Um sich den Auswirkungen des globalen Kapitalismus entgegenzustemmen, braucht es eine globale Bewegung
Von Sebastian Müller
Erst war es in China soweit, nun in Bangladesch – Fabrikarbeiter und Fabrikarbeiterinnen gehen mit den Mut der Verzweiflung auf die Strasse, um gegen Hungerlöhne und ein Leben unter dem Existenzminimum zu demonstrieren. In China traf es unter anderem die Auto- und Computerindustrie, in Bangladesch ist es die Textilindustrie in Ashulia, die nun von den Streiks betroffen ist. Alle diese Industriezweige produzieren für westliche Auftraggeber, für Firmen wie Honda oder Apple sowie Modeketten wie Zara und H&M.
Die Regierungen und Fabrikbesitzer gehen mitunter rabiat gegen die Demonstranten vor. Denn hier sind für die Volkswirtschaften beider Länder bedeutende Zweige der Exportindustrie betroffen – der Export von Konsumprodukten für die westlichen Wohlstandsgesellschaften, auf Kosten von unhaltbaren Arbeitsbedingungen und Niedriglöhnen für die dortigen Arbeiter. In Bangladesch erwirtschaftet die Textilindustrie 80% der jährlichen Exporteinnahmen des Landes.
Es sind bedeutende Einnahmequellen für den Staat, der aufgrund der niedrigen Produktionskosten mit den Investitionen der westlichen Konzerne rechnen kann, und daher wenig Interesse daran hat, dass die Arbeiter aufbegehren. Arbeitgeber und Staat gehen daher zum Teil Hand in Hand vor, um die Demonstranten und Streikenden zu demoralisieren: Bespitzelung, Gewaltanwendung und die gezielte Entlassung der Streikführer sind Methoden der Einschüchterung. In Bangladesch gingen Polizei und Sondereinheiten mit Wasserwerfern, Tränengas und Schlagstöcken gegen 15.000 demonstrierende, unbewaffnete Näherinnen vor. In China wurden Streikführer aufgelauert und zusammengeschlagen.
Die Bedingungen, unter denen die Menschen in Ländern wie China und Bangladesch arbeiten müssen, sind mitunter so grausam, dass es in den trostlosen, chinesischen Fabrikwohnheimen zu Selbstmorden kam. Von Arbeitsrecht kann keine Rede sein. Schläge werden zwar von einer Firma wie Honda offiziell nicht geduldet, scheinen aber von der chinesischen Tochterfirma “Honda Lock” zur Steigerung der Produktivität durchaus angewendet zu werden. Die Löhne von umgerechnet 20 Euro im Monat in Bangladesh bzw. 120 Euro im Monat in China reichen bei den jeweiligen Lebenserhaltungskosten kaum zum Leben aus. Eine Begrenzung der Arbeitszeit gibt es praktisch nicht. Somit reduziert sich das Leben von Millionen Menschen weltweit auf die schlichte Reproduktion. Es bleibt keine Freizeit, keine Zeit zum Leben, denn das Leben besteht aus monotoner Arbeit, um sich mit dem Lohn gerade so Ernähren zu können. Das ist die größtmögliche Ausbeutung von Humankapital, in deren Elend sich Milliardäre wie Steve Jobs während der medienwirksamen Präsentation der neuesten Apple-Innovationen sonnen.
Es ist nichts anderes als eine moderne Form der Sklaverei, das Humankapital der recht- und besitzlosen Wanderarbeiter, das Nationen wie China zur Wirtschaftssupermacht, oder Entwicklungs- und Schwellenländer zum Investitionsmekka werden lassen. China und Bangladesch sind dabei nur die Spitze eines schon lange bekannten Eisberges. Länder wie Indien und Pakistan (Pakistan ist bekannt für den Export von Fußbällen – ein Näher erhält 20 Cent pro Ball) stehen schon länger im Fokus von Menschenrechtsorganisationen. Neu ist, dass die Arbeiter nun, kaum durch Gewerkschaften geschützt, auf die Strasse gehen.
Lohndrückerei, Gängelung der Belegschaft, Ausweitung von Zeitarbeit und die Bespitzelung der Mitarbeiter sind aber Methoden, die auch längst auf die Mutterländer der Sozialdemokratie übergreifen. In Frankreich war in einem Zeitraum von 18 Monaten der Selbstmord von 23 Mitarbeitern der France Télécom zu betrauern. Der Druck als Methode des Wettbewerbes – unter den Staaten, den Unternehmen und sogar innerhalb der Unternehmen am Arbeitsplatz und seiner drastischen, ja tödlichen Verschärfung in den letzten Jahrzehnten – sind ein Ergebnis der neoliberalen Globalisierung.
Die wachsende Macht der Konzerne und die globale Demontage der Sozialstaaten sind aber eine Konsequenz des politischen Willens gewesen, kein unabwendbares Schicksal der Globalität. Der Kampf gegen Sozialstaat, Gewerkschaften und Arbeitnehmerrechte wurden den Entwicklungs- und Schwellenländern von westlichen Institutionen wie dem IWF und der Weltbank aufgedrückt. Die Regierungen der westlichen Industrienationen haben durch die Deregulierung der Märkte, den Abbau von staatlichen Handlungsspielräumen, der Grenzen und Zölle, des Protektionismus – sprich der Forcierung des Freihandels – im Namen der Ideologie der unbegrenzten, freien Märkte die heutigen Geister der Ausbeutung gerufen.
Die niedrigen Löhne und schlechten Arbeitsbedingungen in den Entwicklungsländern sind jetzt die Waffen der Konzerne, um auch in den europäischen Wohlfahrtsstaaten den Abbau von Arbeitnehmerrechten durchzusetzen. Aus den unhaltbaren Zuständen für Fabrikarbeiter weltweit speist sich ebenso der Zwang zur Wettbewerbsfähigkeit. Zudem wird der Abbau von Arbeitnehmerrechten bzw. die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes bewusst in Analogie zur Sozialstaatsdebatte gefordert. Denn Arbeitnehmer, die im Notfall kein dichtes soziales Netz im Rücken wissen, sind wesentlich leichter zu erpressen und mundtot zu machen. Für die Neoliberalen sind Arbeitslose demzufolge “Arbeiter im Übergang”. In China bekamen das die Demonstranten zu spüren. “Honda Lock” errichtete vor den Toren des Werkes ein Zelt, eine Einstellungsstation für neue Arbeiter. Die Firma suchte nach Streikbrechern. Wenig später brach der Streik tatsächlich weitestgehend zusammen.
Doch solange die Versuche, Menschenrechte – und damit auch soziale und Arbeitsrechte, sprich gewisse Mindeststandarts – international zu verankern, nicht von globalen Demonstrationen der Entrechteten flankiert werden, sitzen die großen, transnationalen Konzerne mit ihren fast unbegrenzten Einflussmöglichkeiten am längeren Hebel. Mehr noch, wenn sich der Protest gegen die Ausbeutung nicht internationalisiert, dann werden diese frühindustriellen Zustände und die damit verbundene, wachsende Ungleichheit auch nach Europa zurückkehren.
Nicht zuletzt deshalb bedürfen die Demonstrationen in Bangladesch und China der internationalen Solidarität, sie sind ein Schritt in die richtige Richtung. Bereits vor knapp 5 Jahren haben Fabrikarbeiter aus Bangladesch, Swasiland, Indonesien, China und Nicaragua eine Klage gegen Wal-Mart einreichen lassen. Sie machten geltend, dass die US-Handelskette nicht sicher gestellt habe, dass die Lieferanten minimale Arbeitsstandards einhalten. Zudem habe der Konzern mit seiner Marktmacht Preis- und Zeitvorgaben durchgesetzt, die zu den katastrophalen Bedingungen in den Fabriken geführt hätten. An der Klage beteiligten sich zudem kalifornische Angestellte aus dem Lebensmittelsektor, die angeben, ihre Löhne und Sozialleistungen seien durch die Konkurrenz durch Wal-Mart abgebaut worden.
Dieses Beispiel zeigt: wenn der Druck auf die Regierungen und Konzerne stark genug wird, dass sich eine internationale Tendenz abzeichnet, gerechte Löhne zahlen zu müssen, ist damit auch gleichzeitig den Unternehmen eine entscheidende Waffe genommen, um im Namen des Wettbewerbes die globale Ausbeutung zu forcieren. Oder anders formuliert: nur wenn es den Arbeitern in den Entwicklungs- und Schwellenländern gelingt, sich die zivilisatorischen Errungenschaften von Sozial- und Arbeitnehmerrechten zu erkämpfen, werden diese Errungenschaften auch in ihren Ursprungsländern überleben.
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