Prinz Chaos II.
„Griechische Mythen und ein Dilemma, das keines ist“

Der Künstler und Historiker Prinz Chaos II. war auf Griechenland-Reise. Ein Gespräch über Tsipras, Syriza und die EU als “Völkerknast”.

Interview-mit-Prinz-Chaos---Foto

Vor einigen Tagen stimmte der Bundestag gegen die Stimmen der Linken für ein weiteres “Hilfsprogramm” für Griechenland. Allerdings ist die Haltung einiger Bundestagslinker hierzu reichlich verwirrend. Denn sie hätten, so sagen etwa Gregor Gysi und Katja Kipping, in Griechenland selbst schweren Herzens mit “Ja” für ein Paket gestimmt, das sie voll und ganz ablehnen. Jens Wernicke sprach mit dem Kabarettisten und Liedermacher Prinz Chaos II., der sich in Griechenland selbst ein Bild gemacht hat und nun einigen Mythen in der deutschen Debatte entschieden widerspricht. So habe es beispielsweise sehr wohl einen Plan B gegeben, der Syriza aus dem Dilemma, dem sie schließlich erlag, hätte befreien können.

Prinz Chaos, Du bist vor einigen Tagen nach Athen aufgebrochen, um Dir jenseits der Berieselung durch die hiesigen Medien ein eigenes Bild der Situation zu machen. Wie ist die Lage vor Ort?

Als wir die Flüge buchten, waren wir noch elektrisiert von den 61,5 Prozent Oxi beim Referendum. Wir erwarteten eine Stadt im Siegestaumel und eine Linke voller Selbstbewusstsein.

Als wir in Athen ankamen, hatte Tsipras aber bereits kapituliert und das dritte Memorandum war beschlossen worden.
Dementsprechend herrschte unter den Aktivisten Ratlosigkeit und blankes Entsetzen. Ganz Athen schien am Tag unserer Ankunft wie gelähmt. Und in den Straßencafés waren deutlich weniger Leute als sonst.

Wir waren auch in der Syriza-Zentrale. Der Genosse, den wir interviewen wollten, war aber nicht bereit, vor laufender Kamera zu reden. Er war nämlich für das Büro von Alexis Tsipras tätig gewesen, hatte jedoch kurz vor unserem Termin seinen Rücktritt erklärt, weil er den neuen Kurs total ablehnt.

Danach sind wir zu einer Internationalen Konferenz an der Uni in Athen gefahren. Deren Titel „Democracy Rising“ klang geradezu zynisch im Lichte der neuesten Entwicklungen. Da kam es dann zu wütenden Debatten zwischen Befürwortern und Gegnern des neuen Kurses, wobei die Gegner hier deutlich überwogen.

Die Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou sagte uns off the record, wie schockiert sie von Tsipras 180-Grad-Wendung sei. Sie hat auch im Parlament gegen den neuen Kurs gestimmt und eine knallharte Rede dagegen gehalten.

Costas Lapavitsas von der Syriza-Linken warb für einen gut vorbereiteten Grexit. Er machte vor allem deutlich, dass dieses dritte Memorandum eine absolute Garantie für eine rasch zunehmende Verelendung und ein ökonomisches Desaster darstellt.

Was bedeutet das, „zunehmende Verelendung“? Hast Du ein, zwei Beispiele für unsere Leser parat, was man sich darunter konkret vorzustellen hat?

Wir haben das Krankenhaus Elpis besucht, was auf Deutsch „Hoffnung“ bedeutet. Dieses Krankenhaus hat vor fünf Jahren begonnen, alle Patienten anzunehmen, auch die Unversicherten, Obdachlosen, Flüchtlinge. Und auch völlig abgebrannte deutsche Rucksacktouris.

Was wir in der Notaufnahme gesehen haben, war schon krass. Die Pflegekräfte tun, was sie können. Aber Du siehst vielen Patienten die bittere Armut und die Unterernährung deutlich an. 3,5 Millionen von 11 Millionen Griechen haben auch gar keine Krankenversicherung mehr. Oberärzte bekommen teilweise nur 3,50 Euro Stundenlohn. In einer Ärztezeitung haben wir von Fällen gelesen, in denen Müttern ihre Babies erst herausgegeben wurden, nachdem sie die Rechnung für die Entbindung beglichen hatten.

Und das alles kam … durch die sogenannten „Rettungsmaßnahmen“ der Troika in den letzten Jahren soweit? Was lief da schief?

Ich habe ein Interview mit Leonidas Vatikiotis geführt. Er ist Ökonomieprofessor an der Uni Zypern und Journalist. Er war auch Mitglied der „Wahrheitskommission über die griechischen Staatsschulden“. Diese Kommission hatte Zoe Konstantopoulou ins Leben gerufen. Sie wurde unter anderem geleitet von Eric Toussaint, der die Entschuldung Argentiniens, Osttimor und Ecuadors bereits erfolgreich begleitet hat und auch für die Afrikanische Union tätig gewesen ist.

Diese Kommission hat sich die griechischen Schulden sehr genau angesehen. 80 Prozent davon sind Schulden bei der Troika. Ein hoher Prozentsatz der zugrundeliegenden Verträge verstößt aber gegen griechisches oder internationales Recht. Es sind also illegale Schulden, deren Rückzahlung man mit guten juristischen Gründen ablehnen kann.

Die Spur der Korruption in Griechenland, die immer wieder angeprangert wird, führt außerdem zu Siemens und zu Krauss-Maffei-Wegmann.

Insofern ist es eine reine Klassenfrage. Die griechischen Oligarchen haben im Verein mit deutschen Konzernen, mit Banken und der EU-Bürokratie den Staat ausgeplündert und das Volk ins Elend gestürzt. Und die Korruption, die hier ablief, war Teil eines konzertierten Angriffs, den Yanis Varoufakis vollkommen zurecht „ökonomischen Terrorismus“ nennt.

Nun lesen wir aber ja überall, die Regierung Tsipras hätte gar nicht anders gekonnt, die Kritiker hätten selbst nicht anders zu handeln vermocht und sollten schweigen daher…

TINA, TINA, TINA: There is no alternative! Dieses Mantra wird nicht dadurch richtiger, dass es jetzt auch von Linken gesungen wird. Es werden auch allerhand Stories aufgetischt, die dem Land der antiken Mythen zwar sozusagen alle Ehren machen, die aber ganz einfach keine Grundlage in der Realität haben. Etwa diese Idee, es hätte keinerlei Plan B gegeben. Das ist falsch.

Es gab sogar vier Kommissionen, die eine selbstbestimmte Exit-Strategie entwickelten. Erstens die besagte Wahrheitskommission des griechischen Parlaments, international hochkarätig besetzt. Dazu gab es ein geheimes Fünfer-Komitee im Finanzministerium von Varoufakis. Drittens hat der linke Syriza-Flügel um den Wirtschaftsprofessor Costas Lapavitsas, der seit dreißig Jahren über Geld forscht, einen Fünf-Punkte-Plan entwickelt, wie man einen Grexit durchführen könnte. Und schließlich gibt es noch die Delphi-Initiative, wo alternative Geldtheoretiker wie David Graeber, Michael Hudson und der Weltbankdissident Peter König zusammenkamen.

Die Akteure dieser vier Gruppen, die allesamt an einem Exitplan gearbeitet haben, kennen sich zum Teil untereinander, haben Kontakt. Hätte man diese Vorarbeiten und Planungsstäbe zusammengeführt, hätte man sehr schnell einen detaillierten und hochwertigen Plan B entwickeln können und auch exzellentes Personal für dessen Durchführung gehabt.
Dummerweise hatten alle vier Kommissionen eine wesentliche Gemeinsamkeit…

Seite 2: Tsipras hat sich nie für ihre Arbeit interessiert

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5 Kommentare zu "Prinz Chaos II.
„Griechische Mythen und ein Dilemma, das keines ist“"

  1. giovanni gruen sagt:

    …ich denke die passende Bezeichnung fuer tsipras waere – Sozialdemokrat…

  2. Wo sind sind die Prioritäten der Linken?
    Ist die Besetzung der Institutionen der alten Macht überhaupt das Ziel?

    Welchem Zweck dient es schon diese Institutionen zu besetzen?

    Soll die Syriza eine linkes Projekte in Griechenland Verkünden, dass offensichtlich in ein zerstöreisches System eingebunden wäre, dass einem solchen Projekt keine Chance gibt?

    Oder sollen Syriza sich realistischen Zielen stelen, wie die Abwehr der Nazis, die ihre Springerstiefel schon geschnürt haben um Tsipras abzulösen?

    Man kann sicher darüber streiten, ob Tsipras recht hat damit, dass die Alternative zur Unterwerfung seiner “Regierung” unter die Erpressung der Martradikalen der Aufstieg der Rechtsradikalen ist.

    Ich kann das tatsächlich nicht beurteilen. Aber ich habe mehr vertrauen zu Tsipras und seinen Einschätzungen über Griechenland als zu jedem linken Kommentator von Aussen.

    Realistisch alein ist doch, die Institutionen vor allem deshalb zu besetzen um schlimmeres zu verhindern während der Kapitalismus und seine nationalen und übernationalen Gebilde untergehen.

    Realistisch ist es zu verhindern, dass sich die berechtigte Wut in noch mehr offenen Rassismus gegen Flüchtlinge entläd. Jede andere Regierung würde die offene Hetzjagd auf Flüchtlinge durch die Nazis billigen oder unterstützen.

    Kein Linker kann wollen, dass man die entrechteten Heimatlosen weiterer rassistischer Gewalt aussetzt, oder gar die Gewalttäter in die Regierung spült.

    Linke Projekte sollten in Griechenland jetzt von unten kommen. Wer wil schon eine Revolution von Oben? Wenn der Staat durch die Euroelite deligitimiert wird muss man den Staat gleichzeitig von unten her unterhöhlen, am besten mit verbündeten in der Regierung.

    Wenn die Menschen sich unabhängig vom Euro machen in dem sie lokale solidarische Projekte errichten, dann ist ein Grexit kein Druckmittel mehr und ein solidarisches Bollwerk gegen Rassismus und Ausgrenzung errichtet.

    Siehe dazu auch dieses Gespräch zwischen Charles Eisenstein und Maria Scordialos: https://www.youtube.com/watch?v=FhYrM-gUTPU

  3. Michael sagt:

    Völkerknast?
    Die EU arbeitet doch gerade daran, die alten Nationalstaaten aufzubrechen und ein neues Volk zu kreieren. Bei Jauch und Illner spricht keiner mehr von “den Deutschen”, sondern stets von “wir Europäern”. Die zukünftige Kanzlerin von der Leyen träumt sogar von einer europäischen Armee unter NATO, also Pentagon-Oberbefehl….

    Varoufakis hatte die Konzepte in der Tasche: Grexit, Parallelwertung, teilweise Schuldenschnitt, Abwertung, wieder wettbewerbsfähig werden.

    Selbst die Landwirtschaft ist in Griechenland nicht mehr konkurrenzsfähig. Oliven werden importiert.

    Vielleicht helfen da die über 1 Mio Flüchtlinge, die im Land leben. Für 1-2 Euro die Stunde könnten sie die griechische Landwirtschaft beleben…

    So sieht die bittere Realität von Syriza aus.

    Welch Wunder, dass Athen noch nicht brennt!

  4. kokkinos vrachos sagt:

    Syriza kann Griechenland nicht retten
    Warum keine Wahl aus der Krise herausführt

    Text von CrimethInc über Linksparteien im Allgemeinen und Syriza im besonderen.

    http://crimethinc.blogsport.de/2015/03/11/syriza-kann-griechenland-nicht-retten/

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