Die Zukunft von Occupy

Einblick in eine Protestkultur

Aktivisten in Frankfurt, Bild: Oliver DesoiNach der Räumung des Occupy-Camps vor der Europäischen Zentralbank stellt sich für jeden der “Besetzer” auf andere Art und Weise die Frage: Wie geht es weiter – und das dürfte nicht nur auf den Protest bezogen sein.

Von Oliver Desoi

Am 6. August 2012 war es soweit. Unmittelbar, nachdem das Verwaltungsgericht in Frankfurt die dauerhafte Belagerung auf der Grünfläche vor der Europäischen Zentralbank von dem Recht auf Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit nicht mehr gedeckt sah, rückte die Polizei in Scharen aus und bereitete dem bunten Treiben ein Ende. Zuvor hatte die Stadt bereits versucht, wegen der hygienischen Zustände eine Räumung durchzusetzen, unter anderem sollten sich Ratten auf dem Gelände der EZB aufhalten. Das ist für viele Occupies nichts Neues; ironisch bemerken einige, die befänden sich aber ein paar Stockwerke darüber und nicht auf dem Rasen davor.

Tatsächlich ist von der Grünfläche nicht mehr viel übrig. Zertrampeltes Gras und Tonnen von Müll. Ratten aber keine. Dafür Menschen, bei denen man zweifeln darf, ob hinter ihrem Zelten politisches Engagement steckt. Sinti und Roma haben ihre Zelte aufgeschlagen und sind auch bei der ersten Ankündigung der Polizei, das Camp zu räumen, wieder verschwunden. Andere bleiben. Alkoholisierte Obdachlose reagieren apathisch auf den Polizeieinsatz und lassen sich erst nach mehrfachem Zureden von der Polizei aus dem abgesperrten Gelände führen. Ein Occupier meint: „Wir machen hier die Sozialarbeit der Stadt. Wir nehmen die Menschen auf, um die sich unsere Gesellschaft nicht mehr kümmert. Aus dieser Perspektive sollte das mal betrachtet werden.“

Dann kommt der harte Kern der Aktivisten dran. Mädchen mit Blumen im Haar und gröhlende Punk-Ladies müssen weggetragen werden. Alles, was nicht abgebaut wurde, wird von der Polizei eingerissen und wie Müll entsorgt. Das sorgt für Empörung. Immer wieder versuchen Aktivisten, mit juristischen Grauzonen wie plötzlichen Spontandemos oder Mahnwachen auf das Gelände zurück zu stoßen oder rings herum für Aufmerksamkeit zu sorgen. Es hilft nichts. Als man die Straßenbahngleise blockieren will, muss die Polizei abermals schubsend eingreifen, insgesamt bleibt es aber wie die gesamten Occupy-Proteste in Deutschland relativ ruhig. „Dass wir das hier immer friedlich durchgezogen haben, darauf können wir stolz sein!“ tönt es durch das Megaphon.

Sobald die Polizei weg ist, will man wieder auf das Gelände vorstoßen. Außerdem sei man mittlerweile so gut vernetzt, dass man ohne Infostand und Zentrale jederzeit spontanere kleinere Aktionen irgendwo in der Stadt durchführen kann. Es klingt trotzig. Es klingt wie die Ansage, 99% zu sein, leicht überheblich. Die Obdachlosen stellen sich unter das Vordach eines Nachbargebäudes. Ein paar Aktivisten zieht es zum noblen Steigenberger Hotel. Dort werden sie von Gästen im Anzug ausgelacht: „Sucht Euch Arbeit!“ Zwei Klischees, oder zwei, die sich dafür halten, treffen aufeinander. Angeblich hätten auch viele Banker am Anfang mitgemacht, aber dann aus Angst vor Sanktionen abgebrochen.

Tatsächlich sieht man auch heute Banker an den Occupies vorbei radeln. Sie steigen ab und machen Fotos mit ihren Handykameras. Ein paar von ihnen müssen lachen, als betrunkene Obdachlose nur mit Mühe von den Aktivisten davon abgehalten werden können, ins Mikrophon zu lallen. „Wir unterscheiden hier nicht in den oder die. Wir sind alle wir“, meinen die Aktivisten. Das klingt toll. Es wirkt lächerlich. Tatsächlich scheint es ihnen aber gelungen zu sein, Menschen zu politisieren. Auch wenn jeder Auftritt als Freakshow endet: Passanten bleiben stehen. Und äußern sich größtenteils positiv. „Was hier wird geräumt? Sauerei!“ meint eine ältere Dame und stellt sich zu dem Redekreis, in dem ein Aktivist die Zuhörer beschwört, standhaft zu bleiben. Das Mikrophon landet zum hundertsten mal neben dem Megaphon und bringt einen lauten Ton wie aus einer Hundeflöte hervor. Die ältere Dame hält sich die Ohren zu und geht weiter.

Einige von denen, denen es nicht nur um ein Dach über dem Kopf ging, trifft man bei anderen sozialen Bewegungen wie der European Perma Culture Convenience bei Kassel. Hier besprechen einige Occupies nachhaltige Landwirtschaft. Man will natürliche Kreisläufe erschaffen, die nicht gegen die Natur, sondern mit der Natur arbeiten. Auf dem Gelände werden umweltfreundliche Behausungen aufgestellt, die man sich von den Indianern abgeschaut hat. Es sind Uni-Dozenten, Aussteiger aus dem Mittelstand und Lebensoptimisten, wie sie unser Planet dringend braucht. Es wirkt schrecklich sympathisch, wenn sie andere davon überzeugen wollen, dass die Zukunft heute beginnt. „Keine Sorge. Wir gehen erst, wenn das System geht!“

Zum Thema:

– “Antinationale” Okkupierung

– Vom angeblichen Antisemitismus der Occupy-Bewegung

– Mensch gegen Markt

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4 Kommentare zu "Die Zukunft von Occupy"

  1. mark aurel sagt:

    Danke für diesen Kommentar
    Ich möchte allen sagen, ihr seid nicht allein!

  2. Ich fürchte nur, dass das System nicht so einfach gehen wird. Es ist doch eine der großen Einbildungen der Weltgeschichte, dass es manchmal von heute auf morgen geht. In Wahrheit geht werden Systeme immer langsam verändert, und i. d. R. durch jene, die sich zumindest mit dem System arrangieren. Den Aktiven von Occupy wird mittel- bis langfristig nichts anderes übrig beleiben als der Marsch durch die Institutionen – und es ist ihnen dabei mehr Durchhaltewillen und Idealismus zu wünschen, als den 68ern.

  3. AluBox sagt:

    Das war es dann wohl mit Occupy, die Politik hat das Thema Ausgesessen, obwohl mir immer noch nicht ganz klar ist was diese Bewegung überhaupt wollte.

  4. Thador sagt:

    Es war ein Schwarz-GRÜNER Magistrat in Frankfurt,
    der Blockuppy niedermachen ließ, ob rechtsstaatlich oder -widrig klären jetzt die Gerichte.

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