Ukraine

Press Photographer | © Global Panorama / Flickr / CC BY-SA 2.0

Von Heinz Sauren

Korea, Vietnam, Afghanistan und zuletzt Syrien waren und sind schwer durchschaubaren Kriege. In denen kämpften und kämpfen nicht nur die USA und Russland um die regionale Vorherrschaft, sondern auch eine Vielzahl von regionalen Interessengruppen in der zweiten Reihe, die die Gunst der Stunde für sich nutzen wollen. Deren Ziele sind der Öffentlichkeit zumeist weniger offensichtlich, als die der großen Protagonisten. Es herrscht Verwirrung, bei den Kriegsparteien selber, als auch bei den medialen Beobachtern der Szenerie.

Wir sind Zeuge eines Krieges, in dem die Öffentlichkeit nicht nur als Zuschauer, sondern als aktive Kriegspartei an der Heimatfront gesehen werden muss. Dementsprechend obliegt sie dessen Regeln: Fehlinformationen, Täuschungen, positiv oder negativ überspitzte Darstellungen, kalkulierte Lügen und die Aufrechterhaltung eines genau definierten Feindbildes sind die Mittel des Krieges auf dem Propagandaschlachtfeld.

Umso schwieriger ist es, ein objektives Bild der Geschehnisse zu erhalten. Dennoch ist nicht davon auszugehen, dass die Nachrichten generell unwahr wären, sondern dass sie vielmehr entsprechend dem propagandistischen Zielen eine Denkrichtung implizieren, die angesichts eines bereits konditionierten Publikums seine gewünschte Wirkung entfalten soll. Nicht nur der Inhalt einer Nachricht ist entscheidend, sondern auch das Wann und durch Wen sie lanciert wird.

Spielball der Kriegsmächte

Teil des Kalküls auf jeder Seite ist, dass jede Nachricht vor dem Hintergrund einer zuvor hergestellten Gut und Böse Kennung völlig unterschiedlich bewertet wird. Dennoch kann der Glaube an die Objektivität der Nachricht erhalten werden, wenn sie nur geschickt genug eingesetzt wird. Mehr noch als die reine militärische Stärke ist ein Erfolg im Medienkrieg für den Sieg auf dem Schlachtfeld von essentieller Bedeutung.

Die sich selbst überschätzende, mediale Öffentlichkeit, gerät dabei zu einem interaktiven Spielball der Kriegsmächte. Ihr zwanghafter Anspruch, die Wahrheit deuten zu können, macht die Medien leicht berechnbar und beeinflussbar. Doch nur selten sind die Nachrichtengeber unvorsichtig genug, objektiv falsche Fakten zu streuen. Der wichtigere Teil der Nachricht, ihr eigentlicher Zweck, besteht nicht aus verifizierbaren oder entlarvenden Fakten, sondern in der durch sie ausgelösten Emotion. Die Konditionierung des öffentlichen Bewusstseins, gegen die sich heute  keine Politik mehr stellen kann, ist der nicht überprüfbare Zweck der Nachrichten. Nicht mehr und nicht weniger.

Bei all dem sind Russland, die EU und die USA mehr als beabsichtigt von regionalen Machtinteressen involviert worden. Ihre einmal besiegelten Bündnisse können sie allerdings kaum aufgeben, da dadurch ihre internationale Reputation als zuverlässige und übergeordnete Macht gefährdet wäre. Die Erfahrung, das Kriege heute asymmetrisch sind und nicht erst mit dem Einsatz von Kanonen und Raketen beginnen und nicht mit einem Waffenstillstand enden, teilt dabei jede Partei.

Vor diesem Hintergrund lassen sich einige Geschehnisse in der Ukraine, auch anders sehen, als sie medial dargestellt werden.

Die Sache mit dem Völkerrecht

Der Sturz des demokratisch gewählten, ukrainischen Ministerpräsidenten Janukowytsch, war ein von der EU und den USA inszenierter Putsch. Er diente der Erweiterung des NATO Einflussbereiches nach Osten, in Übereinstimmung mit der strategischen NATO Militärdoktrin seit Beginn der 1990er Jahre. Dieser Putsch stand im Einklang mit dem Völkerrecht, da er zwar durch politische Indoktrination, Bestechung und indirekte logistische Unterstützung ermöglicht, aber durch regionale Kräfte ausgeführt wurde. Entgegen der öffentlichen Meinung ist ein Putsch nur durch direkte äußerliche Einwirkung völkerrechtswidrig.

Dennoch ist die aktuelle ukrainische Regierung weder demokratisch noch völkerrechtlich legitimiert. Dazu hätte sie, gemäß der ukrainischen Verfassung, den gestürzten Ministerpräsident postum mittels einer parlamentarischen dreiviertel Mehrheit absetzen und sich selbst durch Wahlen bestätigen lassen müssen. Da es aber keine Sicherheit für ein gewünschtes Ergebnis gab, wurde darauf verzichtet.

Die Annektion der Krim durch Russland war ebenfalls völkerrechtlich abgesegnet. Auch hier wurde von Seiten Russlands massiv interveniert, aber es gab ein völkerrechtlich wirksames Votum, in dem eine Mehrheit für den Anschluss an Russland plädierte. Aus diesem Grund wird dieser medial vermutete Landraub auch international nicht mehr in Frage gestellt.

Die Toten auf dem Maidan, als auch die, die im Gewerkschaftshaus in Odessa starben, liegen in der Verantwortung Links- und rechtsextremer Gruppen innerhalb der Ukraine. Jene Gruppierungen versprachen sich von einer Eskalation ins Licht der gerechten Freiheitskämpfer gerückt zu werden, indem sie die jeweils andere Partei mit der Verantwortung für unmenschliche Verbrechen belasteten. Bezeichnender Weise wurden von der ukrainischen Regierung versprochene Untersuchungen zu den Vorfällen nie durchgeführt.

Fakten eines Stellvertreterkrieges

Die ukrainische Armee wird von einer nationalsozialistischen Gruppierung unterstützt. Der Rechte Sektor stellt dabei eine nicht zu vernachlässigende militärische Größe dar, auf die die ukrainische Militärführung im Kampf gegen die Seperatisten nicht verzichten kann. Zwischenzeitlich versuchte die ukrainische Regierung sich – auf Druck des Westens  – diesem zu entledigen.

Dennoch ist der Vorwurf Russlands, die ukrainische Armee würde von der EU und den USA unterstützt, zutreffend. Bereits seit Beginn der militärischen Auseinandersetzung mit den Separatisten befinden sich hochrangige NATO und US Militärs in der Ukraine, die das ukrainische Militär mit aufwendigem Aufklärungsequipment aktiv unterstützen. Zudem wird die Armee durch logistische Unterstützung, Treibstofflieferungen und finanzieller Hilfe zur Bezahlung des militärischen Personals am Leben erhalten.

Ganz ähnlich verhält es sich mit den Seperatisten. Ohne massive russische Unterstützung seit Beginn des Konfliktes hätte die Seperatistenarmee wohl kaum derart große Territorien halten können.

Der Abschuss des malaysischen Verkehrsflugzeugs MH17 war dabei die Folge einer der tragischen Verkettungen, die Kriege mit sich bringen. Es ist Folge aus der Notwendigkeit militärischer Erfolgsmeldungen, um desolate Situationen zu kaschieren. Im Übereifer und ohne die notwendige Sorgfalt wurde von der ukrainischen Armee ein militärisches Ziel ausgemacht, welches sich im nachhinein als ziviles Passagierflugzeug herausstellte.

Die katastrophalen Folgen für die öffentliche Reputation werden durch Geheimhaltung der Untersuchungsergebnisse zu begrenzen versucht. Die Veröffentlichung der Fakten zu MH17 würde in dieser Phase des Krieges, in der die zukünftigen Machteinflüsse in der Ukraine zementiert werden, einen entscheidenden Nachteil gegenüber Russland bedeuteten. Die EU und die USA werden sie erst dann veröffentlichen, wenn die dann enstehende kollektive Empörung das Geschehen in der Ukraine in seinem Ergebnis nicht mehr beeinflussen kann.

Primitiver Kriegspopulismus

Sowohl Separatisten als auch Regierung benutzen die Medien für ihre Ziele. Die westlichen Medien spielen dieses Spiel aus der Angst mit, ansonsten die Exklusivität ihrer Quellen zu verlieren. Die Separatisten füttern die russischen Medien mit Bildern sogenannter Gräueltaten der ukrainischen Regierung. Die ukrainische Regierung schlägt in dieselbe Sparte und nutzt ihre Nähe zu den westlichen Staaten. Scheinbar selbstverständlich positionieren sich ukrainische Politiker bei Interviews vor den gemeinsam aufgestellten ukrainischen und europäischen Flaggen, wie das für europäische Staaten üblich ist. Damit wird vor der europäischen Öffentlichkeit eine Zugehörigkeit suggeriert, die die Pflicht zur Hilfe begründen soll.

Der größte Verlierer dieses Krieges sind bisher die öffentlichen Medien. In unheilvoller und bewusster Positionierung zu jeweils einer Kriegspartei haben sie, in großen Teilen ohne Not, den Boden der journalistischen Neutralität so offensichtlich verlassen, dass ihre Glaubwürdigkeit auf lange Sicht beschädigt ist. Ein Beispiel unter vielen ist der Spiegel, der in reißerischer Aufmachung in primitiven Kriegspopulismus verfiel und damit den wahrheitsoffenbarenden Selbstanspruch seiner Geschichte, den er einst mit der Spiegel-Strauß Affäre begründete, konterkarierte.

Russland, die EU und die USA haben die Regeln des Medienkrieges verstanden und sie bedienen sich ihrer nach Kräften. Nicht verstanden wurden diese Regeln von den Medienhäusern, die glaubten, die öffentliche Meinung bestimmen zu können. Die Redaktionen sind nicht mehr Herr der Nachrichten, da Kriegsparteien heutzutage keine Presse-Briefings mehr abhalten, sondern die sozialen Medien füttern. Sie sind die Kriegsversehrten, und sie haben eine verunsicherte Bevölkerung zurückgelassen, die lernen muss, ohne die verlorenen Leitimpulse der öffentlichen Medien zu navigieren.

Dieser Beitrag ist eine leicht veränderte Fassung vom Original auf dem Freigeist Blog