Die Frauenquote im Speziellen und die Gleichstellungspolitik im Allgemeinen sind Bestandteile des Linkspopulismus geworden. Wie wenig das tatsächlich mit linker Politik zu tun hat, darüber sprach Alexander Ulfig mit Günther Buchholz.
Alexander Ulfig: Herr Professor Buchholz, Sie verstehen sich selbst als Linken. Was heißt für Sie links?
Günter Buchholz: In der bürgerlichen Gesellschaft steht politisch links, wer innerhalb der objektiven gesellschaftlichen und ökonomischen Herrschaftsverhältnisse für eine wirtschaftliche, soziale, rechtliche und politische Besserstellung der Beherrschten eintritt und wer diese Praxis mit der Perspektive einer geschichtlichen Emanzipation der Beherrschten verbindet.
In der Begrifflichkeit der Kritik der Politischen Ökonomie bedeutet das, sich innerhalb des die bürgerliche Gesellschaft bestimmenden Kapitalverhältnisses („Kapital & Arbeit“) politisch bewusst auf die beherrschte Seite, die Seite der Lohnarbeit zu schlagen, wenn man nicht sowieso schon dieser objektiv zugehört.
Das schließt ein, historische Errungenschaften, wie z. B. den Verfassungs- und Rechtsstaat, den Sozialstaat, die Menschenrechte und die Demokratie, grundsätzlich zu schätzen, zu bewahren und gegen Angriffe zu verteidigen.
Die Frankfurter Erklärung zur Gleichstellungspolitik gehört in diesen Zusammenhang, denn es geht dabei auch um die Aushöhlung des Grundgesetzes, speziell des Art. 3 und des Art. 33, die entgegen einer verbreiteten Meinung emanzipationspolitisch nicht gerechtfertigt werden kann.
Alexander Ulfig: Was ist der Unterschied zwischen links sein und sich links fühlen?
Günter Buchholz: Politisch links zu sein ist, wie oben gesagt, erstens eine objektive und eine subjektiv-rationale Bestimmung im Kontext einer Gesellschaftstheorie.
Und es ist zweitens ein Rationalismus. „Sich links zu fühlen“ entbehrt hingegen dieser objektiven Bestimmung und beschränkt sich auf eine subjektive und emotionale Zuordnung oder auf eine individuelle oder kollektive (sozialpsychologische) Einbildung. Es handelt sich daher um einen Irrationalismus, der sich auf angeblich authentische und implizit für wahrheitsfähig gehaltene Gefühle beruft. Diese können deshalb scheinbar einer rationalen Erkenntnis entgegengestellt werden.
Es geht beim „sich links fühlen“ nicht um die Frage: Wie und was denkst Du über X – und mit welchen Begründungen und aufgrund welcher Tatsachen? Sondern es geht darum zu fragen: Was fühlst Du in Bezug auf X? Daraus ergibt sich die praktische Unmöglichkeit eines Dialoges zwischen einem Rationalisten und einem Irrationalisten: Es gibt einfach keine logische Gemeinsamkeit.
Zum ersten Mal hörte ich in den späten 70er Jahren, in der frühen Zeit der Zweiten Frauenbewegung und in der Zeit, als die GRÜNEN sich als pazifistische, basisdemokratische und ökologische Anti-Atomkraft-Bewegung gründeten (die „78 – er“ als Nachfolger der „68 – er“), dass nicht gefragt wurde: Was d e n k s t Du hierzu? Sondern dass gefragt wurde: Wie f ü h l s t Du Dich damit oder dabei? Diese Frage aber gehört in einen psychotherapeutischen Kontext, in dem es um Selbsterfahrung geht. Neben unserem Selbst gibt es aber noch die ganze Welt, und dieser wenden wir uns besser rational zu.
Alexander Ulfig: Könnten Sie uns stichwortartig die wichtigsten Eckpfeiler einer linken Politik schildern?
Günter Buchholz: Die politische Linke, so wie sie im 19. Jahrhundert entstanden ist, war pazifistisch und internationalistisch. Die Aufgabe des Internationalismus und Kosmopolitismus durch die damalige Linke (SPD) zugunsten des Nationalismus und des Militarismus war der schwerste aller Fehler, weil der Erste Weltkrieg, der einen entscheidenden europäischen Zivilisationsbruch darstellte, auch hierdurch nicht verhindert wurde. Daher sind ein grundsätzlicher Pazifismus – und nicht Bellizismus sowie Internationalismus – und die Ablehnung des Nationalismus gute linke Tradition.
Dazu gehört operativ eine friedensorientierte Außenpolitik, die außerdem die Entwicklungschancen der Armen des globalen Südens stärkt, z. B. durch Hilfe zur Selbsthilfe und durch faire Handelsbeziehungen. Letzteres mindert oder beseitigt zugleich den Migrationsdruck, der auf den Armen dieser Welt lastet.
Zur Linken gehören auch die Werte der Aufklärung, also Individuierung, Toleranz, Freiheit, Gleichheit und Solidarität, die in ihrem Zusammenhang selbstverständlich immer wieder einer angemessenen und situationsgerechten Interpretation bedürfen.
Weiter gehört es zu einer linken Politik, die gefährdete und ungesicherte Existenzweise der Lohnarbeiterklasse (i. w. S.) abzusichern, zum Beispiel gegen zu niedrige Löhne oder gegen prekäre Arbeitsverhältnisse, sei es durch gewerkschaftliche Organisation, sei es durch weitergehende Parteipolitik im Politischen System. Es bestand und es besteht auf der Linken immer ein dringendes Bedürfnis nach einer substanziellen und wirksamen Demokratie, weil anders die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung nicht zur Geltung gebracht werden können. Eine umfassende Demokratisierung ist deshalb ein linkes Projekt.
Wenn die politische Linke sich nicht an diese Grundsätze gehalten hat, dann waren die Folgen verheerend und furchtbar, für andere und für sie selbst, in Deutschland wie in Russland. Beide geschichtlichen Erfahrungen zeigen deutlich, wie wichtig es ist, bei aller geschichtlich nötigen Differenzierung die oben genannten Orientierungen grundsätzlich zu wahren.
Alexander Ulfig: Sie bezeichnen den Feminismus und die mit ihr verbundene Gleichstellungspolitik nicht als eine linke, sondern als eine rechte Politik. Könnten Sie das erläutern?
Günter Buchholz: Es gab im 19. und frühen 20. Jahrhundert zweifellos ein berechtigtes Bedürfnis einer Emanzipation, nämlich einer Emanzipation der Juden, der Arbeiter und der Frauen. Es ist fast vergessen und wert in Erinnerung gerufen zu werden, dass es die deutsche Novemberrevolution von 1918 war, die, indem sie mit der Ständegesellschaft brach, eine bisher nicht dagewesene Freiheit eröffnete, z. B. durch das allgemeine Wahlrecht und die Zulassung von Frauen zum Hochschulstudium – ein großer historischer Fortschritt!
Der Nationalsozialismus hingegen war eine reaktionäre, antisemitische und rechtspopulistische Ideologie und Politik, und er nahm diese Fortschritte zurück. Das Grundgesetz von 1949 antwortete auf diese Rücknahmen unter anderem und m. E. völlig zu Recht mit der in Art. 3 festgeschriebenen Gleichberechtigung.
Befreien kann man sich immer nur aus etwas Unfreiem, und die Strukturen, Regeln und Einschränkungen seitens der ständischen Gesellschaft, unter denen die Menschen im 18., im 19. und im frühen 20. Jahrhundert litten sind das beste Beispiel dafür. Wenn aber Gleichberechtigung Verfassungsrang hat und wenn verbliebene rechtliche Ungleichheiten beseitigt worden sind, dann kann von einer Emanzipation insoweit keine Rede mehr sein, denn sie ist verwirklicht. Den Frauen stehen alle Möglichkeiten offen, aber sie müssen sie selbst nutzen, und das vollzieht sich im Wettbewerb mit anderen Menschen. Darin allerdings müssen sie sich bewähren. Gleichberechtigung bedeutet nicht und hat nie bedeutet, über eine geschenkte Erfolgsgarantie zu verfügen. Gleichberechtigung bedeutet, dass sich alle in gleicher Weise und ohne Erfolgsgarantie am gesellschaftlichen Wettbewerbsprozess beteiligen dürfen.
Gleichstellung bedeutet aber das Gegenteil von Gleichberechtigung, nämlich eine vorab und außerhalb des Wettbewerbs durchgesetzte Ergebnisgleichheit, die eine politische Wettbewerbsverzerrung darstellt. Das hat mit Emanzipation in keinem Sinne etwas zu tun. Die manchen nicht unwillkommene Verwechslung der beiden ähnlich klingenden Begriffe ist Basis einer Täuschung, die sich fälschlicherweise auf Emanzipation beruft, während sie tatsächlich eine Privilegierung zu Lasten von Wettbewerbern ist. Im Fall der feministischen Quotenpolitik sind eben Männer die Diskriminierten.
Gleichstellung ist begrifflich nicht nur keine Emanzipation, sondern sie ist eine Diskriminierung, die das Grundgesetz – im Art. 3 und im Art. 33 – verboten hat, und daran ändert der 1994 eingefügte Art. 3 (2) Satz 2 gar nichts.
Diskriminierung ist objektiv eine rechte Politik. Und zwar auch dann, wenn sie von Personen praktiziert wird, die sich selbst einbilden, sie seien politisch Linke.
Alexander Ulfig: Warum schalten viele Linke beim Thema Feminismus bzw. Gleichstellungspolitik ihre Kritikfähigkeit aus? Was sind die psychosozialen Gründe dafür? Spielen dabei Schuldgefühle, die man Männern in den letzten Jahrzehnten eingeredet hat, eine Rolle? Man hat den Männern erzählt, dass sie Frauen jahrtausendelang unterdrückt haben und dass das jetzt kompensiert werden muss. Dabei ist jedes Mittel – bis zur offenen Diskriminierung von Männern – recht. Viele linke Männer möchten Frauen privilegieren, auch wenn das ihrem eigenen Gerechtigkeitsempfinden oder ihren eigenen Interessen zuwiderläuft.
Günter Buchholz: Die ursprünglichen Gemeinschaften der Jäger und Sammler gelten als weitgehend egalitär. Nur die geschlechtliche Arbeitsteilung aufgrund ungleicher körperlicher Voraussetzungen machte sich natürlich geltend. Es gibt selbst heute noch Menschen, die so leben, z. B. in der Kalahari.
Ausbeutung, Unterdrückung und Diskriminierung, sei es als Sklave, als Leibeigener oder als Lohnarbeiter, kennzeichnen die Gesellschaftsgeschichte seit der Entstehung und Entwicklung der Hochkulturen während der letzten fünftausend Jahre. Die sehr große Mehrheit der Bevölkerung, Männer, Frauen und Kinder, hat immer in solchen Verhältnissen gelebt. Und die stets dünne Schicht der Herrschenden lebte demgegenüber in sozial privilegierten Verhältnissen. Daher wirkte sich die wegen der Schwangerschaften und Geburten unvermeidliche geschlechtliche Arbeitsteilung zwar aus, aber je nach sozialer Lage völlig unterschiedlich.
Schwere und gefährliche körperliche Arbeit wurde unvermeidlich von Männern übernommen, auch um Frauen z. B. davor zu bewahren, im Bergbau unter Tage oder auf hoher See arbeiten zu müssen. Die Beziehung der Geschlechter im Hinblick auf die biologische Reproduktion und die Arbeit war notwendigerweise komplementär. Die Kehrseite jeder historisch entwickelten Arbeitsteilung ist die Arbeitskooperation, und diese schließt unvermeidlich entsprechende Verständigungs- und Ausgleichsprozesse in sich ein. Daher ist die Vorstellung einer angeblich immer schon gegebenen Unterdrückung der Frauen eine ideologische Erfindung. Es gibt keine Kollektivschuld „der Männer“ gegenüber „den Frauen“. Stefan Sasse hat sich darüber in dem Artikel “Der Gedanke der Frauenemanzipation in der Geschichte” ausführlich geäußert.
Beide Geschlechter wurden – und werden bis heute – von der jeweiligen sozialen Lage ihrer Klasse oder Schicht bestimmt, nicht umgekehrt. Deshalb ist Geschlecht keine soziale Kategorie.
Auf Seiten der Frauen ist der Feminismus – insbesondere nach seiner subjektiven Seite – ohne Berücksichtigung eines unbewussten „Minderwertigkeitsgefühls oder -komplexes“ (Alfred Adler etc.) kaum zu verstehen. Es wird heute z. B. oft über zu geringes Selbstbewusstsein geklagt, etwa im Hinblick auf Gehaltsverhandlungen, oder es wird subjektiv eine Benachteiligung wahrgenommen, wo gar keine ist: gefühlte Diskriminierung. Diese bloß gefühlte Diskriminierung wird m. E. häufig mit einer tatsächlichen Diskriminierung identifiziert, was schlicht falsch ist.
Gefühlte Diskriminierung wird (vermutlich) umgedeutet und in Schuldvorwürfe verwandelt, die den Schein oder Anschein der Plausibilität erlangen, daher von Männern akzeptiert und verinnerlicht werden, und dies nicht zuletzt, weil die Männer mit den Frauen in Frieden leben wollen. Sie m ü s s e n das wollen, weil die Beziehung sonst gestört ist, was Leiden verursacht. Wer bestrebt ist, dieses Leiden zu vermeiden, der wird dazu neigen, einfach nachzugeben. Ich vermute, dass das für eine riesige Masse von Männern zutrifft.
Alexander Ulfig: Kann das Verhältnis der Linken zum Feminismus als Linkspopulismus bezeichnet werden?
Günter Buchholz: Ich denke, dass der Feminismus tatsächlich ein Linkspopulismus ist. Aber ich will und muss das begründen, und ich beginne meine Antwort mit zwei Zitaten von Karin Priester („Wesensmerkmale des Populismus“ in ApuZ 5/2012):
„Während man außerhalb Europas seit langem mit Populismus vertraut ist, trat er in Europa in nennenswertem Umfang als überwiegend rechtes Phänomen erst seit den 1970er Jahren auf. Als Unterscheidungskriterium für linken oder rechten Populismus können die Begriffe Inklusion und Exklusion herangezogen werden.
Linker Populismus strebt durch Partizipation und Ressourcenumverteilung die Inklusion unterprivilegierter Bevölkerungsschichten in ein parastaatliches, direkt an die Person des „Führers“ gebundenes, parlamentarisch nicht kontrolliertes Klientelsystem an. (Hervorhebung: GB)
Rechter Populismus betreibt umgekehrt die Exklusion von Menschen („Sozialstaatsschmarotzer“, Immigranten, Asylbewerber, ethnische Minderheiten) und reserviert politische und soziale Teilhaberechte nur für die eigene, autochthone Bevölkerung.“
Und sie schreibt weiter:
„Zur Bestimmung des Populismus als Ideologie ohne gesellschaftstheoretisches Substrat ist der vom Ideologietheoretiker Michael Freeden geprägte Begriff einer „dünnen Ideologie“ hilfreich. Im Unterschied zu Hochideologien wie dem Liberalismus oder dem Sozialismus gelten Ideologien dann als „dünn“, wenn sie wie der Nationalismus, die Ökologiebewegung oder der Feminismus ein spezifisches Ziel verfolgen, sich aber in anderen Politikfeldern an eine komplexere Ideologie anlehnen, die Freeden als Wirtsideologie (host-ideology) bezeichnet. Auch der ideologisch „dünne“ Populismus geht mit solchen Wirtsideologien Verbindungen ein, die von Fall zu Fall variieren.“ (Hervorhebungen, GB)
Indem Frauen sich in der zweiten und (ab 1995) der dritten Frauenbewegung selbst anhaltend als Opfer, als Diskriminierte, als Benachteiligte darstellten und sich aktuell immer wieder so darstellen müssen (Schlagwort: „Opferabo“), einerlei, ob das nun den Tatsachen entspricht oder nicht, beanspruchen sie den Status von Unterprivilegierten und damit zugleich – im Sinne eines Linkspopulismus – den Anspruch, der Staat möge ihnen zum Ausgleich ihrer von ihnen behaupteten Benachteiligung ein „parastaatliches (…), parlamentarisch nicht kontrolliertes Klientelsystem“ (Hervorhebung: GB) zur Verfügung stellen.
Zwar versuchen Kritiker, den Nachweis zu erbringen, dass es solche Benachteiligungen objektiv nicht gibt, haben sich bisher aber damit gesellschaftlich nicht durchsetzen können. Hier finden sich etliche Publikationen hierzu.
Genau dieses Klientelsystem ist der „Staatsfeminismus“ als „System der Gleichstellungspolitik“, das aus Rechtsnormen, aus parlamentarischen und Partei-Organisationen (z.B. ASF, Frauenunion etc.), aus Frauen- bzw. Gleichstellungsbeauftragten, aus der Gesamtheit der Gender-Lehrstühle und aus dem journalistischen Netzwerk besteht.
Begünstigungen und Privilegien sind ein süßes Gift und sie produzieren Benachteiligte, nämlich die, zu deren Lasten die Begünstigungen erfolgen. Und das sind Männer. Die Frauenbewegung behandelt Männer in dem Sinne feindlich, als sie im Interesse eigener Privilegien beabsichtigt und nicht davor zurückscheut, Männer und auch das Gemeinwohl bzw. die Steuerzahler großzügig zu schädigen. Denn Privilegien müssen finanziert werden, und sie werden finanziert: Wird die Frauenbewegung deswegen kritisiert oder stößt sie auf Widerstand, dann reagiert sie empört.
Alexander Ulfig: Ich kann mich daran erinnern, dass große Teile der Linken noch in den 80er Jahren das Lebenskonzept Karriere völlig abgelehnt haben. Es wurde als Inbegriff von Habsucht und Geldgier, Entfremdung, Ellenbogenmentalität und autoritären/hierarchischen Strukturen, kurz: als Inbegriff des falschen Lebens aufgefasst. Liest man gegenwärtig z.B. die taz, die seit Jahren eine Hurrapropaganda für eine Frauenquote in den Vorständen der DAX-Unternehmen macht, dann hat man den Eindruck, dass der Karrierismus als Lebensorientierung rehabilitiert wird – aber nur dann, wenn es um Frauen geht. Wie erklären Sie diesen Verzicht auf wichtige linke Ideale?
Günter Buchholz: Das stimmt, tatsächlich gab es vor 1980 eine karrierekritische Haltung, aber die Durchsetzung des Neoliberalismus (vgl. David Harvey: Kleine Geschichte des Neoliberalismus) hat sich als machtvoller Prozess erwiesen, der gesellschaftskritische Widerstände marginalisiert und ausgetrocknet hat. Aber nicht den Feminismus. Dieser hat sich ebenso zügig wie opportunistisch von seinen auch vorhandenen gesellschaftskritischen Wurzeln abgelöst und sich dem neoliberalen Mainstream angepasst. Auch die GRÜNEN und die SPD haben diesem anhaltenden starken Anpassungsdruck innerhalb der gesamten Gesellschaft nachgegeben. Daraus resultiert der traurige heutige Zustand dieser Parteien. Dem Feminismus genügt ein simples Ziel, eine „dünne Ideologie“, und eine anhaltende Politik für die eigenen Privilegien – reine Interessenpolitik also.
Der Verzicht auf wichtige linke Ideale – zu diesen gehören auch die frühen Leitwerte, denen die noch ganz junge Partei der GRÜNEN folgen wollte (Pazifismus, Basisdemokratie, Ökologie) – erklärt sich aus der Kombination von Marginalisierung und Austrocknung einerseits und Anpassung an den Neoliberalismus – mit dem Schlachtruf „Mehr Markt“ – andererseits.
Dieser Anpassungsdruck wirkt seit mehr als dreißig Jahren weltweit mit anhaltender Kraft, und er ist längst auch in die die Subjekte prägenden Prozesse der Erziehung und damit in die Subjekte selbst eingedrungen. Der Karrierismus ist auch für Männer der einzige Wert, aber für die Frauen wird er besonders propagiert, und zwar nicht nur zu Lasten der konkurrierenden Männer, sondern ebenso zu Lasten der Mutterrolle (vgl. hierzu das neue Buch von Birgit Kelle, Dann mach doch die Bluse zu).
Es geht dem Kapital darum, das weibliche Arbeitskraftreservoir für sich zu erschließen. Frauen sollen wie Männer Lohnarbeit leisten, statt eine „unproduktive“ Erziehungsleistung in der Familie zu erbringen. Dieser Widerspruch wird familienpolitisch bearbeitet, aber nicht gelöst.
Die neoliberale Vorstellung zum Beispiel, ein Lohnarbeiter sei sein eigener Arbeitskraft-Unternehmer, parodistisch als ICH-AG dargestellt, hätte in den 70er Jahren vermutlich zur augenblicklichen Überprüfung des Geisteszustandes geführt. Was sich hier mit Blick auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts und bis heute zeigt, das ist jedoch so neu nicht, wie das folgende Goethe-Zitat zeigt:
Johann Wolfgang von Goethe lässt im frühen 19. Jahrhundert in “Faust. Der Tragödie erster Teil” den Stürmer und Dränger Faust den „Geist der Zeiten“ so umschreiben (Faust I: 575-577):
„Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.“
Alexander Ulfig: Ähnliches gilt für den Lobbyismus. Während er noch in den 80er Jahren von Teilen der Linken aufs schärfste bekämpft wurde, wird er heute als legitimes Mittel des politischen Kampfes angesehen – wiederum solange es um die Durchsetzung der Interessen von Frauen geht.
Günter Buchholz: So ist es! Ein offensichtlicher Fall von feministischem Lobbyismus ist der Verein ProQuote, der von vielen Journalistinnen, die sich für links halten, unterstützt wird, wie z.B. Ines Pohl, Bascha Mika oder Simone Schmollack, und der dies hier anscheinend für eine „Begründung“ der Quotenpolitik hält. Es ist m. E. allerdings eher etwas für Michael Kleins Kolumne „Unsinn der Woche“.
Der feministische Lobbyismus wird gern mit dem männlichen Lobbyismus (old-boys-networks) gerechtfertigt und als legitimes Mittel der Beseitigung der (behaupteten) Benachteiligung von Frauen wahrgenommen. Dieser feministische Lobbyismus fügt sich nahtlos in den ökonomischen Lobbyismus ein, der mittlerweile zu einem EU-typischen Merkmal der Postdemokratie geworden ist, und über den sich die Leute zu Recht aufregen (z. B. Lobbycontrol), aber offenbar unter Aussparung des feministischen Lobbyismus; das wäre eine Nachfrage bei Lobbycontrol wert.
Der feministische Lobbyismus hat sich in der CDU (Frauenunion) und der SPD (ASF), nicht jedoch in der FDP erfolgreich der Strategie des „Entrismus“ – der Unterwanderung – bedient, und die Legitimation einer „dünnen Ideologie“ war dafür offensichtlich ausreichend. Bei den GRÜNEN war und ist der Feminismus samt seinem recht speziellen Umfeld ohnehin konstitutiv. Und auch bei den PIRATEN war der anscheinend gut gesteuerte feministische Entrismus zum Schaden der jungen Partei erfolgreich. Schließlich ist auch in der LINKEN der interne feministische Lobbyismus stark ausgeprägt, auch wenn das im aktuellen Wahlprogramm nicht aufscheint. Ist hier die Problematik einer feministischen Lobbypolitik erkannt worden?
Die SPD, und insbesondere die im Seeheimer Kreis organisierte SPD-Rechte, bekommt heute die Quittung für den bis heute nicht revidierten schweren Doppelfehler der Neoliberalisierung (Agenda 2010-Politik) und der internen Frauenprivilegierung, die Dr. Klaus Funken mit Blick auf die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen m. E. überzeugend kritisiert hat.
Es ist bemerkenswert, dass offensichtlich keine Bereitschaft besteht, diesen für die SPD schädlichen Missstand auch nur zu benennen, geschweige denn zu kritisieren. Nicht einmal die von mir sonst hochgeschätzten und aktiv unterstützten NachDenkSeiten von Albrecht Müller und Wolfgang Lieb sind bisher bereit, das Problem aufzugreifen.
Alexander Ulfig: Wie sollten sich die Linken zukünftig gegenüber dem Feminismus und der Gleichstellungspolitik verhalten?
Günter Buchholz: Die Linke i. w. S. wird vom Neoliberalismus dominiert oder hat ihn selbst aufgenommen. Sie ist insgesamt durch einen Theorie- und damit auch einen Rationalitätsverlust gekennzeichnet, der zur politischen Orientierungslosigkeit und subjektiven Beliebigkeit sowie zu falschen Ergebnissen geführt hat. Die Gleichstellungspolitik ist ein solches falsches Ergebnis, das Co-Management der Gewerkschaften und die Übernahme der neoliberalen Ideologie durch die SPD und die GRÜNEN sind unverstandene weitere Fehler, jedenfalls, wenn man das aus der Perspektive der sozial unterprivilegierten Schichten analysiert.
Erstens käme es auf eine ernsthafte selbstkritische Analyse der jeweiligen eigenen Parteigeschichte an, durch die Fehler und Versäumnisse überhaupt erst sichtbar werden können, die erst danach bewertet und korrigiert werden können.
Zweitens ist es notwendig, sich statt auf einen in populistischer Manier vermeintlich überlegenen politischen „common sense“, auf ein vermeintlich überlegenes Jedermann-Wissen, bewusst auf Theorien zu beziehen. Ohne diese Bemühung um theoretisch tragfähige Fundamente bleibt das politische Tagesgeschäft ebenso flach wie oberflächlich und beliebig, und es liefert sich den herrschenden Interessen aus, die in der Regel zugleich die Interessen der Herrschenden sind.
Auch wenn das alles nicht gleich in der nötigen Tiefe erfolgen sollte, weil dafür Zeit erforderlich ist, könnte doch die Gleichstellungspolitik als Fehler eingesehen und aufgegeben werden. Die Argumente liegen inzwischen alle vor und können nachvollzogen werden. Ich vertraue darauf, dass das früher oder später mit entsprechenden politischen Folgen geschehen wird.
Wünschenswert wäre eine grundsätzliche Revision des falschen linkspopulistischen Bündnisses mit dem Feminismus. Deren Agenda verstellt den Blick auf die realen Probleme, vor denen unsere Gesellschaft steht, und sie wirkt ablenkend, weswegen sie wohl geduldet oder gefördert wird, so dass zentrale Probleme – und das sind ganz andere – gesellschaftlich weder wahrgenommen noch öffentlich diskutiert werden.
Es geht z.B. um die friedens- und entwicklungspolitische Orientierung der Außenpolitik, um die konstruktive Ausgestaltung des Sozialstaats, um den Ausbau statt des faktischen Abbaus der Demokratie, um die Durchsetzung einer wirksamen demokratischen Fundierung der EU, um eine Ablösung der wirtschaftspolitischen Austeritätspolitik und um eine verteilungspolitische Korrektur. Letztlich und insgesamt geht es um eine Ablösung und Überwindung der neoliberalen Hegemonie. Ohne politisches Denken im eigentlichen Sinne ist das alles nicht zu haben. Nicht einmal spontaner Widerstand ist tragfähig ohne dies.
Aber bis zu einer Einsicht einer Mehrheit dürfte es in den betroffenen Parteien, die sich traditionell selbst zur Linken i. w. S. rechnen, noch weit sein und ohne heftige interne Auseinandersetzungen wird das sicherlich nicht abgehen. Aber Irrwege müssen früher oder später korrigiert werden, „bei Strafe des Untergangs“, wie ein bekannter politischer Philosoph einmal schrieb.
Alexander Ulfig: Herr Professor Buchholz, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Alexander Ulfig ist Philosoph, Soziologe und Autor. Das Interview erschien erstmals auf seinem Blog Cuncti.
Bravó! Danke für diese excellente Darstellung!
“Den Frauen stehen alle Möglichkeiten offen, aber sie müssen sie selbst nutzen, und das vollzieht sich im Wettbewerb mit anderen Menschen. Darin allerdings müssen sie sich bewähren. Gleichberechtigung bedeutet nicht und hat nie bedeutet, über eine geschenkte Erfolgsgarantie zu verfügen. Gleichberechtigung bedeutet, dass sich alle in gleicher Weise und ohne Erfolgsgarantie am gesellschaftlichen Wettbewerbsprozess beteiligen dürfen.”
Wettbewerb ist im Falle der gesellschaftlichen Stellung nicht apriori gegeben, sondern ein Herrschaftsmechanismus. Dieser dient auch der herrschenden Klasse dazu, die Spaltung der Beherrschten und somit die Klassengesellschaft als ganzes zu erhalten. Im Wettbewerb gibt es immer VerliererInnen, diese sind in der bürgerlichen Gesellschaft u.a. ganz konkret die Frauen. Die Forderung nach der Gleichstellung – und nicht der Gleichberechtigung im Wettbewerb – der Frauen ist somit eine Forderung zur Aufhebung der Schranken der lohnabhängigen Klasse. Diese Aufhebung der Unterschiede innerhalb einer Klasse ist materiell notwendig, um das Klassenbewusstsein zu stärken und gegen die Bourgeoisie in den Kampf um die Emanzipation der Lohnabhängigen zu treten. Die Forderung nach der Gleichstellung der Frau ist somit ein emanzipatorischer Akt.
Ich stimme zu, dass Wettbewerb ein Herrschaftsmechanismus ist und nicht a priori existiert.
Wenn wir aber die Geschichte als Geschichte der Klassen und Klassenkämpfe nach Marx anschauen, würde ich sagen, dass es der bürgerlichen Schicht primär ziemlich egal ist, ob der Verlierer ein Mann ist oder eine Frau. Bei Klassenkämpfen geht es um die soziale Schicht, nicht um Geschlechter.
So ziemlich jede weitere Sub-Gruppierung (wie z.B. Feminismus) halte ich für Ideologie, wo keine emanzipatorischen Vorgänge stattfinden, sondern vor allem persönliche Vorteile und Interessen im Vordergrund stehen. Man versucht also, herrschende Interessen mit neuen, dann herrschenden Interessen auszutauschen. Das hat mit Emanzipation, egal welcher Art, aber überhaupt nichts zu tun, im Endeffekt sind die alten wie auch die neuen Interessen totalitär, mit dem Unterschied, dass die den eigenen Bedürfnissen entsprechen.
Des weiteren ergibt es im fortschreitenden Akkumulationsprozess des Kapitals keinen objektiven Grund, Frauen von der Lohnarbeit auszuschliessen, denn das Kapital schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe: 1. wird die soziale Struktur der Familie eher zerstört und 2. erschliesst sich durch die Frauenanspruchsgruppe ein enormes Potenzial von Einnahmequellen (Konsum, Steuern, usw.)
Wenn Sie versuchen, zuerst in der lohnabhängigen Klasse das gezüchtete Phänomen der Ungleichberechtigung (nicht Ungleichstellung) zu bekämpfen, um überhaupt dann den Klassenkampf aufnehmen zu wollen, stehen Sie wahrscheinlich vor einer ziemlich grossen Hürde, die von der Herrschaftsideologie implantiert wurde, um eben genau vom eigentlichen Punkt, der sozialen Klassenherrschaft und dem notwendigen Klassenkampf, abzulenken, damit sich das Lohnproletariat mit eingebildeten Problemen sich gegenseitig zerfleischt, was wir in vielen so genannten “linken” politischen Lagern leider genau so erleben.
Nach lesen des Interviews bleibt mir nur die Erkenntnis, dass Herr Buchholz aufgrund seiner Chauvinistischen Prägung in einer patriarchalischen Gesellschaft gar nicht in der Lage ist Feminismus zu verstehen.
Wie immer sind Begegnungen mit den Texten von Herrn Buchholz für mich sehr verstörend. Warum schreibt er über Feminismus auch wenn ihm bewusst sein muss, dass der hier nichts bedeutendes beizutragen hat?
In seinen Einstellungen tritt für mich genau die Wesenheit dessen zu Tage, warum ich der Meinung bin, dass der Feminismus vielleicht die wichtigste Bewegung unserer Zeit ist.
Um zu erklären auf was ich hinaus will, muss ich erst erläutern, welche Auswirkung ein Machtgefälle für die Entwicklung empathischer Fähigkeiten hat. “Frauen können sich besser in Männer eindenken als umgekehrt”; ist das gängige Vorurteil der Geschlechter.
Wer aber muss innerhalb eines (innerfamilieren) Machtgefälles Empathie für andere Entwickeln? Für die schwächere Person inneralb eines Machtgefälles ist es von geradezu überlebenswichtiger Bedeutung die Gefühlsschwankungen der Person von der sie abhängig ist zu verstehen.
Umgekehrt, und darauf will ich hinaus, kann derjenige der in die Machtposition aufgrund seines Geschlechtes geboren wurde empathisch verkümmern. Es ist diese Auswirkung des Patriarchats die uns als Männer beschädigt hat und unsere Gesellschaft prägt.
Ein im Bewusstsein männlicher Überlegenheit herangewachsener Günther Buchholz hat es also eventuell nicht gelernt sich in die Rolle der Frau einzufühlen. Es sind aber leider Menschen wie diese, die die eigene Überlegenheit in ihrer Rolle als Mann von der Gesellschaft immer wieder gespiegelt bekamen, die uns in Machtpositionen immer wieder Begegnen.
Nicht nur die Empathie für andere ist schwächer ausgebildet, auch die Möglichkeiten der Selbstreflektion verkümmern wenn man aufgrund der eigenen Machtposition keinen Grund zur Reflektion hat. Wer sich selbst nicht zu hinterfragen gelernt hat ist in der patriarchalischen Kapitaistischen Gesellschaft im Vorteil. Die Reflektion des eigenen Handelns behindert den steilen Aufstieg in patriarchalischen Systemen.
David Graeber führt dies hier weiter aus: http://news.infoshop.org/article.php?story=2007graeber-revolution-reverse
Man muss das Argument nicht überstrapazieren. Wenn auch Patriarchat und Kapitalismus sich nicht unbedingt gegenseitig bedingen, dann ist dennoch im Vergleich in patriarchalischen Geselschaften die Entwicklung von kapitalistischen Grundzügen weiter verbreitet.
Auch jenseits dieser Argumente versteht Günther Buchholz Feminismus als etwas, dass nur Frauen betrifft und vor allem für Männer keine Nachteile hat.
Wenn ich nichts sonst wüsste, wäre es für mich ein deutliches Anzeichen dafür, dass Her Buchholz sich doch besser etwas mehr mit Feminismus beschäftigen sollte.
Seine Einlassungen auf den Rationalismus habe ich in einem anderen Kommentar schon einmal Diskutiert. Auch hier sehe ich Potential der intellektuellen Entwicklung.
Um den emotionalen Zugang zu linken Positionen besser zu begreifen müsste man allerdings Selbstreflektion und Empathie erlernt haben, womit sich der Kreis schliesst.
Nachtrag:
“Auch jenseits dieser Argumente versteht Günther Buchholz Feminismus als etwas, dass nur Frauen betrifft und vor allem für Männer keine Nachteile hat. ”
Hier sollte nicht Feminismus stehen sondern Chauvinismus.
Zunächst einmal halte ich es für richtig, Kritik an der Gleichstellungspolitik und am Gender-Mainstreaming zu üben – allerdings stimme ich dem Autor nicht zu, dass diese beiden Begriffe mit Feminismus gleichzusetzen sind.
Und als zweites Vorwort: Die Kritik an der “Gefühls-Linken” ist nur halbwahr. Sie ist wahr, wo eine Reduktion des politischen Bewusstseins auf eine reine Gefühlslage oder Moralität begrenzt wird, sie ist unwahr, wo das gefühlte linke Bewusstsein eine notwendige Vorstufe zu einem begründeten, politischen linken Bewusstsein ist. Niemand kommt mit einem “Das Kapital”-Wissen auf die Welt, auch führt der Weg in die (linke) Politik nicht über Marx, sondern linkes politisches Engagement führt zur Marx-Lektüre (und nebenbei auch zur Lektüre vieler anderer Wissenschaftler). Da allerdings, wo linkes Bewusstsein auf der Gefühlsebene stehen bleibt, droht immer die moralische Korruption durch die Gegner der Linken (als Pseudosyllogismus: Wir sind für universell gültige Menschenrechte, in einem anderen Land werden Menschenrechte verletzt, wir müssen militärisch reagieren, oder wie J. Fischer sich ausdrückte: “Ich habe gelernt, nie wieder Krieg, aber ich habe auch gelernt, nie wieder Ausschwitz”)
Doch zur Kritik des Artikels: Prof. Dr. Buchholz moniert im Interview insbesondere die Gleichstellungs- und Frauenquotenpolitik, die er als Wettbewerbsverzerrung empfindet. In der Tat ist eine solche Politik eine Wettbewerbsverzerrung, eine strukturelle Benachteiligung von Nicht-Frauen (also i.d.R. Männer) und kann im Konkreten den Leistungsschwachen vor dem Leistungsstarken aufgrund eines leistungsfremden Kriteriums bevorzugen. Allerdings kann diese Kritik nicht als orginär linke Kritik bezeichnet werden, auch in liberalen Kreisen (wie der Interviewte zugibt) wird diese Kritik angeführt, zudem ist ja auch nicht die Leistungsgerechtigkeit für die Linke ausschlaggebend, sondern die alte Losung: “Jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen”.
Tatsächlich ist die Frauenquote auch gar kein Instrument der Gleichstellung gewesen, sondern in einer historischen Situation eine bürokratische Krücke, um in linken politischen Kreisen mit ihrem sozialisierten männlichen Chauvinismus Frauen zunächst einmal Gehör zu verschaffen und eben dafür die entsprechenden Postionen zur Verfügung zu stellen.
Gerade in den 60er und 70er Jahren war die Macker-Kultur auch innerhalb der politischen Linken sehr verbreitet, der Mann war der Revolutionär und die Frau hatte für Bett, Küche und Kind zu sorgen. Wenn eine Frau widersprach oder auch nur eine Verständnisfrage stellte, wurde sie als Dummchen abgetan oder sogar direkt angeschnauzt und eingeschüchtert. Dies war das Klima, wo beim SDS eben die berühmte Tomate flog.
Unter diesen Bedingungen waren die Gremien rein männerbesetzt und nur wenige Frauen konnten Einlass finden. Dies war einerseits der Auslöser über Diskussionskultur zu sprechen (und es wird immer noch darüber gesprochen) und andererseits eine Frauenquote als Notbehelf einzuführen, um überhaupt erst einmal eine gewisse Anzahl von Frauen innerhalb der Linken in Führungspostionen zu bringen, die bei gleicher Wahl nie die Chance gehabt hätten, sich gegen irgendeinen Mann (wie inkompetent er auch sei) durchzusetzen.
Die Frauenquote war damit zwar eine reine Symptom- und keine Ursachenbekämpfung, allein deswegen sie in die rechte bzw. neoliberale Schublade zu stecken, ist aber ein gefährliches Argument, welches zum Umkehrschluss führt. Man denke nur an die aktuelle Debatte um die Flüchtlingstoten im Mittelmeer: Statt es Flüchtlingen zu ermöglichen, sicher nach Europa zu kommen und sie dort menschenwürdig zu behandeln, wird lieber darüber geredet, die Ursachen für Flüchtlingsbewegungen zu bekämpfen – dies nützt nur denjenigen, die sich bereits auf der Flucht befinden oder in Europa im Elend leben herzlich wenig und führt auch gleich zum sophistischen Argument, Kriege für die Menschenrechte zu führen.
Dies heißt aber ebenso wenig, dass sich die Frauenquote als Prinzip inzwischen verselbständigt und in Form der Gleichstellungspolitik nichts mehr mit dem linkssozialistischen Feminismus gemein hat. Hier sei nur auf ein Buch von Jutta Menschik hingewiesen, “Gleichberechtigung oder Emanzipation?” von 1971, wo sie darauf hinwies, dass es in der Geschichte des Feminismus zwei Strömungen gab, die proletarische und die bürgerliche Frauenbewegung. Für die erstere war es die konkrete Situation der unmenschlichen und ungenügend bezahlten Lohnarbeit und die damit einhergehende Verwahrlosung der Familie, denen ihr Kampf galt, insbesondere nachdem die besser bezahlte männliche Lohnarbeit durch schlechter bezahlte weibliche Lohnarbeit ersetzt wurde und in der Familie ein Rollentausch stattfand, nur dass eben noch weniger Einkommen dadurch vorhanden war. Für die bürgerliche Frauenbewegung waren die bürgerlichen Rechte und die bürgerliche Erwerbstätigkeit für Frauen das politische Ziel. Beide feministischen Bewegungen waren deshalb durch den Klassenunterschied getrennt, denn die Erwerbstätigkeit der Proletarierin war von Anfang an gang und gebe (bereits vorher als Lehnsbauernvolk waren die Frauen in Arbeit gesetzt), der Kampf richtete sich bei ihnen gegen zu viel, zu schlechter und zu gering entlohnter Arbeit, während die bürgerlichen Frauen ihre Teilhabe an den Schlüsselstellen der Bourgeiosie einforderten, an der sie aufgrund ihrer inzwischen deklassierten Rolle als Hausherrin nicht mehr partizipierten. Für die proletarische Frau ist (Lohn-)arbeit eine Notwendigkeit zur Mittelbeschaffung der Reproduktion ihrer und ihrer Familie, für die bürgerliche Frau ist (Lohn- oder selbständige) Arbeit Zweck zur Selbstverwirklichung.
Daher kann auch jeder Linke über die Forderung nach einer Quotenregelung für DAX-Unternehmen müde lächeln, der weibliche Teil der Bourgeiosie macht dem männlichen Teil die Führungspositionen innerhalb der Gesellschaft streitig. Ärgerlich ist es da, wo Pseudolinke dies als Feminismus und Frauenemanzipation verkaufen. Tatsächlich stellte schon 1971 Jutta Menschick fest, dass wirkliche Frauenemanzipation nur bei allgemeiner gesellschaftlicher Emanzipation möglich ist, eben als Teil der Emanzipation der arbeitenden Klasse.
Dies ist auch der Grund dafür, dass die Frauenunterdrückung als Nebenwiderspruch des Klassenwiderspruchs bezeichnet wird (bzw. wurde). Nur waren es in den 60er und 70er Jahren eben die machohaften Männer, die dies nicht begriffen hatten und Nebenwiderspruch mit Nebensächlichkeit gleichsetzten, weswegen der Feminismus vom Marxismus entfremdet und vom neoliberalen Gender-Mainstreaming vereinnahmt wurde.
Ich möchte die Damen und Herren Kommentatoren zur Vertiefung auf den folgenden Beitrag von Stefan Sasse hinweisen:
http://cuncti.net/streitbar/137-der-gedanke-der-frauenemanzipation-in-der-geschichte
Den Rest des Artikels könnte man ernst nehmen, wenn er nicht ein ganz zentrales Thema des Feminismus so überdeutlich umschiffen würde: wie dieses “Bestehen im Wettbewerb” nämlich funktioniert und für wen. Das ist ganz sicher kein reines Frauenproblem, sondern gilt ebenso für unzählige andere “Kategorien”, sei es der Mann der Babyjahre eingelegt hat, der Bewerber mit der ungünstigen Korrelation von Herkunft und mangelndem Auftreten, Leute mit biographischen Brüchen oder Krankheitserfahrungen, heutzutage vielerorts auch der Typ mit rechtskonservativen Ansichten oder oder oder.
Der Idealtypus in diesem Wettbewerb, der an dem sich alle messen müssen, ist der bürgerliche, gesunde, extrovertiert-durchsetzungsstarke liberale Mann der jedwede störenden Privatverpflichtungen diskret im Hinterland lösen lässt.
Wenn z.B. jemand täglich in der Lage ist, seine Arbeit eine halbe Stunde früher erledigt zu haben um seine Kinder aus der Kita zu holen, würde der Leistungsaspekt hier gar nicht gesehen werden, sondern immer noch vielerorts problematisiert werden dass es jemand wagt nach so einer Problemlösung zu fragen. Das ist jetzt nur EIN Beispiel (weil wir beim Thema Frauen sind), jeder Leser kennt sicherlich X-fache andere Beispiele dafür dass weit vor dem Leistungs- erst mal ein Anpassungswettbewerb zu bestehen ist. Und das Ur-Bild eines perfekten Karrierekandidaten ist so schnell nun nicht geändert. Daran ist auch durch immer perfekter darauf eingenordete Alphamädchen nichts zu rütteln, die wohl die primären Nutznießerinnen einer Quote werden.
Leider ist das aber wohl ein blinder Fleck derjenigen die an die (eigene) Leistung glauben müssen, weil sie sich selbst gern als hochgekämpften Leistungsgewinner sehen wollen – man(n) war natürlich einfach der beste im Institut und nur nur nur darum hat man die Habil gekriegt. Geschlechterspezifisch wäre hier dann nur noch, dass man(n) sicherlich gerne seinen raffiniertesten Bourdieu ins Feld führt, wenn es um alle möglichen anderen Mechanismen dieses “Wettbewerbes” geht – nur auf Frauen mag man das alles dann lieber nicht mehr anwenden, da reichen mal wieder Schlichtargumente wie “aber keiner verbietet denen das Studieren” (Danke, Massa!) zur Feststellung dass an sich alles tutti und ab jetzt Privatproblem ist. Ist ja auch Gedöns.
Aber wie eingangs erwähnt ist das eine Ebene die dieser Text komplett ausblendet. Bewusst?
an: Grosse Terz
Ich habe den Eindruck gewonnen, dass Sie einen vermeintlichen oder tatsächlichen Wettbewerbsnachteil von Frauen gegenüber Männern am Arbeitsmarkt thematisieren. Wenn das zutrifft, dann ist das ihrem Interesse geschuldet. Demgegenüber scheint es mir wichtig zu sein, zunächst den Arbeitsmarkt und seine Funktionsweise zu begreifen.
In der kapitalistischen Produktionsweise ist am Arbeitsmarkt die Nachfrage-
seite von maßgeblicher, meist dominierender Bedeutung. Das heißt, dominant ist eine abstrakte – und gegenüber der Geschlechtszugehörigkeit gleichgültige – betriebswirtschaftliche Nutzenkalkulation im Hinblick auf die sich anbietenden Arbeitskräfte. Die Nachfrager – und auch bei diesen spielt ihre Geschlechtszugehörigkeit keine Rolle – treffen die Auswahlentscheidung.
Sie entscheiden darüber, wessen Arbeitskraft angekauft wird, d. h. “wer eine ausgeschriebene Stelle erhält” und damit auch, wer sie nicht erhält.
Da in der kapitalistischen Produktionsweise dafür gesorgt ist, dass bei Arbeitskräften (fast) immer ein Angebotsüberschuß besteht, also auch Arbeitslosigkeit (“Reservearmee”), können die Nachfrager aus einem Überangebot heraus frei wählen, und das tun sie nach Maßgabe ihres Nutzenmaximierungsziels. Es gibt am Arbeitsmarkt in der Regel also eine strukturelle Asymmetrie zwischen den beiden Marktseiten. Im einzelnen:
“Was ist der Arbeitsmarkt und wozu dient er?
Auf dem Arbeitsmarkt werden Arbeitskräfte als eine besondere Form von Waren gekauft und verkauft. Es geht dabei um Personen mit dem Potenzial, Arbeit zu verausgaben, nicht um bereits realisierte Arbeitsleistungen.
Es wird nur dann eine Arbeitskraft gekauft, wenn für den Käufer die Ungleichung „erwarteter Nutzen größer als erwartete Kosten“ erfüllt ist. Unter Konkurrenzbedingungen auf dem Arbeitsmarkt wird also diejenige Arbeitskraft gekauft werden, der seitens des Käufers der höchste erwartete Überschuss zugeordnet wird. Der Käufer erwartet folglich bei jedem Kauf einen Gewinn oder Nutzenüberschuss über seine Kosten. Nur falls er falsch kalkuliert hat oder die Randbedingungen sich unerwartet ungünstig verändern, kann das Geschäft für ihn negativ ausgehen.” – Weiterlesen:
https://le-bohemien.net/2013/07/13/die-bedeutung-der-neoliberalen-transformation-des-arbeitsmarktes-fur-das-hochschulstudium/