Syriza
Zwischen Revolution und Zwang

Euphorie und Idealismus begleiten den Triumph von Syriza und Alexis Tsipras in das Amt des griechischen Ministerpräsidenten. Doch all das wird voraussichtlich unter den Mühlen der Troika zerrieben werden.

alexis tsipras

Foto: Thierry Ehrmann / flickr.com / CC BY 2.0

Von Sebastian Müller

Mit dem Wahlsieg des Linksbündnisses Syriza unter der Führung des charismatischen Alexis Tsipras verbinden sich grosse Hoffnungen auf einen progressiven Wandel in Griechenland. Zentral sind die Forderung eines Schuldenschnittes, die Beendigung der unheilvollen EU-Memoranden und eine höhere Besteuerung jener Reichen, die ein Vermögen von bis zu 600 Millarden Euro außer Landes geschafft haben. Zum Vergleich: Die griechischen Staatsschulden betragen derzeit rund 320 Milliarden Euro.

Das Wahlergebnis in seiner Singularität betrachtet, ist tatsächlich eine historische Zäsur. Es ist der endgültige Beweis für das nicht nur technische, sondern nun auch öffentlich-politische Scheitern der neoliberalen Krisenpolitik in Südeuropa. Das Experiment im Versuchslabor des Neoliberalismus ist an seine Grenzen gestoßen.

Zudem hat der Wahlsieg eine Signalwirkung für andere Linksbündnisse, die die etablierte aber diskreditierte Parteienlandschaft in der EU aufmischen. In Spanien steht Podemos unter Führung des erst 36 Jährigen Politikprofessors Pablo Iglesias bereits in den Startlöchern, um noch in diesem Jahr einen ähnlichen Coup wie Syriza zu landen.

Aber: Scheitern bedeutet noch lange nicht Wandel. Vor allem dann nicht, wenn das Credo der Alternativlosigkeit herrscht. Und unabhängig davon, wie richtig und wichtig die politischen Forderungen von Syriza auch sein mögen. Wie realistisch können sie in einem ökonomisch und politisch kaum noch souveränen Staat überhaupt sein?

Manch einer mag sagen, dass es Schnee von gestern ist, dass die Geschichte sozialdemokratischer oder sozialistischer Regierungspolitik in Europa seit den 1980er Jahren wenig Anlass zur Hoffnung gibt. In nahezu allen Industrieländern begannen sich zu diesem Zeitpunkt sozialdemokratische Parteien an monetaristischen und angebotstheoretischen Entwürfen zu orientieren. Die französischen Sozialisten unter Mitterand schwenkten bereits 1982/83 auf den Pfad der Haushaltskonsolidierung ein. In den 1990er Jahren verfestigte sich dann diese Grundanschauung der europäischen Linken im sogenannten “Dritten Weg” mit dem ökonomischen Zielkatalog der Haushaltssanierung und Preisstabilität. Diese wirtschaftspolitische Doktrin ist seitdem auch in den Maastricht-Verträgen fest verankert und bestimmt die EU-Politik bis heute.

Vergleicht man die Politik Mitterands damals mit der Regierung Zapatero in Spanien vor gut 4 Jahren, könnte man zu den Schluss kommen, Geschichte wiederhole sich.

Francois Mitterand verfolgte zuerst eine keynesianische Wirtschaftspolitik. Zu seinem Programm gehörten eine Verkürzung der Regelarbeitszeit, Mindestlohnerhöhungen, Verstaatlichungen und öffentliche Beschäftigungsprogramme. Doch Finanzwelt und Wirtschaft antworteten mit Kapitalflucht und Investitionsstreik, was den Präsidenten 2 Jahre nach seinem Amtsantritt dazu brachte, auf einen wirtschaftsliberalen Kurs umzuschwenken. Statt öffentlicher Investitionen wurde auf eine Spar- und Kürzungspolitik gesetzt, die Lohnerhöhungen wurden zurückgenommen.

Ganz ähnlich begann Zapatero seine Amtszeit. Auf die Krise 2008 antworte er mit staatlichen Ausgabenprogrammen. Aber unter den gegebenen Umständen, nämlich den spekulativen Angriffen der internationalen Finanzmärkte auf die Währungen der südeuropäischen Mitglieder der Eurozone, welche die Kosten der Verschuldung (und damit die Verschuldung selbst) steil in die Höhe trieben, ließ sich die keynesianische Politik Zapateros nicht aufrechterhalten. Unter dem direkten Druck der EZB und des IWF, vor allem aber unter dem indirekten Druck Deutschlands, vollzog Zapatero 2010 eine 180-Gradwende und leitete das größte soziale Kürzungsprogramm ein, das Spanien seit dem Ende des Franquismus hatte hinnehmen müssen.

Heute zwar sind die Währungen der Mitglieder der Eurozone geschützt, da die EZB seit 2012 gegen den Willen Deutschlands bereit ist, Staatsanleihen von Krisenländern aufzukaufen. Doch auch das wird wohl nur unter den Auflagen einer Sparpolitik geschehen.

Trotz ihres offenkundigen Scheiterns scheint daher eine griechische Abkehr von der neoliberalen Austeritätspolitik derzeit kaum durchzusetzen. Denn Tauwetter ist noch immer keines in Sicht. Im Gegenteil, auch in der jüngeren Vergangenheit haben linke Regierungen mehr Privatisierungspolitik und Sozialabbau betrieben als konservative Parteien. Durch die von der SPD initiierten Agenda 2010 wurde der Wettbewerbsdruck auf die europäische Peripherie verstärkt. Mit der Finanz- und sogenannten Staatsschuldenkrise seit 2008 folgten die sozialdemokratische PASOK in Griechenland, Portugals Partido Socialista und – wie gesehen – die PSOE in Spanien mit ihren Kürzungsprogrammen. Insgesamt wurden so zwei Wellen der europäischen Neoliberalisierung jeweils durch eine Dominanz sozialdemokratischer Regierungen ins Rollen gebracht: 1998 hatten 13 der damals 15 EU-Mitgliedsstaaten Sozialdemokratisch gewählt. 2008 immerhin in 13 von 27 Ländern. Mit einer solchen Preisgabe ihrer Identität steht die Sozialdemokratie heute nicht umsonst mehr oder weniger vor dem Abgrund politischer Bedeutungslosigkeit.

Natürlich ist der Aufstieg junger “linksradikaler” Parteien wie Syriza oder Podemos die Konsequenz, die sich daraus für die wandelnden Parteiensysteme ergibt. Ihre Programmatik ist in klarer Abgrenzung zu der Politik der Alternativlosigkeit der Altkader enstanden. Doch auch der Frühling dieser de facto sozialdemokratischen Parteien ändert erst einmal nichts an der grundsätzlichen konzeptionellen, ideologischen und intellektuellen Krise der europäischen Linken seit der fortdauernden Hegemonie des Neoliberalismus. Diese Krise verläuft parallel zu einem schleichenden Niedergang des nationalstaatlichen Parlamentarismus, der eine Machtverschiebung vom Volk zu demokratisch nicht legitimierten EU-Institutionen zur Folge hat.

Wie man es auch dreht und wendet: Dass nun ausgerechnet im ausgebluteten und finanziell von der EZB abhängigen Griechenland ein umfassender Politikwechsel aus eigener Kraft gelingen soll, scheint unter diesen Bedingungen kaum vorstellbar. Denn die realpolitischen Möglichkeiten die Tsipras letztendlich hat, sind, wie Münchau treffend im Spiegel resumiert, begrenzt. Objektiv gesehen ist eigentlich klar, dass Griechenland weder politisch noch ökonomisch so weitermachen kann wie bisher. Eigentlich. Eigentlich dürfte Tsipras auch wissen, dass es ihm so ergehen wird wie seinem Vorgänger Andonis Samaras, wenn er dessen Politik im Großen und Ganzen weiterführt.

Doch dass Austeritätspolitik politischen Selbstmord bedeutet, wussten auch zuvor alle südeuropäischen Regierungen. Dennoch haben sie die Vorgaben des IWF, der EZB und der EU-Kommision rücksichtslos umgesetzt. Das ist nicht nur ein neues politologisches Phänomen, dass die These vom machiavellistischen Ziel des Machterhaltes ad absurdum führt, es ist auch ein bedrohliches Indiz postdemokratischer Einbettung in ökonomische “Sachzwänge”, die auch bereits Links-Regierung mit ähnlichen Vorhaben wie Syriza zu spüren bekamen. In Portugal zum Beispiel wurden die Bemühungen der damaligen sozialistischen Regierung unter Ministerpräsident José Sócrates, den Sparkurs immerhin mit einer Anhebung des Spitzensteuersatzes und eine Besteuerung von Börsengewinnen moderat auszugleichen, von den Institutionen des Finanzkapitalismus im Keim erstickt und abgestraft. Für die PS bedeutete das ein gutes Jahr später das Aus.

Es stellt sich daher schlicht die Frage, warum das, woran bisher alle Regierungen gescheitert sind, der jungen Syriza-Regierung gelingen sollte: die Umsetzung einer eigenen Krisenpolitik jenseits der Diktate aus Brüssel und Berlin sowie gegen die “Märkte”. Denn sollte Tsipras einseitig einen Schuldenschnitt verkünden, dann werden der griechische Staat und die griechischen Banken von allen Euro-Geldflüssen abgeknipst.

Auch Tsipras wird sich wohl oder übel dem Druck der europäischen Machtarchitektur beugen müssen. Denn die Geschicke Griechenlands werden längst nicht mehr in Athen, sondern in Berlin und Brüssel entschieden. Wenn von dort kein wirtschaftspolitisches Umdenken kommt, dann wäre Griechenland zu einem Austritt aus der Eurozone gezwungen. Das aber will Tsipras ebenfalls nicht. Er braucht eine Strategie, die genau dieses Dilemma umgeht. Voraussetzung wäre eine Änderung der Merkel´schen Krisenpolitik. Das aber käme einem wirtschaftspolitischen Erdbeben gleich, das mittelfristig den ganzen ideologischen Bodensatz in Frage stellen würde. Münchau sagte mit Blick auf Berlin und Brüssel:

 “Wer als rational denkender Mensch vor diesen Optionen steht, wird eine Änderung der Griechenland-Politik als das kleinere Übel begreifen.”

Wenn das stimmt, dann stehen wir in den kommenden Monaten vor einem Lackmustest: Inwieweit in der EU noch rational gedacht wird, oder wie interessengeleitet sie schon ist. So gesehen hätte der Wahlsieg von Syriza dann doch etwas gebracht.

Artikelbild: Thierry Ehrmann / flickr.com / CC BY 2.0

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4 Kommentare zu "Syriza
Zwischen Revolution und Zwang"

  1. rote_pille sagt:

    es braucht keine troika, um diese traumtänzerei zu beenden. ein staat kann nur geben, was er vorher mit gewalt oder als kredit genommen hat. in der realität ist es noch weniger, da die bürokratie bezahlt werden muss. aber kein politiker redet darüber was er mit gewalt nehmen wird, sondern nur über das was er geben wird. und der kredit wurde endgültig ausgeschöpft. die “reichen, die ihr vermögen aus dem land gschafft haben” zu besteuern wird ein bisschen kompliziert, da das vermögen ja weg ist. die besteuerung hätte beim einkommen (vermögensAUFBAU) stattfinden müssen, der zug ist jetzt abgefahren. er wird
    – das “neoliberale” programm weiter durchziehen müssen
    – ein schuldenschnitt kommt. danach muss griechenland sich aber selbst weiter finanzieren, da niemand mehr geld leihen wird. und dann gilt wieder das gesetz staatsausgaben<=staatseinnahmen, was sein programm wieder undurchführbar macht

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