Griechenlandkrise
Das Ende der Demokratie

Demokratie und Kapitalismus beenden ihre Affäre. Die Imperative des Marktes lassen die postdemokratischen Verhältnisse offen zu Tage treten.

Demokratie-Tsipras

Foto: DIE LINKE. In Europa / flickr / CC BY-NC 2.0

Von Jonas Wollenhaupt

Sollte der “Kompromiss” zwischen Griechenland und den europäischen Gläubigern tatsächlich vom griechischen Parlament so angenommen werden wie er nach letzten Meldungen aussieht, dann ist Griechenland endgültig eine defekte Demokratie. Eine defekte Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass zwar noch Wahlen stattfinden, aber keine qualitative Differenz in der politischen Entscheidung mehr möglich ist. Anders gesagt: Es ist schlichtweg egal, wer gewählt wird.

Mit dem neuen “Kompromiss” kehrt die Troika zurück, sie hat Zugang zu allen Ministerien, darf alles einsehen und muss alle parlamentarischen Entscheidungen genehmigen. Außerdem sollen Lösungen gefunden werden, um die Entscheidungen des griechischen Verfassungsgerichts zu umgehen. So soll die griechische Regierung unter anderem Beamte entlassen können, auch wenn es gesetzeswidrig ist. Noch ist nicht genau bekannt, ob diese Forderungen im endgültigen Papier noch bestand haben werden.

Wenn dem aber tatsächlich so sein sollte, dann wären die Legislative und Judikative stark beschädigt. Die legislative Macht wäre in den Händen von IFW, EZB und der europäischen Kommission und die Judikative als kontrollierende Instanz wäre faktisch entmachtet. Die griechische Regierung darf dann nur noch die Exekutive verwalten und die Politik der Troika per Gewalt durchsetzen.

Dass die Entscheidungen zur Entdemokratisierung von anderen Demokratien entschieden worden ist, macht es nicht besser. Zum einen waren die anderen Demokratien untereinander sehr uneins und zum anderen haben sie sich tief in die Souveränität eines anderen Staates eingemischt. Ähnlich wie die amerikanische Demokratie, die in den siebziger Jahren die Chilenische Demokratie zerstört hat, beginnt die marktkonforme EU-Demokratie die Erosion der europäischen Werte von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.

Das Ende der Demokratie in Griechenland fällt zusammen mit dem Zusammenbruch der Ökonomie, die durch die Insolvenzverschleppung in den letzten 5 Jahre nur noch brüchiger geworden ist.

Interessant ist, dass die postdemokratischen Verhältnisse, die es nicht nur in Griechenland gibt, in der Regel sehr verschleiert sind. In Griechenland treten sie nun aber offen zum Vorschein. So hat Syriza mit seinem Programm der Resozialdemokratisierung einen qualitativen Unterschied zum Neoliberalismus angeboten, wodurch sofort die Grenzen der Demokratie gezeigt wurden – sie darf eben nur so weit gehen, dass das Martkgeschehen nicht gestört wird. Der Putsch des Kapitals zeigt die Unvereinbarkeit von Demokratie und Kapitalismus. In unseren Zeiten, in denen das Kapital aus inneren Bewegungsgesetzen heraus gar nicht anders kann, als maximalen Profit aus den Menschen zu pressen, ist selbst ein sozialdemokratischer Kapitalismus – der Good Cop – nur noch Utopie.

Es scheint, als ob die europäischen Partner so große Angst vor dem Erfolg linker Regierungen und möglicher Nachfolger haben, dass sie im Kampf gegen Syriza sogar bereit sind, die Demokratie zu opfern. Ein Hoffnungsschimmer ist nur, dass die linke Bewegung wieder so stark geworden ist, dass sie das Kapital aus seiner Höhle locken konnte und jeder Sehende begreifen kann, wie scheußlich das Monster doch ist. Und wenn das Bewusstsein steigt, dass man selber das nächste Opfer der Bestie wird, dann ist die Hoffnung gegeben, dass am Vorabend vom Ende der Demokratie in Europa das Gespenst des libertären Kommunismus den Bolschewismus der Banken, Putschisten und Schäublisten bricht.

Trotz der schicksalshaften Elendsverwaltung hat die Linke wieder eine historische Chance, eine neue gesellschaftliche Stufe zu erklimmen. Aber sie hat es selber noch nicht begriffen. Die Linke ist wieder im Handgemenge der Geschichte und so schnell wird sie daraus nicht verschwinden. Das Ende der Demokratie gibt paradoxerweise Zeit und Raum für neue Strategien, endlich ein Europa zu schaffen, in dem der Geist von Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit den Dämon des Kapitals besiegt. Die Offensichtlichkeit des Endes der Demokratie in Griechenland bietet die Chancen auf eine umfassende Demokratisierung der europäischen Ökonomie und Politik in Europa.

Artikelbild: DIE LINKE. In Europa / flickr / CC BY-NC 2.0

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11 Kommentare zu "Griechenlandkrise
Das Ende der Demokratie"

  1. leser sagt:

    “Anders gesagt: Es ist schlichtweg egal, wer gewählt wird.”

    Also genau wie bei uns in Deutschland! Somit haben andere zumindest ein die ich kenne Defekte Demokratien das schicksal der Griechen besiegelt!

    Meine Erfahrungen beziehen sich dabei nicht nur aus bundesebene wo die SPD die Menschen veraten hat. Das hat auch die Linke auf Länderebene getan! Es ist also völlig egal wenn man in diesem Land wählt, regieren tun die Menschenfeindlichen Wirtschafstfaschisten.

    So jetzt muss ich erstmal zu ende lesen.

  2. – Eine defekte Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass zwar noch Wahlen stattfinden, aber keine qualitative Differenz in der politischen Entscheidung mehr möglich ist. Anders gesagt: Es ist schlichtweg egal, wer gewählt wird. –

    Hier kann man dann wohl, wie mein Vorredner schon schrieb, dann sehr wohl Deutschland ebenso hinzu zählen!

    – Mit dem neuen „Kompromiss“ kehrt die Troika zurück, sie hat Zugang zu allen Ministerien, darf alles einsehen und muss alle parlamentarischen Entscheidungen genehmigen. Außerdem sollen Lösungen gefunden werden, um die Entscheidungen des griechischen Verfassungsgerichts zu umgehen. So soll die griechische Regierung unter anderem Beamte entlassen können, auch wenn es gesetzeswidrig ist. Noch ist nicht genau bekannt, ob diese Forderungen im endgültigen Papier noch bestand haben werden. –

    Das ist für mich aber das schlimmste. Hier hätten alle Länder, allem voran Deutschland sofort Einspruch einlegen müssen. Kein dritter Außenstehender darf einem Souveränen Staat vorschreiben, welche Politik er zu machen hat, geschweige denn Gesetz-erlasse zu beeinflussen!
    Hier wurde die Demokratie und die Souveränität eines Staats vollkommen zersört!

  3. Phil sagt:

    Fast der von leser vorgebrachte Kritikpunkt wäre auch meiner gewesen, wenn ich in der Hinsicht auch nur Nachplapperer von Robert Kurz bin, dessen Analysen seit der Agenda 2010 fehlen.

    Kurz ging von einer systematischen Verquickung von Demokratie und Kapitalismus aus, und kritisierte damals schon, dass man nur den Schlächter wählen kann und maximal das Narkotikum, nicht aber, nicht geschlachtet zu werden. In der Hinsicht kann man auch diesen Staatsstreich vergleichen, den man, in ökonomischer Hinsicht wohl gut mit 9/11 1973 in Chile vergleichen kann.

    Die beschriebenen Mechanismen gehen hier wohl über das Kurz’sche Opus hinaus, aber es lohnt sich zu fragen, warum das Parlament nicht Nein sagt, man kann das Referendum ja schon als Mandat dazu sehen. Von hier aus scheint es, als würde die Troika viel Druck einsetzen, als würde das aber auch reichen, um die gesamte griechische Gewaltenteilung (was machen eigentlich die griechischen Medien, soweit noch existent?) vollkommen an die Wand des nicht gewollten Grexits zu drücken. Haben die Griechen an Kraft verloren, oder “nur” an den Glauben an die Möglichkeit des Sieges? Hier scheint sich keiner mehr wirklich zu widersetzen, das Ochi scheint vergessen. Ich glaube, das ist das neue Moment, das den 13.7. herausstechen lässt und den #ThisisaCoup ausmacht, nicht die Vorschläge, nicht die Reformen, die sind ein alter Hut.

    Wohl hat der Disaster-Kapitalismus die griechische Demokratie gebrochen, sie liegt aber sich erholend auf dem Boden, statt mit großem Krawall zu sterben und in den Augen aller das Prestige ihrer Angreifer mit sich zu reißen.

    Sorry fürs Pathetische.

  4. Baranek sagt:

    Ich teile die Analyse nicht so ganz. Mit dem Beitritt zur EU ist automatisch ein Souveränitätsverlust inkludiert. Das gilt für alle Staaten, die diese Verträge unterschreiben, auch für Deutschland, wo zB alle Richtlinien der EU-Kommission umgesetzt werden müssen. Sieht man ja grade bei der deutschen Maut-Diskussion.

    Was anderes ist das Demokratiedefizit der EU selbst, wie das immer noch relativ schwache EU-Parlament. Hier waren wiederum die Nationalstaaten nicht bereit, Souveränität abzugeben. Dass die EU insgesamt eher konservativ geprägt ist, liegt aber an den Mehrheitsverhältnissen in den Mitgliedsländern. Das kann man insgesamt bedauern, aber es ist wie es ist.

    Außerdem wäre ja das Optimale, dass wir einen europäischen Bundesstaat kriegen, unter völliger Aufgabe der Nationalstaaten und einer Stärkung der Subsidarität – das bekannte Europa der Regionen.

    Von daher kann man zwar das Ergebnis der Verhandlungen bedauern, sollte aber das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.

  5. Zwuckelmann sagt:

    Schön, dieser ganzen Entwicklung wenigsten etwas positives abzugewinnen! Wie nötig hätte dieses Europa einen Demokratisierungsschub! Vielen Dank alleine dafür.
    Allerdings bleibt tatsächlich ein anderer Weg zu befürchten, nämlich die lange andauernde Existenz einer “defekten Demokratie” oder extremen Scheindemokratie, die nur noch den Sachzwängen der EU gehorcht, mitten in Europa – den Eliten und Oligarchen wird das nichts ausmachen, ganz im Gegenteil. Und schließlich: Man sollte die “Macht des Kapitals” nicht unterschätzen!

  6. Pirandîl sagt:

    Es lässt sich nicht leugnen, die Konfliktlinien treten immer schärfer hervor. Wir leben wohl in „interessanten Zeiten“. Bleibt nur zu hoffen, dass die Geschichte sich nicht im Kreis dreht, bei mir sind Sorge und Optimismus gleichauf. Wird es eine „umfassende Demokratisierung“ Europas, oder kommen wir von der Post-Demokratie in einen neuen Totalitarismus? Der Tanz auf dem Vulkan hat begonnen…

  7. Oliver Kloss sagt:

    Ich bin immer wieder verwundert, wie anti-kapitalistische Linke aus den Erfolgen anti-kapitalistischer Rechter wie Wolfgang Schäuble noch die Hoffnung auf ihre Chance abzuleiten versuchen, was auch immer “libertärer Kommunismus” sein soll.
    Offensichtlich ist schon die Analyse nur vom Wunsch durchherrscht, doch dieses Vorgehen macht nicht klüger.
    Bereits der Untertitel “Demokratie und Kapitalismus beenden ihre Affäre” suggeriert, es gäbe jenseits der marktförmigen Wirtschaft Demokratie. Die liberale repräsentative Demokratie ist die optimale Steuerungsform des Kapitalismus.
    Wer an “Imperative des Marktes” glaubt, ist der leeren Behauptung, Märkte besäßen ein Eigenleben und könnten ohne politische Regulation noch bestehen, bereits auf den Leim gegangen. (Man stelle sich in Analogie ein Fußballspiel nach Beseitigung der Schiedsrichter vor. Ließe sich noch sinnvoll von einem Fußballspiel sprechen oder ist es eher durch den Vollzug seiner Regeln definiert?)
    “Marktkonforme Demokratie” ist ein Euphemismus von Angela Merkel für Zerstörung von demokratischen Regeln unter Berufung auf den Markt, der aber gerade dadurch seine Regulation verliert. – Solche Ideologeme sollte man wenigstens durchschauen und nicht blind übernehmen!
    In Griechenland wird der marktförmige Bereich der Wirtschaft, der dort gewiss vergleichsweise schwach ausgebildet ist (wie in allen Staaten, wo von Oligarchen gesprochen wird), durch Austeritäts-Politik auch noch zerstört.
    Marxistische Beschwörungsformeln wie wenn “das Kapital aus inneren Bewegungsgesetzen heraus gar nicht anders kann, als maximalen Profit aus den Menschen zu pressen” mögen zum Glaubensbekenntnis taugen, erklären aber schlicht gar nichts.
    Wo Demokratie zerstört wird, treten “postdemokratischen Verhältnisse offen zu Tage”, wie sonst? Aber das ist lediglich tautologisch und erklärt auch wieder nichts.

    Ich teile die Auffassung, dass wir in Griechenland ein reaktionäres Experiment erleben, wie einst nach dem Putsch Augusto Pinochets in Chile.
    Anti-Keynesianer testeten damals wie heute, was sich Menschen, die bereits auf besserem ökonomischen und rechtlichen Niveau gelebt haben, alles nehmen lassen, ehe sie sich organisiert zur Wehr setzen.
    Chile leidet noch heute unter den Folgen der erreichten sozialen Ungleichheit (Rentenprivatisierung, Bildungswesen etc.), ist aber zum Kapitalismus mit repräsentativ-demokratischer Steuerung zurück gekehrt!

    Die bloße “Offensichtlichkeit des Endes der Demokratie” war in Chile schon mit dem Putsch vollbracht, aber “Chancen auf eine umfassende Demokratisierung” waren dadurch keineswegs eröffnet, wieso auch?
    Ohne gut organisierten Widerstand ist keine Diktatur zu beseitigen. In Griechenland wird es schwieriger, weil Institutionen im Auftrage demokratischer Staaten die Funktionsweise von Demokratie zerstören. Das heißt, die Austeritäts-Diktatur hat eine höhere Legitimation als die Militärdiktatur in Chile.
    Die Beschwörung des “Geist[es] von Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit”, um den “Dämon des Kapitals” zu besiegen, ist leeres anti-kapitalistisches Pathos.

    Kapitalismus ist eine menschheitliche Errungenschaft, die Freiheit in Wohlstand für die Mehrheit ermöglicht, solange Kapitalismus durch Steigerung der Massennachfrage keynesianisch stabilisiert wird.
    Das für Griechenland verordnete Programm betreibt genau das Gegenteil. Die Massennachfrage wird geschwächt durch Mehrwertsteuererhöhung, Zerstörung der Tarifautonomie, Massenarbeitslosigkeit etc.
    Eine pro-kapitalistische Linke ist nötig, um die Macht der anti-kapitalistischen Rechten wieder zu begrenzen. Yanis Varoufakis hat klug und weitsichtig erklärt, es kann heute nur um die Verteidigung des Kapitalismus gegen seine rechten Feinde gehen.

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