Reideoligisierung, Bildung marktliberaler Allianzen, PR-Krieg gegen die Gewerkschaften. Mit dem Krisenjahr 1974 wurde der Neoliberalismus zur strategischen Grundlage der Unternehmerverbände.
Vor genau 40 Jahren, Mitte Februar 1975, veröffentlichte die Wirtschaftswoche das Ergebnis einer bemerkenswerten Umfrage. Dort schrieben 81 Prozent der Bundesbürger den Gewerkschaften den größten politischen Einfluss in der Bonner Republik zu. Dagegen wurden Unternehmen nur von 12 Prozent und Banken von 14 Prozent der Befragten genannt.[1] Keine Kampagne der “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” könnte heute ein besseres Echo erzielen.
Tatsächlich waren die deutschen Gewerkschaften damals wesentlich schlagkräftiger und mitgliederstärker als sie es heute sind. Doch zu solch einer, die tatsächlichen Realitäten völlig verzerrenden Sicht im öffentlichen Meinungsbild hatte ein im vorangegangenen Jahr groß angelegter und beispielloser medialer Schlag der Arbeitgeberverbände wesentlich beigetragen.
Ende der Waffenruhe
Das Jahr 1974 war nicht nur der Beginn der großen Ölpreiskrise, sondern markierte auch den Anfang der modernen PR-Kampagnen, die sich, wie der damalige Gewerkschaftsführer Heinz Oskar Vetter besorgt äußerte, durch eine “immer besser funktionierende Verklammerung der Äußerungen von Unternehmerverbänden, Parteipolitikern, Presseorganen und Wissenschaftlern” auszeichnete.[2]
Die Stimmungsmache gegen die Gewerkschaften war zudem mit Ideologemen durchsetzt, die nicht zufällig an die Totalitarismus-Phobie der Mont Pelerien Society, das internationale Netzwerk des Neoliberalismus, erinnerten. BDA-Präsident Hanns Martin Schleyer verwandte in Bezug auf die Gewerkschaften die Gleichung “braun gleich rot”, und bezeichnete das Mitbestimmungsgesetz als gewerkschaftliche Machtergreifung.[3] Jürgen Eick, Mitherausgeber der FAZ, variierte gar die nationalsozialistische Devise “Die Partei befiehlt dem Staate” zu dem drohenden Prinzip “Die Gewerkschaft befiehlt dem Staate”.[4]
Im Zuge dieser Welle wurde die gewerkschaftliche Mitbestimmung ganz plötzlich als Variante von Totalitarismus und Kommunismus verteufelt. Philipp von Bismarck, damals Vorsitzender des CDU-Wirtschaftsrates, bezeichnete in der Eröffnungsansprache zum Wirtschaftstag ’74 die gewerkschaftliche Mitbestimmungsforderung als “den letzten gegen die Freiheit immun gebliebenen Bazillus des Marxismus” und diskreditierte den Regierungsentwurf eines Mitbestimmungsgesetzes als “Selbstmordprogramm der Freiheit”.[5] Helmut Kohl, CDU-Vorsitzender, sprach von einem “Anschlag auf ein Stück Freiheit in unserem Lande.”[6]
Der scharfe Wind, der plötzlich über die politische Landschaft zog, zeitigte von einem Klimawechsel und einer Zäsur. Die später von Margaret Thatcher noch brachialer angewandte Strategie, die Gewerkschaften in die Rolle der Gefahr für Grundgesetz, Freiheit und Demokratie zu drängen, erkannte Vetter ganz richtig und in weiser Voraussicht auf das, was kommen sollte, als eine “Grundlage im Lehrgebäude des Neoliberalismus.”[7]
“Zukunftsweisende Gespräche”
Die auffällige zeitliche Überschneidung der Kampagnen von hochrangigen CDU-Politikern und Arbeitgeberfunktionären war indes kein Produkt des Zufalls. Schleyer und Eberhard von Brauchitsch, – eng mit dem Spingerverlag verbandelt, Geschäftsführer der Flick KG und später einer der Hauptbeteiligten in der sogenannte Flick-Affäre -, hielten zu Kohl und Biedenkopf enge Kontakte, die in “zukunftsweisenden Gesprächen” mündeten, vor allem aber in der Frage, wie man verhindern konnte, dass der deutschen Wirtschaft durch die “sozialdemokratische Versorgungspolitik” immer neue Wettbewerbsnachteile entstanden.[8] In diesem Zirkel entstand auch der Plan, mit einem Team aus Kohl und Biedenkopf zur Bundestagswahl 1976 anzutreten.
Auch die Polemik von Seiten des CDU-Wirtschaftsrates konnte insofern kaum überraschend gewesen sein, da dieser ebenfalls eng mit den Arbeitgeberverbänden verzahnt war. In der 1963 gegründeten “Plattform zur Mitgestaltung der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik” saßen Großindustrielle wie Konrad Adenauer jr., Erwin Bockelmann, Felix Prentzel, Adolf Westphal und Joachim Zahn.
Die “neuen Qualitäten” in der Politik der Unternehmerverbände gegenüber den Gewerkschaften entgingen auch dem linken Spektrum nicht. Während in den 60er- und frühen 70er-Jahren die “soziale Partnerschaft” zum klassischen Repertoire bürgerlicher Rhetorik gehörte, würden die publizistischen Verlautbarungen und Aktivitäten der Unternehmer und ihrer Verbände bereits seit Mitte der 1970er-Jahre eine Tendenz zur Repolitisierung und Reideologisierung des “Kapitals” als Klasse markieren, merkte ein gewisser Peter Hinrichs in einer 1983 erschienen Studie an.[9]
Auch wenn der Duktus der Studie klassenkämpferisch anmutete, die Diagnose war zweifelsohne korrekt. Im Rückblick gibt es auch für den Politologen Wolfgang Streeck keinen anderen Schluss:
“Mit der Anerkennung der Gewerkschaften durch die wirtschaftlichen und politischen Eliten des Landes als ′birds of the same feather′ ist es heute vorbei.”[10]
Dabei war die Politik der Arbeitgeberverbände nicht immer derart gewerkschaftsfeindlich eingestellt gewesen. Doch wie kam es dazu, dass sich der bis in die 1970er-Jahre gültige, sozialpartnerschaftliche Komment der Bonner Republik auflöste?
Verschiebung der Kräfteverhältnisse
Der plötzlich in Frage gestellte Kompromiss und die zumindest symbolische Gleichstellung der Gewerkschaften resultierte zu einem großen Teil aus der unvorteilhaften Position der Unternehmerschaft in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Da der Großindustrie eine beträchtliche Mitschuld an dem Aufstieg Adolf Hitlers und der Sicherung seines Herrschaftssystems zugeschrieben wurde, war sie in der ordnungspolitischen Diskussion erst wieder mit Beginn des Kalten Krieges ein meinungsbildender Faktor in der Öffentlichkeit.
Mit den Jahrzehnten aber nahm die Konzentration der westdeutschen Wirtschaft und damit die Marktmacht der Großunternehmer – trotz zaghafter Versuche einer Kartellgesetzgebung in den 1950er-Jahren – immer weiter zu. Der Durchschnittswert der Umsatzanteile der zehn größten Unternehmen in den einzelnen Wirtschaftszweigen erhöhte sich von gut 31 Prozent 1954 auf 44 Prozent 1980. Die Zahl der Unternehmenszusammenschlüsse stieg nach überschaubaren 22 Zusammenschlüssen im Jahr 1960 in den 1970er-Jahren stark an. 1970 gab es 305, 1975 gar 448 Zusammenschlüsse.[11] Es handelte sich nicht nur um eine ungeheure Beschleunigung der Machtverschiebung vom öffentlichen zum privaten Sektor, sondern auch von den Arbeitnehmern zu den Unternehmen.
Die Realität also entsprach so gar nicht dem Bild, das die Umfrage der Wirtschaftswoche vermittelt hatte. Trotz dieser aus Sicht des Großunternehmertums höchst vorteilhaften strukturellen Entwicklung, sah man angesichts der Wirtschaftskrise und sinkender Profitraten die Pfründe auf dem Weltmarkt davon schwimmen.
Ideologische Allianzen
Dem wollte man nicht tatenlos zusehen. Pünktlich zur einsetzenden Konjunkturkrise veröffentlichte der BDA im Sommer 1974 den Entwurf einer “Erklärung zu gesellschaftspolitischen Grundsatzfragen”, in der sie neben einer Bestandsaufnahme des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses in der Bundesrepublik die Zielperspektiven der Unternehmer für die Zukunft abgesteckt hatte. In der Grundsatzerklärung wurde auch das neue Selbstverständnis und der damit entstandene gesellschaftliche Führungsanspruch der Unternehmer zum Ausdruck gebracht. Dazu gehörte die Forderung nach Wiedereinsetzung der Unternehmerpersönlichkeit als “Pionier der Nation” und die Wiederbelebung und Rehabilitierung konservativer Elitetheorien.[12]
Ziel der Denkschrift war es, “die gesellschaftspolitischen Entwicklungslinien auszuloten” und “ein gesellschaftspolitisches Ordnungsbekenntnis der Unternehmer zu formulieren, das den Rahmen für ihr sozial- und gesellschaftspolitisches Handeln in der Zukunft absteckt.” Das Papier bewies ein Gespür für die sich Mitte der 1970er-Jahre andeutende Sinnkrise der bürgerlichen Ordnung der Bundesrepublik:
“Eine dahinschwindende Grundübereinstimmung über Sinn und Inhalt des menschlichen Daseins, aber auch der demokratischen Normen, über Rolle und Funktion der gesellschaftlichen Gruppen und des Staates sowie ein gestörtes Verhältnis zu den Proportionen des wirtschaftlichen Fortschritts (…) kennzeichnen ein Klima, das zur Konfrontation der weltanschaulichen Vorstellungen und politischen Meinungen treibt. Der Konflikt über die Richtung, in der sich die gesellschaftliche Ordnung fortentwickeln soll, ist heute totaler und tiefgreifender als zu Beginn der Bundesrepublik.”[13]
Das Ordnungsbekenntnis ergänzte sich ganz nebenbei mit den Vorstellungen der CDU nach “geistiger Erneuerung”. Und es zielte keinesfalls nur darauf ab, eine natürliche Existenz des Unternehmertums zu konstruieren. Vor allem ging es darum, wie es Hinrichs unverblümt aussprach, “den Machtanspruch des Kapitals als Klasse und die Legitimierung von autoritären Herrschaftsformen zur Behebung der Krise im Interesse des Kapitals zu rechtfertigen.”[14] Eine bessere Gegenwartsbeschreibung gibt es auch heute nicht.
Hinrichs erkannte die Anzeichen einer “Reideologisierung der Unternehmer”, denen es angesichts zunehmender Krisenerscheinungen des Kapitalismus darum ginge, “das ideologische Selbstverständnis seiner Repräsentanten mittels einer offensiven Weltanschauung neu zu festigen und ihnen Mittel an die Hand zu geben, mit denen der Unternehmer (…) den gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen besser begegnen kann.”[15]
Die “offensive Weltanschauung” war indes längst gefunden: die neoliberale Ideologie vereinte nun als Grundlage der strategischen Programmatik BDA und CDU/CSU, die zuvor beide wiederholt auf die fehlende theoretische Fundierung ihrer Positionen hingewiesen hatten. Die nun existierende ideologisch-ökonomische Interessengemeinschaft von Arbeitgeberverbänden, Konservativen und Neoliberalismus schloß freilich schon damals die Gefahr einer Vermengung von Politik und Wirtschaft mit ein.
Zum Halali auf den Staat geblasen
Auch die kritischen Stimmen aus der Unternehmerschaft zur sozialliberalen Wirtschaftspolitik mehrten sich jetzt. Die Skepsis kulminierte 1977 in einer Analyse des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft, die den Stabilitäts- und Wachstumspakt einer Kritik unterzog. Die Veröffentlichung gelangte zu dem Schluss, dass der konjunkturpolitische Anspruch des Gesetzes noch nie in der politischen Realität angewandt werden konnte.[16] Insbesondere die Ziele der Preisstabilität und des Wachstums seien von der Regierung kaum umgesetzt worden.
Die Fokussierung auf die Preisstabilität zeigte, dass sich die Interessen der Unternehmer mit der von der Bundesbank verstärkt durchgesetzten monetaristischen Geldpolitik deckten. Jetzt trug der BDA gezielt Zweifel an der Effektivität der staatlichen Nachfragepolitik in die öffentlichen Medien. Die “Risse in der linken Front”, welche die BDA-Publikation “Arbeitgeber” im November 1974 festzustellen glaubte, wurden indes auch von der SPD wahrgenommen: Dem 2010 verstorbenen Hermann Scheer, schon damals einer der aufmerksamsten Beobachter der politischen Entwicklung, entging der Trend zurück zu einer wirtschaftsliberalen Ideologie nicht: Es werde “von Seiten der Privatwirtschaft und ihrer politischen Interessenvertreter zum Halali auf den Staat geblasen.”[17]
Dass sich die Offensive der Unternehmer nicht nur auf die Gewerkschaften beschränkte, war freilich kaum überraschend. In der Grundsatzerklärung der BDA wurde das Privateigentum an Produktionsmitteln als Eckpfeiler der freiheitlichen Ordnung ideologisch festgeschrieben. Insofern sah man nicht nur die Notwendigkeit, darauf hinzuweisen, dass “Freiheit und privates Unternehmertum untrennbar miteinander verbunden sind”. Vielmehr wurde konkret das vorweg gegriffen, was auch Kurt Biedenkopf zwei Jahre später auf die politische Agenda bringen sollte und heute unablässig von der INSM propagiert wird:
“Die diesem System innewohnende Tendenz, die Eigenverantwortung erlahmen zu lassen, muß nüchtern eingeschätzt werden. Deshalb ist es angebracht, heute zu prüfen, ob man auch künftig, wie beispielsweise in der Gesundheitssicherung, jede auch geringfügige Inanspruchnahme von Leistungen weiterhin der Gesellschaft oder aber besser dem einzelnen selbst zumutet: ob es nicht angezeigt ist, die ungerechtfertigte Inanspruchnahme der Solidargemeinschaft nach Möglichkeit auszuschließen.”[18]
Die unverschleierte Forderung einer Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme war in ein neues unternehmerisches Selbstverständnis politischer Einflussnahme eingebettet. Ziel war es nicht mehr, bloße Interessenpolitik zu betreiben, sondern die Interessen des Kapitals auch weltanschaulich und theoretisch zu fundieren und als essenziell für das Allgemeinwohl zu verkaufen. Gesellschaftspolitische Differenzen und Widerstand gegenüber einer „linkslastigen Ordnungspolitik“ sollten nunmehr offensiv begründet werden.[19] Es war eine Blaupause der modernen Unternehmenspolitik.
Dieser Artikel ist Teil einer Serie über die Ursachen für das Ende des keynesianischen Wohlfahrtstaates und des bis heute andauernden Aufstiegs des Neoliberalismus. Die Serie ist ein Ausschnitt aus dem Buch “Der Anbruch des Neoliberalismus”.
Teil 1, Geschichte einer Konterrevolution; Teil 2, Als der Markt Naturgesetz wurde; Teil 3, “No cooperate with Ordo”; Teil 4, Die Saat geht auf; Teil 5, Ein Schock: Das Ende von Bretton Woods; Teil 6, Blaupause für die Agenda 2010; Teil 7, SPD der 70er: Zwischen den Fronten; Teil 8, Schocktherapie für die Union
ihr vergesst eine ganz wichtige sache: das scheitern des bretton-woods-systems, weil die usa nicht mehr bezahlen konnten, und die endgültige loslösung vom goldstandard. das und nicht etwas nur die ölpreise hat für hohe inflationsraten gesorgt, und die gewerkschaften konnten, da sie selbst ein kartell darstellen, die löhne und damit auch die preise immer weiter hochtreiben. hätte man das zugelassen, wäre die hyperinflation eingetreten und das system schon damals bankrott zusammengebrochen. deshalb die hinwendung zum monetarismus und das abwürgen der wirtschaft. man betreibt seitdem praktisch nur insolvenzverschleppung, denn die angehäuften staatsschulden können nicht mehr beglichen werden. es gibt keine großinflationen, aber dafür asset inflationen, die von einer finanzkrise zur nächsten führen. drei mal dürft ihr raten, wie die sache früher oder später ausgeht…
Ein guter Artikel, bis auf den Schluss: Von einem bis “heute andauernden Aufstieg des Neoliberalismus ” kann keine Rede sein: Beispiele:
– Kommunalen Energieversorger benennen sich zurück um in “Stadtwerke”
– Kommunen kaufen Aktienpakete von Wasserwerken
– Staatliche Regulierung von Mindestlöhnen (zu niedrig, klar, aber allein schon die Tatsache an sich gilt Neoliberalen als Sündenfall)
– Studiengebühren in fast allen Bundesländern wieder abgeschafft.
– breites Bündnis gegen TTIP von Linkspartei bis AfD
– seit Jahren europaweite Stimmverluste der neoliberalen Parteien bis in zum Verschwinden der FDP
-breiter Konsens über das Versagen der Neoliberalen in allen jüngeren Politik- felder- siehe ihr Schieitern in der privaten Altersversorgung.
die Liste ließe sich fortsetzen:
Ich finde der Neoliberalismus befindet sich in den letzten Zuckungen des letzten Aufbäumens
Natürlich gibt es die genannten Entwicklungen, kommunale Kehrtwenden und Bürgerinitiativen. Aber diese Entwicklungen sind nur partiell bzw. regional, während sie auf EU-Ebenene nicht zu erkennen sind.
Den breiten antineoliberalen Konsens also sehe ich nicht. Sonst stände nicht die Mehrheit der Deutschen hinter Merkes Austeritätspolitik in Europa. Überhaupt, was in Südeuropa geschieht, ist die umfassendste neoliberale Schocktherapie seit Allende und Thatcher. Seit der Finanzkrise erleben wir, dass neoliberale Rezepte trotz eines offenkundigen Scheiterns durch die EU-Institutionen weiter durchgedrückt werden, auch gegen den Willen der nationalstaatlichen Parlamente. Soziale Kürzungen und Privatisierungen allenthalben. Wir erleben also zunehmend einen Neoliberalismus in Reinform, nämlich seine antidemokratische Ausprägung. Daher ist auch noch nicht gesagt, dass TTIP verhindert werden kann.
Die letzten Zuckungen dieses zunehmend autoritären, postdemokratischen Kapitalismus vermag ich bisher noch nicht zu erkennen. Vllt dann, wenn sich Tsipras und Varoufakis durchsetzen können…!? https://le-bohemien.net/2015/01/28/syriza-zwischen-revolution-und-zwang/
Ein hervorragendes, stringentes Lehrmaterial zum Werdegang des Neoliberalismus in Deutschland! Vor allem auch für solche, die in jener Epoche selbst keine politischen Beobachter in Deutschland sein konnten. Vielen Dank. Die Gleichzeitigkeit der Installation des Chile-Labors mit seinen Chicagoer Chefchemikern und den ersten (west-)deutschen Ansätzen ist ja bemerkenswert. So wie bei dir zu lesen, scheint es aber in jenen frühen Jahren keine direkten Hinweise auf einen wie auch immer gearteten ideologischen Austausch zwischen z.B. dem BDA und entsprechenden chilenischen Verbänden gegeben, sondern dem deutschen Impetus – zunächst „nur“ – ein konservativ-kapitalistisches Wirtschafts- und Gesellschaftsbild zugrunde gelegen haben.
Deinen eher pessimistischen Blicken in die neoliberale Zukunft schließe ich mich ausdrücklich an. Inkl. TTIP. Wenn „Podemos“ uns ein frühes Weihnachtsgeschenk machen sollte, dann würde der europäische Neoliberalismus möglicherweise ganz, ganz vielleicht ein paar allerfeinste Haarrisse bekommen. Aber erst nach beschlossenem TTIP, versteht sich…
Inwieweit es direkte Verbindungen zwischen Pinochet und deutschen konservativen Politikern in dieser Zeit gab, wäre noch einmal ein Forschungsthema für sich. Belegt ist zumindest, dass sich Strauß seinerzeits äußerst wohlwollend über die “Schocktherapie” in Chile geäußert hatte.
Troika, Rating-Agenturen, Finanzmärkte und wohl bald private Schiedsgerichte für Konzerne: Auch Syriza und Podemos werden in einer beschnittenen und beschränkten Demokratie die Hände gebunden sein. Alles was von transinstitutionell abgesteckten Politrichtlinien abweicht, wird bekämpft und sanktioniert. Das Vorgehen gegen Tsipras und Varoufakis ist ein politikwissenschaftliches Lehrstück in Echtzeit! Wo wir uns hinbewegen, hatte ich schon einmal prognostiziert: https://le-bohemien.net/2012/08/14/vom-ende-der-demokratie/
Danke für die Leseempfehlung. Andererseits hatte ich jenem Artikel schon damals apotheotisch gehuldigt – und mich rege an der Diskussion beteiligt…:-)
Parteien bedienen Vorurteile die in der Mehrheitsgesellschaft vorhanden, um wiedergewählt zu werden. Die Mainstream Medien, machen es genauso, weil die Auflage stimmen muss. Die Wirtschaft weiß das zu seinem Vorteil zu nutzen, und die Gewerkschaften sind heute marginalisiert.
Die Folgen, wenn über Jahrzehnte hinweg statt Fakten und Fachwissen, Vorurteile bedient werden, kann man an dem Beispiel Europa, und vor allem der beschämende Umgang mit Griechenland sehr gut erkennen.
Statt Solidarität in Europa entstehen immer mehr fragwürdige Parteien, oder Gruppierungen, wie die AfD in Deutschland, Pegida, oder wie in Frankreich LePen, in Finnland: “wahre Finnen” und in Griechenland “Mörgenröte” die alle eins gemeinsam haben, nicht die Probleme lösen wollen, sondern mit noch mehr Vorurteilen noch mehr Probleme in Europa schaffen.
Kurz und knackig die Postdemokratiethese auf den Punkt gebracht.
Vielleicht passt es, wenn sich hier mal ein “Altachtundsechziger” zu Wort meldet.: Als wir damals mit unseren Analysen hefig übertrieben, um gehört zu werden, so ist auch die heftigste unserer damalgen Übertreibungen unterdessen vollkommen wahr geworden.
Umso mehr freut mich diese luzide Analyse. Der Neoliberalismus (Neoklassik, Angebotsorientierte Wirtschaftspolitik etc.) sind klassische Herrschaftsideo-logien. Doch Ideologien sind so gestrickt, dass sie notwendig die (mögliche) Realität nur verzerrt widergeben. Ihr Dogmatismus hindert sie zudem daran, sich einer (möglichen) Wirklichkeit angemessen anzunähern. Ein Beispiel wäre die Austeriätspolitik, die unter den meisten Umständen einfach nachweislich falsch ist und insofern zum (wahrscheinlichen) Scheitern bestimmt ist.
Wie lange wird es dauern, bis die neoliberalen Ideologie unvermeidlich an die Wand fährt? Dies interessiert mich dieser Tage ganz besonder im Hinblick auf die griechische Misere.
Aber wie gesagt: Gute Beiträge zum Thema! Weiter so!