Gedanken zum Aufruf an die europäische Politik von der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste
Von Günter Buchholz
Die jahrzehntelange Prozess der europäischen Einigung war und ist von einer doppelten Intention getragen. Zum einen ging es um eine wirtschaftliche Integration (EWG) und Freihandel (EFTA), und zum anderen um die Herausbildung einer politischen Gestalt Europas, die die nationalistischen Konflikte der Vergangenheit endgültig überwinden sollte. Wie gefährlich diese waren und latent noch sind, das zeigten exemplarisch die politischen und militärischen Vorgänge auf dem Balkan. Präsident Mitterand sagte – in Sarajewo! : „Le nationalisme c´est la guerre!“
In den ersten Jahrzehnten dieses Prozesses überwog die Vorstellung, diese politische Gestalt Europas sei als ein „Europa der Vaterländer“ (Charles de Gaulle) vorzustellen. In den letzten Jahrzehnten sind jedoch innerhalb der europäischen Eliten offenbar Vorstellungen dominant geworden, die die politische Gestalt Europas in Analogie zu den USA zu entwickeln trachten.
Die EU wird – mit den nötigen Abänderungen – als europäisches Spiegelbild der heute einzigen Weltmacht USA phantasiert, damit die europäischen Eliten der amerikanischen Elite endlich auf Augenhöhe begegnen können, und zwar handelspolitisch, währungspolitisch, außenpolitisch und militärpolitisch. Diese Zielsetzung lässt sich allerdings nicht mit derjenigen der amerikanischen Elite vereinbaren, die ihrerseits die US-Weltmachtposition auf Dauer bewahren möchte.
Die damit verbundene stärkere politische Zentralisierung Europas stößt allerdings auch intern und auf zwei Seiten auf Widerstand. Zum einen wollen manche Regierungen, insbesondere die Briten, keine machtpolitische Relativierung ihres Nationalstaats, so dass immer neue Kompromisse ausgehandelt werden müssen.
Aus diesen Gründen ist die EU-Politik in einem unbeliebten Inkrementalismus versackt, der die finalisierende Perspektive verloren hat, und das heißt, die Leitidee der europäischen Einigung. Hier hakt die ´Europäische Akademie der Wissenschaften und Künste´ mit ihrem Aufruf an die europäische Politik ein.
Allerdings, und zum anderen, befindet sich die europäische Bevölkerung in einem passiven Widerstand gegen diese Zentralisierung. Der Versuch der Eliten, Volksabstimmungen mit dem erwünschten Ergebnis einer Zustimmung zu den europäischen Verträgen durchzuführen und sich dadurch einer europäischen Verfassung zu nähern, ist zweimal gescheitert und wurde danach ganz aufgegeben.
Der europäische Zentralisierungsprozeß wird seitdem gegen die Bevölkerungen vorangetrieben, und diese reagieren, indem sie für Parteien votieren, die ihre Positionen und Interessen aufgreifen – oder die zumindest diesen Anschein erwecken. Seitens der Eliten werden diese Parteien wiederum mit dem Vorwurf des Rechtspopulismus angegriffen; aber Diffamierung löst keine Probleme.
Statt dessen wäre der politische Zentralisierungsprozeß ergebnisoffen zu thematisieren, was aber herrschaftlich blockiert wird. Und aus genau dieser Unterlassung quillt der Unmut der Bevölkerung, der von nicht etablierten Parteien eingesammelt, gebündelt und kanalisiert wird. Ohne die Lösung dieses Widerspruchs durch eine ernsthafte Beteiligung der europäischen Bevölkerung wird eine Leitidee – abgesehen vom allgemeinen Wunsch nach einer stabilen Friedensordnung – nicht neu formuliert werden können.
Auf dem Feld der Wirtschaftspolitik diente der Übergang von den nationalen europäischen Währungen zum EURO als gemeinsamer Währung einerseits dem Ziel, einen großen europäischen Wirtschaftsraum zu schaffen, und andererseits dem Ziel, dem Dollar eine vergleichbar bedeutende Währung entgegenstellen zu können. Da aber mit der einheitlichen Währung die Möglichkeit wegfiel, Änderungen der Währungsparitäten als Ausgleich von Leistungsbilanzungleichgewichten vorzunehmen, und da zugleich keine zentrale Wirtschaftspolitik vereinbart und institutionalisiert wurde, entstand ein Widerspruch: der Geburtsfehler des EURO. Von Anfang an hatte es, daran sei erinnert, kompetente Kritiker gegeben, die hierauf hingewiesen und vor den Folgen gewarnt hatten. Es kann heute niemand sagen, man hätte das nicht gewusst oder wissen können.
Zwar versuchte die Europäische Zentralbank, durch Zielvorhaben eine Leitlinie vorzugeben (das 2%-Inflationsziel), aber da nur Frankreich dieses Ziel einhielt, während es von Deutschland durch Lohndumping unter- und von den Südländern überschritten wurde, entwickelten sich Außenhandelsungleichgewichte, die sich im Verlauf der von den USA ausgegangenen Bankenkrise zur nur mühsam gesteuerten und bis heute nicht bewältigten europäischen und weltweiten Finanzkrise weiterentwickelten.
Eine Thematisierung der Außenhandelsungleichgewichte, speziell der deutschen Exportüberschüsse als Ursache der Probleme wird wiederum herrschaftlich blockiert, was insbesondere auf die Vorherrschaft der Interessen der deutschen Exportwirtschaft verweist.
Statt dessen wird hartnäckig eine deflationsfördernde Austeritätspolitik betrieben, flankiert von einer vollständigen Lähmung der Fiskalpolitik, möglicherweise auch aufgrund einer falschen Beratung der Bundesregierung. Lernfortschritte sind bisher leider nicht erkennbar.
Aber auch hier gilt: es gibt genügend kompetente Kritiker, von Krugman bis Flassbeck bis zur Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste, so dass niemand sagen kann, er hätte nichts gewusst, oder er hätte nichts wissen können.
Den dokumentierten “Aufruf an die Europäische Politik” der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste finden sie hier.
2 Kommentare zu "EASA-Memorandum
Quo vadis Europa?"