Große Koalition: Gefährliches Demokratiedefizit

Kann eine parlamentarische Demokratie, wie die deutsche, sich selbst abschaffen?

Bild: Armin Linnartz, Merkel-Raute (CC BY-SA 3.0)

Von Heinz Sauren

Es gibt wichtige Grundsätze in einer Demokratie, die gegeben sein müssen, da ohne sie die Selbige in Frage gestellt wäre. Die Möglichkeit eines Volkes seine Regierung selbst zu bestimmen, seine Regierung kontrollieren zu können und die Verpflichtung einer Regierung, innerhalb der Vorgaben der Verfassung handeln zu müssen, sind solche Grundsätze. Die Väter des Grundgesetzes haben diese elementaren Bedingungen für eine Demokratie direkt im Grundgesetz verankert.

Was aber wäre, wenn diese Grundsätze in Frage gestellt würden, oder schlimmer noch, diese Grundwerte der Demokratie einfach aufgegeben würden? Undenkbar, sollte man meinen, und doch steht dieses Land unmittelbar davor, genau dieses zu tun.

Unter dem wirtschaftlichen Druck der Finanzkrisen seit 2008 ist mehrfach versucht worden, die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland auszuhebeln und unter die vermeintlich wirtschaftlichen Notwendigkeiten der Märkte zu zwingen. Das Grundgesetz machte die schlimmsten Auswüchse dieser Forderungen unmöglich. Sollten wir nun der Regierung erlauben, das Grundgesetz frei nach ihren Wünschen ändern zu können; und damit die Grundwerte dieses Landes, den wirtschaftlichen Forderungen des Finanzkapitalismus opfern?

Während der letzten Legislaturperiode musste die Bundesregierung unter Angela Merkel häufiger vom Bundesverfassungsgericht gestoppt werden, um verfassungswidrigen Gesetze aufzugeben. Wäre es sinnvoll, dem Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit zu nehmen, der Regierung jene Verfassungswidrigkeit zu attestieren und sie damit zu kontrollieren?

Untersuchungsausschüsse des Bundestages, wie zum Beispiel der NSU–Ausschuss und der Ausschuss zur Drohnenaffäre deckten das Fehlverhalten der Bundesregierung auf. Wäre es richtig, Untersuchungsausschüsse in Zukunft zu unterbinden?

Parlamentarische Anfragen im Parlament sind die einzige Möglichkeit der Opposition, jene Themen öffentlich im Bundestag zur Diskussion zu stellen, die die Regierung umgehen will. Manch eine Information, die unsere Regierung in der Vergangenheit lieber verschwiegen hätte, wurde auf diesem Weg öffentlich. Wäre es vernünftig, dem Parlament die Möglichkeit der parlamentarischen Anfragen zu nehmen?

Das Zeichen von Diktaturen ist immer eine Regierung, die im Prinzip machen kann was sie will. Die ohne weitere Zustimmung die Verfassung nach ihren Wünschen ändern kann, keiner parlamentarischen Kontrolle untersteht und zu Themen die sie nicht öffentlich machen will, einfach schweigen kann. Hätte Deutschland eine Diktatur, wenn das in diesem Land so wäre?

Genau dieses steht uns für die kommenden 4 Jahre nun bevor.

Mit an Sicherheit angrenzender Wahrscheinlichkeit wird die kommende Legislaturperiode unter dem Zeichen einer Großen Koalition zwischen CDU/CSU und SPD stehen. Unter dem Deckmantel eines vermeintlich normalen demokratischen Vorganges, der Koalitionsbildung, gehen wichtige Elemente unserer Demokratie de facto aber verloren. Diese Große Koalition wird über 503 Stimmen im Bundestag verfügen, während die Opposition aus Linken und Grünen auf 127 Sitze kommen wird. Die Opposition verfügt damit, nur über einen Stimmenanteil von 20 % im deutschen Bundestag.

Die Opposition liegt damit deutlich unter 25 % der Abgeordneten im Bundestag. Die Crux dabei: Das Grundgesetz besagt, dass mindest 25 % der Abgeordneten notwendig sind, um einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einzurichten, Anfragen im Bundestag durchzusetzen oder das Bundesverfassungsgericht als letzte Kontrollinstanz anzurufen. Die Opposition wird weder das Handeln der Regierung in einem Untersuchungsausschuss überprüfen, noch eine rechtliche Prüfung des Handelns der Regierung durch das Verfassungsgericht erzwingen können. Die Opposition wird die Regierung nicht einmal zwingen können, sich über parlamentarische Anfragen erklären zu müssen.

Dem gegenüber wird eine Regierung stehen, die sowohl im Bundestag, als auch im Bundesrat über eine 2/3 Mehrheit verfügt und damit nach ihren Wünschen, ohne jeglichen Einfluss oder Kontrolle der Opposition, das Grundgesetz verändern kann. Alles was heute unmöglich scheint, wird morgen möglich sein. Soviel Macht sollte eine Regierung nicht haben, vor allem nicht in Zeiten postdemokratischer Intransparenz und Konzernmacht.

Die nächste Legislaturperiode wird von großen Problemen bestimmt werden. Der wirtschaftliche Druck der Finanzmärkte wird enorm ansteigen, Europa fordert schon jetzt die Aufgabe der Souveränität zu Gunsten der Vision der Vereinigten Staaten von Europa. Gleichzeitig steht die Spaltung in ein reiches und ein armes Europa bevor, auf dem Kontinent und in jedem europäischen Land selbst. Dazu kommen Probleme die erst morgen ein Thema werden, weil sie schon heute weitestgehend aus dem Fokus ausgeblendet werden können: die Nahrungs-, Umwelt- und Ressourcenfragen. Die Lösung dieser Probleme einer Regierung anzuvertrauen, die de facto über diktatorische Möglichkeiten verfügt, ist demokratischer Selbstmord.

Noch bedarf dieses Szenario der Zustimmung der SPD Mitglieder, doch es ist wohl illusorisch, zu hoffen, dass diese nicht nach machtpolitischen Parteiinteressen, sondern im Sinne des Fortbestandes einer Demokratie entscheiden werden. Vielmehr steht zu befürchten, dass sie der Machtgier ihrer Parteiführung folgen werden. Die SPD ist mit 150 Jahren die älteste Partei Deutschlands und konnte sich bis zur Ära Schröder als eine Bewahrerin und Kämpferin für die Demokratie rühmen. Es wäre ihr nicht zu wünschen, dass sie als ihr Totengräber in die Geschichte eingeht.

Sollte dieses Land sehenden Auges die Grundwerte der Demokratie verraten, werden alle Bürger aufgerufen sein, das zu errichten, was im Parlament verloren gegangen ist – die Opposition. Die Wiederauferstehung einer APO, einer außerparlamentarischen Opposition ist dann das letzte Mittel, welches diesem Volk bleibt, den mächtigen Interessen global agierender Akteure und einer Regierung, die grundsätzliche demokratische Werte verlassen hat, entgegen zu treten.

Heinz Sauren studierte Rechtswissenschaften und Philosophie. Er ist Buchautor, Kolumnist und Essayist. Er bloggt auf Freigeist, wo auch dieser Artikel erschien.

Artikelbild: Armin Linnartz, Merkel-Raute (CC BY-SA 3.0)

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3 Kommentare zu "Große Koalition: Gefährliches Demokratiedefizit"

  1. abcmic sagt:

    Es ist schön wenn man noch so eine naive Vorstellung von der Welt und der Demokratie hat.
    Das ist genau die “blümchen Geschichte”, welche dann in den Geschichtsbüchern stehen wird.
    Die Wahrheit könnte sein… dass es immer Herrscher und Beherrschte gegeben hat (und wahrscheinlich geben wird), und die einen die anderen ausbeuten und BETRÜGEN. Die einen müssen für die anderen Arbeiten!
    Zumindest werden wir heute nicht mehr um unsere Leben betrogen, in dem wir in irgendwelche Kriege geschickt werden, welche bloß banales Mittel der Politik sind. Es hat sich so gesehen sehr viel verbessert!

    Um Lebenszeit werden wir allerdings immer noch betrogen, da man uns für wertloses Papiergeld zum Arbeiten “motiviert”. Sämtliche Produktivitätsgewinne der digitalen Revolution kommen nicht bei den Beherrschten an, das war übrigens bei der Industriellen Revolution zunächst nicht anders. (Was ist übrigens der Unterschied zwischen einer Banknote und einem Auto? es gibt keinen… beide kommen vom vollautomatischen Roboter-Fließband und die Herstellungskosten werden am Ende gleich der Rohstoffkosten sein)
    Was ändert sich? Wir sollen noch mehr und länger arbeiten für noch weniger “Geld”… doch wie ist dieser Betrug möglich? Warum machen die Menschen mit? Nur indem man die Beherrschten gegeneinander aufhetzt (Arbeitslose gibt es ja genug) …
    Große Koalition oder zu kleine Opposition, darüber braucht man sich keine Sorge machen, auch in 4 Jahren darf wieder gewählt werden, und auch dann wird das Wahlergebnis die fundamentalen Dinge nicht ändern.

  2. Heinz R. sagt:

    Eine Stimme aus dem kommenden Präkariat.

    Wer glaubt in Deutschland herrsche so etwas wie Demokratie, hat den Blick für die Realitäten verloren.Die Wirtschaft bestimmt die Richlinien der Politik.Der Rechtsstaat repräsentiert ein System feudalistischer Prägung.

    De facto ist heute unser Grundgesetz, dessen Legitimation man berechtigter Weise bezweifeln darf, nicht das Papier wert, auf dem es geschrieben steht. Damit steht es in einer Reihe, mit der von Deutschland unterzeichneten Menschenrechtscharta.
    Die jüngsten Enthüllungen in der NSA Affäre und das erbärmliche Verhalten unserer Regierung zeigen in aller Deutlichkeit,dass man bei Deutschland auch nicht von einem souveränen Staat sprechen kann.

    Welches Recht, welche Moral erlaubt es unseren Politikern sich an Kriegen zu beteiligen, die einzig den imperialistischen Interessen der amerikanischen Wirtschaft dienen?

    Weit wichtiger als die Frage, wie sie unser Grundgesetz manipulieren oder oder verdrehen, sind die Fragen:

    ” Ist dieses Volk zur Demokratie überhaupt fähig?”

    und

    ” Was hält diese Naion eigentlich zusammen?”

    Beides ausführlich zu behandeln, würde den Rahmen des Kommentars sprengen, deshalb belasse ich es bei diesem Denkanstoss.

  3. Walter P. sagt:

    Es geht nicht so sehr um die Fähigkeit. Bei der Breiten Masse geht es viel mehr um den Anreiz bzw. den persönlichen Nutzen und das dafür notwendige Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Gesellschaft um an einer Demokratie teilzunehmen. Das ist nicht mehr vorhanden und deswegen ist auch ein Großteil resignierend maximal in eine Beobachterrolle gewechselt.

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