Kleine Geschichte des Kapitalismus

Das spekulative Sparen als staatlich legalisierte Plünderung der Bürger (Teil 3)

Ein Gastbeitrag von Paul Simek

Die ökonomischen Ereignisse im Herbst 2008 wurden als Finanzkrise bezeichnet. Doch wie man die Krise letztendlich auch umschreibt, als Finanz- Schulden- oder Währungskrise, wäre im Grunde nebensächlich. Denn letztendlich handelt es sich um einen Etikettenschwindel. Was offiziell im Jahr 2007 mit der us-amerikanischen Immobilienblase begann, war keine Finanzkrise, sondern ein ganz üblicher zyklischer Zusammenbruch der freien Marktwirtschaft. Von solchen plötzlichen Abstürzen wurde die freie Marktwirtschaft bekanntlich seit ihrer Geburt immer wieder heimgesucht. Sie sind sozusagen ihr genetischer Defekt, und damit werden sie für immer ihre normale Erscheinung und Eigenschaft bleiben.

Dass diese Abstürze einige Jahrzehnte lang nach dem Weltkrieg ausgeblieben, oder besser gesagt, dass sie ziemlich harmlos ausgefallen sind, ist nur der keynesianischen Wirtschaftspolitik zu verdanken, die auf die Theorie von John Meynard Keynes zurückzuführen ist. Nachdem man zu Beginn der 1980er Jahre von diesem Weg abgegangen ist – diese Abkehr wurde mit dem Scheitern des kommunistischen Experiments zementiert -, so dass sich der Markt immer mehr vom Staat „befreite“ und sich über ihn bzw. die ganze Gesellschaft stellte, sind die katastrophalen Wirtschaftskrisen mit ihrer unerbittlichen Gesetzmäßigkeit zurückgekehrt.

Was also im Herbst 2008 – und auch schon zuvor mit der Asienkrise – geschah, war nichts anderes als eine Rückkehr in die kapitalistische Normalität, so wie sie bereits von Marx beschrieben wurde. Die Bezeichnung Finanzkrise verharmlost diesen Sachverhalt und muss in die Irre führen. Die Begrifflichkeit soll von der wahren Ursache ablenken, die in den Deregulierungen der letzten drei Jahrzehnte liegt.

Eigentlich wurde in der Öffentlichkeit nicht der Finanzsektor an sich für die Krise schuldig gemacht, sondern diverse neue Produkte: Wetten und Derivate. Hier sei im Sinne eines Kavaliersdeliktes etwas schief gelaufen, so die gern zitierte These. Die Bankiers und Börsianer hätten etwas Neues ausprobiert, was an sich nicht zu tadeln ist, aber die Nebenwirkungen ihrer Innovationen hätten sich schlimmer erwiesen als gedacht. Das müsse man zutiefst bedauern, weil aber Irren bekanntlich menschlich ist, hätten auch sie doch das Recht, sich – in guter Absicht natürlich – zu irren. Doch was sind nun die erwähnten Wetten und Derivate?

Hier von  Innovationen im eigentlichen Sinne zu sprechen, wäre grundlegend falsch. Sie sind im Grunde nichts Neues. Dahinter verstecken sich altbekannte Geschäfte, also einfache Operationen der Banken und Börsen. Gerade weil dem so ist, wird im Finanzsektor fieberhaft nach immer neuen Ausdrücken gesucht. Die babylonische Sprachverwirrung soll die trivialen Manöver mit schon längst bekannten Typen von Wertpapieren intransparent und geheimnisvoll machen. Bei „neuen“ Produkten des Finanzsektors geht es im Grunde immer nur um eine neue Verpackung und Mischung der alten Wertpapiere nur zu einem Zweck: Durch diese nutzlose Beschäftigung die Wertpapiere im Besitz der Bevölkerung mit neuen Prämien und Boni zu belasten, oder einfacher gesagt: um zu verdienen.

Die Besitzer der Wertpapiere sollen durch diese Börsenscholastik verwirrt werden und sich in der Mannigfaltigkeit der Details ganz verlieren. Auch Derivate bzw. Wetten sind nichts anderes als an der Börse gehandelte Versicherungen. Einem nicht Fachkundigen kann es seltsam vorkommen, eine Versicherung als Wette zu bezeichnen. Es ist aber in der Tat so, dass sich jede Versicherung als Wette interpretieren lässt. Ein Beispiel: Wenn man einen Wagen versichert, geht man von der Möglichkeit aus, dass man einen Unfall bauen könnte. Wäre man sich sicher, niemals einen Unfall zu haben, würde man eine solche Versicherung natürlich nicht abschließen. Man wettet mit dem Versicherungsdienstleister sozusagen, dass man einen Verkehrsunfall haben wird. Hat man wirklich einen, so ist die Wette gewonnen und die Versicherung muss den Schaden auszahlen. Der Anbieter wettet mit dem Vertragspartner hingegen, dass er keinen Unfall haben wird. Hatte dieser wirklich keinen, dann hat der Anbieter die Wette gewonnen und sie behält seine Einzahlungen.

Ob es trotzdem an den Haaren herbeigezogen ist, Derivate als Wetten zu bezeichnen, kann uns wirklich gleich sein. Als eine Form von Versicherung sind die Derivate auf jeden Fall etwas, was im Grunde sinnvoll und nützlich ist. An einem Beispiel, das sich der interessierte Leser anschauen kann, wenn er dem unten angeführten Link folgt, lässt sich dies leicht verstehen.

Das folgende Szenario veranschaulicht dieses Beispiel. Es zeigt einen Bauern, für den das Risiko, in neue landwirtschaftliche Maschinen zu investieren zu groß ist; deshalb hat er sich mit dem Vertrag gegen den Preisverfall des von ihm angebauten Weizens abgesichert. Von dem mikroökonomischen Standpunkt des Bauern aus betrachtet, hat dieser rational gehandelt. Wenn man aber über dieses Beispiel genauer betrachtet, kann man sehr daran zweifeln, dass diese Art von Versicherung, welche über die Börse gehandelt wird, für ihn die beste wäre.

Eher im Gegenteil: Die besseren Formen der Versicherung werden politisch verhindert und öffentlich denunziert, um den Banken und Börsen fette Gewinne zu ermöglichen. Es waren von der Finanzlobby geforderte und geförderte, politische Entscheidungen, die dazu führten, dass unter anderem das umlagefinanzierte Rentensystem oder die öffentlichen Krankenkassen demontiert, oder  bessere Versicherungen juristisch behindert oder gar unmöglich gemacht wurden.

Was könnten wir aber abschließend über unsere Banken und Börsen, also über das Finanzsystem insgesamt überhaupt schlussfolgern? Dass es radikaler Veränderungen bedarf, ist wohl keine Frage mehr.  Mehr Transparenz, Kontrolle und Regelungen wären bestimmt sinnvolle Maßnahmen. Aber viel wird sich letztendlich auch damit nicht erreichen lassen. Das wichtigste Regulativ wäre das an sich einfachste: Den Geschäftsbereich der Börse drastisch zu beschränken.

Wer wirklich reich genug ist, also es sich leisten kann an der Börse zu spekulieren, soll dies nach Lust und Laune tun dürfen. Würde man das spekulative Sparen auf diese Weise quantitativ erheblich beschränken, also die Börsengeschäfte auf ein vernünftiges Maß schrumpfen lassen, wäre schon das Wichtigste getan, was im Bereich des Möglichen liegt. Denn auch was die Börsengeschäfte betrifft, stimmt was Paracelsus, ein bedeutender Arzt und Naturforscher des späten Mittelalters über Arzneimittel gesagt hat: „Sola dosis facit venenum“ (Nur die Dosis macht das Gift).

Die periodischen Krisen der freien Marktwirtschaft wird man jedoch nicht mit diesen, und auch mit keinen anderen Nachbesserungen am Finanzsystem beseitigen können, weil ihre Ursachen andere sind. Dass die periodischen zyklischen Krisen des Kapitalismus immer an der Börse beginnen, muss noch lange nicht zur Schlussfolgerung führen, dass der Defekt der ökonomischen Ordnung, genannt freie Marktwirtschaft, auch dort liegt. Die Einbrüche an der Börse sind Symptome der neuen ökonomischen Krise, nicht ihre Ursache.

Man kann die Problematik mit einem platten Reifen vergleichen: Das Loch muss nicht unten liegen, auch wenn dort der Reifen zusammengequetscht ist. Unser Feind sind nicht Banken und Börsen an sich, auch wenn sie zweifellos die Geißel in einer inhumanen Ordnung, einer Laissez-faire-Marktwirtschaft sind. Aber es wäre schon viel getan, wenn man verhindern könnte, dass die Börsen und Banken Versicherte und Kleinanleger ausplündern.

Für mehr Details zu dem obigen Beispiel, wie aus einem harmlosen Bauern ein Produzent von Derivaten wird, also über die „innovativen Produkte“ der Banken und Börsen, dem Link folgen >>>

Zum Thema:

– Das spekulative Sparen als staatlich legalisierte Plünderung der Bürger (Teil 1)

– Das spekulative Sparen als staatlich legalisierte Plünderung der Bürger (Teil 2)

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25 Kommentare zu "Kleine Geschichte des Kapitalismus"

  1. Im Großen und Ganzen kann ich mich dem hier gesagten anschließen dies trifft jedoch nicht auf zwei Teilaussagen zu.

    1.”Was offiziell im Jahr 2007 mit der us-amerikanischen Immobilienblase begann, war keine Finanzkrise, sondern ein ganz üblicher zyklischer Zusammenbruch der freien Marktwirtschaft. ”

    …meiner Meinung nach ist es nicht korrekt den Status qou als freie Marktwirtschaft zu bezeichnen. Fakt ist wir haben in vielen zentralen Wirtschaftsbereichen Kartelle oder kartellähnliche Strukturen und die Konzerne ähneln mit ihrem Opperieren oft mehr Mafiaclans als simplen Anbietern von Dienstleistungen und Waren. Sehr passend zu diesem Thema übrigens: https://le-bohemien.net/2011/06/10/geisel-finanzmarktkapitalismus/

    2. “Dass diese Abstürze einige Jahrzehnte lang nach dem Weltkrieg ausgeblieben, oder besser gesagt, dass sie2 ziemlich harmlos ausgefallen sind, ist nur der keynesianischen Wirtschaftspolitik zu verdanken, die auf die Theorie von John Meynard Keynes zurückzuführen ist.”

    Jein….bei solchen Argumentationen wird immer vergessen, dass die keynsianische Theorie eine Rückführung der Mittel in Boomphasen beeinhaltet. Es muss allen Beteiligten von Anfang an klar gewesen sein, dass die Ausgaben für die Konjukturprogramme niemals zurückgeführt werden können. Dies hat viellerlei Ursachen (Korrumpierung des politischen Systems, Klüngel, Abbau staatlicher Strukturen, aber eben auch mal wieder die Zinslogik).

    Man kann hier also eher von einem Bastard-Keynesianismus sprechen: Massive staatliche Ausgaben wurden getätigt, damit die Wirtschaft nicht zusammenbricht und danach tut man so als wäre es nicht eigentlich Teil des Programms, dass die Staatshaushalte sich anschließend das Geld zurückholen müssten (was sie eben auch nicht können).

    Wie man es auch dreht und wendet, der Keks ist gegessen…Man sollte nun wirklich seine Energie in den Aufbau neuer, besserer Strukturen stecken, denke ich.

    • Systemfrager sagt:

      @ Florian Hauschild
      >>> Jein….bei solchen Argumentationen wird immer vergessen, dass die keynsianische Theorie eine Rückführung der Mittel in Boomphasen beeinhaltet.

      Ich weiß nicht (das meine ich ernst), ob der ganze Klimbim mit den “Akzeleratoren”, die dann die Rückzahlung der Staatsausgaben angeblich ermöglichen, Keynes Auffassung waren, oder nur seiner Interpreter. Kannst du mehr dazu sagen?

      PS
      Auch deshalb bin ich ein überzeugter “unehrlicher” Keynesianer, weil ich das Nachfrageproblem nicht mit Geld erklären will. Und da sind wir wieder bei den -Ismen. Ich mag sie auch nicht – wirklich -, aber sie sind doch hilfreich. ;-)

      • Also kurz gesagt: Man muss eigentlich auch nicht immer so kompliziert denken. Letzendlich ist doch jedem klar, dass das gescheiterte neoliberale Gesellschaftssystem nicht dem Gemeinwohl dient und dies auch niemals wirklich systemimanent beabsichtigt war. Alle entscheidenden Systemarchitekturen führen dazu, dass sich Besitz und Werte im zeitlichen Verlauf und im globalen Maßstab wie beim Monopoly in den Händen von immer weniger Individuen konzentrieren. Alles ist lediglich ein großes Schneeballsystem und da es die Natur eines Schneeballsystems ist, dass es nur funktioniert wenn genug Deppen mitmachen, muss dieser simple Sachverhalt so umfangreich wie möglich verschleiert werden. Debatten werden also immer komplexer, immer weniger Menschen verstehen sie und wenden sich frustriert ab.

        Alle diese ausufernden Diskussionen dienen letztendlich also auch der Aufrechterhaltung des Schneeballsystems weil sie den Menschen abhalten sich seiner eigenen Unterdrückung durch das Scheeballsystem bewusst zu werden.

        Menschen fühlen sich motiviert den Fehler im System zu finden – was ja ehrenvoll ist – übersehen dabei aber einfach, dass der Fehler das System selbst ist.

        Mittels Propaganda hat man den Menschen zudem über Jahrzehnte eingeimpft es gäbe zum gescheiterten neoliberalen Gesellschaftssystem keine Alternative. Damit soll die Suche nach Alternativen im Keim erstickt werden.

        Meiner Meinung nach besteht die Alternative aber in der deliberativen Demokratie nach Habermas, die wir hier und anderorts letztendlich längst praktizieren.

        • Systemfrager sagt:

          @ Florian Hauschild
          Hättes du nur Habermas weggelassen, … aber sonst würde ich sagen: Zustimmung! Ein Missverständnis schließe ich aber nicht aus. Was ist eine Alternative? Würdest du sagen:
          – Alles anders machen?
          – Einiges anders machen?
          – Nicht viel anders, aber viel besser machen?
          Dann würde ich dir nicht zustimmen.

        • Also zunächst mal sollte mit diesem Irrsinn Schluss gemacht werden, dass irgendwelche Knalltüten die sich Doktorarbeiten fälschen und sich von Lobbygruppen korrumpieren lassen über gesellschaftsrelevante Sachverhalte entscheiden dürfen. Je nach Sachverhalt sollten sich Menschen zusammen finden, die Ahnung und Kenntnisse zu den jeweiligen Themen haben und im Diskurs dann eine Problemlösung für den entsprechenden Fall erarbeiten (deshalb Habermas). Da es viele Probleme gibt, gibt es auch viele Diskussionen, alles findet also dezentral statt. Wenn man sich nun als Mensch selbst gut vernetzt und viel kommuniziert kann man an diesen Diskussionen teilnehmen und ist überdies gut informiert. Wenn man lieber Bauklötze spielt oder Actionfilme guckt, kann man das auch weiterhin tun..gibt ja schließlich genug gebildete und engagierte Leute.

          Das Problem ist nicht dass die Gesellschaft zu unfähig für Besseres wäre, das Problem ist dass unfähige Individuen auf Positionen gesetzt wurden und diese dort gemeinwohlrelevante Entscheidungen blockieren. Mittels Propaganda wird versucht möglichst vielen Menschen einzuimpfen dies wäre eine Demokratie – ist es aber nicht.

  2. Systemfrager sagt:

    Eins Vorweg:
    >>> Wenn das Urtheil eines Menschen so geartet ist, daß es wahrhaft vertrauenswerth erscheint, wie ist es so geworden? Dadurch, daß er seinen Geist der Beurteilung seiner Meinungen und seines Verhaltens offen erhielt, daß er es sich zum Grundsatz gemacht hat, auf Alles zu hören, was sich gegen ihn sagen ließ, was daran richtig war, zu nutzen, und die irrthümliche Beschaffenheit dessen, was ihrig war, sich und gelegentlich anderen auseinander zu setzen; dadurch, daß er gefühlt hat, ein menschliches Wesen könne die Kenntniß eines Gegenstandes nur dann irgend annähernd zu erschöpfen hoffen, wenn er auf Alles achte, was jede Abstufung der Meinung darüber äußern, und wenn er alle Gesichtspunkte erkunde, von denen sie jede Geistesart betrachten kann. Kein Weiser hat seine Weisheit jemals auf einem anderen Wege gewonnen, und es liegt nicht in der Natur des menschlichen Geistes sie anders zu gewinnen. J. S. Mill: On Liberty (1869) (Also vergessen wir die Luftblasen von dem akademischen Clown Habermas.)

    Ja. Einverstanden. “Das” ist nicht die (“echte”) Marktwirtschaft.
    Ja. Einverstanden. “Das” ist nicht die (“echte”) Demokratie.

    Und weiter?

    • Na dass die deliberative Demokratie nach Habermas funktioniert muss ja nicht im Umkehrschluss heissen, dass alles was Habermas jemals zu irgendetwas gesagt hat in Stein gemeißelt werden sollte. Auch Habermas ist letztendlich Subjekt im Diskurs und hat diesem Diskurs sehr viel Input verliehen, finde ich…Man muss ihn dann nicht als Clown bezeichnen wenn man einigen seiner Aussagen nicht zustimmt.

      Ich werde sowieso nie diese eigenartige Mode unter “Wissenschaftlern” verstehen bestimmte Konzepte immer in einen Topf zu schmeißen mit allem was die Konzeptentwickler noch so gesagt haben…Ebenso fragwürdig ist es immer so zu tun als vertrete jemand mit Person xy die selbe Lösungsstrategie nur weil er mit Person xy das selbe Problem sieht…So nach dem Motto jemand kritisiert das Zinssystem also sei er Gesellianer und ihm könne dann alles unterstellt werden was Gesell jemals gesagt hatte bzw. sogar was in dessen Worte von anderen hineininterpretiert wurde…

      sowas ist eigentlich nur grotesk. Kein Wunder, dass “normale” Menschen so genannte “gebildete” Leute oft für völlig panne halten.

      • Systemfrager sagt:

        naja …
        Einer sagt: Die Web-Kommentare sind eine tiefe und seriöse Diskussion.
        Ich sage: Ein bisschen schon. Aber als “Stammtisch” mag ich sie auch sehr.
        Und dann habe ich keine Hemmungen zu “vereinfachen”.

        Was kann ich dagegen tun? Das Problem ist, dass ich gar nichts dagegen tun will. ;-)

        Ich weiß aber auch, dass die Vorschläge an einer “richtigen Alternative” mitzuarbeiten sehr selten kommen. Auch dagegen kann man nichts tun. :(

  3. Steph Schie sagt:

    Als Wirtschafts-Laie war mir der zyklische Zusammenbruch der Marktwirtschaft nicht bekannt/bewusst.
    Das ist wohl der Hauptpunkt den ich aus dieser Reihe von Beiträgen mitnehmen werde.

    Hier noch die letzte Mind-Map:
    http://www.xmind.net/share/steph.schie/small-history-of-capitalism-(3)-1/

  4. Rudi K. Sander sagt:

    Eigentlich bin ich müde vom neugierigen flanieren im www. (Hoffentlich ist der Walter Benjamin an seinem Fensterplatz im Ideenhimmel jetzt nicht gekränkt). Nun bin ich hier gelandet, habe den schönen langen Artikel – jetzt zum zweiten Male – gelesen und habe das Gefühl, zu Hause zu sein bei Freunden. Ich darf mich also, bitte, locker zurücklehnen und ohne Angst drauflos denken:

    Lasst mich mal von einem ganz anderen Sprungbrett ins vermutete Schwimmbecken springen; (hoffentlich ist auch Wasser drin). Ich vereinfache mal ganz gewaltig, vor allem terminologisch, ich will also nicht “klug” reden, sondern “leidenschaftlich”, also mit sozialer Emphase, (vielleicht artet diese dann sogar ins vermutete “sozialistische” aus). Die uns alle bekannten Macher (und “Macker”), dazu alle diejenigen, die wir gar nicht kennen, weil sie wie die echten Trüffelschweine im Halbdunklen “operieren”, die alle versuchen uns “dummen”, (so vermuten sie), Normalbürgern ihr “moralische” Weltbild einzuimpfen und über zu stülpen, und deshalb reden sie so oft und so “nachhaltig” von “Werten” und vor allem von “Moral”. Sie können sich nämlich – und das wissen sie, denn dumm sind sie nicht, nur gemein – darauf verlassen, dass wir alle das uns ansozialisierte “schlechte Gewissen” verinnerlicht haben, (á la: die da oben haben meist recht, die müssen oder sollten es doch besser wissen, wir sind ja nur die kleinen Leute, uns fehlt ja die Übersicht, und noch viel dergleichen). Und wenn sie dann noch im weiblichen Brustton ihrer behaupteten Überzeugung sagen, wie weiland die “Hexe” Margot: “there is no alternative”, dann knicken wir vielleicht nicht persönlich ein, doch unsere Halbfreunde von der anderen Wählerfarbe fallen dann unisono über uns her und sagen: na ihr hört es doch, es geht eben nicht anders. Lasst uns deshalb immer und immer wieder sagen und es auch unendlich wiederholen: Es geht alles auch gaaaanz anders!

    Ihr alle kennt die sechs Stufen der Kohlberg’schen Entwicklung der Ethik: ich werde und will sie hier nicht benennen und artikulieren, ich setze sie einfach mal voraus:

    Diese Sechsstufenleiter haben wir alle zu durchlaufen, vom ersten Babyschrei bis hin zu unserer jeweiligen persönlichen und auch ganz speziellen Promotion (mit oder ohne Dissertation, mit oder ohne Doktorvater): Wie lernen die Sprache, dann Grammatik, Syntax, Pragmatik, Semantik und Rhetorik, und damit gelangen wir – wie spielend – bis zur Stufe vier. Auf dieser Stufe sind wir im besten Falle hochmoralisch und bauen wenig Scheisse. Jedenfalls merken die anderen im Normalfalle nicht, wie unbedarft (wenn nicht gar dämlich) wir doch im Allgemeinen noch sind. Wir können jetzt “gut” von “böse” unterscheiden, (wir wissen nur noch nicht, wie blöd und unangemessen mit den Standards von Stufe fünf oder gar sechs eine solche voreingenommene Unterscheidung ist, und zwar nicht nur vom höheren ethischen Standpunkt aus gesehen, (höher, als die flache Normal-Moral), sondern auch vom Standpunkt der besseren und reflektierteren sich entfaltet haben Ethik der Stufen fünf und sechs nach Kohlberg.

    Nun zeigen alle ernsthaften Forschungen auf dem Gebiete der individuellen Ethikentwicklung: die meisten Menschen (sagen wir rotzig: 80%; wir lassen mit uns handeln) kommen nur bis Stufe vier. Da hat einer, (das macht es noch einfacher: mit Kohlberg, aber weg von ihm) ein Drei-Stufen-System erklügelt: prämoralisch/moralisch/postmoralisch. Prämoralisch ist – klar – ohne Moral (also kindisch bis kindlich); Moralisch ist so, wie man es uns eingeimpft hat: siehe “gut” und “böse” nach ortsbezogener überlieferter sozialisierter Grossgruppenmoral. (Das enstpricht Stufe vier bei Kohlberg). Postmoralisch aber ist es, wenn man – durch Reflexion – die ansozialisierte Moralisierung des tradierten Gruppenverhaltens wenigstens in einem ersten Schritt überwunden hat. Denn Ehtik ist nicht – wie viele glauben – “irgendwie” dasselbe wie Moral: Ethik ist die Reflexionstheorie (und das daraus abgeleitete Verhalten des Einzelnen und der Gruppe) der Moral, genau so, wie zum Beispiel die Theologie die Reflexionstheorie der Religion ist. Wer (als Einzelner oder als Gruppe (bis hin zur staatlichen, nationalen oder religiösen), wer hier die Dummheit der Unterscheidung gut/böse begriffen hat, (weil er sich nun fragen kann und auch zu fragen wagt: ob denn diese Unterscheidung von gut/böse selber gut ist oder vielleicht doch sogar selbst “böse”!), der hat die postmoralische Stufe drei erreicht und steht nun auf der Kohlberg’schen Stufe fünf! (Stufe sechs nach Kohlberg erreichen ohnehin nur reflektierende Philosophen oder Soziologen).

    Und weil das so ist, und weil es auch schwierig zu ändern und zu erreichen ist (Misere unseres Schulsystems und der Universitätsmisere), operieren alle Politiker und alle (von den Pfaffen unterstützten “Amtsträger”) putzmunter immer nur auf Kohlbergs Stufe vier, also im anderen erwähnten sozialen Beobachtungssystem, operieren sie als Moralisierer, anstatt auf der dritten Stufe der Postmoralität (die nichts mit Unmoralität zu tun hat) zu operieren und zu reden und zu “werten”. Die englischen Utilitaristen der Schottischen Schule haben dies alles schon gewusst. Kohlberg hat dies nur in unsere heutige Sprache transponiert, (und Schmidt-Salomon hat dies mit seinem Dreier-System noch einmal “volkstümlicher”, also wirklich plausibler, formuliert).

    Also auf: fordern wir demokratische Volksentscheide (mindestens “lokal”) oder – als den ersten Schritt – wenigstens das Volksbefragen zu aktuellen Problemen. Lassen wir uns nicht mehr von den Moralisierern und unterkomplexen “Werte”Demagogen über den politischen Alltagstisch ziehen. Hauen wir ihnen doch wenigstens rhetorisch auf ihr moralisch verlogenes Populistenmaul!

    • Marc sagt:

      Grüsse,
      ich würde mich gern mehr für Kohlberg und die ‘Utilitaristen der Schottischen Schule’ interessieren. Gibts da Namen und öffentlich (gratis) zugängliche Texte?

      • @supersozius sagt:

        Ach herrje, hoffentlich komme ich jetzt nicht ins Schleudern: Also, ich habe vor Jahren an einem Rundfunkseminar teilgenommen, einem sogenannten “FunkKolleg”. Es hatte den Titel “Ethik”, und wurde aufgezogen von Karl-Otto Apel, (dem damaligen Mitstreiter von Jürgen Habermas), dem Philosophen, der es nicht aufgeben wollte, nach einer letzten Grundlegung aller menschlichen Rationalität zu suchen. Man bekam zu einer jeden Rundfunksendung ein Heft, (man musste auch gestellte Aufgaben abarbeiten). Diese Hefte hatte ich mal gebunden, aber als meine Frau – in einer meiner Depressionsphasen, als ich wehrlos war – den Gesamtverkauf meiner Bibliothek durchsetzte: “in unserer neuen Wohnung ist für deine vielen Bücher kein Platz mehr”, ging alles verloren. Heute habe ich eine eigene Wohnung und wieder einmal gut tausend Bücher, aber eben andere. Das alte ist nur noch – bruchstückhaft – in meinem alten Kopf.

        In dem Ethik-Funkkolleg nahm Piaget mit seinen FÜNF Schritten der Rationalitätsentfaltung beim Menschen einen zentralen Platz ein. Wenn es hierbei um Ethik geht, setzte dieser Kohlberg eben noch seinen SECHSTEN Schritt oben drauf. Ich habe auch irgendwann nach dem Funkkolleg etwas von Kohlberg selbst gelesen. Aber in meiner jetzigen Bibliothek und in meinem nach der Bibliotheks- und Depressionskatastrophe neu angelegten Zettelkasten finden sich nun leider nichts, was mir konkret weiterhelfen könnte, Ihre Fragen mit Belegen zu beantworten. Ich habe meinen Beitrag vollkommen aus dem Gedächtnis geschrieben. Nach Piaget, nach Kohlberg und den infrage kommen “Schotten” müsste ich selber erst bei Google oder WIKIPEDIA nachklicken. Aber das werden Sie nun selber tun müssen. Sorry!

  5. Rudi K. Sander sagt:

    Hier eine Menge hochinteressanter Stoff, (für Geduldige). RUDI

  6. @supersozius sagt:

    Hier kann ein jeder und eine jede sehen, dass man/frau Vieles NICHT mit 140 Zeichen sagen kann.

  7. dieterbohrer sagt:

    Also, ich geb’s zu: das VERLINKEN zu anderen (auch eigenen) Seiten ist doch wohl (noch) meine Sache nicht. Macht aber nichts, denn ich will mich ja gar nicht verbergen: es ist ja der eingeschliffene Usus des grossen www-Netzes, sich nomes de guerre zuzulegen. Ich habe das NICHT erfunden. Aber es kann ja auch Spass machen; (wie sagt es die Bibel – oder das Neue Testament? – “rede zu jeden in seiner Sprache”, und das soll ja nicht lügen oder verstellen heissen, sondern eher: mache dich so verständlich wie nötig.

  8. Pistepirkko sagt:

    Bitte versteht mich nicht falsch, aber ich habe hier nun einige Kommentare zu verschiedenen Themen gelesen und muss leider feststellen das auch ihr ein Teil des Problems seit.
    Es wird debattiert und zwar in einem Maße das die Leute die es betreffen würde nicht mehr verstehen. Habermas haben 90% der Leute nicht gelesen und von denen würden es wahrscheinlich 60% nicht verstehen, sollten sie es jemals lesen.
    Was die Gesellschaft braucht ist ein praktischer Aufbruch. Die meisten Leute sind nicht intellektuell und würden die Regelung mit der Dachlatte vorziehen, weil sie euch genauso wenig verstehen würden wie die Demagogie der sog. Demokratie. Das selbe Problem hatte die 68er Bewegung. Die Leute haben nicht verstanden und was man nicht versteht erzeugt Angst, wie ihr ja alle schon geschrieben habt.
    Wenn ich sehen wie meine Heimatstadt verkommt, sehe nur Leute die keine Lebensperspektive mehr haben. Das erzeugt Gewalt und daher gab ein nun schon vier Morde innerhalb von 5 Monaten. Immer waren es Sozialtaten und meistens spontan.
    Jugendliche aus der Unterschicht die die wenigen Mittelschicht Kids nun mittlerweile hassen. Jeden Samstag gibt es Schläger- und Messerstechereien in Gegenden in denen ich mal sehr gerne unterwegs wahr als Jungendlicher.
    Auch ich gehe Abends nicht mehr mir schicken Klamotten aus.
    Aber im Gegenzug dazu haben wir wirtschaftliche Perspektiven geschaffen, die aber dem Menschen nicht mehr nützen.
    Und ganz ehrlich! Mittlerweile bin ich auch für die Dachlatte als Lösung.
    42 Jahre, Mobilfunker der ersten Stunde. Unsere Firma macht Gewinne ohne Ende und dennoch von Arbeitslosigkeit bedroht. Meine kommunistischen Ansichten, die ich seit den 1980gern habe, radikalisieren sich.
    Was die Leute verstehen würden wäre wenn sich das System so verändern würde das sie wieder als Menschen wahr genommen werden.
    Nur mit Habermas kann man den Leuten die das alles am meisten betrifft nicht kommen. Die brauchen etwas, was sie verstehen und dann würde sich auch was ändern. Ansonsten bleiben die in ihrem Schneckenhaus und gehen nicht auf die Straße, zur Wahl ect.

    Grüße aus dem verkommenen, verdreckten und gewalttätigem Wiesbaden, einer Assihochburg

  9. @supersozius sagt:

    Mein Gott, der Schlußsatz hat mich erschüttert: 35 Jahre lang habe ich in dieser Stadt gewohnt. Mit ernstem Schmunzeln hatten wir sie zur atomwaffenfreien Zone deklariert. “Unsere” Heide W. verteilte vor Wahlkämpfen rote Nelken und wurde von ihren Wählern spontan geküsst. Frank B. war ein gern gesehener und ewig lächelnder Gast und Redner auf Wahlveranstaltungen und er vertrat für mehrere Wahlperioden die roten Wähler dieser Stadt im Landesparlament. Jörg J. war der Erfinder der alles initiierenden Jusoaktion, die einen Hochstrassenbau durch das Dichterviertel verhinderte und den Abriss der Altstadt blockierte. Es ging mal rot zu in dieser Stadt und sie hat sich jung, frisch und wohl gefühlt dabei. Der soziale Geist, ein Handwerksmeistergeist, des Druckers und späteren Präsidenten des Hessischen Landtags lag über dieser Stadt. Und jetzt, unter einem vollkommen anderen Regime dieser letzte Satz. Mir fehlen – im Sachbereich – die Worte. Aber die soziale Analyse stimmt wohl. Es ist eigentlich nicht das erste Mal, so etwas zu hören. Aber so etwas zu lesen tut dann doch mehr weh. Wir “Linken” also, wir sprechen die falsche Sprache. Ich bin ein “Luhmannianer”, gleich zugegeben, aber ich habe gegen die hochabstrakte soziologische Terminologie in der sogenannten “Luhmannliste” auch immer angestunken, so gut und so schlecht mir das auch gelingen mochte, (und dort auch mies angekreidet wurde). Eine neue massen- und medientaugliche Sprache zu (er)finden ist aber nicht einfach. Wir sollten uns die berechtigten Vorwürfe aber zu Herzen nehmen. Der solidarische und der semantische “Kampf” gegen Rechts war eben noch nie einfach. Und oft steht die in sich zerrissene Linke sich einfach selber im Wege.

    • Natürlich besprechen wir hier soziologisch-theoretische, philosophische, politikwissenschaftliche etc. Themen im entsprechenden Duktus…anders würden es ja andere Sozial”wissenschaftler” auch nicht verstehen…die sind halt zu “schlau” um das was einem normalen Menschen eigentlich klar sein sollte (nämlich das hier: http://www.youtube.com/watch?v=QoHemEr5tdc ) einfach mal so als Wahrheit anzuerkennen.

      Nur weil wir also hier teils etwas fachsimpeln heisst das aber nicht das andernorts andere Leute die selben oder ähnliche Dinge allgemeinverständlicher besprechen. Was wir hier letztendlich machen ist verhindern, dass zu diesen Leuten am Ende so supertolle Akademikerklugscheisser kommen können und denen sagen:

  10. Thomas sagt:

    Das mit dem Fachsimpeln muss auch sein dürfen. Und manche sehr spezifische Sachen interessieren viele (“zu recht”) nicht, aber deswegen müssen sich jene, die es doch interessiert, nicht auf die alltäglichste Sprache herunterbrechen, nur um möglicher Weise von möglichst vielen verstanden werden zu können.

    Wenn ich Journalist bin, der im Teil “Allgemein” plötzlich zb psychoanalytische oder noch besser: schizoanalytische Begriffe benutzt, bin ich gemessen an dem, was mein Ziel hätte sein sollen – über das Allgemeine zu informieren – wahrscheinlich gescheitert.Wenn ich aber in einer Zeitschrift für Sozialarbeit über die Schizoanalyse diskutiere, dann setze ich gewisses Wissen voraus, sonst komme ich nicht vom Fleck. Und manches Geschriebene ist nur für jene geschrieben, die es interessiert und nicht für “alle” zu denen auch immer die Desinteressierten zählen. Da muss man selber entscheiden, ob man nun einen allgemeinen oder einen spezifischen Weg des Sprechens einschlagen will. Je nachdem zeitigt man dann andere Ergebnisse.

    Auch hier in den Kommentaren konnte man schon sehr gut sehen, dass dieser Artikel nicht direkt vorschreibend allgemeinverständlich sein sollte, was aber Verwirrung erzeugt (“Ich wusste nichts vom zyklischen Zusammenbruch”),aber trotzdem lehrreich sein kann. Man kann auch dadurch jemanden weiterbringen, dass man ihm die komplizierten Begriffe angewandt vorführt. Letztlich gilt aber das, was der liebe Gilles Deleuze in seinem schönen Büchlein über Nietzsche geschrieben hat, dass man nämlich in einem Schriftwerk nicht alles verstehen muss, sondern dass das wunderbar und wichtig ist, was man daraus versteht. Und wenn es aus einem 3000-Seiten-Schinken nur ein Satz ist oder in enem Artikel vielleicht nur eine Abfolge von 4 Worten á la: Kapitalismus bricht zyklisch zusammen. Dann hat man mehr erreicht, als man an sich eigentlich fordern darf, hat man erreicht, was man hoffen darf.

  11. Pistepirkko sagt:

    Das Problem an der Sache ist nur, dass die die Sprache der Fachsimpelei sich im praktischen Leben breit macht. In Organisationen, Betrieben, Parteien usw. und das verstehen die Leute nicht mehr.
    Die Schere geht nicht nur von arm zu reich weit auseinander, sondern auch, und genauso krass, zwischen gebildet und ungebildet.
    Wer noch in der 1980igern in der Schule war hat selbst in der Hauptschule was gelernt. Heute sollte man Glück haben eine Realschule zu finden in der man etwas lernt. Ich meine nun nicht Formeln auswendig pauken, sondern auch mal einen Text verstehen; z.B. Habermas.

    Kleine Anekdote aus meiner Zeit als Tontechniker für Musik.
    Es wahr eine Zeit in der ein Herr Ron Sommer zur dritten Reihe der Musikindustrie gehörte und die erste Reihe wahr sich einig Hip Hop und RAP nicht zu produzieren weil die “Message” für die Gesellschaft zu hart ist. Keine Solidarität, sondern Gewalt ist geil, Drogen sind geil (OK die Rocker der 70iger waren auch Drogies :-)), zocke ab, rippe ab usw.
    So und nun frage ich mich was ist passiert? Wahr schon die zweite Reihe nur Profitgeil?

    Und das mit dem Wiesbaden: Ja… die Stadt ist runtergekommen. Erst gestern hat mir eine Freundin dies bestätigt. Es gibt mittlerweile NO-GO-AREAS, in denen es mal Leben gab.
    Gehört hier nicht hin! Ist mir bewusst! Musste aber mal raus!

    • Thomas sagt:

      Vielleicht ist das mit der Ausbreitung der Fachsimeplei (etwas abschätziger Ausdruck) weniger Teil der Probleme als vielmehr eine andere Art, an sie heran zu gehen. Wenn in verschiedenen Betrieben betrieblich gefachsimpelt wird, dann heißt das für mich auch, dass man aufhört die Sachen nach Allgemeinplätzen zu verstehen und zu fragen, wie allgemeingültig das ist, was man bisher als allgemeingültig dachte. Die Situation einer Pflegekraft ist notwendig erstmal anders als die eines Metallers oder Lehrers und muss, damit sie in ihren spezifischen Problemen überhaupt erfasst werden kann, auch sprachlich anders formuliert werden als die Probleme des Metallers usw.. Es muss erstmal herausgefunden werden, wie das, was uns allen Probleme bereitet, in den je einzelnen Betrieben und Institutionen eingeschlagen ist und was für Wirkungen es hatte. Erst danach macht es Sinn, die Probleme auf eine generellere,abstraktere Ebene zu heben. Wenn alle nur über die Allgemeinplätze reden, die auch bei allen anderen allgemein sind, dann ändert sich an den spezifischen Dingen wahrscheinlich nur recht wenig, falls man sie überhaupt erfasst. Vor allem aber muss man an den Enden der Fäden beginnen, um sehen zu können, wohin sie überall reichen.
      Ich meine jedenfalls, dass es zunächst sinniger ist, auf der mikrosoziologischen Ebene die Probleme zu erfassen (lokal begrenzt) und erst von da aus aufzusteigen in die Generalität der Probleme (makrosoziologisch). Die gemeinsam verständliche Sprache muss, denke ich, erst auf der makrosoziologischen Ebene beginnen (da aber definitiv) und wenn sie eine neue sein soll, dann muss dazu vorher verschieden erfunden werden (spezifisch, fachsimplig), wie es anders artikulierbar ist.

      Insofern finde ich zunehmende Fachsimpelei in Betrieben eine positive Wendung, weil die Leute aufgehört haben, sich ihre Probleme als Allgemeingültigkeiten, die, weil sie alle betreffen schon nicht so schlimm sind, vorgaukeln zu lassen und daher begonnen haben, die spezifischen Scheissen ihrer beruflichen Existenz zu diskutieren und wie das (je spezifisch, aber mit zu findenden Gemeinsamkeiten) ihr Leben und ihre ganze Existenz erfasst. Ein Angriffspunkt, an dem nur 5 Leute ansetzen können ist ungleich schwerer anzugreifen als ein Angriffspunkt, an dem 100.000 Leute ansetzen können. Dazu müssen sie sich aber erstmal verständigen, wo die Gemeinsamkeiten liegen und eben dazu muss man erstmal artikulieren, wo sie überall liegen könnten und eben das geht zunächst nur spezifisch, denn das Generelle ist ja erst rauszufinden und nicht etwa schon bekannt (weil wie gesagt: die Krankenschwestern schon unter sich unterschiedliche Wege nehmen, aber vor allem andere haben als die Lehrer,die Metaller).

      Zu Wiesbaden kann ich sagen, dass es eine merkwürdig geteilte Welt da ist. Vor ca. 1 Monat wurde dort jemand am Bahnhof erstochen, was auf Gewalt etc. deutet, vielleicht auch auf Armut,Verzweiflung. Gleichzeitig kenne ich kaum eine so versnobte Stadt wie diese (außer vielleicht München), die sich selbst eher Reichtum, Wohlstand, Glückseligkeit vorgaukelt, gleichwohl wie gesagt an einem sehr öffentlichen Platz Leute abgestoche werden.

      • @supersozius sagt:

        Die von Dir erwähnte Versnobtheit der Wiesbadener (ich habe dort 35 Jahre lang gelebt: auch dies Urteil ist ambivalent) hat eben ihre unausrottbaren historischen Wurzeln: 1900 = Stadt der meisten Millionäre Deutschlands; der Kaiser kommt zu den Maifestspielen; der russische Adel fühlt sich in WI zu Hause. Alles verblüht und verweht. Aber die unlokalisierbare wiesbadener Seele versucht immer noch davon zu zehren und damit zu leben. Das funktioniert aber – leider – nicht. In (jetzt) “meinem” Bad Schwalbach ist es ja genau dasselbe: Am Anfang des siebzehnten Jahrhunderts (vor Baden-Baden, Karlsbad, Marienbad), da promenierte hier – bis zur Kaiserin Sissi – Europas Adel und Bad Schwalbach war – cum grano salis – “der Mittelpunkt der “Welt” des bei Stahlbrunnen und Weinbrunnen und Schwalbenbrunnen “kurenden” Europas. Auch alles verweht, verstaubt und eingeschlafen. So vergeht die Herrlichkeit aller kleinen Welten. Aber die Bewohner solcher Welten wollen es niemals richtig wahrhaben. Im Karneval spotten sie dann hellsichtig über sich selber und über ihr unterwürfiges Verhalten. Der demütigende Umgang mit dem Adel wirkt nach sehr lange nach.

  12. Julia K aus KL zugezogen in WI sagt:

    @Thomas: Das ist aber ein sehr mainzerliche Ansicht von Wiesbaden und mit WI nix zu tun. Die Leute die Du meinst kommen aus RÜD und MTK.
    Gruß, ein Wiesbadener.

    • @supersozius sagt:

      Ich verstehe Deinen Impetus und kann ihn sogar nachvollziehen, aber: die alte und bewährte Karnevals-Animosität zwischen den beiden eng verbandelten Nachbarstädten als Argument ins Feld zu führen ist dogmatisches Flachdenken. Ich liebe ja “mein” Wiesbaden auch, (wenn auch bei meinen meist wöchentlich einmal-Besuchen oft mit Tränen in den spottgewohnten Kritikeraugen; Wiesbaden darf sich ruhig und ohne jede Kränkung von Mainz eine dicke Scheibe abschneiden. Es muss wohl einfach in Wiesbaden bedeutend mehr rot/grün gewählt werden. Nichts für ungut: alles Gute.

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