Zwei Stimmen zu Griechenland (2)
Die Entdemokratisierung Europas

Die EU ist zu einem supranationalen Monstrum aus Technokratie und Exekutivföderalismus geworden, das nicht nur alle Bemühungen um Demokratisierung ad absurdum, sondern auch vor Augen führt, was droht, wenn man sich gegen die diktierte Version vom richtigen Wirtschaften stellt.

greek parliament

Foto: Duncan Rawlinson / flickr / CC BY-NC 2.0

Von Christian Volk

Die Konfliktparteien in der griechischen Schuldenkrise scheinen buchstäblich „die Sache gegen die Wand gefahren zu haben“ – und mit „der Sache“ ist hier nicht nur der Staatsbankrot Griechenlands gemeint, sondern mittelfristig auch die Europäische Union gleich selbst. Denn was sich hier als die Eurogruppe plus (ehemalig) Troika etabliert, ist ein supranationales Monstrum aus Technokratie und Exekutivföderalismus, das nicht nur alle zaghaften institutionellen und vertraglich festgehaltenen (!!!) Bemühungen um Demokratisierung der EU seit Monaten vollständig ad absurdum führt, sondern auch vielen anderen Gesellschaften innerhalb der EU vor Augen führt, was ihnen droht, wenn sie sich gegen die mit „neu-deutscher Robustheit“ (Habermas) diktierte, gegenwärtig Staats- und Regierungschefs übergreifende Version vom richtigen Wirtschaften stellen.

Sowohl als spanischer oder portugiesischer Bürger als auch als Anhänger einer demokratischen EU kann einem hier nur Angst und Bange werden. Ein solches Regieren in Europa ist extrem gefährlich. Sollte die griechische Regierung wirklich die vorgesehenen Reformauflagen (siehe ‘list of prior actions‘) akzeptieren, könnten sie das griechische Parlament für die nächsten Jahre schließen. Der Gestaltungsspielraum in zentralen Politikfelder wäre dann nämlich gleich null – von der Mehrwertsteuer über die finanz- und strukturpolitischen Maßnahmen, die Rentenreform, die Neustrukturierung der öffentlichen Verwaltung ist sprichwörtlich bis auf den Prozentpunkt alles vorgegeben. Und, das sei hier angemerkt, lediglich um dieses Hilfspaket zu verlängern. Weitere werden folgen müssen, die sicher nicht weniger detailliert den politischen Gestaltungsspielraum von Parlament und Regierung einschränken würden.

Die paternalistischen Analogien vom „Hausaufgaben-Machen“, vom „Einsehen, dass man über die eigenen Verhältnisse gelebt habe“ sind ebenfalls Teil einer Entmündigungsstrategie. Neben der Tatsache, dass solche Analogien den politischen Gegner infantilisieren, verweisen sie auf einen Mangel an politischer Urteilskraft. Die griechische Regierung vertritt eine Position, für die sie von den griechischen Wählern legitimiert worden ist – und für die sie, wenn am Samstag Referendum ist, eine gnadenlose Mehrheit bekommen wird. Diese Position mag den deutschen und restlichen Verhandlungsführern nicht passen – und das teils sogar mit guten Gründen. Auch ist das Auftreten der Regierung um Tsipras grenzwertig bis naiv – das von manchem Verhandlungsführer auf der Gegenseite ist jedoch nicht weniger fragwürdig. Aber darum darf es im Kern in einer so brisanten Lage nicht gehen − und es geht auch nicht darum.

Was hier auf der europäischen Bühne exerziert werden soll, ist ein ökonomischer Weltanschauungsstreit. Statt die Frage im Blick zu halten, wie die Schuldenkrise Griechenlands so gelöst werden könne, dass sie dort nicht zu weiteren sozialen Verwüstungen (50% Jugendarbeitslosigkeit etc.) führt, dass sie Griechenland ein Zukunftsperspektive bietet und dass sie die politisch-institutionelle Krise der EU nicht noch weiter verschärft, wird hier ein Exempel statuiert: Marktkonformität im Konsolidierungsstaat oder raus! Wer so agiert, wird in der Tat „in der Mülltonne der Geschichte enden“ (Piketty), denn er opfert nicht nur alle Bemühungen einer nachhaltigen Demokratisierung der supranationalen Ebene dem Dogma der Marktkonformität, sondern in eklatanter Weise auch die parlamentarische Demokratie Griechenlands.

Dabei ist es doch völlig offensichtlich, dass man den griechischen Staat weder zur Rückzahlung der Schulden verdonnern noch ihm weitere Sparmaßnahmen abverlangen kann. Beides ist nicht möglich und wird auch nicht passieren. Rentenkürzungen vor dem Hintergrund des griechischen „Sozialsystems“ (ein System ohne Arbeitslosenversicherung) ist ein staatlich verordnetes Pauperismus-Programm. Keine griechische Regierung – heute oder in Zukunft – kann ein solches Programm umsetzen, ohne dass sie aus dem Land gejagt wird. Politik hat immer auch etwas mit dem Anerkennen von Realitäten zu tun – und in gleicher Weise wie etliche Forderungen und Bestrebungen von Syriza unrealistisch sind und waren, so sind auch diese Forderungen schlicht unrealistisch – mögliches Investitionsprogramm hin oder her.

Was als Beobachter des ganzen Schauspiels schließlich in besonderer Weise frustriert, ist die geringe Anteilnahme, die Gleichgültigkeit innerhalb der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit gegenüber den Konsequenzen einer von Deutschland maßgeblich dominierten Politik in Griechenland – gepaart mit dem Mangel an Verständnis für die Folgen, die diese Geschichte für die Zukunft Europas haben wird. Wie bestimmte Zeitungen und Medien die „Jetzt reicht es“-Rhetorik zelebrieren und die Tatsache abfeiern, dass jetzt sogar Sigmar Gabriel „entsetzt“ sei, hat mit ernsthaften und kritischem Journalismus überhaupt nichts mehr tun. Getoppt wird das Ganze nur noch vom geschichtsvergessenen Chauvinismus des deutschsprachigen Boulevard in dieser Angelegenheit. Er suggeriert, dass sich hierzulande jeder und jede den „faulen Griechen“ überlegen fühlen darf – als ob die Tatsache, dass er, sie oder ich einen Arbeitsplatz haben, in erster Linie von unseren individuellen Qualitäten abhinge. Wir könnten unser Glück ja mal in Griechenland versuchen!

Christian Volk ist Juniorprofessur für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Trier. Sein Kommentar über die Zukunft Griechenlands ist Teil einer Debatte mit Bernd Ladwig, dessen Replik Sie hier lesen können.

Beide Texte stehen unter einer CC-BY-SA-Lizenz und erschienen ursprünglich auf dem Theorieblog.

Artikelbild: Duncan Rawlinson / flickr / CC BY-NC 2.0

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3 Kommentare zu "Zwei Stimmen zu Griechenland (2)
Die Entdemokratisierung Europas"

  1. Der beschriebenen Frustration mit dem öffentlichen Diskurs möchte ich gerne zustimmen.
    Um einen klaren Blick auf die Dinge zu bekommen möchte ich aber diesen auch noch um zwei Positionen erweitern die vollkommen ausgeblendet werden.

    Da ist erstens die Tatsache, dass der Lebensstandard in Deutschland nicht Globalisierbar und nicht einmal Europäisierbar ist. Das Versprechen von der Wettbewerbsfähigkeit und der Angleichung der Lebensumstände war nicht einmal für die neuen Bundesländer erreichbar.

    In dem Chauvinismus gegen die PIGS wird der unüberbrückbare Abgrund zwischen den angeblichen Werten Deutschland und Europas und der tatsächlichen unmenschlichkeit der Sicherung des eigenen Reichtums auf Kosten des Rests der Welt innerlich verarbeitet. Nur durch dieses Othering, kan diese moralische dissonanz aufrechterhalten werden.

    Zweitens die existenz einer finalen, globalen Krise des kapitalistischen Systems, die der Soziologe Immanuel Walerstein beschreibt. Der Kaitalismus ist in seinen letzten Zügen. Die Frage die entschieden werden muss ist, was kommt danach?

    In Grechenland finden wir die Auseinandersetzung der möglichen Nachfolgesystems des gescheiterten Kapitalismus. Das autoritäre, technokratische und ausbeuterische Modell der Eliten, die ihre Position um jeden Preis sichern wollen, und das Gegenmodell der linken Bewegungen.

    Tsipras und Varoufakis sind Anhänger der Theorien vn Ernesto Laclau. Sie sehen sich als vefechter eines Hegemoialen Projektes, dass sich gegen die neoliberale Hegemonie in Stelung bringt. Ein scheitern innerhalb der olitischen Institutionen ist da unerheblich. Es geht darum den Disurs zu erweitern und in die Köpfe der Menschen zu gelangen, nichts ist dafür besser geeignet als ein Referendum, in dem die Bevölkerung u diesem Diskurs gezwungen wird. Egal wie das Referendum ausgeht, aus der theoretgischen perspektive kann Tsipras in der Abstimung in der er angeblich nur verlieren kann nur gewinnen.

  2. H.Ewerth sagt:

    Eigentlich kann man das einfach mit wenigen Fragen in Deutschland auf den Punkt bringen.

    1. Sind die reichen Deutschen bereit, mit den Armen in Deutschland zu teilen?
    2. Ist das reiche Deutschland bereit mit den Armen in Europa zu teilen?
    3. Ist das reiche Europa bereit, mit den Armen der Welt zu teilen?

    Denn das 4 Milliarden “abhängte” Menschen auf der Welt noch einmal 50 Jahre warten werden, bis sich ihr Lebensstandard auf westliches Niveau angepasst hat, dass wage ich zu bezweifeln. Fakt ist, dass immer noch täglich einhunderttausend Kinder an Hunger und deren Folgen von Hunger auf dieser Welt sterben. Aber damit kann man die wenigsten in Deutschland, zum Nachdenken bewegen. Denn die Mehrheit in Deutschland glaubt, dass sie etwas besonders sind auf dieser Welt. Was wäre wohl ´mit Deutschland, wenn nach dem 2. WK die Schuldnerkonferenz 1953 die internationalen Gläubiger nicht Großzügigkeit sondern Austerität wie jetzt in Griechenland durchgesetzt hätten?

    Diese Fragen kommen nämlich ganz automatisch, wenn man sich die Berichterstattung, welche in Teilen schon wieder an Volksverhetzung grenzt, verfolgt, und die in Teilen unterirdischen Kommentare dazu. Viele in Deutschland haben vergessen wem sie den wirtschaftlichen Wiederaufstieg nach dem 2.WK zu verdanken haben, den Ideologischen haben viele Teile bis heute noch nicht geschafft.

  3. Abschied von der Panik? – Abschied von der Titanic!

    Griechenland „wird nun wohl untergehen“ wie es im Volksmund heißt, wird vom IWF, der EZB und der EU-Kommission, aber auch einem Großteil der Bevölkerung Europas weitgehend gleichgültig dem weiteren Niedergang preisgegeben; so oder so – ob nun durch regelrecht erpresserisch eingeforderte, letztlich aber insgesamt unbezahlbare Kreditrückzahlungen zusammen mit den auch aus menschlicher Hinsicht längst schon unerfüllbaren Sanierungsforderungen oder durch den immer wieder als angebliche „Alternative“ diskutiertem „Grexit“. Meiner Ansicht nach jedoch ist die für Griechenland nun abermals sogar noch weitaus verschärfter drohende Katastrophe eine regelrechte Schande für Europa, ja die gesamte sogenannte Zivilisation, und ich will das im Folgenden einmal auf meine Weise deutlich machen:

    Ich bin Bildhauer und spreche als solcher eben gern in Bildern und schon vor einiger Zeit habe ich einmal von einer Metapher gelesen, die besagte, „dass man auf einem Schiff das den falschen Kurs segelt nur sehr wenige Schritte in die richtige Richtung machen kann“.

    Inzwischen habe ich diese Idee noch ein wenig weitergedacht, und zwar in Bezug auf den gegenwärtigen Kurs Deutschlands, Europas wie auch der Weltpolitik insgesamt und mir scheint dabei, dass die jeweilige „Schiffs“-Führung in all diesen Fällen längst geradezu grundsätzlich immer mehr versagt, denn die inzwischen jeweils angepeilten „Reiseziele“ nützen außer den hochrangigen Mitgliedern der Schiffsbesatzung längst immer weniger den unzähligen Passagieren, bzw. genauer noch – immer mehr Passagiere werden mehr und mehr auf immer rücksichtslosere Weise geschädigt. Aber nicht etwa „nur“ einem ganzen Land wie im Falle Griechenlands, wird nun trotz unzähliger mahnender Stimmen in der Welt ein immer rigoroserer und vor in allem Sachen Gesundheits- und Sozialpolitik vielfach geradezu mörderischer Sparkurs aufgezwungen, dieses vom Neoliberalismus diktierte Austeritätsprogramm wird längst schon seit Jahrzehnten immer mehr auch allen gewöhnlichen Menschen, den Berufstätigen wie auch von Beziehern staatlicher Unterstützung (sofern vorhanden) verordnet und dies längst ohne Rücksicht darauf, wie diese mühsam und immer mühsamer die davon betroffenen Menschen über die Runden kommen. Griechenlands zunehmende Krise ist also „nur“ ein weiterer Höhepunkt eines erbarmungslos geführten Wirtschaftskriegs, der durch von vorne herein immer wieder völlig verantwortungslose Kreditvergaben eingeleitet, im Anschluß daran dann auch durch als „unumstößlich“ geltende Forderungen in Sachen Kreditrückzahlung fortgesetzt und von immer mehr unmenschlichen Sanierungsforderungen begleitet wird; somit also letzten Endes nur dem weiteren Profit- und Machtzuwachses zugunsten einer ohnehin bereits maßlos begünstigten und schwerreichen Minderheit von Menschen auf der Welt dienend rücksichtslos bis zum für die Schuldner zunehmend bitteren Ende geführt wird.

    „Free lunch“ soll dabei möglichst immer wieder für alle „Schiffsoffiziere“, Schiffsreeder und deren Financiers gelten und möglichst auch keine Steuerforderungen ihnen gegenüber; die vielen Passagiere sollen vielmehr für die Kosten der gesamten „Schiffsreise“ aufkommen und wie man sehen kann ist es im Großen und Ganzen eigentlich stets dieselbe Masche, der sich noch immer viel zu wenige Menschen zu widersprechen trauen. – Ist all diesen Menschen nicht klar, daß es auf der Welt (um nun einmal ein anderes Bild zu verwenden) somit längst wie beim Computerspiel „Moorhuhn-Schießen“ zugeht, wo der Schütze selbst in vollkommener Sicherheit einfach so viele Moorhühner abballert, wie das Spiel hergibt, „nur“ – daß das, was gegenwärtig auf der Welt stattfindet alles andere als nur ein kurzweiliges Spiel ist und daß fast alle von uns Normalsterblichen ins Visier der „Spieler“ (oft auch ganz offen als „Global-Players“ bezeichnet!!!) geraten können? – Kann man auf Dauer immer wieder aufs Neue so blöde sein, ständig zu glauben, man würde – wenn man „nur immer fleißig genug ist – schon „immer wieder Glück genug haben“ und so bis zum Ende seiner Tage vom drohenden Unheil verschont bleiben?

    Das gesamte leitende „Schiffspersonal“, die „Schiffsreeder“ und die Financiers ganzer „Schiffsflotten“ verdienen sich längst buchstäblich dumm und dämlich bei diesem „Spiel“; dumm und dämlich deshalb, weil sie auf das Wohl der Passagiere in ihrer inzwischen geradezu ungeheuer arroganten Art immer häufiger kaum noch etwas geben, denn sie halten sich längst für die „Größten“, die vermeintlicherweise „absolute Elite der Welt“ und beklatschen und bestärken sich darin auch immer wieder gegenseitig, ohne auf den für sie inzwischen offenbar nur noch minderwertigen Rest der Passagiere, für sie offenbar inzwischen eigentlich nur noch verachtenswerte Rudersklaven zu hören.

    Die Schlagzahl in Sachen Arbeitsproduktivität wird daher von ihnen und ihren willigen Helfern per entsprechendem Dekret bei jeder sich bietenden Gelegenheit weiter erhöht, denn es gibt durch die ständigen technischen Fortschritte, die ständig fortschreitende Automatisierung und weitere immer raffinierter werdende Rationalisierungs- und Manipulationsmethoden ja genügend Arbeitslose, die an die Stelle derer springen und zunächst vielleicht auch noch ein paar Takte zulegen können, gegenüber den Anderen, die nicht (mehr) mithalten können, nicht mehr wollen oder aus anderweitigen Gründen nicht (mehr) als Arbeitskräfte in Frage kommen. Wer inzwischen „über Bord geht“, muß nach den neusten „Erkenntnissen“ unserer „Wirtschaftsexperten“ in vielen Fällen nun immer mehr selbst zusehen, wie er wieder Boden unter die Füße bekommt, denn die Rettungsringe werden (wie nun im Falle Griechenlands zu sehen) immer knapper, seit sich nun auch eine Art von „internationalem Rettungsringverleih“ etabliert hat, der mit dem Segen der von ihr gekauften „Schiffsführungen“ grundsätzlich immer auf seine Rendite pocht (obwohl die Verleiher „ihre Schäfchen schon längst im Trockenen haben“).

    Viele Rudersklaven reagieren längst verängstigt, ja immer verängstigter, meinen aber trotzdem immer wieder sich „in Sicherheit“ wähnen zu können, wenn sie in den Augen der „Schiffsführung“ noch mehr leisten, und das heißt, sie murren zwar, fügen sich aber auch immer wieder, denn einen anderen Weg aus der Misere, so hat man es ihnen bislang ja immer wieder gesagt und so glauben sie es auch – den „gibt es (angeblich) nicht“.

    Um immer noch beim oben beschriebenen Bild zu bleiben, riesige Sklavenschiffe sind somit mittlerweile auf den Weltmeeren unterwegs; sie segeln unter den Flaggen aller möglichen Nationen und Organisationen, aber auf fast allen bietet sich nun schon ein weitgehend gleiches Bild: schon längst zumeist regelrecht vollgefressene „Schiffs-Offiziere“, „Schiffs-Reeder“ und deren Finanziers, die trotz all ihres oft ungeheueren Reichtums noch immer nicht genug haben und ihre Passagiere daher immer weiter und weiter zur Kasse „bitten“ wollen; eine Stufe darunter karrieregeile „Schiffskadetten und Schiffsmaate“ die es den Oberen möglichst gleichtun wollen, und dann bald darunter auch schon eine zunehmend riesige Anzahl von sogenannten „Normalsterblichen“, immer gleichförmiger abgespeist mit dem, was vom „Kapitäns“-Tisch als übriggeblieben zur Speisung der nun zunehmend riesigen Zahl als „minderbemittelt“ Geltender dienen soll.

    Oben habe ich noch geschrieben, „daß man auf einem Schiff, daß den falschen Kurs steuert nur wenige Schritte in die richtige Richtung machen kann“ und das stimmt auch ohne Zweifel. Aber es gibt für die vielen zunehmend um ihr wahres Reiseziel betrogenen Passagiere noch eine andere, weitaus bessere Möglichkeit doch noch an ihr eigentliches Ziel zu gelangen, nämlich – die inzwischen riesigen Sklaven-„Schiffe“ zu verlassen, und das heißt, sich nicht länger höchstens einmal kleinlaut den dort geforderten, immer unmenschlicher werdenden „Lebens“-Bedingungen zu unterwerfen, dieses ewig auf ihnen herrschende „Friß’ oder stirb’“ nicht länger zu akzeptieren, sondern besser in sein eigenes kleines Boot umzusteigen, was nichts Anderes bedeutet als – endlich einmal wirklich AUF SEINE EIGENE INNERE STIMME ZU HÖREN und so – SEINEN EIGENEN KURS IN RICHTUNG ECHTER (MIT)-MENSCHLICHKEIT ZU STEUERN, statt sich immer wieder nur bitter über die – „ach so schlechte Welt“ zu beklagen, ansonsten aber zu duckmäusern und die zur (Mit)-Menschlichkeit notwendige Durchsetzungsfähigkeit immer wieder nur ausschließlich von Anderen zu fordern.

    Viele zögern zunächst immer noch und geben den gewohnten Trott mitsamt ihren liebgewordenen, doch oft immer nur stumpfsinniger werdenden Unterhaltungshäppchen zwischendurch erst einmal nicht auf; wer es aber dennoch wagt, der wird feststellen, daß „auf den Weltmeeren“ längst schon viele kleine „Boote“ unterwegs sind, gesteuert von unbeirrbar kritisch denkenden und weitherzigen Menschen, die anderen Schiffbrüchigen auch immer wieder helfen, wo die großen Sklavengaleeren unbeirrt längst schon einfach weiterfahren. Diese mutigen & reifen Menschen haben Hoffnung und sie stellen auch die Hoffnung für das Überleben der Menschheit wie auch der Menschlichkeit dar; wenn ihre Zahl sich aber nicht bald deutlich vergrößert, dann wird in nicht allzu langer Zeit wohl alles verloren sein, denn die Sklavenschiffe segeln längst auf allen möglichen Gebieten ihren allein von kurzsichtigen Gewinnen bestimmten Untergangskurs und haben, siehe die Ukrainekrise, offenbar auch schon wieder massenhaften Mord und Totschlag im Sinn.

    Jeder Mensch sitzt von Geburt an bereits in seinem eigenen Boot und sollte im Laufe seines Heranwachsens lernen, dieses so sicher wie möglich zu steuern, statt wie es heute so oft üblich ist mehr und mehr der Bequemlichkeit nachzugeben und seine Lebensreise einfach nur auf einem der heutigen Riesenschiffe zu absolvieren, die sich wie gesagt für uns Normalbürger immer deutlicher als Sklavenschiffe zu erkennen geben, deren Kurs, Bordregeln und Bordverpflegung nun immer mehr nur noch von der Schiffsführung auf diktatorische Weise festgelegt werden. Es gilt wirkliches Neuland zu entdecken und das bedeutet vor allem sich selbst, aber auch die Welt endlich mit neuen Augen zu sehen und dann auch auf neuartige Weise zu besiedeln; nicht länger immer wieder im falschen Geiste irgendwelcher „corporated identities“ zu handeln, die uns zwar immer wieder Vieles versprechen, aber deutlich erkennbar schon lange mehr und mehr gegen die wahren Bedürfnisse des Menschen handeln. Es gilt dabei vor allem, seine eigene Identität zu entdecken, zu entwickeln und zu wahren; – also sein eigenes Boot – selbst zu steuern.

    Dies alles einmal in aller Deutlichkeit erkennen zu wagen, wäre das dann nicht auch ein guter Grund zu einem – endgültigen Abschied von der Titanic und auch – zum Abschied von der schon – über viele Jahre hinweg längst immer wieder neu auftretenden Panik?

    P. S.: Ein Wort hier aber auch noch zur der gegenwärtigen Protestkultur, die insgesamt zwar durchaus zu begrüßen ist, bei der ich aber folgende zwei Hauptmängel feststellen muß, und zwar erstens die längst recht häufige Tendenz, zum Beispiel gerade auch äußerst anspruchsvolles Kabarett eher als hochwertige Unterhaltung und Belustigung, denn als notwendige (d. h. die Not möglichst auch wendende!!!) Aufklärung und als offenbar dringend notwendige Agitation, also als zusätzlichen Antrieb zur umgehenden Verbesserung der gegenwärtig so vielfachen Missstände zu verstehen. Und zweitens beschleicht mich immer öfter auch das Gefühl, dass sich mittlerweile immer mehr eine Art von Aufklärungsindustrie zu etablieren scheint, die zwar immer mehr Aufklärung betreibt, an der Beseitigung der Mißstände aber recht wenig Interesse zu haben scheint, denn viele Proteste gegen die gegenwärtigen Mißstände scheinen mir recht oft ziemlich halbherzig vorgebracht zu werden; „cool“ zwar, aber offenbar nicht gerade besonders ernst gemeint, denn sonst würden sie – weitaus entschiedener vorgetragen!

    Man kann auch weiterhin noch Tag um Tag, Woche um Woche, Monat für Monat und vielleicht auch noch einige Jahre immer mehr Beweise dafür ans Tageslicht zerren, dass bei uns unendlich Vieles gewaltig schief läuft, aber ist es nicht schon längst soweit, das wir schon längst genug wissen, um endlich einmal entschieden zu handeln? – Mir scheint das fortwährende Aufdecken und Sammeln von Fakten dem zögerlichen Handeln von Schiffspassagieren zu gleichen, die nach immer mehr Gründen suchen, warum ihr Schiff immer mehr zu sinken beginnt, statt endlich entschlossen in die Rettungsboote zu steigen!

    Nicht länger nur immer Fakten sammeln, sondern vielmehr entschiedenes solidarisches HANDELN seitens der Bevölkerung Europas ist nun gefragt!

    W. Oesters (zeitkrit. Website: achtgegeben.de)

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