Kulturtheorie
Nie wieder arbeiten?

Die Berliner Theoriekantine diskutierte mit Diedrich Diederichsen über Partizipation als Mitmachphantasma der Postdemokratie und über das Ende der Arbeit

"Partizipation ist das neue Spektakel". Marina Abramović, 'The Artist is Present'

Foto: Andrew Russeth / Flickr / CC BY-SA 2.0

Von Tom Wohlfarth

Theoriekantine heißt das „offene Diskursformat“, zu dem die PhilosophInnen Maria Muhle, Juliane Rebentisch, Ludger Schwarte und Dirk Setton regelmäßig in die Vierte Welt in Berlin-Kreuzberg einladen. Vergangenen Freitag hatten sie zum Ersatz für Muhle als Gast den legendären Poptheoretiker und Kulturwissenschaftler (sowie Ehemann Rebentischs) Diedrich Diederichsen eingeladen und unter dem Titel „Die Hölle der Partizipation“ einen Ausschnitt seines Buchs Eigenblutdoping. Selbstverwertung, Künstlerromantik, Partizipation von 2008 als Ausgangspunkt für die Diskussion gewählt.

Diederichsen erzählt darin unter anderem die (Vor-)Geschichte des gegenwärtigen Kunstbooms, von Selbstverwirklichung bis Selbstvermarktung und Selbstperformance, in die nicht zuletzt auch das Publikum hineingezogen wird, eben „partizipativ“. Doch diese Art von Partizipation habe oft nichts mehr gemein mit demokratisch relevanten Formen der Beteiligung, sondern sei als zwanghafte „Mitmachillusion einer postdemokratischen Regierungsweise“ vielmehr nur ein Surrogat dafür. So jedenfalls formulierte es die Veranstaltungsankündigung und fragte dagegen nun nach neuen Möglichkeiten partizipativer politischer Öffentlichkeiten.

Emanzipatize Partizipation

Nach begrüßenden Worten des Gastgebers Dirk Cieslak in der üppig gefüllten Vierten Welt datierte Ludger Schwarte in seiner Einführung zunächst einmal mit Boris Groys die partizipative Kunst bis zu Wagners Konzept des Gesamtkunstwerks zurück. Und schon da sei auch bereits die Ursünde der Partizipation sichtbar geworden: die Unterwerfung des vormals autonomen Betrachters unter die Intentionen des Künstlers. Der Zuschauer soll das Werk (weitgehend passiv) nur noch vervollständigen, nicht selbst mitgestalten. Eine genauere Abgrenzung von Partizipation und Rezeption wäre hier allerdings schon ein Desiderat gewesen. Demgegenüber konzipierte Schwarte die Künste als Experimentierfeld für echte politisch-partizipative Techniken. Zu deren Unterscheidung von Scheinpartizipation entwarf er verschiedene Arten und Stadien einer „emanzipativen Partizipation“, gipfelnd letztlich in der Übernahme verantwortlicher Entscheidungen.

Diederichsen resümierte nun noch einmal seine zentrale These, dass neuere partizipative Kunstformen seit den 1960er Jahren, vor allem im marxistisch-situationistischen Kontext, ursprünglich gegen eine Kunst als „Spektakel“ gerichtet waren, deren Zweck darin gelegen hätte, die Arbeiterklasse zu sedieren. Durch Partizipation sollte sie dagegen (politisch) aktiviert werden. Diese Aktivierungskunst allerdings sei inzwischen selbst wiederum von der herrschenden neoliberalen Hyperaktivitätsideologie vereinnahmt worden: „Partizipation ist das neue Spektakel.“ Sie erschöpfe sich zumeist in der üblichen Lebendigkeitsvermarktung und in Statistenausbeutung. Mit Blick auf Schwartes Modi der emanzipativen Partizipation stellte Diederichsen fest, dass es in den von ihm untersuchten partizipativen Kunstformen ein tatsächliches Überlassen der Autorschaft, also eben jener verantwortlichen Entscheidungsmacht, an die Teilnehmer praktisch nie gebe. Im Gegenteil, die gegenwärtige Praxis des Kuratierens laufe im Grunde auf eine ständige (Über-)Beanspruchung und Usurpierung der Autorschaft hinaus.

Auch Rebentisch ging von Diederichsens These aus, dass die ursprüngliche Intention der partizipativen Aktivierungskunst mit der Vereinnahmung durch die Kulturindustrie ins Gegenteil verkehrt worden sei. Sie warf nun aber auch die Frage auf, ob sich Kunst überhaupt von der Bourgeoisie trennen lasse, wenn selbst die aufrichtigste soziale Aktionskunst, die an den Rändern der Gesellschaft den bürgerlichen Bereich scheinbar tatsächlich verlässt, trotzdem noch dem neoliberalen Aktivierungsimperativ folge, um zuletzt doch wieder konsumierbare Bilder für das Bürgertum zu erzeugen. Dennoch machte auch Rebentisch die Rolle der Kunst als öffentlichem Reflexionsraum für letztlich partizipative Politik stark.

Partizipation als Problem

Dirk Setton schließlich relativierte die Formel von Partizipation als neuem Spektakel dahingehend, dass es die gängigen Formen der Sedierungskunst ja weiterhin gebe und dass beunruhigender Weise beide, partizipative Aktivierungskunst und passivierende Sedierungskunst, irgendwie doch denselben Effekt hätten. Welcher Effekt das aber genau sei, präzisierte Setton leider nicht. Stattdessen meinte er mit Alexander Düttmann, dass Kunst Partizipation überhaupt erst einmal als Problem erfahrbar mache. Die Teilnahme an Kunst sei immer paradox, ja im Grunde letztlich unmöglich, weil man immer ein doppeltes Verhältnis zu ihr einnehmen müsse, als Kunst und als Schein, also im (paradoxalen) „Bewusstsein des Scheins“.

An dieser Stelle der Debatte hätte man sich allerdings doch einen Moderator gewünscht, der die wichtigsten Fragen und Ergebnisse (die in der Diskussion naturgemäß nicht so konzise präsentiert waren, wie es in dieser Zusammenfassung versucht wurde) noch einmal aufgenommen und auf sie zurückgelenkt hätte. Stattdessen franste das Gespräch nun etwas aus, auch im zunächst erfolglosen Versuch, es schon an diesem Punkt – „partizipativ“ – für das Publikum zu öffnen. Dabei waren die Podiumsteilnehmer selbst bisher konkrete Antwortversuche auf die ja bereits im Vorfeld formulierte Frage nach echten, auch politischen Partizipationsmöglichkeiten noch weitgehend schuldig geblieben.

Autonomie und Souveränität

Erst ganz am Ende fasste Schwarte sie im Hinblick auf die partizipative Performance noch einmal in die Formulierung: „Wird jemand nur ausgestellt als der, der er ist; oder darf er sich auch als anderer darstellen?“ Sprich: autonom und selbstbestimmt agieren. Für den politischen Diskurs könnte man das vielleicht so ausdrücken: Wird die BürgerIn von der Politik – etwa im sogenannten „Bürgerdialog“ – nur als Transmissionsriemen für die eigenen politischen Botschaften missbraucht; oder wird sie als autonome Person, ja als der eigentliche Souverän, der sie ist, angehört und wahrgenommen? Oder darf sie gar verantwortlich mitentscheiden, in einer Weise, die über die weitgehend passive Teilnahme am vierjährlich stattfindenden – und zudem zunehmend langweilig werdenden – Politspektakel der Berliner Wahlfestspiele hinausgeht?

Darauf zitierte Schwarte aber nur noch einmal Groys mit der Forderung: „Wir müssen wieder unbeteiligte Zuschauer sein dürfen.“ Das wiederum nahm Diederichsen auf, wenn er zu allgemeiner affirmativer Heiterkeit daran erinnerte, dass es doch etwa der situationistischen Kunst letztlich darum gegangen sei, nicht mehr arbeiten zu müssen. Partizipation sei aber eben immer Arbeit. Vielleicht ließe sich das wenigstens hier noch zu dieser Forderung zuspitzen: weniger (Erwerbs-)Arbeit und weniger (leere) Kunstpartizipation, und dadurch mehr Raum für partizipativ-politische Arbeit – deren genaue Rahmenbedingungen allerdings noch näher zu umreißen wären. Zum Beispiel auch hier oder hier.

Tom Wohlfarth ist Literatur- und Kulturwissenschaftler, Philosoph, Autor und Blogger. Im Wehrhahn Verlag erschien 2015 sein Buch Genie in der Kunst des Lebens. Geschichte eines Goetheschen Gedankens

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2 Kommentare zu "Kulturtheorie
Nie wieder arbeiten?"

  1. Interessanter Artikel und Bericht!

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