"Für eine andere Welt"

Die Globalisierung der Aufstände

Von Sebastian Müller

Ob Stuttgart 21, Gorleben oder Demos gegen Studiengebühren; Proteste in Deutschland sind meist (noch) friedlich und kanalisiert, sieht man von den ritualisierten Chaostagen, oder den Maidemonstrationen in Berlin und Hamburg einmal ab. Diese regelmäßig von Randalen und Straßenschlachten begleiteten Veranstaltungen sind aber hauptsächlich ein Phänomen der linksautonomen bzw. linksextremen Szene und spielen sich seit den 80er Jahren in keinem direkt zu erfassenden Zusammenhang mit dem politischen Tagesgeschehen ab. Damit waren sie auch nicht als Indiz einer größeren sozialen Unruhe und Dynamik zu bezeichnen.

Diese Momente, die als urbane Gewalt bezeichnet werden, müssen in jüngster Zeit jedoch aus einer neuen, internationalen Perspektive betrachtet werden. Sie entwickeln sich seit dem letzten Jahrzehnt verstärkt zu einem globalen Phänomen, das in einem direkten Wirkungszusammenhang zu den sozialen und ökonomischen Verwerfungen der Globalisierung gebracht werden muss und nun auch Menschen jenseits von linken Randgruppen auf die Straße treibt. Die Revolutionen in den arabischen Ländern, genauso wie die derzeitigen, bisher friedlichen Vorgänge in Spanien, sind besonders aktuelle und eindringliche Beispiele hierfür.

Wie der Fernsehsender Arte in einem eindrucksvollen Dokumentarfilm dargestellt hat, sind die Nationalstaaten – egal ob es sich um autoritäre oder demokratische Regime handelt – immer weniger in der Lage, das Gleichheitsversprechen an seine Bürger zu erfüllen und für eine einigermaßen gerechte Verteilung der materiellen, sozialen oder ggf. politischen Teilhabe zu sorgen.

Vor diesem Hintergrund thematisiert die französische Dokumentation Für eine andere Welt den psychologischen, sozialen und politischen Zusammenhang von immer größeren und häufigeren zivilen Unruhen und der sich in der Krise befindenden kapitalistischen Weltwirtschaftsordnung. Allein im Jahr 2009 wurden weltweit 524 Aufstände gezählt, und fast ein Drittel davon fand in Europa statt. Damit übersteigen sie die Revolten der 1960er Jahre bei weiten. Doch egal ob es sich um Länder wie Spanien, Frankreich, Griechenland, Dänemark, Bangladesch oder sogar China handelt – alle Proteste werden von einer jungen Generation getragen, die sich um ihre Zukunftschancen beraubt sieht.

Die im Jahre 2010 erschienene Produktion dürfte angesichts ihrer nüchternen Klarheit und schonungslosen Analyse – insbesondere der europäischen Zustände – wohl ein Novum im deutschen Fernsehen sein. Deswegen muss auf den Film von Samuel Luret und Damien Vercarmer, der am 9. November erstmals ausgestrahlt wurde und nun aktueller denn je ist, mit allem Nachdruck hingewiesen werden.

“Die Dokumentarfilmer sind nach Griechenland, Dänemark und China gefahren – zu den jungen Akteuren, um mit ihnen über ihre Gründe für die Proteste zu reden. Aus ihrer Sicht schildern sie uns die Unruhen 2008 in Griechenland und 2007 in Kopenhagen sowie die Streiks in der “Weltfabrik China” in Suzhou und Shenzhen 2010. Sie reden über ihr Engagement und ihre Erwartungen und wie sie diese Welt, verändern wollen.
Soziologen aus Frankreich und anderen Ländern analysieren diese neuen Unruhen in den verschiedenen Gesellschaftssystemen. Diese kollektiven Wutausbrüche sind alle Ausdruck der Krise in den Zeiten der Globalisierung”


Zum Thema:

– Eine europäische Sache

– Die Moralität des Ungehorsams

Zeit der Monster

– RAF 2.0?

– Aufstand der Entrechteten

– Griechenland als Spiegel der Zukunft?

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16 Kommentare zu ""Für eine andere Welt""

  1. BglBttr sagt:

    Ersetze Staat durch Wirtschaft, und das ganze macht Sinn.

  2. Ralf sagt:

    Die Demos nützen doch e nichts! Banker und Politiker lachen höchstens darüber!
    Wäre es da nicht einfacher der Bilderberggruppe, Bankern und Politikern das Licht auszuknipsen, enteignen oder ins Arbeitslager zu schicken? Somit wären wir mit einem Schlag die Probleme mit der Krise, Staatsverschuldung, Kriege, Ausbeuterei und Armut los! Vorausgesetz man überlässt solchen Verbrechern nie wieder die Macht!

    • Jeff sagt:

      Lieber Ralf,
      ich kann nachvollziehen, wieso du das schreibst. Aber ich finde, das ist ein Holzweg. Wo würdest du dann den Schlussstrich ziehen beim “Licht ausknipsen”? In welcher Etage? Alle Menschen, die einen Job haben, konsumieren, und Fernseher besitzen? Unrecht passiert nicht nur durch die, die es planen. Revolutionen nach dem Model gab es schon zur Genüge, sieh dir an was sie hervorgebracht haben. Stärkere Machtkonzentration in den Händen einzelner, Repression und weit weniger Möglichkeiten, sich als einzelner Mensch in die politischen Entscheidungsprozesse einzubringen. In Russland begann das schon ab Dezember 1917 mit der Reform der Gewerkschaften (siehe dazu etwa Maurice Brinton, The Bolsheviks and Workers’ Control). Sieh dir China an, meinetwegen auch Kuba und Venezuela.

      Worauf ich hinaus will: Der ‘Kopf-ab’-Diskurs ist in jeder Hinsicht kontraproduktiv. Und das Schöne: Man kann diesen Diskurs ablehnen und trotzdem eine bessere Welt einfordern. In Spanien scheint man das begriffen zu haben. Der Weg nach vorne ist – sich als Menschen begegnen, über Ideen reden statt sich gegenseitig in Schubladen zu packen und wegzuhören, und gemeinsam suchen, was für alle das beste sein könnte. Das friedlich tun, aus mehreren Gründen: Erstens grössere Chance, Menschen einzubeziehen. Wenn jeder willkommen ist und jeder seine Meinung äussern kann, ohne Scham oder Angst. Und wir brauchen alle, je weniger Menschen abseits bleiben umso grösser die Chance, etwas zu bewegen. Zweitens, wenn wir eine bessere Welt aufbauen wollen, können wir nicht damit anfangen, erstmal alles zu wiederholen, was wir selber als Teil des Problems sehen. Wenn aus diesen spanischen Ereignissen etwas wächst, dann möchte ich später stolz sein können darauf, wie die eventuell ‘bessere’ Gesellschaft von morgen entstanden ist. Ich will mich nicht in ein Ping-Pong-Spiel rollender Köpfe entführt sehen, ich will etwas Positives bewegen. Drittens, ganz einfach, alle jene, die du gerne ‘ausknipsen’ möchtest, profitieren allein davon, dass du den Kommentar hier hin gepackt hast. “Seht hin, die sind gefährlich, deshalb müssen wir die mit aller Gewalt niederschlagen” – das Argument funktioniert dann, wie immer. Im Moment wäre es für viele Menschen ein Schock, wenn in Spanien jetzt friedliche Menschen niedergeknüppelt würden. Der Ton macht die Musik, und auch der Widerstand hat Instrumente zu Auswahl.

      Das bedeutet nicht, dass mich die Dinge weniger sauer machen als dich. Aber wir sollten die Hoffnung auf etwas Besseres als Antrieb nehmen, nicht den Hass und die Wut. Ohne Offenheit und einen tatsächlichen Wunsch nach Lösungen und gemeinsamen Wegen, im Sinne einer auch friedlicheren Gesellschaft (nicht wie jetzt vielleicht im Sinn von Augen zu und weiterschlafen), gehen wir nur rückwärts. ‘Juntos’ – das ist der Weg nach vorne. Ich hoffe, Nordeuropa begreift das früh genug. Hier jubeln momentan sicher einige Kopfkürzer einerseits und Wilders-Fans andererseits, die haben’s beide nicht begriffen. Es geht hier nicht mehr um Hass und Trennlinien jedwelcher Art – es ist auch eine Bewegung gegen dieses veraltete Denken.

      Ich hoffe, ich habe mit dem Kommentar keine Guidelines zur Diskussion verletzt – wenn doch, entschuldige ich mich und editiere das ggf nochmal. Danke.
      Liebe Grüße, Jeff

  3. nun ja, man sollte das drohpotenzial von gewalttätigen massenausschreitungen aus den augen der politik nicht unterschätzen. der überwachungs- und repressionsstaat wird nicht umsonst in europa ausgebaut, nicht umsonst kooperieren sondereinheiten der polizei europaweit. nur stellt diese polizeiliche reaktion, das motto des harten durchgreifens, auf dauer keine lösung für solche sozialen und gesellschaftlichen phänomene dar…

  4. Hans sagt:

    Unsere Volksverräter haben uns Verkauft jetzt wird noch eben das Tafelsilber verscherbelt alle durch die reihe sind Sie käuflich.Wenn wir hier nicht bald aufwachen werden wir alle im Goldenen Käfig sitzen.

  5. Ein goldener Käfig ist schon mal nicht schlecht, wenigsten haben wir etwas womit man Werfen kann. Viele allerdings haben zu viel Angst sich gegen die Regierung zu stemmen. Damit will ich natürlich keinen Aufstand andeuten, aber eine geschlossene Gesellschaft kann weitaus mehr bewirken und das auf friedlichem Wege. Es liegt also an uns, alle zusammen zu bringen um etwas großes zu schaffen – die Freiheit!
    -sem

  6. Michel sagt:

    Ich empfehle, den Artikel von Slavoj Zizek (“Zeit der Monster”; ältere Einträge) noch mal anzuschauen!

    “Dabei sind wir in der entgegengesetzten Situation des frühen 20. Jahrhunderts, als die Linke wusste, was zu tun sei (die Diktatur des Proletariats zu errichten), aber geduldig auf den richtigen Augenblick warten musste. Wir dagegen wissen nicht, was wir tun sollen, müssen aber jetzt handeln, da die Konsequenzen des Nichthandelns katastrophal sein könnten.”

    Ich empfehle auch diesen Artikel hier:

    http://www.akweb.de/ak_s/ak556/14.htm

    Die grossen Proteste des letzten Jahres wurden von der Mittelschicht getragen, während von Sozialprotesten kaum etwas zu sehen war.

  7. dfdff sagt:

    le bohemien wird zum besten deutschen Blog. Macht weiter so.

    Danke für den Hinweis auf den Film.

  8. shunya sagt:

    die menschheit muss radikal umdenken um das ruder noch umschlagen zu können.
    gewinnmaximierung heißt auch ressourcenverschleuderung.
    der mensch muss sich an eine ressourcenorientierte wirtschaft ohne profitdenken und gewinnmaximierung orientieren um eine bessere welt ohne ausbeutung,verdummung und versklavung durch das kapital zu schaffen.
    in einer sendung von arte “kopenhagen und die folgen” sagten mehrere ökonomen ,journalisten und auch wissenschaftler,das der menschheit noch 15 – 20 jahre zu verfügung stehen um mit umweltzerstörung und CO2 ausstoß radikal einen schlussstrich zu ziehen um die flogen abzuwenden.(eigendlich hätten wir das schon vor 20 jahren machen müssen)
    ich empfehle jeden nachdenkenden menschen mal das buch von Hervé Kempf “Wie die Reichen die Welt zerstören”…leider nur in englisch.
    oder den film “lets make money”
    wie lange können wir uns die neoliberalen turbokapitalisten noch leisten????
    bevor wir alle ins gras beißen und nur noch einen zerstörten planeten vor uns haben in dem keiner mehr ein mensch mehr ist sondern nur noch ein konsument mit einer nummer.
    wir menschen müssen endlich aufstehen und für unsere freiheit und unsere rechte kämpfen,egal welcher hautfarbe und nationlität….es geht nicht um die bedürfnisse eines einzelnen ,sondern um alle menschen auf diesen planeten.
    wir alle haben das recht in würde,freiheit und wohlstand zu leben….und das global.

  9. respu sagt:

    endlich ist es soweit! die chance ist da zu einem friedlichen umbruch in unserer gesellschaft! für mehr soziale gerechtigkeit, menschenrechte… für mehr demokratie! empört euch!

    http://respu.wordpress.com/2011/05/21/emport-euch-demokratie-jetzt/

  10. nemetico sagt:

    “…sieht man von den ritualisierten Chaostagen, oder den Maidemonstrationen in Berlin und Hamburg einmal ab. Diese regelmäßig von Randalen und Straßenschlachten begleiteten Veranstaltungen sind aber hauptsächlich ein Phänomen der linksautonomen bzw. linksextremen Szene und spielen sich seit den 80er Jahren in keinem direkt zu erfassenden Zusammenhang mit dem politischen Tagesgeschehen ab. ”
    Ich bitte sehr darum, nicht auf jede mediale Legende hereinzufallen. Dieses Jahr hatte ich die Gelegenheit, mir die Maidemonstration in Berlin einmal näher anzuschauen, und ich habe sehr genau hingesehen.

    Ich weiss doch, dass ich meinen eigenen Augen trauen kann. Wenn wirklich insgesamt 8 Polizeibeamte in Zivil von ihren uniformierten Kollegen durch Pfefferspray verletzt wurden (wovon 2 Strafanzeige erstatteten), dann heisst das für mich, dass mindestens die Hälfte der “Krawallmacher” (provozierende Gesten, geworfene Plastikfalschen) Polizeibeamte in Zivil waren.
    Ist doch denkwürdig, oder nicht?

  11. olsson sagt:

    Madrid, Kairo, Tel Aviv, London, viva la revolucion!

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