Gründe für die Rehabilitierung des Karrierismus
Für die Rehabilitierung des Karrierismus in der linksalternativen Bewegung können unterschiedliche Gründe genannt werden. Ein Grund dafür liegt darin, dass viele Alternativprojekte gescheitert sind. Sie haben sich als unrentabel erwiesen. Sie konnten nicht mit den Unternehmen, die nach den üblichen Regeln der kapitalistischen Arbeits- und Produktionsweise funktionieren, mithalten.
Ein weiterer Grund besteht darin, dass sich nach dem Zusammenbruch des Ostblocks die Marktwirtschaft als alternativlos herausgestellt hat. Viele Linke haben damals die Suche nach alternativen Wirtschaftskonzepten aufgegeben. Häufig wird der Grund genannt, dass sich viele Linke an den „neoliberalen Mainstream“ angepasst haben. Das gilt für die Grünen und die SPD sowie große Teile der Frauenbewegung.
Ein weiterer Grund für die Rehabilitierung des Karrierismus ist der Einfluss der Postmoderne auf die linksalternative Bewegung, insbesondere auf die Frauenbewegung. Während Karl Marx und die Repräsentanten der Kritischen Theorie die Ideale des Humanismus und der Aufklärung wie die besondere Stellung des Menschen, personale Unabhängigkeit, Selbstbestimmung (Autonomie), Emanzipation (Befreiung von allem, was den Menschen behindert) und Vernunft mit ihren allgemeingültigen Maßstäben des Denkens und Handelns vertreten, werden sie von den Denkern der Postmoderne wie Michel Foucault, Jacques Derrida, Jacques Lacan u.a. abgelehnt.
Für Foucault, den prominentesten Denker der Postmoderne, sind die genannten Ideale Mythen, die es zu überwinden gilt. Er spricht sogar vom „Ende des Menschen“.(19) Der Mensch steht somit nicht im Mittelpunkt der Welt und der Geschichte. Er ist bloß eine soziale Konstruktion. Foucault weist in diesem Zusammenhang nicht nur die Annahme eines erkennenden Subjekts im Sinne des cartesianischen cogito, sondern auch die eines praktischen Subjekts, das z.B. Emanzipationsansprüche erhebt, zurück.
Ihm zufolge kann es kein allgemeingültiges Wissen geben; jegliches ist relativ zum soziokulturellen und geschichtlichen Kontext. Es ist außerdem immer machtgeleitet und parteiisch. Macht durchdringt nach Foucault die ganze soziale Welt und hat eine positive Funktion. Dabei lässt es sich nicht zwischen legitimer und illegitimer Macht, zwischen „guter“ und „schlechter“ Macht unterscheiden, denn Foucault lehnt die humanistischen und aufklärerischen Werte, die eine solche Unterscheidung ermöglichten, ab. Mit Hilfe seiner Position lässt sich daher eine nihilistische, skrupellose Machtpolitik leicht rechtfertigen. Der Karrierismus ist ein integraler Teil dieser Politik.
Auch in der linksalternativen Frauenbewegung ist der Einfluss der Postmoderne deutlich zu sehen. Judith Butler, die Begründerin der Gender–Theorie, knüpft an postmoderne Philosophen, insbesondere an Michel Foucault und Jacques Derrida, an. Geschlecht wird von ihr als eine soziale Konstruktion aufgefasst, und zwar nicht nur das soziale Geschlecht (gender), sondern auch das biologische (sex).(20) Geschlecht wird durch „Machtformationen“ kulturell konstruiert, und zwar im Rahmen von „Diskursen“, durch „diskursive Praktiken“. Was konstruiert werden kann, kann auch dekonstruiert werden. In Anlehnung an den Begriff „Dekonstruktion“ von Jacques Derrida ist Butler daran interessiert, die Zweigeschlechtlichkeit (Mann-Frau), die sie ebenfalls als eine soziale Konstruktion auffasst, zu dekonstruieren.
Die Konsequenz davon ist ein „postmodernes Ein-Geschlecht-Modell“: „Frauen sind Männer, bloß anders“.(21) In anderen Worten: Frauen sollen so wie Männer sein, so wie Männer handeln und arbeiten; sie sollen in die Arbeitswelt gedrängt werden und dort Karriere machen. Trotz aller Reden über Lockerung der Zweigeschlechtlichkeit, Flexi-Identitäten und Diversity werden Geschlechter uniformiert, um sie marktkonform zu machen.
Die von Judith Butler begründete Gender-Theorie stellt eine theoretische Grundlage für das politische Programm Gender Mainstreaming dar, das 1995 auf der Weltfrauenkonferenz in Beijing beschlossen wurde und die „dritte Frauenbewegung“ eingeleitet hat. Es wurde zu einem Leitfaden der Politik in den westlichen Ländern. Auch sein Ziel ist es, den Geschlechterunterschied zwecks besserer Anpassung an die Erfordernisse des Marktes zu nivellieren. Die dritte, postmoderne Frauenbewegung agiert
„in einer Grauzone von Perspektiven der Intersektionalität, eines feministisch geschminkten Neoliberalismus und eines damit zusammenhängenden, aus den 1990er Jahren überkommenen linksfeministischen Popkulturalismus á la ´Missy`, bis hin zu den ´Feuchtgebieten` und nicht zuletzt ebenso implizit konkurrenzorientierten Alpha-Mädchen-Behauptungen.“(22)
Als maßgeblicher Grund für die Rehabilitierung des Karrierismus in der linksalternativen Bewegung kann der Einfluss der Postmoderne angesehen werden. Die Lancierung der postmodernen Ideologie unter den Linksalternativen hat zum Verzicht auf wichtige linke Ideale geführt. Diese Entwicklung ist nicht nur ideeller Art und beschränkt sich nicht nur auf intellektuelle Debatten. Sie hat darüber hinaus einen immensen Widerhall in der politischen Praxis gefunden. Das kann anhand des Siegeszuges der dritten, postmodern inspirierten Frauenbewegung, des Gender Mainstreamings, deutlich gezeigt werden.
Der Beitrag ist eine leicht gekürzte Fassung vom Original auf Cuncti.
Quellen:
…ja, die Linken haben die Flexibilitaet und Absorptionsfaehigkeit ihres Feindes immer unterschaetzt – einer der Kardinalfehler linker Theoriebildung…
Wenn Sie hier, wo es um Argumente und um Denken geht, wenigstens den Versuch unternähmen, selbst zu denken, also inhaltlich zu argumentieren, anstatt den Begriff des “Feindes” zu verwenden, der bekanntlich von dem Juristen und Nationalsozialisten Carl Schmitt in die Debatte gebracht wurde, dann zeigen Sie, was Geistes Kind sie sind. Und es ist dabei ganz egal, ob Sie sich womöglich einbilden, politisch ein Linker zu sein. Sollte es so sein: Sie sind es nicht. Den Beweis haben Sie selbst erbracht.
“Lange haben große Teile der Linken Karriere als Ausdruck der Entfremdung abgelehnt. Sie galt als Inbegriff von hierarchischen Strukturen, Konkurrenz und Ellenbogenmentalität. Doch mit dem Feminismus hat sich das geändert.”
Wieviele Frauen und Männer, die Karriere machen (wollen) sind Feminist_innen, und wie viele, die sich Feminist_in nennen, wollen Karriere machen um den Preis systemischer Einhegung? Gibt es dazu vergleichbare Zahlen?
Was genau will uns der Autor dieses Beitrages sagen?
Dass “der Feminismus” (was ist das genau?) schuld daran ist, dass große Teile der Linken Karriere machen nicht mehr als eine Art von Sündenfall ansehen – oder?
Dass große Teile der Linken Karriere als Ausdruck von Entfremdung lange Zeit theoretisch abgelehnt haben, macht ja Sinn. Es liegt in der Natur der Idee begründet, welche das Kollektiv gegenüber dem Einzelnen praeferiert.
In der Praxis hingegen musste dies von Anfang an ein frommer Wunsch bleiben, weil man ‘Nicht-Ziele’ ohnehin nicht anstreben kann und speziell dieses auch noch der menschlichen Natur, nämlich dem Rangstreben, zuwider läuft.
Immerhin aber trachteten die linken Himmelsstürmer zunächst durchaus im Rahmen der Bewegung persönlich voranzukommen, als Anführer, Protagonist oder zumindest wertvolle Stütze oder Bestandteil. Als sich aber abzeichnete, dass das so bald nicht gelingen kann, wurde flugs das Konzept des ‘langen Marsches durch die Institutionen’ entwickelt. Und dankbar aufgegriffen und umgesetzt – jedenfalls von denen, welche die Voraussetzungen dafür mitbrachten.
Und was die Frauen anbelangt: Die waren schon immer ein bisschen pragmatischer als ihre verträumten Männer. Schließlich planen sie nicht immer nur für ein paar Minuten, sondern für Perioden von 9 Monaten plus x.