Flexibiliät, die schädlich ist

Was passiert genau, wenn die Ungleichheit wächst?

Von Robert Misik

Keoni Cabral, "Pretty if". Some rights reserved. Quelle: www.piqs.deVor zehn Jahren galt, wer sich für mehr Gleichheit einsetzte (oder umgekehrt die wachsende Ungleichheit beklagte), noch als hoffnungslos altlinks. Selbst die Sozialdemokraten der Blair- und Schröder-Jahre waren bereit, die angebliche soziale Funktionalität von Ungleichheit anzuerkennen. Heute ist das Pendel merklich zurück geschwungen.

Nicht nur keynesianische Ökonomen wie Joseph Stiglitz, Paul Krugman, Nouriel Roubini und andere identifizieren die Ungleichheit als entscheidende Quellen unserer ökonomischen Misere, selbst die Reports des Währungsfonds und der OECD blasen regelmäßig in dieses Horn und fragen besorgt, „was die Politik gegen wachsende Einkommensungleichheiten machen kann?” Dass Ungleichheit nicht der Preis für Prosperität ist, sondern uns sehr viele Probleme einbrockt, das wird langsam schon der neue Common Sense. Gut so.

Aber wie genau hängen wachsende Ungleichheiten mit geringerem Wirtschaftswachstum zusammen? Und wie mit finanzieller Instabilität? Das „Inequality Project” der Universität Texas unter den Wirtschaftsprofessor James K. Galbraith studiert seit mittlerweile gut 15 Jahren den Grad an Ungleichheit, die Dynamik und die Ursachen seiner Veränderung und die ökonomischen Folgen, die Ungleichheit hat. Jetzt hat Galbraith ein ökonomisches Fachbuch herausgebracht, das wichtige Erkenntnisse zusammenfasst.

Zunächst erinnert Galbraith daran, dass „Ungleichheit” ein etwas unpräziser Begriff ist. Er subsumiert drei unterschiedliche Dimensionen von Ungleichheit: Lohnungleichheit – also die Ungleichheit zwischen verschiedenen Gehaltsgruppen unselbständig Beschäftigter. Die Einkommensungleichheit – also die Ungleichheit an Einkommen, wenn man alle Einkommensarten, nicht nur die Lohn- und Gehaltseinkommen betrachtet (Kapitaleinkommen, Mieteinkommen etc). Und schließlich die Vermögensungleichheit – die Ungleichheit akkumulierter Vermögen.

Nicht alle drei Ungleichheitsarten sind in den vergangenen Jahrzehnten gleich schnell gestiegen. Lohnungleichheit wuchs deutlich langsamer als die Einkommens- und Vermögensungleichheit.

Dies ist schon einmal ein deutlicher Einspruch gegen alle, die meinen, die Ungleichheit hätte gesellschaftlich nützliche Wirkung. Denn deren Argument geht ja in etwa so: Die wachsenden Ungleichheiten haben damit zu tun, dass gute Ausbildung heute deutlich höhere Einkommen einbringe, schlechte Ausbildung deutlich niedrigere. Dass also der technologische Wandel Qualifikation honoriert und deshalb wachsende Ungleichheiten die Folge sind. Aber die Ungleichheiten am Arbeitsmarkt und die Lohndifferenzen, die aus diesen folgen, können keineswegs das dramatische Wachstum der Ungleichheiten erklären.

Auch ein anderes, damit verbundenes Argument wird von den Autoren mit viel Empirie und Datenauswertung widerlegt: Dass „flexiblere” Arbeitsmärkte – also das Zulassen höherer Lohndifferenzen – aus diesem Grund zu geringerer Arbeitslosigkeit führen würde. Das Gegenteil ist der Fall: „Jene Länder, die geringere Lohnungleichheiten zulassen, haben systematisch eine geringere Arbeitslosenquote, vorausgesetzt, dass alle anderen Umstände gleich sind.” Und ein Mythos ist auch, dass Europa geringere Arbeitsmarktflexibilität als die USA hat und deswegen eine höhere Arbeitslosigkeit in den Jahren vor der Finanzkrise. Das Gegenteil ist der Fall: Europa hat – betrachtet man Europa als Wirtschaftsraum – mehr Arbeitsmarktflexibilität und höhere Lohnungleichheiten als die USA (die Lohndifferenz zwischen gutverdienenden Deutschen und schlecht verdienenden Griechen ist höher als die zwischen ihren jeweiligen „Kollegen” in Massachusetts und Alabama), und hat gerade deshalb eine höhere Arbeitslosigkeit.

„Die Reduktion der Lohnungleichheit in Europa … würde die chronische Arbeitslosigkeit reduzieren. Es ist also exakt das Gegenteil des vielfach verbreiteten Klischees wahr, dass Europa mehr ‚Flexibilität’ brauche – es braucht weniger.” Je geringer die Ungleichheit, desto mehr technologischer Fortschritt und desto höher auch der Produktivitätszuwachs.

Für die wachsenden Ungleichheiten ist aber ohnehin vor allem die „Einkommensungleichheit” (berücksichtigt man alle Einkommensarten) und die „Vermögensungleichheit” verantwortlich – mit einem Wort, das Wachstum der Ungleichheit vollzog sich nicht über die Arbeitsmärkte, sondern über die Finanzmärkte. Und hier vollzieht sich auch die Verbindung von Ungleichheit und Instabilität. Die Verbindung von beiden sind Schulden. Steigt die Ungleichheit, steigen auch die Schulden – denn die einen haben weniger Geld, als sie brauchen, und die anderen haben viel mehr Geld, als sie brauchen. Die einen leihen es den anderen (oder den Staaten, die damit soziale Dienste aufrecht erhalten, was aber auf das gleiche hinausläuft). Und dann wachsen die Vermögen der einen und die Schulden der anderen. Schuldenwachstum ist aber gleichbedeutend mit Wachstum der Instabilität.

Wohlgemerkt: All das sind keine „Meinungen” der Autoren und auch keine logischen Ableitungen auf Basis eines eingebildeten Axioms, sondern Forschungsergebnisse, die sich auf viele Datensätze und Fakten stützen. Wer heute noch behauptet, dass Ungleichheiten funktional sind, die Einführung von Niedriglohnsektoren irgendeine positive Auswirkung oder „rigide” gewerkschaftliche Tarifpolitik negative Folgen hätte, der muss nach dieser Studie sehr fest die Augen vor der Realität verschließen.

James K. Galbraith: Inequality and Instability. Oxford University Press. 324 Seiten, 23,50.- Euro.

Der Artikel erschien ursprünglich auf dem Blog des Autors misik.at und steht unter einer CC-Lizenz

Artikelbild: Keoni Cabral, “Pretty If”
Some rights reserved.
Quelle: www.piqs.de

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2 Kommentare zu "Flexibiliät, die schädlich ist"

  1. Pistepirkko sagt:

    Ich sage es schon mal: Gemeinsamkeit ist der Schlüssel des Erfolges einer Gesellschaft. Denn dann sind sie gleich unter Gleichen.
    Nur wer sich als Teil einer Gesellschaft verstehen kann, erfährt auch seine eigene Individualität.
    Wenn wir Menschen von der Teilhabe an der Gemeinschaft ausschließen, wie z.B. mit Harz4 usw., machen wie sie dadurch aggressiv. Seht die Gewaltzunahme in den Städten.
    Die Gleichheit ist immer auch einhergehend mit Teilhabe an der Gesellschaft.
    Teilhabe bedeutet auch, daß jeder, im Rahmen seiner Möglichkeiten, etwas zur Gesellschaft beiträgt. Das wiederum erzeugt Identität und man kann sein eigenes Individuum erkennen.

  2. KArin sagt:

    Das deutsche Manifest: Manifest
Wir, das deutsche Volk, die wir unter den Folgen einer Krise leiden, die wir nicht selbst zu verantworten haben, sind zusammengekommen um dieses Manifest zu verfassen. Wir rufen alle Bürger auf, sich uns anzuschließen .
Wir sind mit einer Situation konfrontiert, die alle Grenzen des Ertragbaren sprengt. Wir sind die Opfer eines beispiellosen Angriffes, bei dem die Finanzkrise als Vorwand dient, unser Leben und unsere Freiheit zu zerstören.
Die Täter sind jene, die sich mit der Komplizenschaft aller parlamentarischen Kräfte als unantastbare Herrscherclique über uns erhoben haben. Sie manipulieren alle Bereiche des Staates und der Gesellschaft, um ihre überzogenen Privilegien zu erhalten und ihre maßlose illegale Bereicherung fortzusetzen.

Wir erleben, dass uns jede Möglichkeit genommen wird, diesen beispiellosen sozialen Raubzug zu stoppen. Die Regierungen, die uns systematisch ausplündern, tun das genaue Gegenteil von dem, wozu sie ihren Wählern gegenüber verpflichtet wären.
Es gibt für uns keine Gerechtigkeit vor den Gerichten – aber sie, die Banker, Politiker und Geschäftsleute, die die Situation verursacht haben, werden nicht zur Rechenschaft gezogen.
Wir erleben, wie die politische Elite unsere Grundrechte und unsere Freiheit mit Füßen tritt, und wie wir Opfer staatlicher Repression werden, sobald wir eine Änderung der Situation verlangen.
Wir wissen, dass die Probleme so gravierend sind, dass eine Lösung nicht durch die üblichen Mechanismen des politischen Systems und schon gar nicht von dieser Elite für uns, die Menschen, zu erreichen ist.
Deshalb fordern wir den Rücktritt der gesamten Regierung, die unser Land in die Irre leitet, die Benzin ins das Feuer gießt und die uns in die Katastrophe führt.
Wir fordern die Auflösung des Parlaments und sofortige allgemeine Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung. Diese Versammlung wird, unter Beteiligung aller gesellschaftlichen Kräfte, eine neue Verfassung erarbeiten, da wir die derzeitige Verfassung als nicht mehr gültig betrachten, denn sie wurde in Hinterzimmern verfasst, von einer kleinen Herrscherclique.
Es müssen aber die Menschen selbst sein, die für den Staat, in dem sie leben wollen, die Rahmenbedingungen schaffen und nicht, wie geschehen, von einem Machtzirkel diktiert werden, der ausschließlich seine eigenen Interessen vertritt.
Wir fordern eine grundlegende Revision der Staatsverschuldung Deutschlands und ein Moratorium für den Schuldendienst – solange bis eindeutig feststeht, welchen Teil der Schulden die Nation tatsächlich zu verantworten hat – und zwar nachdem jener Teil davon abgezogen wurde, der nur den privaten Interessen weniger gedient hat und nicht für Zwecke verwendet wurde, die allen Bürgern zu gute gekommen sind.
Wir fordern strafrechtliche Ermittlungen gegen all jene, die in Verdacht stehen, sich an diesen Transaktionen bereichert zu haben, und wir verlangen, dass sie im Falle einer Verurteilung mit ihrem Privatvermögen haften.
Wir fordern eine Reform des Wahlgesetzes, damit Wahlergebnisse tatsächlich den Wählerwillen des souveränen Volkes widerspiegeln, was derzeit in keiner Weise der Fall ist.
Wir fordern die sofortige Aufhebung aller Reformen, die auf den Weg gebracht wurden, weil sie eine Katastrophe für unser Land sind und ein Verrat am demokratischen Auftrag, der ihnen vom Volk erteilt wurde.
Wir fordern eine gerechte Steuerreform. Dabei müssen zuallererst die Reichen und Privilegierten zur Kasse gebeten werden.
Wir fordern die Aufhebung der von der Regierung verordneten Amnestie für Steuerhinterziehung, da sie eine unerträgliche Verhöhnung aller ehrlichen Steuerzahler darstellt.
Wir fordern die Abschaffung aller Privilegien bei der Ausübung politischen Verantwortung und die Umsetzung strengster Kontrollmechanismen zur Erfüllung dieser Aufgaben.
Wir fordern, dass die vorhandene Arbeit unter allen Arbeitnehmern gerecht verteilt wird. Es ist ein großer Trugschluss zu glauben, dass Jene, die noch in Arbeit sind, nur mehr und härter arbeiten müssen. Dies nützt nur den Interessen und der Gier Weniger und es entspricht nicht den Interessen der einfachen Menschen.
Dieser Prozess wird das Resultat sein, der Bündelung aller sozialen Kräfte, die für eine gerechtere Gesellschaft kämpfen.

Wir sind die überwältigende Mehrheit.
Wir sind das Volk.
Was wir verlangen ist richtig.
Wir werden Sie nicht davonkommen lassen

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