Burnout & Eigenverantwortung
Die Neoliberalisierung der Psychotherapie

Eigenverantwortung bei psychischen Erkrankungen? Mit dieser Prämisse arbeitet zuweilen die Psychotherapie. Der Burnout im Betrieb gerät so schnell zum Politikum.

Psychotherapie

Als die „Verwaltung der vagen Dinge“ bezeichnet der Soziologe Peter Fuchs die Psychotherapie. Patentrezepte gibt es hier nicht. Keine klaren, naturwissenschaftlich unausweichliche und fassbare Lösungen. Einerseits leidet jeder Patient anders (und wenn wir noch so viele neue Kategorien und Namen für psychische Erkrankungen schaffen) und andererseits kann die Ursache niemals völlig geklärt werden.

Allzu oft liegen Ursachen psychischer Krankheiten in einer Melange aus biologischen Faktoren, tiefenpsychologischen Einflüssen und Umständen der Sozialisation, deren einzelne Anteile auch bei noch so guter Diagnostik niemals restlos auseinander sortiert werden können; auch deswegen, weil sich etwa prägende Phasen wie die frühkindliche der Erinnerung des Menschen weitestgehend entziehen und daher nur schwer aufgearbeitet werden können.

Diese „vage“ Natur der Psychotherapie bringt es mit sich, dass sie anfällig wird für verschiedenste Formen der Interpretation, der Politisierung, der Manipulation. Wo empirische Erkenntnisse nicht abschließend herzustellen sind, da arbeitet der Sozialwissenschaftler mit Theorien und Hypothesen. Eine Tatsache, die unvermeidlich ist, aber auch nicht grundsätzlich problematisch, auch wenn sie vielen eher „technisch“ denkenden Menschen, für die am Ende immer ein klares Ergebnis, ein „A oder B“ stehen muss, oft suspekt ist.

Problematisch wird es erst, wenn diese Interpretationsanfälligkeit geschickt genutzt wird, um mit ihrer Hilfe „hinten rum“ eine politische Ideologie zu verwirklichen, die dem Menschen – dem Patienten – am Ende des Tages alles andere als zum Vorteil gereichen wird. Bei der modernen Psychotherapie ist genau dieses Phänomen vorzufinden – was umso schlimmer anmutet deswegen, weil es damit Menschen trifft, die ihr leidendes Innerstes offenlegen, weil sie sich anders nicht zu helfen wissen.

Die Frage der Verantwortung

Analog zur Frage, was zuerst da war, die Henne oder das Ei, wird auch die Psychotherapie stets von der Frage nach der Verantwortlichkeit – noch drastischer: „Schuld“ – für die Erkrankung des Betroffenen begleitet. Ein Mitarbeiter eines Betriebes leidet am Burnout-Syndrom: Hat sein Arbeitgeber zu viel von ihm verlangt – oder er von sich selbst? War das Arbeitsklima schuld – oder er einfach zu „dünnhäutig“, zu schwach, zu wenig bereit, auch seine Ellenbogen einzusetzen?

Das Szenario muss sich nicht auf den Arbeitsplatz beschränken. Neues Beispiel: Eine junge Frau leidet an Depressionen. Im Gespräch kommt heraus, dass sie unter schwierigen familiären Verhältnissen aufgewachsen ist. Sind es nun die Eltern, die die Verantwortung für ihr Leid tragen – oder hat die junge Frau einfach nie „zu sich selbst gefunden“? Hat sie sich „gehen lassen“, sich nicht genug von ihrer Vergangenheit emanzipiert? Hätte sie mehr „kämpfen“ müssen?

Es wird schnell deutlich: Wir haben es bei psychischen Erkrankungen mit Phänomenen zu tun, deren Ursachen-Herleitung mehr als komplex ist und die Tür öffnet für verschiedenste Antworten – und das nicht nur im laienhaften Umfeld, das für die junge Frau aus dem Beispiel entweder Verständnis hat oder die Nase rümpft, sondern auch unter den „Profis“, die mit sehr unterschiedlichen Prämissen an die Leiden der Frau herangehen können.

Das Resilienz-Konzept

Ein Schlüsselbegriff zum Verständnis der Unterschiedlichkeit dieser Prämissen ist der der „Resilienz“. Die Psychologie versteht darunter die psychische Widerstandskraft des Einzelnen (aber auch, in anderen Auslegungen, einer Gruppe oder einer Organisation), welche sich aus verschiedensten Einflüssen („Ressourcen“, wie es in der Psychologie dazu heißt) ergeben kann: Intelligenz, emotionale Kontrolle, Ausgeglichenheit, Selbstsicherheit, positive innere Einstellung usw. usf. Auf Gruppen- oder Team-Ebene sind das Klima der Interaktion und der gegenseitige Umgang entscheidende Faktoren; auf Organisationsebene auch Führungsentscheidungen und formale Strukturen der Organisation. An verschiedenen Stellen wird ein „betriebliches Resilienz-Management“ vorgeschlagen, das dazu beitragen soll, die Resilienz bei den Mitarbeitern zu stärken, um ihre Arbeitsleistung zu erhöhen.

Nun ist es kein Fehler, die Resilienz von Gruppen bzw. Teams in einem Betrieb und damit auch die organisationale Resilienz des Betriebs als Ganzes zu stärken, indem etwa für ein gutes Arbeitsklima gesorgt wird. Doch der Resilienz-Begriff hat eine primäre Konnotation – und diese bezieht sich auf den Einzelnen, auf das Individuum und seinen seelischen Zustand.

Grundthese der Vertreter des Resilienz-Konzeptes ist es, dass das Individuum, der einzelne Arbeitnehmer letztlich – und auf jeden Fall zu beträchtlichen Teilen – selbst imstande wäre, sich vor Erkrankungen wie dem Burnout-Syndrom zu schützen, wenn er nur „widerstandsfähig“ genug sei.

Es deutet sich an, worin das neoliberale Element dieser Denkweise liegt: Indem die Verantwortung für seine psychische Gesundheit am Arbeitsplatz auf ihn selbst verschoben wird, es also von seiner eigenen Resilienz, seiner inneren Einstellung und Haltung abhängig ist, wie er mit den Anforderungen der Arbeit, mit den Arbeitszeiten, den Erwartungen von Kollegen und Vorgesetzten etc. umgeht, liegt sie eben nicht mehr – oder wenigstens zu deutlich geringeren Teilen – beim Arbeitgeber. Der Arbeitnehmer bricht irgendwann infolge von allzu vielen Überstunden zusammen? Erleidet einen Burnout? Gerät in Konflikt mit Kollegen oder dem Chef? Erledigt seine Aufgaben nicht mehr zu deren Zufriedenheit? Nun: Da war dann wohl jemand nicht resilient genug!

Die Prämisse, die hier mitschwingt, ist eine, die wir bereits aus der Europapolitik unserer Kanzlerin kennen: Die der vermeintlichen Alternativlosigkeit des großen Ganzen. Die politischen oder eben wirtschaftlichen Strukturen sind demnach quasi gottgegeben – und die kleineren Einheiten, in der EU die Nationalstaaten, im Wirtschaftssystem die Arbeitnehmer, haben sich diesen unveränderbaren, alternativlosen Gegebenheiten anzupassen, wenn sie nicht untergehen wollen. Der Einzelne ist seines Glückes Schmied – und kann dabei alles gewinnen oder eben alles verlieren, je nachdem, ob er zur Genüge an seiner Resilienz gearbeitet hat.

Nun wird es verschiedene Gründe haben, warum Psychologen und Psychotherapeuten diese Prämisse aufgreifen. Weder liegt diesem Phänomen eine große Verschwörung zugrunde, noch sind die derart vorgehenden Psychologen und Psychotherapeuten allesamt neoliberale Hardliner, die sich händereibend überlegen, wie sie dem globalen Turbokapitalismus noch besser als bisher zu Diensten sein könnten.

In vielerlei Fällen spielt vielmehr ein Phänomen mit rein, das man, überspitzt ausgedrückt, als Fachidiotentum bezeichnen könnte: So wie sich allzu viele Politologen zu wenig für die psychischen Einflüsse auf politische Prozesse interessieren, mangelt es auch Psychologen zuweilen an Interesse für politische Hintergründe und politische Motivationen hinter wissenschaftlichen oder therapeutischen Konzeptionen. Aber auch wenn man es mit Ignoranz anstatt mit Böswilligkeit zu tun hat: Das Sich-Instrumentalisieren-Lassen für neoliberale Intentionen entschuldigt dies nicht.

Skepsis gegenüber therapeutischen Interventionen

Das Resilienz-Konzept stellt bei weitem nicht die einzige Erscheinungsform neoliberalisierter Psychotherapie dar. Eine andere tritt im Rahmen der Systemischen Beratung und Therapie in Erscheinung, welche zwar als Ganzes keinesfalls als ein „neoliberales therapeutisches Verfahren“ zu bezeichnen ist, aber theoretische Prämissen aufgreift, welche das Aufnehmen solcher Grundsätze nicht unwahrscheinlich machen.

Eine in der Psychotherapie und Systemischen Therapie im Speziellen vielfach diskutierte Frage ist die nach der Berechtigung und Sinnhaftigkeit von Interventionen seitens des Beraters oder Therapeuten. Anders gesagt: Wie sehr darf der Berater oder Therapeut sich „einmischen“? Wie sehr darf er „steuern“? Ist hierbei „Steuerung“ überhaupt legitim oder sinnvoll? In welcher Rolle sieht sich der Berater oder Therapeut selbst in der Interaktion mit dem Klienten / Patienten? Kann er als „gesetzt“ betrachten, dass er manche Dinge „besser weiß“ als der Klient / Patient, oder hilft er diesem lediglich bei der Selbstfindung? Liegen die Lösungen im Klienten / Patienten selbst – oder auch im Berater oder Therapeuten?

Auch hier wird deutlich: Die Reflexion der eigenen professionellen Rolle und, daraus hervorgehend, der des Klienten / Patienten, die Frage nach der Selbstdefinition und der eigenen Verortung sind entscheidende Fragen für das therapeutische Prozedere, welche alles andere als verbindlich geklärt sind. In vielen Fällen ist auch dies interpretationsbedürftig und wird, je nach therapeutischem Verfahren und je nach Person, unterschiedlich beantwortet. Oftmals werden auch hier – mal bewusst, mal unbewusst – neoliberale Prämissen aufgegriffen.

In der der Systemischen Beratung und Therapie zugrunde liegenden, interdisziplinär aufgegriffenen Systemtheorie wird von der Annahme ausgegangen, dass wir es im Alltag mit hochkomplexen biologischen, psychischen und sozialen Systemen zu tun haben. Biologische Systeme bezeichnen dabei die Körper von Lebewesen, psychische Systeme das menschliche Bewusstsein und soziale Systeme Interaktionen zwischen Personen, Gruppen, Organisationen oder die Gesellschaft als Ganzes.

Von nicht wenigen Systemtheoretikern wird dabei eine tief reichende Steuerungsskepsis vertreten, die sich aus jener These der hochkomplexen Systeme herleitet: Sie seien kaum steuerbar, da es seitens des „Steuernden“ ein grundlegendes Verständnis und eine umfassende Kontrolle aller Dynamiken bräuchte, welche das System und seine Komplexität ausmachen. Diese sei jedoch nicht vorhanden und auch kaum zu erreichen, da Systeme füreinander immer bis zu einem gewissen Grad intransparent sind: Das politische System kennt nicht alle künftigen Entwicklungen des Wirtschaftssystems, und ein psychisches System kennt kein anderes psychisches System „von innen“, weil wir uns nicht gegenseitig in die Köpfe schauen können, es also immer vieles gibt, was wir von der anderen Person niemals erfahren werden. Dies sind nur einige kurz angerissene Beispiele für das, was nach der Systemtheorie die unüberwindbare Komplexität von Systemen ausmacht.

Innerhalb der anwendungsbezogenen Systemischen Beratung und Therapie wird daraus gerne gefolgert, dass therapeutische Interventionen – gleich direkter politischer Steuerungsversuche des Wirtschaftssystems – mindestens skeptisch zu sehen, wenn nicht zum Scheitern verurteilt sind. Schließlich könne auch der Berater oder Therapeut das psychische System des Patienten / Klienten nicht „durchschauen“, sondern lediglich mit dem kalkulieren, was dieser ihm erzählt. Eine Intervention sei demnach mindestens riskant bis illegitim, da sie die Systemkomplexität des anderen ausblenden würde.

Stattdessen, so wird von dieser Denkrichtung vertreten, sollen die Antworten auf sein Problem von dem Klienten / Patienten selbst kommen: Nur er selber kennt sich gut genug, nur er selbst weiß letztlich, was er braucht oder nicht. Der Berater oder Therapeut hat in einem solchen Verhältnis nicht mehr die Aufgabe, Antworten zu liefern, sondern nur noch, die richtigen Fragen zu stellen. Typische Berater- oder Therapeutenfragen in diesem Zusammenhang: „Was brauchen Sie?“, „Was würden Sie jemandem raten, der sich mit genau diesem Problem an Sie wendet?“ etc.

Die Parallelen zum Resilienz-Konzept sind deutlich. Wenn auch mit der Einschränkung, dass nicht jede therapeutische, die Denkprozesse des Patienten / Klienten in positive und konstruktive Bahnen lenkende Frage sofort Ausdruck eines zynischen neoliberalen Therapieverständnisses ist.

Dennoch zeigt sich die Prämisse der „Eigenverantwortlichkeit“, des „Jeder ist seines Glückes Schmied“ auch hier: Die Antworten auf sein Problem liegen in dieser Denkrichtung im Betroffenen selbst; der Berater oder Therapeut zieht sich, gleich dem steuerungsskeptischen Staat im Neoliberalismus, auf eine lediglich „stimulierende“, aber nicht mehr intervenierende „Nachtwächter“-Rolle zurück, als eine Art leiser Stichwortgeber, aber immer mit dem Unterton „Nur du kannst dir selber helfen – ich nicht!“.

Wachsamkeit ist geboten

Nun wird es, so viel sei abschließend klargestellt, durchaus Fälle geben, in denen diese Herangehensweise ebenso wie das Resilienz-Konzept fruchten und konstruktive Ergebnisse erzielen. Manchmal liegen die Antworten eben wirklich in der Person selbst, und manchmal schützt psychische Widerstandsfähigkeit ausreichend vor Belastungen am Arbeitsplatz. Nur haben wir es hier mit einem weiter reichenden Paradigma zu tun: Das Resilienz-Konzept und die Skepsis gegenüber Interventionen sind in Teilen durchaus dogmatisch vorgegeben, haben also nicht selten den Charakter einer allgemeingültigen Grundregel angenommen.

Spätestens hier wird es problematisch. Denn psychische Widerstandskraft und ihre Stärkung durch „betriebliches Resilienz-Management“ rechtfertigt keine Überbelastungen am Arbeitsplatz, welche durch derartige Maßnahmen als „zumutbar“ legitimiert werden sollen. Und zugleich findet sich so mancher Patient / Klient, bei dem die Antworten auf sein Problem nicht irgendwo „in ihm selbst“ liegen, sondern es einer klaren Intervention bedarf, um es zu lösen – z. B. in dessen soziale Systeme.

Es gibt politische Prozesse, die sich abseits der „üblichen“ Bühnen der Politik abspielen, aber dennoch gravierende Wirkung entfalten können. Ein wachsames Auge ist hier nicht minder geboten. Die wissenschaftlichen Deutungshoheiten von heute bestimmen die gesellschaftliche Realität von morgen.

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12 Kommentare zu "Burnout & Eigenverantwortung
Die Neoliberalisierung der Psychotherapie"

  1. Ich bin Psychotherapeut (Ruhestand). Ich unterstütze die Grundaussage dieses Artikels. Vor allem beklage ich das weitgehende Fachidiotentum meines Berufsstandes.
    Ich sehe trotzdem einiges anders. Ich lebe und vertrete erkenntnistheoretisch einen Pragmatismus: Ich kann erkennen, wenn ich eingreife und wieder die Wirkungen meines Eingreifens reflektiere. Der dargestellte systemische Ansatz fällt dann sowieso unten durch. Ich halte mich aber auch nicht zurück, Eingriffsmöglichkeiten des Patienten darzulegen. Manchmal muss er mich zurückpfeifen: hab ich schon versucht, oder: geht nicht. Doch seine Eingriffsmöglichkeiten sind gleich seine Verantwortung. Verantwortung heißt keineswegs: Schuld. Sondern nur die Möglichkeit zu handeln. Aber so muss ich es ihm auch vermitteln. Wo er nicht eingreifen kann, davon lasse ich die Finger. Oder ich vermittle, dass er da nur zusammen mit anderen eingreifen kann. Aber dass wir das nicht im Therapiezimmer planen können.
    Grundalge ist also mein erkenntnistheoretischer Pragmatismus. Und die Pragmatisten (von Dewey bis Rorty) sind – soweit ich weiß – durch die Bank auch gesellschaftspolitisch orientiert und rege gewesen.
    G.K.

  2. Ute Plass sagt:

    “Flankenschutz erhält das psycho-soziale Helfer- und Kontrollsystem durch die
    Pharmaindustrie.”

    http://www.magazin-auswege.de/data/2013/01/Eisenberg_Psychologisierung_und_Medizinisierung_sozialer_Konflikte.pdf#page=2&zoom=auto,-13,300

  3. Imago sagt:

    Die eigentlich wertvolle Psychotherapie ist ebenso wie die anderen Zweige der Psychologie und Psychiatrie in vielen – vielleicht sogar den meisten Fällen zum reinen Reparaturbetrieb heruntergekommen; es ist in allen diesen Bereichen von wenigen Ausnahmen abgesehen – oft kaum noch eine Spur von einem positivem Sendungsbewußtsein zu erkennen, das gerade auch unsere nun nahezu völlig verkehrte Rahmensetzung in Sachen Bildungs-, Gesellschafts-, Wirtschafts- Politik (usw.) zu kritisieren wagt. Kleinkrämerei statt dessen auf weiter Flur; vorhandene Nischen werden wenn überhaupt, dann (meist) nur noch einem möglichst guten bzw. sicheren Einkommen wegen besetzt, ansonsten aber scheint offenbar eine recht ausgeprägte Resignation vorzuherrschen. (Daß sich viele Psychologen längst für immer mehr äußerst zweifelhafte Vermarktungs- bzw. Werbungsprojekte einsetzen, hätte uns eigentlich schon viel früher richtig “hellhörig” werden lassen sollen!)

  4. Imago sagt:

    @ Imago: Beim letzten Satz meines Kommentars oben vergaß ich, jene von mir dort genannten “Psychologen” so wie hier nun geschehen mit Anführungszeichen zu kennzeichnen, denn – diese bestenfalls halbgebildeten “Herrschaften” haben in meinen Augen die Bezeichung Psychologe (Seelenkundiger) nicht verdient, da sie ja offenbar nicht einmal selbst richtig begreifen, was sie immer wieder auf’ s Neue anrichten, mit ihrem oft so gänzlich verantwortungslosen Tun!

  5. Urs Notz sagt:

    WESENSART
    Was wir Denken, fühlen und tun, macht unsere Persönlichkeit aus, nur, sehen die anderen uns so, wie unsere Wesensart funktioniert.
    Hier scheitert unser Verstand, Gefühl und Aktivität, stehen wir doch so oft alleine im Regen und können nicht verstehen, so viele unsere Persönlichkeit ignorieren. Im Unterbewusstsein sind wir sicher alle miteinander verbunden, gibt es doch kein Gedanken, Gefühl oder Tätlichkeit, die nicht bereits schon einmal gelebt wurde. Es scheint so, wie die Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften sich in die Quere kommen, so auch wir Menschen selber kaum unser Bewusstsein und Unterbewusstsein verstehen wollen. Der Zwiespalt ist so vorprogrammiert, wir die Probleme ja kaum nur mit dem Verstand oder unseren Launen lösen können.

  6. Danke für die Mühe, die Sie gemacht haben, um das alles zusammenzutragen. Ein interessanter Artikel den ich gerne gelesen habe.

    MfG Nevresim

  7. Danke für den Artikel! Freud wurde schon zu Lebzeiten vorgeworfen, dass seine Analyse den psychisch gesunden Menschen als den gesellschaftlich angepassten Menschen impliziert.

    (Daran hat sich eigentlich nicht viel geändert. “Burn Out” bezeichnet ja als Metapher hauptsächlich die Tatsache, dass der Erkrankte nicht mehr zum Weiterverbrennen im Arbeitsalltag taugt.)

    Insofern schlummert in der Therapie schon immer ein neoliberaler Kern.

  8. Danke für den tollen Beitrag!
    Ich habe ihn mit großem Interesse gelesen.

  9. Anna sagt:

    Mir scheint es auch so, dass sehr viel an der Deutung des Ausdrucks “zumutbar” hängt – der aber zunächst durch gesellschaftliche Machtverhältnisse bzw. Deutungshoheiten geprägt ist. Will man diesen Ausdruck kritisch reflektieren, liefe das auf eine philosophische bzw. normative Frage hinaus, der man sich aber sehr oft verweigert mit der Begründung, dass dies subjektiv und unwissenschaftlich sei.

    Ich habe es als Patientin in einer Klinik selber erleben müssen, wie das, was gemeinhin als zumutbar gilt, von den Ärzten völlig unreflektiert vorausgesetzt wird, so dass der Patient insgeheim stets schuldig ist. Natürlich meidet man den Begriff der Schuld, aber er schwingt ganz klar mit, wenn man die sozialen Umstände stets als zumutbar vorraussetzt. Denn “zumutbar” bedeutet hier auch soviel wie: keinen Anlass gebend, verändert zu werden.

    Ich habe auch erleben müssen, dass eine Reflexion auf die sozialen Umstände bzw. auf den üblichen Sprachgebrauch als sinnloses Philosophieren abgewehrt wurde. Man war regelrecht stolz darauf, die gegenwärtige soziale Praxis (in diesem Fall prekäre Arbeitsverhältnisse im Kontext von Zeitarbeitsfirmen und Call-Centern) als selbstverständlich und zumutbar zu deuten. Normative Fragen gelten offensichtlich als unseriös und unwissenschaftlich. Was bei dieser Haltung übrig bleibt: Therapie als Wiedereingliederung des Patienten in eine soziale Praxis die per se als legitim akzeptiert wird. Wem diese Eingliederung nicht gelingt, der bleibt eben psychiatrisch stigmatisiert.

    Anders gesagt: Resilienz wird in dieser Sichtweise schlichtweg als Fähigkeit zur reibungslosen Anpassung unter Beibehaltung eines sonnigen Gemüts aufgefasst. Wünschenswert wäre eine Auffassung von Resilienz, wonach ein resilienter Mensch in der Lage ist, selbstbewusst gegen eine würdegefährdende soziale Praxis anzugehen. Hierfür müsste man sich aber auf normative Fragen einlassen. In der Praxis geschieht das oft nur heuchlerisch mit einem Satz wie “Ich kann SIe ja verstehen …”, um dann schnell zu Kategorien der Persönlichkeitsstörung zu wechseln.

    (Ein ähnliches Problem scheint mir in der Pädagogik zu bestehen: Hier stellt man sich auch immer weniger die normative Frage danach, wie man mit Menschen bzw. der jungen Generation generell umgehen will bzw. in was für einer Gesellschaft man leben will. Stattdessen geht man prinzipiell davon aus, dass ein Bildungskonzept in dem Maße gerechtfertigt ist, wie es erfolgreiche Absolventen hervorbringt, wobei Erfolg wiederum am späteren Arbeitsplatz und Einkommen gemessen wird. Es ist klar, dass unter solchen Prämissen die gegenwärtoge soziale Praxis und die Machtverhältnisse völlig unkritisch akzeptiert werden.)

  10. Gefährder sagt:

    Das Resilienz-Konzept scheint mir, so wie es hier und auch anderswo (z. B. bei Wikipedia) dar- und vorgestellt wird,vor allem wegen folgender, lange bereits als sicher geltenden Erkenntnis fragwürdig zu sein: Jede/r kann grundsätzlich eine Psychose bekommen, die Potentialität einer Psychose ist in jeder Person angelegt, die Fähigkeit sich zu irren, und auch massiv zu irren, steckt im Menschen drinnen. Da hilft es dann wenig, bei der einen Person sog. “Widerstandskräfte” auszumachen, die bei der anderen fehlen. Vielleicht hat die eine Person lebensbiographisch einfach Glück gehabt und die andere Pech. Wenn wir das Resilienz-Konzept so verstehen, befinden wir uns schnell in einer Zwei-Klassen-Gesellschaft, die ihre Mitglieder in Menschen unterteilt, die a) Gefährdete oder b) keine Gefährderte sind. Dass aber alle Menschen gleich gefährdet sind, blenden wir damit in einer Art aus, wie sie der Artikel zeigt.
    Viel wichtiger ist es doch, die Ursachen, d. h. die Auslöser einer psychischen Krankheit zu verstehen, als die Potentialitäten nach ökonomischer oder politischer… Maßgabe gegeneinander abzustimmen. Wenn wir mit J. Habermas begreifen, dass hinter dem Wahnsinn immer eine Gewalterfahrung steckt, dann haben wir auf die Krankheit einen ganz anderen Zugriff. D. h. es gibt Verursacher und verursachende Gründe, die zu verringern Aufgabe der Gesellschaft wäre in einer friedenspolitischen Absicht.

  11. Benedikt Gresser sagt:

    Wie kann es anders sein, als dass eine Wissenschaft über eine Welt, die sich weitgehend dem rationalen Verständnis entzieht, einlädt zu apodiktischen Aussagen, die ihre Nachweislichkeit schuldig bleiben müssen. Eine Ursach-Wirkung-Logik muss an der Vielzahl erkennbarer und aus dem Blickfeld bleibenden Wirkungen scheitern, wenn sie es mit entgültigen Schlussfolgerungen versucht. Die sicherste – falls sicher hier die kompatible Bezeichnung sein kann – Orientierung bietet hier das Befinden des Menschen, dem man neue Perspektiven und Sichtweisen öffnen kann, bei denen er immer selbst die Entscheidung hat, welche er als bedeutsam, nachvollziehbar und für ihn verwerbar gelten lassen will. So bewegt sich der professionelle Helfer in einem Meer von Unsicherheiten, für das er ein möglichst zuverlässiges Navigationssystem braucht, dass er ständig verfeinern kann, wenn er die Ansichten und Einsichten seiner Gesprächspartner ernst nimmt und sich bemüht, die hier gebotenen Schlussfolgerungen aus der Wahrnehmungswelt seiner Gesprächspartner zu verstehen und auf Professionalität heischende apodiktische Schlussfolgerungen verzichtet.
    So wird das Gespräch zu einer gemeinsamen Suche in einem kaum überschaubaren Reich von Möglichkeiten, Hindernissen, Ansichten und Feststellungen, wo der jeweilige Standpunkt über die momentane Auswahl entscheidet.
    Ohne verlässliche und sich an der Würde des Menschen orientierende Werte kann die Arbeit mit der psychischen Welt schnell in belehrende Arroganz ausarten, die dann die oft festzustellende Unendlichkeit von Sitzungsperioden erklärt, wo man auch die Frage stellen kann, ob das nicht ein Hinweis für eine bisher ergebnislose Irrfahrt sein kann.

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