Der Maschmeyer-Komplex (I)

Von Sebastian Müller

Die Financial Times Deutschland schrieb kürzlich über Carsten Maschmeyer: “Nach der Gründung von AWD 1988 war Maschmeyer jahrelang der Aussätzige von der unbeliebten Drückerkolonne. Damals wollten selbst die Chefs jener Versicherer ungern mit ihm gesehen werden, deren Policen er verkaufte.” Heute ist Carsten Maschmeyer ein in der Öffentlichkeit und innerhalb der Politprominenz äußerst beliebter Mann. Er gibt sich als großzügiger und gutherziger Spender für wohltätige Zwecke, feiert rauschende Partys, wird von Bundespräsident Christian Wulff als Freund bezeichnet, ist mit der Schauspielerin Veronica Ferres verheiratet und  auch die Boulevard-Blätter widmen sich seinem Namen. Carsten Maschmeyer bewegt sich innerhalb der engsten Zirkel der Macht.

Ganz nebenbei stellen die Machenschaften von dem Gründer des mittlerweile zweitgrößten deutschen Finanzdienstleisters AWD Holding AG ein Paradebeispiel für Lobbyismus und politische Korruption dar. Maschmeyer, der mit AWD Millionen verdiente – zum Teil auf Kosten von ruinierten Kleinanlegern –  ist mit den Größen der Politik nicht umsonst aufs Engste verbunden. Altkanzler Gerhard Schröder unterstützte er einst im Wahlkampf in Niedersachsen, Bundespräsident Christian Wulff residierte in seiner Urlaubsvilla auf Mallorca, und SPD-Mann Walter Riester, der mit der Privatisierung der Altersvorsorge eine neue Goldgrube für Finanzdienstleistungsunternehmen aufstieß, prangte seitdem vor dem AWD-Logo.

Diese fragwürdigen Hintergründe veranlassten den Reporter Christoph Lütgert von Panorama, sich näher mit der AWD und Maschmeyer zu befassen. Herausgekommen ist eine – wenn auch verspätete – Reportage, welche die Dimensionen der Seilschaften von Politik und Finanzwirtschaft in einem ganz konkreten Fall eindrucksvoll beleuchtet. Die ARD zeigt nicht nur eine dubiose Reise von Maschmeyer zu Schröder, Wulff, über Rürup (MaschmeyerRürupAG) und Riester, die Rentenreform und Pflegeversicherung zurück zu Maschmeyer und AWD. Es ist ein filmisches Dokument über die Gefügigkeit des Staates gegenüber der Versicherungswirtschaft enstanden.

Bezeichnend ist in diesem Kontext die entweder naiv-gläubige Unbefangenheit oder aber Verschlagenheit von Bundesfamilienministerin Christina Schröder, die in der Reportage die Mitwirkung der MaschmeyerRürupAG in ihrem Ressort als unabhängigen Expertenrat für das Ministerium bezeichnet. Der Expertenrat bezieht sich auf die etwaige Einführung einer neuen Pflegeversicherung seitens der Bundesregierung.

Die MaschmeyerRürup AG ist, wie der Name schon sagt, ein 2010 ins Leben gerufenes Konzept von dem ehemaligen “Wirtschaftsweisen” Bert Rürup und eben Maschmeyer selbst. Rürup, der bereits von 1999-2001 als Mitglied im Expertenkreis des Bundesarbeitsministers zur Vorbereitung der Rentenreform, und seit 2000 Vorsitzender des Sozialbeirats für die Ren­tenversicherung saß (siehe Rürup-Kommission und Rürup-Rente), war seit April 2009 auch als Chefökonom und Sonderberater für die private und betriebliche Altersversorgung für AWD tätig. Am Rande sei erwähnt, dass die AWD 80 Prozent ihres Umsatzes in Deutschland mit Produkten zur Vorsorge und Altersabsicherung erzielt. Die Rürup-Rente wird in Kombination mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung unter anderem von Finanzdienstleistern wie AWD angeboten.

Die MaschmeyerRürup AG sollte sich als eine angeblich unabhängige und international ausgerichtete Beratungsgesellschaft für Banken, Versicherungen wie auch Regierungen etablieren. Dass das Bundesfamilienministerium auf diese “Beratungsgesellschaft” zurückreift, ist angesichts der einschlägigen Beziehungen von Maschmeyer und Rürup zur Spitze der Politik genauso naheliegend, wie das Ergebnis dieser Expertise: Das Konzept der neuen Pflegeversicherung könnte den privaten Versicherungen ca. 50.000 neue Kunden pro Jahr bringen, wie Panorama berichtete.

Möglicherweise möchte sich Christina Schröder mit ihrem Wirken genauso wie Walter Riester für einen späteren Posten in der Versicherungswirtschaft empfehlen. Riester, von 1998 bis 2002 Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, steht für die in seiner Amtszeit geschaffene sogenannte Riester-Rente, eine staatlich bezuschusste private Altersvorsorge. Nach der Bundestagswahl 2002 wurde sein Ministerium aufgelöst. Riester schied daher am 22. Oktober 2002 aus der Bundesregierung aus, allerdings mit einer lukrativen Entlohnung seitens der begünstigten Branche. Im Oktober 2009 wurde er, neben seiner Tätigkeit als Abgeordneter im Bundestag, Aufsichtsratmitglied des Finanzdienstleisters Union Asset Management Holding. Zuvor trat er bereits als stattlich vergüteter Referent bei verschiedensten Unternehmen der Finanzdienstleistungsbranche in Erscheinung.

Dass die Privatisierung der staatlichen Daseinsvorsorge und mit ihr der Versicherungssysteme weniger eine Frage der Demographie oder Sachzwänge ist – wie immer wieder gerne postuliert wird – sondern vielmehr aufgrund massiver Wirtschaftsinteressen der Allgemeinheit ein Bärendienst erwiesen wird, bedarf vor diesem Hintergrund keiner großen Phantasie mehr.

Der größte Kritiker der privaten Versicherungsdienstleister, Albrecht Müller, wird diesbezüglich noch deutlicher. Für ihn sind die gesetzliche Rente als auch die anderen solidarischen Sicherungssysteme bewusst der Erosion preisgegeben worden, um den privaten Interessen der Versicherungskonzerne und Banken Geschäftsfelder zu eröffnen. Der Betreiber der NachDenkSeiten verweist auf den Film Rentenangst der ARD. Der als Interessensvertreter der Versicherungskonzerne bekannte Professor für Finanzwirtschaft, Bernd Raffelhüschen, rühme sich hier dieser bewussten Erosion des Vertrauens in die gesetzliche Rente durch Minderung ihrer Leistungsfähigkeit, so Müller.

In der Tat warb Raffelhüschen genauso wie Rürup für eine Ergänzung des umlagefinanzierten Rentensystems durch eine kapitalbasierte Rente. In der Tradition der Freiburger Schule stehend – Raffelhüschen ist ebenso als Botschafter des neoliberalen Think-Tanks Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft tätig – vertritt er eine entsprechende Auffassung auch bezüglich der Reform des deutschen Rentensystems. Die Entwicklung eines Modells führte 2002 zur Berufung in die bereits erwähnte Rürup-Kommission. So schließt sich der Kreis.

Man wird nun unverhohlen Zeuge, welche Konsequenzen das 1998 vom damaligen Bundesinnenminister Otto Schily initiierte Personalaustauschprogramm “Seitenwechsel” mit sich bringt. Im Zuge dieses Austauschs beziehen seit 2004 Vertreter von Konzernen Posten in den Bundesministerien (und stehen dabei weiter auf der Gehaltsliste der Firmen), während umgekehrt Bundesbeamte Zugang zu der freien Wirtschaft erhalten. Diese bedenkliche Kompetenzenvermischung fördert weniger unabhängiger Beratung, als die Möglichkeit für Lobbyisten sich ihre Gesetze in den Ministerien selber zu schreiben – und das grenzt an politischer Korruption.

Die Vorteile, die aus diesen illegitimen Verfahren beispielsweise für die Versicherungskonzerne entstehen, sind nur zu oft die Nachteile für eben jene zahlreichen Kleinanleger, die durch hochriskante Fonds ihr Vermögen verloren haben. Besonders die AWD entpuppte sich hierbei als eine regelrechte Drückerkolonne, vor dessen Produkten die Stiftung Warentest von 1998 bis 2006 dezidiert gewarnt hatte. Auch ehemalige AWD-Mitarbeiter schilderten von Dezember 2002 bis Mai 2003 im Internet unter verschiedenen Domänen ihre persönlichen und schmerzlichen Erfahrungen mit dem Konzern. Der AWD versuchte daraufhin, auf juristischem Wege die Domänen awd-aussteiger.de und aussteigerforum.de schließen zu lassen. Beide Seiten existieren inzwischen nicht mehr. AWD-Mitarbeiter stehen bis heute unter einem hohen Provisionsdruck, der den Verkauf von besonders riskanten Produkten fördert.

Kaum verwunderlich ist es da, das Carsten Maschmeyer die Ausstrahlung der ARD-Reportage unbedingt verhindern wollte. Dass Maschmeyers Medienanwalt Matthias Prinz folgerichtig versuchte, mit allen Mitteln die Ausstrahlung der Dokumentation zu torpedieren und sämtliche Intendanten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit einem 61-seitigen Schreiben unter Druck setzte, ist dabei mehr als eine Fußnote und unterstreicht die Brisanz der Sendung zusätzlich.

Hier geht es zur Online-Sendung: Der Drückerkönig und die Politik Die schillernde Karriere des Carsten Maschmeyer

Zum Thema:

– Der Maschmeyer-Komplex (II)

– „Landschaftspflege“: Zwischen Lobbyismus und politischer Korruption

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7 Kommentare zu "Der Maschmeyer-Komplex (I)"

  1. Andreas sagt:

    Einen Beitrag gleichen Titels lässt sich auch über den Gründer des noch größeren Finanzvertriebs der Deutschen Vermögensberatung (DVAG) machen: Dr. Reinfried Pohl. Auf den Gehaltslisten (Aufsichtsrat und Beirat) der DVAG stehen u. a. Friedrich Bohl, Helmut Kohl, Guido Westerwelle, Theo Waigel, Petra Roth, Karl Starzacher, Horst Teltschik, Bernhard Vogel als Politiker, aber auch Walter Riester und sogar Joschka Fischer gehören zu den gern gesehenen Gästen. Aus dem Sport lassen sich u. a. Theo Zwanziger, Jogi Löw und Michael Schumacher kaufen. Die DVAG ist eine der größten Spender der FDP. Auch wenn die DVAG keine hochriskanten geschlossenen Fonds verkauft, so stehen ihre Berater, die von vielen Vorgaben ds VVG befreit sind, auch unter enormem Provisionsdruck und sind daher noch mehr als diejenigen des AWD auf staatlich geförderte Produkte im Verkauf angewiesen.

  2. Ulf sagt:

    Eine schöne Reportage, die einiges deutlich macht:
    a)das beinahe “grenzenlose” gutgläubige Vertrauen privater Anleger in den seriös gekleideten und kompetent auftretenden Finanz und Versicherungsberater.
    b) die Gier nach einer höheren Rendite und Zinsen als das Sparbuch und die eigene Hausbank einem bietet.
    c) das man auch heutzutage nur an den richtigen Seilen zu ziehen braucht, und damit Erfolg haben kann, unabhängig vom eignen denken und handeln.
    d)unsere Abhängigkeit und das Festhalten an Äußerlichkeiten und Statussymbolen

    Dieser Beitrag offenbart unser Mißverhältnis zum Thema Geld und zum Erfolg.
    “Über Geld spricht man nicht und schon garnicht über einen Verlust”, das ist ein tief verwurzelter Denksatz.
    Maschmeyer und Konsorten sind zwar nicht vollkommen schuldlos, ein Maschmeyer darf sich zu Recht fragen lassen ob ihn eine Teil-Schuld als (Ex)Vorsitzender des AWD trifft und er Konsequenzen daraus zieht.
    Wenn er 1,5Mio. Euro spenden kann, für einen “guten” Zweck wäre ein Angebot an alle geschädigten AWD-Versicherten nur recht und ein Ausdruck seines guten Willens und Benehmens als Finanzier und Strippenzieher in der Politik

    Schließlich hat er sein Vermögen, auch auf dem Rücken der Menschen aufgebaut, die durch eine falsche Anlageberatung um ihre Ersparnisse gebracht worden sind.

    Dennoch sollte man eben auch offen ansprechen, das viele Anleger eben grenzenlos gutgläubig gehandelt haben, und vor lauter Gier nach einer hohen Rendite alle Fragen und kritisches Überprüfen über Bord geschmissen haben und nun das Lehrgeld dafür zahlen müssen.
    Also sind sie auf ihre eigene Habgier reingefallen und sollten dies mal kritisch hinterfragen- denn Schaden macht bekanntlich klug!

  3. Natürlich müssen sich viele Anleger auch an die eigene Nase fassen, dass steht hier ausser Frage. Doch was Faul ist, ist nicht nur eine kleinbürgerliche Gier nach höheren Zinsen, sondern das ganze System und die Korruption, die bis in die höchsten Ebenen reicht.

    • V. F. Alle sagt:

      Es ist nicht unbedingt die Gier, die Anleger solchen Versprechen folgen lässt. Es sind geschickte Vertriebsversprechen.

      Ich wollte einfach nur Darlehen mit einer Erbschaft abbezahlen. Weil mir das nicht ermöglicht wurde und mir mein Finanzdienstleister eine Anlage bot, die nach seinen Worten so sicher ist wie Festgeld, wollte ich lieber ihm glauben als einer Bank. Meine Frau und ich hatten damals mehrfach drauf hingewiesen, dass uns Sicherheit wichtiger ist als Kapitalerträge.

      Das Ergebnis können Sie unter vfalle.wordpress.com nachlesen.

      Während mein Dienstleister nun damit wirbt, verrtauenwürdiger als Banken zu sein, wollen hochrangige Politiker von Problemen nichts erkennen können.

  4. Andreas sagt:

    Maschmeyer widerlegt alle Grundannahmen der ökonomischen Theorie. Der Mensch ist eben kein Homo Ökonomicus, der rational seinen Nutzen maximiert. Sondern der Mensch ist von Emotionen getrieben, erst wenn es gelingt, den Menschen seinen Bedarf fühlbar und erlebbar zu machen, wird er “ansprechbar”. DIe ganzen Systeme – ob AWD, DVAG, OVB und wie sie sonst noch heißen mögen – basieren auf der Ausbeutung zwischenmenschlicher Beziehungen. Die Berater: Kommen meist aus dem Bekanntenkreis eines (aufgestiegenen) Beraters. Die Kunden: Kommen meist aus dem Bekannten- Freundes- und Verwandtenkreis des Beraters. Das heißt, es wird auf vorher existierende Verbindungen gebaut, soziologisch gesprochen handelt es sich um die Konvertierung von Sozial- in Finanzkapital. Von Ausbeutung schreibe ich, weil am Ende der Beziehung oft ein großer materieller Verlust (bis hin zur Verarmung) des Einenen der Vereinsamung des Anderen gegenüber stand.

    Wie man sieht, beherrschen diese Leute alle die Bildung von Sozialkapital. Mit ihren Verbindungen in die Politik sichern sich diese Leute ihr (möglicherweise auf fragwürdige Art erworbenes) Vermögen gegen Journalisten und Staatsanwälte ab.
    Im übrigen finde ich, daß die Finanzindustrie zwar für ihre “Beziehungspflege” durchaus Kritik verdient hat, aber wie ist das eigentlich mit der Bauwirtschaft, der Pharmaindustrie, den Energiekonzernen, der Nahrungsmittelindustrie usw? Und welche Rolle spielen die Massenmedien dabei – in ihrer Gesamtheit, nicht im Einzelnen?

    Ich persönlich halte es für möglich, daß eine Vielzahl von Menschen bei Kenntnis der ganzen Wahrheit bezweifeln würden, daß Deutschland länger ein demokratischer und sozialer Staat ist.

  5. HeiMu sagt:

    Danke für diesen guten Bericht ftd. Ich habe kürzlich das Enthüllungsbuch: GELD FRESSEN SEELE AUF von Maximilian von Ah gelesen. Hier scheint Maschmeyer auch die protagonistische Hauptrolle zu spielen und serviert einen seiner Führungsmanager brutal ab, weil er ihm bei einem Betrug auf die Schliche gekommen ist.
    Offenbar kann sich der Typ alles leisten und geht über Leichen. Geld genug hat er ja.

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