Freihandel klingt zu gut, um wahr zu sein. Es klingt, als ob beide Seiten in gleicher Weise von „Freihandelsabkommen“ wie CETA oder TTIP profitieren. Nichts trifft weniger zu.
“Ein Freihandel auf der ganzen Welt ist ein Vorteil für die USA und Europa“, schwärmte Barack Obama anlässlich der Eröffnung der Hannover Messe im April dieses Jahres. Und auf der anschließenden gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Merkel warb er für einen schnellen Abschluss des TTIP-Abkommens. TTIP ermögliche mehr Jobs, gemeinsame Standards, eine noch erfolgreichere Zusammenarbeit und neue Impulse für das wachstumsschwache Europa. Als Krönung pries er seine Freundschaft mit „Angela“, die er für ihre „strategische Weitsicht“ in der Flüchtlingskrise bewundere. Die Geschichte wird zeigen, dass Angela recht hatte, so Barack Obama.
Das klingt beinahe zu gut, um wahr zu sein und man mag versucht sein Barack Obama Glauben zu schenken und den Ratschlag des chinesischen Philosophen Konfuzius zu ignorieren, der bereits vor mehr als 2500 Jahren wusste: „Schöne Worte und schmeichlerisches Gehabe gehen selten mit wahrer Tugend einher“. Oder besser nicht?
Derselbe Barack Obama, der in Hannover die beiderseitigen Vorteile von TTIP, seine Freundschaft und Verbundenheit mit Angela Merkel und Europa pries, äußerte sich nämlich in einem Artikel über die Transpazifischen Partnerschaft (TPP) in der Washington Post vor wenigen Wochen folgendermaßen: „Der Bau von Mauern für die Selbstisolierung von der globalen Wirtschaft isoliert uns von großen Möglichkeiten. Stattdessen sollte Amerika die Regeln der Weltwirtschaft definieren. Andere Länder sollten nach den von den USA und ihren Partnern gestellten Regeln spielen, nicht umgekehrt. Die Transpazifische Partnerschaft ermöglicht uns dies.“
Diese Äußerung ist insofern erhellend und erschreckend zugleich, weil in ihr das eigentliche Motiv der US-amerikanischen Begeisterung für Freihandelsabkommen zu Tage tritt: Es geht weniger um eine Handelsbeziehung auf Augenhöhe, sondern darum, Vorteile und Gewinne für bestimmte wohlhabende Bevölkerungsgruppen in den USA und führende Investoren durchzusetzen – und zwar fernab eines wirklich „freien Marktes“ und freien und gleichberechtigten Handelsbeziehungen. Bereits in seinem im Jahr 1999 erschienen Buch „Profit over People“ hat Noam Chomsky diesen Zusammenhang näher erörtert. Er schreibt: „Die gepriesenen Doktrinen (des freien Marktes) dienen in ihrem Entwurf und ihrer Verwendung den Zwecken von Macht und Profit“.
Nach Chomsky entsteht damit ein System eines „globalen Merkantilismus der Konzerne“, der mit der Idee des Freihandels nicht mehr viel zu tun hat. Stattdessen besteht der Handel zum größten Teil in zentral geleiteten, innerbetrieblichen Transaktionen zwischen riesigen Institutionen, die „ihrem Wesen nach totalitär sind und nur dem Zweck dienen, demokratische Entscheidungsprozesse zu unterminieren und die Herren und Meister vor der Disziplin des Marktes zu bewahren.“ In ihren strengen „Lehrsätzen“ werden dagegen, so Chomsky, nur die „Armen und Hilflosen unterwiesen.“
Der Begriff „Freihandelsabkommen“ könnte also kaum irreführender und unzutreffender sein. Impliziert doch der Begriff, dass beide Seiten frei und gleichberechtigt agieren können und in gleicher Weise von den im Abkommen getroffenen Vereinbarungen profitieren. Nichts trifft weniger zu. Hierfür reicht ein Blick auf bereits bestehende wichtige Handelsabkommen, die die USA mit anderen Staaten geschlossen hat.
Beispiel NAFTA. Die Bilanz des im Jahr 1994 zwischen den USA, Kanada und Mexiko vereinbarten Handelsabkommens ist ernüchternd und bestätigt Chomskys These: In Kanada nahmen in Folge von NAFTA ausländische Direktinvestitionen massiv zu, vor allem in Form von Übernahmen und Fusionen von Unternehmen, mit der Folge, dass Großkonzerne noch größer wurden, die Produktivität der Kanadischen Wirtschaft hingegen insgesamt aber sank.
In den USA drängen seit Abschluss des Abkommens mexikanische Wanderarbeiter als Billigstarbeitskräfte auf den US-amerikanischen Arbeitsmarkt. Aus gut bezahlten Industrie-Arbeitsplätzen wurden schlecht bezahlte Dienstleistungsjobs und die Einkommensungleichheit ist seitdem massiv gestiegen. Die weltgrößte US-amerikanische Verbraucherschutzorganisation Public Citizen geht davon aus, dass durch NAFTA rund eine Million Arbeitsplätze in den USA verloren gingen.
Der große Verlierer aber ist Mexiko: In den Jahren nach NAFTA überfluteten die USA den mexikanischen Markt mit hoch subventionierten landwirtschaftlichen Produkten und übten so vor allem auf die Millionen kleinen einheimischen Mais-Produzenten enormen Druck aus. Viele waren nicht mehr konkurrenzfähig und verloren ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage. Der US-amerikanische Gewerkschaftsdachverband spricht heute von einer Million verlorener Arbeitsplätze zwischen 1991 und 2000 allein in der mexikanischen Maisproduktion und von einer weiteren Million in der mexikanischen Landwirtschaft insgesamt
Freihandel ist laut Definition ein System uneingeschränkten zwischenstaatlichen Handelsverkehrs, der Wachstum und Wohlstand schafft, Zölle und weitere Handelshemmnisse abbaut. Die Vorteile eines freien Handels sind unbestritten. Schon Adam Smith spricht sich vor über 200 Jahren in seinem berühmten Werk „Der Wohlstand der Nationen“ für den Freihandel aus und wird seitdem gern als Kronzeuge und Verfechter der freien Märkte ohne staatliche Eingriffe angeführt. Dabei thematisierte er sehr wohl die Rolle des Staates und stellte unmissverständlich klar, dass sich der Staat um bestimmte öffentliche Einrichtungen kümmern müsse und insbesondere dafür Sorge zu tragen habe, dass Bildungsangebote der breiten Bevölkerung zur Verfügung stehen.
Übertragen auf den freien Handel bedeutet dies, dass dieser auf fairen Prinzipen fußen muss. Ansonsten besteht die Gefahr, dass wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand nur bestimmten privilegierten Gruppen zuteil werden, die immer stärker an Macht und Einfluss gewinnen. So schreibt Adam Smith:
„Die Herrschaft einer privilegierten Gesellschaft von Kaufleuten ist wohl die schlimmste aller Regierungen für jedes Land (…) Sie betrachten nach wie vor den Handel oder den Einkauf von Waren, die sie wieder verkaufen, als ihre entscheidende Funktion, und in seltsamer Verkennung der Tatsachen sehen sie in der Aufgabe des Souveräns bloß ein Anhängsel zu den Pflichten des Kaufmanns, etwas, was diesem untergeordnet werden sollte.“