Was bezweckt eigentlich die Presse mit dem abwertend konnotierten Begriff “Putin-Versteher”? Ein Versuch der kritischen Einordnung.
Von Heinz Sauren
Russland mit seinem Präsidenten Wladimir Putin ist zum neuen Feindbild des europäisch-angelsächsischen Machtbündnis, der NATO, geworden.
Der kalte Krieg, der seit über zwei Jahrzehnten überwunden schien, wurde innerhalb nur weniger Wochen nicht nur wieder entfacht, sondern mit all seinen absurden Begrifflichkeiten und diffusen Ängsten fest im allgemeinen Sprachgebrauch etabliert. 25 Jahre bilaterale Annäherung scheinen vergebens gewesen zu sein.
Wie zu Zeiten des eisernen Vorhangs ist sie plötzlich wieder da, die Angst vor der fünften Kolonne Moskaus, jener subversiven Gestalten, die schon immer im Verdacht standen, die demokratische Freiheit an den russischen Bären ausliefern zu wollen. Mit ihr wurden die gleichen stereotypen Abwehrreflexe freigelegt, die sich schon damals ganz wunderbar medial bedienen ließen. Man weiß offensichtlich noch, wie es geht.
Neu etikettiert sind es nun nicht mehr gut organisierte kommunistische Parteikader, die den vermuteten, schändlichen Verrat an den Werten der Freiheit betreiben, sondern Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft, die nur eines zu verbinden scheint: Das Medium mit dem sie sich Ausdruck verleihen – das Internet, welches in etablierten politischen Kreisen generell schon als konspirativ angesehen wird. Ein schwer zu kontrollierendes Medium, das sich oftmals dem politischen Mainstream entzieht und schon allein dadurch verdächtig ist.
Diese vermeintlich alte, neu wieder auferstandene Klasse der Demokratiefeinde wird medial als die “Putin-Versteher” klassifiziert. Gerade die Medien als auch die Politik als Meisterzünfte der Rhetorik aber sollten zumindest ein rudimentäres Verständnis der Semantik besitzen. Die Begrifflichkeit des Verstehens beschreibt das kognitive Erfassen von Begründungen, Erklärungen und Argumentationsketten. Verstehen bedeutet nicht zuzustimmen, zu unterstützen oder zu verteidigen. Dem Versuch, dem Begriff des Verstehens wider besseren Wissens eine in dieser Frage negative, weil zustimmende Bedeutung zu geben, muss Vorsatz unterstellt werden. Es ist die bewusste und undifferenzierte Diskreditierung vieler Menschen, die sich dem politisch gewollten Feindbild nicht anschließen wollen.
Offensichtlich glauben die westlichen Regierungen, dieses Feindbild zu brauchen, um ihre Politik durchsetzen zu können. Es stellt sich die Frage, welche Ziele eine Politik des nicht Verstehen-Wollens verfolgt und aus welchem Grund der konträre Standpunkt Russlands und seines Präsidenten so unbedingt nicht verstanden werden soll. Kann es überhaupt eine sinnvolle Politik ohne Verständnis geben?
Man kann aus der Perspektive der Machtpolitik verstehen, dass die NATO und Russland ihre Machtbereiche sichern und erweitern wollen. Man kann ebenso verstehen, dass sich auch Russland – vor dem Hintergrund der permanenten Expansion der NATO in den letzten Jahrzehnten – zunehmend in seinen Sicherheitsinteressen bedroht sieht. Und man sollte verstehen, das nur gegenseitiges Verständnis der Eskalationsspirale entgegen wirken kann.
Dieser Beitrag erschien in einer leicht veränderten Fassung auch auf dem Freigeist Blog