetzt. WIR haben unsere Hände und unsere Köpfe benutzt und UNS die Dinge und Leistungen erschaffen! Dafür UNSERE Zeit geopfert!
    Daher gehört UNS, der MEHRHEIT, auch der, sagen wir es wirtschaftlich, FRUCHTGENUSS!!!

    Fangen wir doch wieder an zu glauben das Wirtschaft nur deswegen erfunden wurde, damit ALLE MENSCHEN ein besseres Leben haben.

    ALLE müssen Zugang zu allem bekommen, wie es einmal war.
    Wir fingen nur deshalb mit der Wirtschaft an, damit alle von Landwirtschaft, Fischerei, Viehzucht und Handwerk profitierten. Daher wuchsen die ersten Städte der Steinzeit. Weil Menschen Zugang bekamen zu Reichtum und in diesen aufgenommen wurden und was dazu beitragen konnten.

    Heute werden Leute von den Grundlagen der Existenz ausgeschlossen anstatt diese daran patizipieren zu lassen.
    Und ja!!!! Auch den Lebensentwurf der Sozialhilfekarriere muss eine Gesellschaft die reich ist ertragen können. Schon gar wenn wir diese Leute nicht mehr, z.B. mit Bandarbeit in der Fabrik, beschäftigen können.
    Denn auch diese Realität haben WIR geschaffen mit “Geiz ist geil”, indem man UNS daran glauben lies.

    Wo sind die philosophischen Ansätze wie wir leben wollen?
    Wir reden nur über Wirtschaft und wie wir dieser eine Chance geben können.
    Wo ist eine Diskussion darüber wie WIR leben wollen. Was WIR erleben wollen und vor allem wie.

    Wir müssen wieder Lebensmöglichkeiten schaffen und nicht nur wirtschaftliche Möglichkeiten. WIR Menschen müssen auch leben und nicht nur malochen damit eine andere reicher werden.

    Nur, damit WIR darüber nicht mehr nachdenken hat man aus Proletariat das Prekariat erschaffen und spielt es gegen die Mittelschicht aus.
    Denn diese Leute werden sich nicht mehr organisieren weil sie zu dumm gehalten wurden. Man hat das Bildungsniveau runtergeschraubt damit die nicht auf Ideen des 19ten und 20ten Jahrhunderts kommen und am Ende noch eine wirkliche Linke, SPD oder Grüne gründen und für UNS wirklich kämpfen.
    Ein Schelm wer an den alten Mann aus Trier denkt?

    Ein Mann in einer Kneipe sagte mir mal: “Warum sollte ich mir den Arsch aufreissen, damit ein anderer Arsch nur noch mehr in den Arsch geblasen bekommt?”

    Nur zur Klarstellung: Das sind nicht meine Worte.

    Wettbewerb ist schlecht, denn er erzeugt Verlierer. Besser wir fangen wieder an daran zu glauben das ein miteinander nur Gewinner erzeugt!
Wir müssen leben und nicht kämpfen! Fangt mal an nachzudenken wem es nutzt wenn IHR nicht zusammensteht sonder euch gegenseitig in einem Wettbewerb zerfleischt!!!!!!
    Wir sind alle eins und nur durch die Gemeinschaft kann man sich als Individuum erst selbst erkennen.
    Schon wieder fällt mir der Alte aus Trier ein.

    • Neuro sagt:

      Moment mal, den Kommentar hab ich hier eben schon mal gelesen…
      war das nicht bei dem Artikel zu Ungarn unter Orban?

      ist so allgemein, dass er überall passt, was?

  5. Neuro sagt:

    Man sollte nicht vergessen, dass Foucault zuerst die westliche Vernunft selbst einer Kritik unterzog -Wahnsinn und Gesellschaft
    http://www.springerlink.com/content/m8402wgm6488206w/

    und dann die Justiz -Überwachen und Strafen
    http://www.freiereferate.de/erdkunde/michel-foucault-uberwachen-und-strafen-die-geburt-des-gefangnisses-zusammenfassung-und-interpretation

    Marx hat er m.Wissens auch abgelehnt -wo liegt also die Basis seiner Kritik?

    • hangoerdt sagt:

      Ich bin kein Experte, aber ich weiß, dass er zu einem gewissen grad Strukturalist war. Wenn ich das richig verstanden habe heißt das, dass dass er die Welt als Struktur betrachtet, deren Elemente durch extrem komplizierte und verwirrende Abhängigkeiten, Mechanismen und Wechselwirkungen in Verbindung stehen. Als Mensch da durchblicken zu wollen ist praktisch unmöglich, und von freiem Willen kann sowieso nicht die Rede sein. Focault hat sich selbst als Antihumanisten bezeichnet.

  6. ernte23 sagt:

    @Neuro: Bin kein Foucault-Experte und kann daher darauf nicht ausreichend antworten. Jedoch braucht man in meinen Augen nicht unbedingt auf Marx zurückzugreifen, um das bestehende neoliberale und damit wirtschaftsdominierte Gesellschaftsmodell zu kritisieren. Vor allem der apokalyptische bzw. prophetische Teil der marxschen Lehre ist zu optimistisch und hilft augenblicklich nicht viel.

    @Karin Dorr: Leider sind manche Zusammenhänge zu komplex, um sie mit Hilfe einiger einfacher Parolen niederschreiben zu können. Die Leute ohne die Unterstützung der Medien, die sie tagtäglich beschallen, „mitzunehmen”, halte ich ohnehin für äußerst schwierig. Besser ist es wohl, kleine Brötchen zu backen und sich zu fragen, was man tun kann, das über den Kauf von Fair-Trade-Produkten, ethischen Konsum, hinausgeht

  7. Don M. Tingly sagt:

    @ Karin Dorr, ernte 23:

    intellektuell ist der neoliberalismus ja inzwischen von vielen seiten decouvriert worden. seine grundannahmen sind im besten fall nur einfach falsch. im wahrscheinlicheren fall sind sie die pseudo-wissenschaftliche unterfütterung rein machtpolitischer interessen, denen die wirtschaftskrisen in den 1970ern willkommener anlass waren, den ungeliebten Keynesianismus endlich zu beerdigen.
    spätestens die derzeitige staatsschuldenkrise zeigt ja auch praktisch, in welch falsche richtung die marktliberale politik führt.

    trotzdem stellt sich doch mehr denn je die frage: was tun?

    “Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.”

    selten lag der alte rauschebart richtiger.

    es gelingt einfach nicht, eine kritische masse von der falschheit neoliberaler dogmen zu überzeugen. die trümpfe liegen leider in der hand der mächtigen aus politik und wirtschaft, die vom geltenden system profitieren.
    dank unkritischer privater und politisch kontrollierter öffentlicher medien, liegt die wesentliche meinungsbildung in der hand marktradikaler kräfte.

    die staatshaushalte werden unter dem massiven einfluss der lobbygruppen in einer weise gestaltet, die eine schleichende umverteilung von unten nach oben erlaubt. gleichzeitig werden gezielt ressentiments der mittelschicht gegen die abgehängten der gesellschaft geschürt, um die eigentliche schuld der eliten zu verschleiern.

    realitätsflucht der mehrheit – aufgrund von überforderung – in sinnentleerten konsum bzw. debile unterhaltung tun ein übriges.

    mir ist leider nicht klar, wie man aus diesem kreis ausbrechen können soll. die menschen tanzen auf der Titanic und sie wollen nichts von eisbergen hören.

  8. Klaus Stegemann sagt:

    An die Redaktion

    Der Link: “Die Ökonomisierung des Denkens”
    in: “Gesellschaft im Neoliberalismus”
    ist “tot”.

    Bedauerlich – bzw. Abhilfe tut not.
    M.f.G.

  9. Klaus Stegemann sagt:

    An die Redaktion

    … wie auch alle anderen Links im genannten Beitrag.

    Tja.

  10. Klaus Stegemann sagt:

    An den geneigten Leser:

    Sorry, Korrektur:
    Über die Seitenauswahl (im Gegensatz den Links bzw. der Suchfunktion) ist der Text erreichbar.

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