Seit 2009 stockt in der Eurozone die Zirkulation von Giralgeld im Bankensystem. Unternehmen und Haushalte verschulden sich nicht mehr weiter. Statt ihre Ausgaben zu senken, müssten die Staaten jetzt die Rolle der Fiskalpolitik stärken.
Seit der Großen Depression sind die Geldpolitik und die Fiskalpolitik in den meisten modernen Gesellschaften als wichtige wirtschaftspolitische Instrumente verankert, insbesondere um schwere Rezessionen oder gar Depressionen zu bekämpfen und den Wirtschaftskreislauf zu stabilisieren. Bei einem internationalen Vergleich fällt auf, dass die USA die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise weitaus besser überwunden haben als die Eurozone. Dies ist umso erstaunlicher, ging die Finanzkrise doch ursprünglich von den USA aus.
Ein wesentlicher Grund hierfür dürfte in der konkreten Ausgestaltung der Geld- und Fiskalpolitik liegen, die in den USA in den letzten Jahren weitaus angemessener und zielorientierter eingesetzt wurden als in Europa. Soll die Krise in der Eurozone möglichst rasch überwunden werden gilt es daher, Fehler bei deren Implementierung zu überwinden. Dies setzt freilich auch ein besseres Verständnis und eine rationalere Debatte hinsichtlich der Rolle und Funktionsweise der Geld- und Fiskalpolitik in modernen Geldwirtschaften voraus.
Die Große Depression – Lehren aus der Vergangenheit
Die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise weist erhebliche Parallelen zur Großen Depression auf, so dass es lohnenswert erscheint, sich zunächst mit dieser Krise und deren Überwindung näher zu befassen. Die Große Depression begann 1929 mit dem „Großen Crash“, der das Ende der „Goldenen Zwanziger“ einläutete. Ähnlich wie die 2000er Jahre war dieses Jahrzehnt geprägt durch eine stark steigende Verschuldung des privaten Sektors. Da viele Immobilien und auch Aktien auf Kredit gekauft wurden, brummte die Wirtschaft. Durch Kredite werden zusätzliche Einlagen in den Banken geschaffen. Dieses Giralgeld zirkuliert dann in der Wirtschaft und wird zum Kauf von Gütern und Dienstleistungen eingesetzt, bis es als Ersparnis, Steuern oder Zahlungsmittel für Importe aus dem einheimischen Kreislauf verschwindet. So war es auch in den USA in den 1920er Jahren, bis der bis dahin größte Immobilienboom zeitgleich mit der bis dahin größten Preisblase am Aktienmarkt zu einem Ende kam.
In der Folge geriet der Geldkreislauf ins Stocken. Zwecks Schuldentilgung erhöhten die privaten Haushalte und Unternehmen ihre Sparquote und senkten die Ausgaben. Da aber nur aus Einkommen gespart werden kann, welche selbst nur durch Ausgaben (anderer) entstehen, ergab sich eine paradoxe Situation. Beim Versuch, mehr zu sparen, also einen größeren Anteil des Einkommens nicht zu verausgaben, sanken die Einkommen (aller) derart, dass sich die gesamte Ersparnis nicht wie erhofft erhöhte (sog. Sparparadoxon). Da die Unternehmen merkten, dass die Haushalte weniger Kaufkraft hatten, senkten sie die Produktionsmenge und die Preise. Durch die Rückzahlung von Krediten wurden zudem sehr viele Einlagen in den Banken vernichtet, so dass insgesamt die Menge an zirkulierendem Geld abnahm.
Dieses Verhalten der privaten Haushalte und Unternehmen mag einzelwirtschaftlich rational erscheinen, es führt allerdings gesamtwirtschaftlich in eine schwere Wirtschaftskrise, mit der Gefahr von Deflation und stark steigender Arbeitslosigkeit. Höhere Ersparnisse und damit weniger Nachfrage und Profite sowie mehr Arbeitslosigkeit und damit geringere Haushaltseinkommen erschweren die Schuldentilgung in der Zukunft. Für diese sind hohe und steigende Einkommen und Profite fundamental. Wenn aber der private Sektor (Unternehmen und Haushalte) unbedingt mehr sparen und weniger ausgeben will, wer kann dann mehr ausgeben und weniger sparen, um einen Teufelskreis wie oben beschrieben zu verhindern?
Da vor der Großen Depression die Ökonomen glaubten, dass der Staat nicht in die Märkte eingreifen sollte, wenn es zu einer Finanzkrise kommt, wurde in den USA von 1929 bis 1933 darauf vertraut, dass der Markt den „magneto trouble“ schon irgendwie selbst beheben würde. Erst als vier Jahre nach dem „Großen Crash“ die Arbeitslosigkeit 20 Prozent erreichte und das Bruttoinlandsprodukt um 30 Prozent gefallen war, begann mit der Wahl von Franklin D. Roosevelt zum neuen Präsidenten der USA ein Wandel in der Wirtschaftspolitik hin zu dem, was John Maynard Keynes in seiner „General Theory“ beschrieb und Hyman Minsky später als „big bank/big government“ bezeichnete. Es setzte sich die Erkenntnis durch, dass die Zentralbank als „Lender of last resort“ agieren und durch geringe Zinsen und mehr Kredite an die Geschäftsbanken dafür sorgen muss, dass die Welle der Bankenpleiten möglichst rasch abebbt. Zudem wurde eine Einlagensicherung eingeführt. Das Finanzministerium schuf seinerseits durch höhere schuldenfinanzierte Ausgaben zusätzliche Einnahmen und Profite im privaten Sektor, was dort die Schuldentilgung erleichterte.
Die Zentralbank als fiskalischer Agent des Staates
Das Zusammenspiel zwischen der US-Zentralbank, die Geldscheine und Einlagen in einer Währung erzeugt, in welcher der Staat seine Steuern einzieht und sich verschulden kann, und dem US-Finanzministerium war dabei seinerzeit wesentlich für den Erfolg der Anti-Krisenpolitik. Ein wichtiger Punkt war, dass die Federal Reserve Bank (Fed) als Zentralbank der USA nach ihrer Gründungsakte aus dem Jahr 1913 als „fiskalischer Agent des Staates“ angesehen wurde. Dadurch konnte die Fed bis 1935 der Regierung die Staatsanleihen direkt abkaufen. Das Finanzministerium begab also Staatsanleihen, reichte diese an die Zentralbank weiter und bekam dafür Zentralbankgeld auf seinem Konto bei der Zentralbank gutgeschrieben. Indem die Regierung das Geld ausgab, stabilisierte sie die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und damit die Einkommens- und Gewinnentwicklung im privaten Sektor. Die Empfänger bekamen dabei das Giralgeld auf ihren Bankkonten gutgeschrieben und deren Bank bekam das Zentralbankgeld.
Anders als heute in der Eurozone wurde die schuldenfinanzierte expansive Fiskalpolitik mit Mitwirkung der Zentralbank nicht kritisch gesehen. Tatsächlich zeigt beispielsweise ein Blick in die sektoralen Bilanzen, dass die Regierung nach einer über Staatsanleihen finanzierte Ausgabenerhöhung mehr Verbindlichkeiten bzw. Schulden hat als vorher. In gleicher Höhe entstehen jedoch auch private Forderungen bzw. Guthaben des privaten Sektors. Da die Regierung ihr Geld gegen Staatsanleihen von der Zentralbank bekommt, kann ihr mit einer eigenen Zentralbank auch nie das Geld ausgehen, d.h. sie kann nicht zahlungsunfähig werden. Vielmehr kann das Finanzministerium unbegrenzt Staatsanleihen erzeugen, die Zentralbank eine unbegrenzte Menge an Zentralbankgeld.
Zwar überweist die Regierung in diesem Fall Zinsen an die Zentralbank, die dadurch einen Gewinn verbucht. Diesen leitet sie aber wieder an das Finanzministerium zurück, so dass auch die Zinsbelastung kein Problem darstellt. Solange unterausgelastete Kapazitäten vorliegen, wirkt eine expansive Fiskalpolitik auch nicht inflationär. Nur bei Vollbeschäftigung kann sie zu Preisauftrieb führen, sofern die Löhne ansteigen. In einer schweren Wirtschaftskrise ist man aber weit von Vollbeschäftigung entfernt.
Seit 1935 ist der Zentralbank der USA der Ankauf von Staatsanleihen nur noch über Offenmarktoperationen erlaubt. Die Staatsanleihen werden nunmehr nur noch den Banken abgekauft, die diese ihrerseits vom Finanzministerium erwerben und so eine Provision kassieren können. Dennoch hat sich dadurch an den oben skizzierten Zusammenhängen nichts Grundlegendes verändert. Vor allem aber hat die auch als “Monetarisierung” bezeichnete Politik bis heute weder zu Hyperinflation noch zu dramatischen Abwertungen oder anderen schweren wirtschaftspolitischen Problemen geführt. Mitte Mai 2015 hält die US-Zentralbank fast $ 2,5 Billionen an US-Staatsanleihen, ebenfalls ohne negative Effekte. Durch den Ankauf von Staatsanleihen ist die US-Zentralbank Fed vielmehr in den letzten Jahren ihrer geldpolitischen Verantwortung zur Überwindung der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise gerecht geworden.
Die Grenzen der Geldpolitik der EZB in der aktuellen Krise in der Eurozone
Anders als die US-amerikanische Zentralbank Fed hat die Europäische Zentralbank (EZB) in der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise lange Zeit zunächst nur auf die Zinspolitik gesetzt. Tatsächlich ist das Hauptinstrument der Zentralbank der Leitzins, wobei sie üblicherweise den kurzfristigen Zins kontrolliert, zu welchem sie den Banken gegen Sicherheiten Zentralbankgeld überlässt. Dieses kann in Bargeld umgetauscht und im Zahlungsverkehr eingesetzt werden. Wenn Kunde A von Bank 1 eine Überweisung an Kunde B von Bank 2 tätigt, so muss Bank 1 im Zahlungsausgleich Zentralbankgeld an Bank 2 überschreiben. Alternativ kann sie sich Zentralbankgeld von anderen Banken oder der Zentralbank leihen bzw. den Zahlungsausgleich gegen Zinszahlung in die Zukunft verschieben.
Banken brauchen also Zentralbankgeld für den Zahlungsausgleich und die Auszahlung von Bargeld, denn jeder Euro Giralgeld ist letztlich ein Versprechen auf Bargeld. Banken brauchen zusätzlich Zentralbankgeld, um einen Reservesatz abzudecken. Dieser liegt allerdings bei lediglich 1 Prozent der Einlagen und ist momentan quasi bedeutungslos.
Anders als oftmals fälschlicherweise behauptet, benötigen die Banken jedoch kein Zentralbankgeld für die Kreditvergabe. Bei einem Kredit gegen Sicherheiten an ein Unternehmen oder einen Haushalt wird Giralgeld „quasi aus dem Nichts“ geschöpft, so wie es das Wort Kreditschöpfung impliziert. Banken sind also keine Intermediäre, die Ersparnisse weiterreichen, sondern sie sind in der Lage, selbst Giralgeld zu schöpfen. Durch einen Kredit über € 1.000 wird auf dem Konto eines Bankkunden die Summe von € 1.000 gutgeschrieben, aber nirgendwo im Bankensystem wird jemandem € 1.000 abgezogen. Sollte der Bankkunde die € 1.000 zu einer anderen Bank überweisen oder in bar ausgezahlt bekommen, muss sich die Bank zwar um das Zentralbankgeld bemühen. Sofern sie genügend Sicherheiten hat und solange der Kreditzins über dem Leitzins liegt, sollte dies aber kein Problem sein. Die Bank macht dann einen Gewinn.
Für den Wirtschaftskreislauf ist die Höhe des umlaufenden Geldes von entscheidender Bedeutung. Diese wird unter anderem durch die Kreditvergabe an den privaten Sektor bestimmt. Sofern diese Geld- bzw. Kreditmenge steigt, entstehen durch die zusätzlichen kreditfinanzierten Konsum- und Investitionsausgaben zusätzliche Einkommen. Die Wirtschaft wächst dann und die Verschuldung steigt. Im Zuge der Krise sind jedoch die Häuserpreise und die Einkommen ebenso wie die Unternehmensgewinne gefallen. Die privaten Haushalte und Unternehmen sind daher gezwungen, ihre im Zuge des Immobilien- und Kreditbooms stark angestiegene Verschuldung zurückzuführen. Aufgrund der stagnierenden Kreditnachfrage entsteht jedoch ein Nachfrageproblem: die Menge der umlaufenden Zahlungsmittel ist zu gering, um die Produktion absorbieren zu können.
Zur nachhaltigen Überwindung dieser Krisensituation kann nicht auf eine neuerliche stärkere Verschuldung des privaten Sektors zur Kompensation des Nachfrageausfalls gesetzt werden. Die Geldpolitik der EZB ist daher mit ihren konventionellen Maßnahmen am Ende der Fahnenstange angekommen, zumindest wenn man nicht in den negativen Bereich der Leitzinsen gehen möchte. Aber auch unkonventionelle Maßnahmen, allen voran die Politik des „Quantitative Easing“, ist kein geeignetes Instrument zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstum über einen Anstieg der privaten Verschuldung. Die EZB kauft hierbei den Banken Staatsanleihen gegen Zentralbankgeld ab. Dieses können die Banken aber nicht an den privaten Sektor weiterverleihen, da die privaten Haushalte und Unternehmen keine Konten bei der Zentralbank haben. Allenfalls sinkt der langfristige Zinssatz, da durch die höheren Preise der Staatsanleihen deren Rendite sinkt.
Ob dadurch aber mehr Investitionen ausgelöst werden, ist angesichts des bereits niedrigen Zinsniveaus und der allgemeinen Nachfrageschwäche äußerst fraglich. Zusätzlich wertet der Euro ab, wenn die Banken versuchen, die zusätzlichen Zentralbankguthaben in andere Währungen zu tauschen. Hierdurch könnte das Ausland verleitet werden, sich stärker zu verschulden und mehr Exporte aus der Eurozone nachzufragen. Da im Ausland eine negative Leistungsbilanz mit steigender Verschuldung einhergeht, droht dieser Weg jedoch früher oder später in einer neuerlichen Finanzkrise zu enden.
Die Geld- und Fiskalpolitik müssen sich in der Eurozone gegenseitig stärker unterstützen
Möchte man die Nachfrageschwäche nicht auf Kosten des Auslands beheben und fällt eine weitere Erhöhung der Verschuldung des inländischen privaten Sektors zur Belebung des Wirtschaftskreislaufes aus, bleibt zur Überwindung der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise kurz- bis mittelfristig nur eine Erhöhung der öffentlichen Ausgaben und damit der öffentlichen Verschuldung. Durch diese Politik hat sich Japan nach dem Platzen von Immobilien- und Aktienmarktblasen seit Anfang der 1990er Jahre volkswirtschaftlich stabilisiert. Und auch die USA konnten dank eines adäquaten Einsatzes von Geld- und Fiskalpolitik die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise rasch hinter sich lassen und haben recht schnell wieder zu positiven Wachstumsraten zurückgefunden.
Die EZB sollte daher wie die Fed in den USA als fiskalischer Agent des Staats anerkannt werden. Zudem sollten die Geld- und Fiskalpolitik in der Eurozone besser aufeinander abgestimmt werden. Die EZB sollte für die Solvenz aller Regierungen der Eurozone garantieren und dadurch das Ausfallrisiko von Staatsanleihen auf null reduzieren. Sie müsste dafür sich nur bereit erklären, im Notfall am Sekundärmarkt – im Zweifelsfall unbegrenzt – Staatsanleihen aufzukaufen. Die aktuelle Politik der quantitativen Lockerung geht in diese Richtung. Dadurch würde der Zins auf Staatsanleihen der Krisenländer auf das deutsche Niveau sinken.
Zugleich könnten staatliche Ausgabenerhöhungen die Nachfrage wieder auf das Niveau vor der Krise heben und so die Konjunkturschwäche in der Eurozone überwinden. Aufgrund der weit verbreiteten Massenarbeitslosigkeit und einer durchschnittlichen Arbeitslosigkeit von immer noch über 11 Prozent wird dies kaum inflationär wirken. Da in der Eurozone im März 2015 noch eine Inflationsrate von -0.1 Prozent (also Deflation) vorlag, wäre mehr Inflation, auch vor dem Hintergrund des immer noch deutlichen Verfehlens der Zielinflationsrate von knapp unter zwei Prozent, sogar ausdrücklich erwünscht.
Für eine Politikänderung müssten der Stabilitäts- und Wachstumspakt, die Schuldenbremsen und andere institutionelle Regeln in der Eurozone so reformiert werden, dass eine schuldenfinanzierte Erhöhung der Staatsausgaben ohne Probleme möglich ist. Dies erfordert einen europäischen Konsens, der politisch gesehen schwierig sein dürfte. Allerdings gibt es kurz- bis mittelfristig betrachtet bedauerlicherweise keine Alternative zu einer Rückkehr zu einer aktiveren Rolle der Fiskalpolitik. Der private Sektor braucht in den europäischen Krisenstaaten wohl noch Jahre, um sich zu entschulden. Regelmäßige Abwertungen des Euro werden die Handelspartner auf Dauer nicht akzeptieren. Europa muss daher selber Verantwortung übernehmen und aus den eigenen Fehlern lernen. Mario Draghi und die EZB senden bereits Signale, dass sie bereit sind, ihren Teil dazu beizutragen. Nun sind Deutschland und die anderen europäischen Regierungen am Zug.
Dieser Text wurde erstmalig bei der Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlicht. Zum Thema erschien vom Autor auch das Buch “Geld und Kredit: eine €-päische Perspektive” im Metropolis Verlag.
Und warum hebt man nicht einfach die Löhne an, zuerst mal in Deutschland? Dann bräuchte man nicht auf eine europäische Lösung zu warten und die Nachfrage stiege..
Weil nur die Unternehmen die Löhne anheben können und man sie dazu nicht zwingen kann.