Alternative Szene und Karriere
Popkulturalismus á la ´Missy`

Die Rehabilitierung des Karrierismus in der linksalternativen Frauenbewegung

In den 60er und 70er Jahren erlebte die linksalternative Bewegung ihre Blütezeit. Ihre Ideen wurden nicht nur theoretisch verbreitet, sondern auch in die Praxis umgesetzt. Es entstand eine Gegengesellschaft, in der linksalternative Lebensformen gelebt werden konnten.(17)

Doch seit den 80er und 90er Jahren ist in der linksalternativen Bewegung eine immer größere Akzeptanz derjenigen Regeln des kapitalistischen Systems zu beobachten, die von ihr vorher strikt abgelehnt wurden. Es handelt sich vorwiegend um Selbstdarstellung, Vermarktung der eigenen Person, Konsumhaltung, Erfolgsstreben und nicht zuletzt Karrierismus.

Auch die linksalternative Frauenbewegung akzeptiert zunehmend die einst verfemten Regeln des kapitalistischen Systems, insbesondere den Karrierismus. Die Karriere-Orientierung wird von repräsentativen Vertretern dieser Bewegung seit geraumer Zeit jedoch nicht nur akzeptiert, sondern ganz vehement propagiert, wie Berichte zu Themen „Frauen und Karriere“ und „Frauenquote“ in der Tageszeitung (taz) demonstrieren.

Die seit 1979 bestehende, täglich erscheinende und überregionale taz gilt als linksalternatives Vorzeigeprojekt. Sie kann als das Zentralorgan der Linksalternativen, als die Plattform des linksalternativen Spektrums betrachtet werden. Die taz hat den Anspruch, die oben genannten antikapitalistischen und antibürgerlichen Werte zu verbreiten, linksalternative Projekte vorzustellen und über neue Trends in der linksalternativen Szene zu berichten.

Die neue Frauenbewegung ist in der taz sehr stark vertreten. Die ehemaligen Chefredakteurinnen Bascha Mika und Ines Pohl sind Feministinnen und Frauenrechtlerinnen. Es besteht eine Frauenquote für die Redaktion und andere Positionen (z.B. Volontariate). Über den Feminismus und die Frauenpolitik wird in der taz unverhältnismäßig viel geschrieben.

Die langjährige Chefredakteurin der taz, Bascha Mika, unterscheidet immerhin noch zwischen „innerer“ und „äußerer Karriere“.(18) Die äußere bezeichnet den beruflichen Aufstieg, der sich an Status und Macht orientiert. Bei der inneren Karriere geht es um den Sinn dessen, was man tut. Die äußere Karriere bezeichnet demnach das, was oben unter dem Stichwort „Karrierismus“, die innere das, was unter dem Stichwort „Selbstverwirklichung“ betrachtet wurde.

Bascha Mika übernimmt die Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Karriere jedoch nicht aus der linksalternativen Tradition, sondern aus der „Beraterbranche“. Bezeichnenderweise verliert sie in ihrem Buch „Die Feigheit der Frauen“ kein kritisches Wort über die äußere Karriere. Innere und äußere Karriere sollen nebeneinander bestehen und sich gegenseitig ergänzen. Frauen sollen sich selbst bei der inneren und äußeren Karriere nicht im Wege stehen.

Während bei Bascha Mika im Hinblick auf Arbeit und beruflichen Aufstieg noch ein Bezug zur Selbstverwirklichung und somit der Anspruch auf eine nicht-entfremdete Lebensweise zu finden sind, fehlen sie in den Artikeln der taz-Journalistin Simone Schmollack. Bei ihr finden wir stattdessen eine völlig unreflektierte und unkritische Verbreitung des Karrierismus vor, und zwar insofern Karriere machen Frauen betrifft. Sie verzichtet in diesem Zusammenhang auf linke, antikapitalistische und antibürgerliche Ideale. Die Suche nach einer nicht-entfremdeten Arbeit, nach einer Arbeit ohne Erfolgsstreben, Geldgier und Konkurrenzverhalten gehört offensichtlich nicht zu ihrer Lebensorientierung und zum Schwerpunkt ihrer journalistischen Tätigkeit. Arbeiten, und zwar unter den Bedingungen des kapitalistischen Systems, und Karriere machen scheinen für sie das Allheilmittel gegen die Probleme von Frauen (und die Probleme der Wirtschaft) zu sein. Sie ist besonders daran interessiert, Mütter auf den Karriereweg zu holen. Sie beklagt, dass der „große Karrieresprung“ dann ausbleibt, wenn Mütter Vollzeit- gegen Teilzeitarbeit tauschen.

Wie andere taz-Journalistinnen propagiert Simone Schmollack besonders vehement eine Frauenquote für Aufsichtsräte und andere „Führungspositionen“. Bei der Anfang 2015 beschlossenen Frauenquote für Aufsichtsräte von Großunternehmen handelt es sich um eine Quote, von der ca. 300 Frauen aus der Oberschicht profitieren würden. Es handelt sich daher um eine Luxusquote für bereits privilegierte Frauen. Die Aufsichtsrats- und Vorstandssitze sowie andere Führungspositionen bilden die Spitze auf der Karriereleiter. Sie sind aber auch Schaltstellen der Macht. Setzt man sich dafür ein, Personen oder Personengruppen auf die genannten Positionen zu hieven, so verbreitet man nicht nur den Karrierismus, der bereits Ausdruck des kapitalistischen Arbeitsethos ist, sondern unterstützt und stabilisiert darüber hinaus das herrschende wirtschaftliche und politische System.

Die Propagierung des Karrierismus und der Frauenquote steht im Zentrum der journalistischen Arbeit von Heide Oestreich. Auch diese taz-Journalistin scheint linke Ideale völlig vergessen zu haben. Sie schwärmt von „Führungspositionen“, Toppositionen der Wirtschaft“, „Führungsfrauen“ und verweist auf einen Frauen-Karriere-Index, in dem Daten über vorhandene und geplante Chefinnen von DAX-Unternehmen gesammelt werden.

Fast schon manisch berichtet sie über den Frauenanteil in Topunternehmen. Gewürdigt werden von ihr Firmen, die einen höheren Frauenanteil im Topmanagement aufweisen bzw. den Frauenanteil wesentlich erhöhen möchten, wie z.B. Henkel, Bayer, BMW und Deutsche Bank. Dass es sich bei diesen Firmen um Symbole des kapitalistischen Systems handelt, scheint Heide Oestreich nicht zu interessieren.

Besonders grotesk mutet es an, wenn sie sich Sorgen um die „deutsche Wettbewerbsfähigkeit“ macht. Deutsche Unternehmen könnten nämlich keine Aufträge aus Frankreich und Spanien bekommen, weil beispielsweise in Spanien öffentliche Aufträge bevorzugt an Firmen vergeben werden, die die Frauenquote einhalten. In Deutschland seien jedoch kaum Frauen in Toppositionen der Wirtschaft.

Mit solchen „Argumenten“, mit dem Mythos „gemischte Teams arbeiten effizienter“ und unter dem Deckmantel von „Emanzipation“, „Gleichberechtigung“, „Gleichstellung“, „Chancengleichheit“ und „Diversity“ werben Heide Oestreich und andere taz-Journalistinnen nicht nur für einen hemmungslosen Karrierismus, sondern auch für eine Politik der Privilegierung einer kleinen Gruppe von Frauen, kurz: für eine Lobby– und Klientelpolitik. Auch damit werfen sie wichtige linke Ideale über Bord, denn eine linke Politik kann keine Politik der Privilegierung sein und schon gar nicht eine Lobby- und Klientelpolitik.

Seite 4: Gründe für die Rehabilitierung des Karrierismus

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5 Kommentare zu "Alternative Szene und Karriere
Popkulturalismus á la ´Missy`"

  1. giovanni gruen sagt:

    …ja, die Linken haben die Flexibilitaet und Absorptionsfaehigkeit ihres Feindes immer unterschaetzt – einer der Kardinalfehler linker Theoriebildung…

    • Leonard sagt:

      Wenn Sie hier, wo es um Argumente und um Denken geht, wenigstens den Versuch unternähmen, selbst zu denken, also inhaltlich zu argumentieren, anstatt den Begriff des “Feindes” zu verwenden, der bekanntlich von dem Juristen und Nationalsozialisten Carl Schmitt in die Debatte gebracht wurde, dann zeigen Sie, was Geistes Kind sie sind. Und es ist dabei ganz egal, ob Sie sich womöglich einbilden, politisch ein Linker zu sein. Sollte es so sein: Sie sind es nicht. Den Beweis haben Sie selbst erbracht.

  2. Ute Plass sagt:

    “Lange haben große Teile der Linken Karriere als Ausdruck der Entfremdung abgelehnt. Sie galt als Inbegriff von hierarchischen Strukturen, Konkurrenz und Ellenbogenmentalität. Doch mit dem Feminismus hat sich das geändert.”

    Wieviele Frauen und Männer, die Karriere machen (wollen) sind Feminist_innen, und wie viele, die sich Feminist_in nennen, wollen Karriere machen um den Preis systemischer Einhegung? Gibt es dazu vergleichbare Zahlen?

    Was genau will uns der Autor dieses Beitrages sagen?
    Dass “der Feminismus” (was ist das genau?) schuld daran ist, dass große Teile der Linken Karriere machen nicht mehr als eine Art von Sündenfall ansehen – oder?

  3. neuland sagt:

    Dass große Teile der Linken Karriere als Ausdruck von Entfremdung lange Zeit theoretisch abgelehnt haben, macht ja Sinn. Es liegt in der Natur der Idee begründet, welche das Kollektiv gegenüber dem Einzelnen praeferiert.

    In der Praxis hingegen musste dies von Anfang an ein frommer Wunsch bleiben, weil man ‘Nicht-Ziele’ ohnehin nicht anstreben kann und speziell dieses auch noch der menschlichen Natur, nämlich dem Rangstreben, zuwider läuft.

    Immerhin aber trachteten die linken Himmelsstürmer zunächst durchaus im Rahmen der Bewegung persönlich voranzukommen, als Anführer, Protagonist oder zumindest wertvolle Stütze oder Bestandteil. Als sich aber abzeichnete, dass das so bald nicht gelingen kann, wurde flugs das Konzept des ‘langen Marsches durch die Institutionen’ entwickelt. Und dankbar aufgegriffen und umgesetzt – jedenfalls von denen, welche die Voraussetzungen dafür mitbrachten.

    Und was die Frauen anbelangt: Die waren schon immer ein bisschen pragmatischer als ihre verträumten Männer. Schließlich planen sie nicht immer nur für ein paar Minuten, sondern für Perioden von 9 Monaten plus x.

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