Postdemokratie
Keine, eine oder viele Alternativen?

Von den Gefahren des Versuches, die Regentschaft der Kaiserin TINA mit den ideologischen Waffen des 20. Jahrhunderts zu beenden.

Foto: ROSS HONG KONG / flickr / CC BY-NC-SA 2.0

Von Andreas Schiel

Das Ende der politischen Alternativen verkünden seit einigen Jahren Politiker und Wissenschaftlerinnen rund um den Globus. Da sind Abweichungen von dieser Sprachregelung sehr erfrischend: „The end of nature“, das Ende der Natur – oder vielleicht besser ins Deutsche übertragen: der Umwelt – vermeldete am 05. Februar der Geograph Erik Swyngedouw bei einer Veranstaltung an der Berliner Humboldt Universität. In einem der ungewöhnlichsten und inspirierendsten Vorträge, die ich in den letzten Jahren Gelegenheit hatte zu hören, erläuterte der in Belgien geborene und derzeit an der University of Manchester lehrende Wissenschaftler seine Sicht auf die Klimapolitik im Besonderen und auf den Status von Politik im 21. Jahrhundert im Allgemeinen.

Und diese Sicht beruht nicht etwa auf einer leichten Variation des bekannten TINA-Themas, sondern ist außerordentlich bemerkenswert und erhellend für alle, die an einer kritischen Analyse der größten Defizite westlicher politischer Systeme in unserer Gegenwart interessiert sind. Swyngedouw entlarvt geistreich die Denkfehler, ja man möchte sagen, die Idiotien einer Politik der Ausweg- und Alternativlosigkeit, die ganze Gesellschaften lähmen und handlungsunfähig machen kann.

Zwar ist er (zum Glück) nicht der einzige, der auf solche Probleme aufmerksam macht. Aber wie Swyngedouw in klassisch aufklärerischer Manier (dabei übrigens mit rhetorischen Talenten versehen, die einem Demagogen gut zu Gesicht stehen würden) rücksichtslos die scheinbare Rationalität einer krisengewohnten, ja krisenverliebten Politik zerlegt und als zutiefst unvernünftige Anbetung des status quo geradezu beschimpft, das ist mehr als originell. Weniger originell sind allerdings einige der politischen und weltanschaulichen Konsequenzen, die der Geograph aus dieser kritischen Analyse zieht. Die erinnern dann doch stark an das 20. Jahrhundert und sind dem Denken derjenigen, die heute den Ablauf der Politik wesentlich bestimmen, nur bedingt überlegen.

Der Gegensatz Mensch vs. Umwelt ist zu einfach gedacht

Aber der Reihe nach: Wie kommt Swyngedouw dazu, das Ende der Natur zu verkünden, und wozu soll diese Ankündigung dienen? Er richtet sich damit gegen eine Verabsolutierung und Glorifizierung, eine regelrechte Vergötzung der Natur, die auf die Vorstellung eines Antagonismus zwischen (böser) menschlicher Zivilisation und (gutem) ökologischem Gleichgewicht aufbaut. Dieser Antagonismus ist für Swyngedouw die tragende Denkfigur der heutigen Klima- und Umweltpolitik. Dieser Vorwurf eines quasi-religiösen Denkens an die Adresse von Umweltpolitikerinnen und Klimaforschern wird immer wieder geäußert. Aber nur wenige begründen ihn so pointiert, scharfsinnig und bissig wie Swyngedouw. Er attackiert seine Gegner mit einem Argument, das diese selbst gern als Waffe einsetzen: dem Vorwurf der Realitätsverleugnung.

Während die Anhängerinnen des Klimaschutzes und Fürsprecher der Umweltpolitik noch die nahende Katastrophe einer Zerstörung der Natur durch den Menschen fürchten, sagt Swyngedouw: Die Katastrophe ist bereits da. Während sie mit ihrer Untergangsrhetorik vor einer zu großen Einflussnahme des Menschen auf die Ökosysteme warnen, sagt Swyngedouw: Wir leben im Anthropozän, in einem Zeitalter das durch die massive Wechselwirkung von menschengemachter Lebenswelt und Natur geprägt ist. „The end of nature“ bedeutet also: Natur oder Umwelt existieren nicht unabhängig von uns Menschen. Sie sind in unserer heutigen Welt immer schon auf so vielfältige Weise mit menschlichem Leben und Handeln verknüpft, dass die Vorstellung der ‘unberührten Natur’ endgültig als irrationaler Romantizismus zurückgewiesen werden muss.

Das mögen viele akzeptieren. Aber wenn man das tut, warum sollte man dann nicht den Konsequenzen folgen, die Swyngedouw vorschlägt? Den Klimawandel und die menschengemachte Veränderung von Ökosystemen nicht als Frevel und Sünde verdammen, sondern nüchtern als Realität anerkennen? Sich den konkreten Problemen aber auch den Chancen stellen, die eine menschlich beeinflusste Ökologie mit sich bringt, statt auf internationalen Gipfeln das Zwei-Grad-Ziel anzubeten wie Wolfgang Schäuble seine schwarze Null? Was Swyngedouws Position dabei so stark macht, ist seine Bereitschaft, auch die Schattenseiten des von ihm konstatierten Anthropozäns zu sehen: Er ist kein ‘Klima-Retter’, aber eben auch kein ‘Klima-Leugner’. Die Klimakatastrophe ist da, wird er nicht müde zu wiederholen, allerdings nur „for some in some places“, also begrenzt und nicht notwendigerweise unbeherrschbar.

TINA hat Anhänger auch in der Öko-Szene

Wie aber sollen wir ein Problem politisch oder auch technisch beherrschbar machen, wenn wir unsere Energie darauf verschwenden, einer quasi-religiösen Ideologie Opfer zu bringen? Das ist die provokante Frage, die Swyngedouw aufwirft. Und sie gewinnt an Brisanz durch die gedanklichen Verbindungen, die er zieht, zu den bekannten Problemen der Ökonomisierung von Politik und der Depolitisierung der Ökonomie, zum Dogma der Alternativlosigkeit in Fragen der internationalen Finanzpolitik, zu den Tendenzen einer allgemeinen Depolitisierung der politischen Institutionen und des politischen Diskurses. Dabei ist die Klimapolitik für Swyngedouw das Trojanische Pferd der Depolitisierung. Mit ihrer erfolgreichen Behauptung einer negativen Zukunftsutopie, die nur eine Entwicklung kennt und die nur eine Form der Reaktion auf ihre apokalyptischen Herausforderungen erlaubt, führe sie im grünen Gewand und mit dem Versprechen der Errettung der Welt vor dem drohenden Untergang die Alternativ- ja die Ausweglosigkeit in das politische Denken des 21. Jahrhunderts ein.

Und aus diesem grün gestrichenen Trojanischen Pferd, so Swyngedouw, kletterten nun nach und nach die Verfechter von Argumenten, die zwar vollkommen andere politische Inhalte betreffen mögen, aber doch derselben Struktur folgen: Die Eurokrise? Ein apokalyptisches Szenario, das nur eine mögliche Lösung zulässt, wollen wir dem kollektiven Untergang entgehen: Austerität. Die finanzielle Überforderung sozialer Sicherungssysteme? Eine existenzielle Bedrohung des Staatshaushaltes die nur durch eine Politik abgewendet werden kann: Einsparungen und Privatisierung. Hier erscheint der kritische, der aufklärerische Scharfsinn, der Swyngedouws Analysen zu Grunde liegt. Es gibt nicht das links-alternativ-progressive Projekt der Umweltpolitik auf der einen und das reaktionäre, kapitalistisch-neoliberale Programm von Sparpolitik und Privatisierung auf der anderen Seite. Bei Licht betrachtet folgen beide derselben, denkbar schlichten Logik: Angesichts apokalyptischer Bedrohungen gibt es keine alternativen Handlungswege, sondern immer nur eine Lösung. TINA ist nicht nur eine gute Freundin von Angela Merkel, Wolfgang Schäuble und der Troika. Sie hat auch beste Kontakte in die Öko-Szene.

Seite 2: Mit moderner Ideologie gegen postmodernes TINA-Denken?

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Ein Kommentar zu "Postdemokratie
Keine, eine oder viele Alternativen?"

  1. ernte23 sagt:

    Der Text verspricht andere Schlussfolgerungen aus der Feststellung, dass wir uns im Anthropozän befänden, als die von Erik Swyngedouw in einem Vortrag an der HU Berlin, die als ideologisch antiquiert abqualifiziert werden. Zwar wurde mir nicht so ganz klar, worin das obsolet-ideologische Moment von Swyngedouws Ausführungen bestand, aber die einleitend versprochenen anderen Schlussfolgerungen hätten die Lektüre lohnen können. Leider sind sie so schwammig geraten, dass sie beinahe von den aktuellen Regierungsparteien hätten stammen können.

    Wie diese bedient sich der Autor eines unspezifischen „Wir” bzw. „uns”, um anders als diese die demokratische Reform der Demokratie zu beschwören: „Es liegt in unserer Hand, die Defizite und Mängel unserer Demokratie auf friedliche, auf demokratische Art und Weise zu bekämpfen und zu überwinden.” Selbst wenn man Klarheit darüber hätte, wer mit „uns” gemeint ist: Was passiert denn, wenn demokratisch entschieden würde, die Mängel der heutigen Demokratie beizubehalten?

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