NPD-Verbot: Die Risiken überwiegen

Von Florian Sander

Protestaktion gegen NPD-Parteitag 1990, Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1990-1007-012 / Hirschberger, Ralph / CC-BY-SA

Protestaktion gegen NPD-Parteitag 1990, Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1990-1007-012 / Hirschberger, Ralph / CC-BY-SA

Kommende Woche, am 5. Dezember, wird die Innenministerkonferenz über einen erneuten Anlauf für ein Verbot der rechtsextremen NPD beraten, einen Tag später wollen die Ministerpräsidenten entscheiden, ob es einen Verbotsantrag der Länder geben wird. Auch die Bundesregierung will sich dann positionieren. Bisher hat die breite Mehrheit der Länder ihren Willen zu einem Verbotsverfahren bekräftigt, lediglich Hessen und Saarland scheinen noch unentschlossen.

Auch der Bund hatte sich bisher skeptisch gezeigt, sowohl Bundesinnenminister Friedrich (CSU) als auch Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hatten vor einem erneuten Scheitern gewarnt, welches eine Stärkung der Rechtsextremen bedeuten würde. Niedersachsen hatte kürzlich seine skeptische Haltung abgelegt und befürwortet nun einen zweiten Anlauf, nachdem ein von der Landesregierung in Auftrag gegebenes, vom Vizepräsidenten des Karlsruher Sozialgerichtes Dollinger ausgestelltes Rechtsgutachten zu dem Ergebnis gekommen war, dass es gute Chancen für ein Verbot gebe.

Beobachtet man diese und andere Entscheidungsabläufe und Herleitungen für Positionierungen, so gewinnt man mitunter den Eindruck, dass Geschichte sich wiederholt. Schon einmal, im Jahre 2003, war ein NPD-Verbotsverfahren im Ansatz gescheitert. Zwar hatte dies andere Gründe – die Unklarheit darüber, welche Positionen von der NPD selbst stammten und welche von staatlich bezahlten V-Leuten – jedoch bestehen heute neue Unabwägbarkeiten, welche im Laufe eines Verfahrens zu einem unkalkulierbaren Risiko anwachsen können.

Zum einen geht es um den Nachweis einer „aggressiv-kämpferischen Haltung“, welche nicht nur (wie es ohne Probleme möglich sein sollte) einzelnen Mitgliedern attestiert werden können sollte, sondern eben der Partei als Organisation. Da die Behörden diesmal jedoch nicht nur ihre V-Männer im Vorfeld abgeschaltet, sondern auch äußerst sorgfältig gearbeitet haben dürften, dürfte dieser Nachweis noch das kleinere Problem darstellen.

Die weit größere Gefahr hingegen ergibt sich aus der Möglichkeit, dass sich die NPD nach einer etwaigen, tatsächlich erfolgten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes für ein Verbot an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wendet und dort gegen die etwaige BVerfG-Entscheidung klagt. Der EGMR hat die Hürden für ein Parteienverbot weitaus höher gelegt und setzt als Kriterium eine unmittelbare Gefährdung der Demokratie. Versucht man dieses Kriterium auf die bundesdeutsche Situation anzuwenden, so steht doch sehr in Frage, ob von einer Partei, die nicht nur seit längerem knapp am Rande des Konkurses manövriert, sondern auch in manchen Bundesländern so gut wie nicht existent ist und bei Bundestagswahlen nicht einmal annähernd die 5 % zu erreichen vermag, eine „unmittelbare (!) Gefahr“ für die Demokratie ausgeht.

Im Gegensatz zu den 50er Jahren, in denen unter anderem die KPD verboten worden war, reicht es in diesem Kontext eben nicht mehr aus, dass sich eine Partei gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richtet, sondern sie muss sie auch in unmittelbarer, d. h. konkreter Weise gefährden. Dass dies bei der NPD der Fall ist, darf bezweifelt werden. Da Deutschland sich im Zuge seiner auf weitere EU-Integration ausgerichteten Politik kaum einem dem BVerfG widersprechenden EGMR-Urteil würde entziehen können, droht hier eine politische Blamage ersten Ranges. Dies wissen im übrigen auch namhafte Staatsrechtler wie etwa Prof. Dr. Günter Frankenberg von der Goethe-Universität Frankfurt, der kürzlich nachdrücklich von einem zweiten Anlauf abriet.

Dass bei der politischen Entscheidungsfindung bei diesem Thema mehr als bloßer übertriebener Optimismus im Spiel ist, sondern womöglich ein ausgemachtes neues Beispiel für den fatalen Groupthink-Prozess bei politischen Gremien vorliegt, im Zuge dessen Politiker sich fortlaufend solange gegenseitig selbst in ihrer aktionistischen Fehlentscheidung bestätigen, bis sie gemeinsam ins Verderben rennen, zeigen Interviews insbesondere von Landesinnenministern. So bekundete etwa Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) kürzlich, auch ein Scheitern eines Verbotsverfahrens sei „verkraftbar“ und „keine Niederlage“, womit er unbewusst zeigt, wie sehr er unterschätzt, welch fatale öffentliche Wirkung ein im zweiten Anlauf gescheitertes Verbot für den Rechtsstaat hätte.

Den intellektuellen Vogel jedoch schießt NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) ab, der auf die Bedenken, die NPD könne beim EGMR klagen, antwortet, die NPD „kann sich nicht auf die Menschenrechtskonvention berufen“, da ihre Positionen den grundlegenden Werten der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) widersprechen.

Nun ist es völlig unbestritten, dass die NPD-Positionen hierzu im Widerspruch stehen – jedoch ist gerade das kennzeichnende Merkmal der EMRK deren Universalismus und somit die juristisch auch von der SPD sonst vertretene Grundhaltung, dass eben ausnahmslos alle sich auf sie berufen können, seien sie nun Extremisten oder nicht. Ein juristisches Prinzip, das die Sozialdemokraten etwa im Falle von Islamisten im US-Gefangenenlager Guantanamo Bay noch stets leidenschaftlich verteidigt haben. Eine Haltung, die Minister Jäger offensichtlich entweder aufgegeben hat oder aber nicht kennt. Ersteres wäre interessant, letzteres ein Armutszeugnis für einen Innenminister.

Eine weitere Frage berührt die prinzipielle Dimension der Debatte, die gerade für Liberale von besonderem Interesse sein dürfte: Sind Parteienverbote generell das richtige Mittel, um Extremismus zu bekämpfen? Dies ist aus einer liberalen Haltung heraus doch mindestens zweifelhaft, da extremistische Positionen mit dem Verbot einer Organisation eben nicht aus den Köpfen verschwinden. Sie bleiben vorhanden, sie radikalisieren sich womöglich noch weiter und sie sind im betreffenden Falle dazu auch noch schlechter beobachtbar, da der formale Organisationsgrad abnimmt, was die Szene für die Behörden noch diffuser und undurchsichtiger machen dürfte.

Vor dem Hintergrund der hier dargelegten Risiken, aber eben auch vor dem Hintergrund der prinzipiellen Haltung, Extremisten, aus welcher Ecke sie auch kommen, am ehesten durch kluge Argumentation entzaubern zu können, scheint ein zweiter Anlauf für ein NPD-Verbotsverfahren keine kluge Lösung darzustellen.

Florian Sander ist Politikwissenschaftler und Doktorand an der Bielefeld Graduate School in History and Sociology der Universität Bielefeld und bloggt auf florian-sander.blogspot.de

Artikelbild: Protestaktion gegen NPD-Parteitag 1990, Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1990-1007-012 / Hirschberger, Ralph / CC-BY-SA

Print Friendly, PDF & Email
Filed in: Gesellschaft Tags: , , , , , ,

Ähnliche Artikel:

Geleaktes Sitzungsprotokoll Geleaktes Sitzungsprotokoll
Kampf um rechte Wähler Kampf um rechte Wähler
9/11 nach Behring Breivik 9/11 nach Behring Breivik

5 Kommentare zu "NPD-Verbot: Die Risiken überwiegen"

  1. Pit sagt:

    Der erste vernünftige Schritt wäre doch, nicht die Menschen durch die Polizei niederknüppeln zu lassen, die sich gegen diese braune Brut wehren, sondern Antifaschisten zu schützen. Aber wie soll sich dieses Regime noch halten, Faschismus ist halt die einzige noch vorhandene Lösung und staatlich gewollt.

  2. Solveigh sagt:

    Nach dieser Prämisse:
    “Unmittelbare Gefahr für die Demokratie”
    müssten die CDU/CSU/FDP/SPD/GRÜNEN/ als aller erste Parteien verboten werden!

  3. Hans Kolpak sagt:

    Danke, Herr Sander, für Ihre präzise Einschätzung!

    Die Linken habens gut: Sie finden inzwischen ihre politische Heimat in allen Blockparteien. Die Linke tönt zwar laut, aber auch nur, weil sie in der Opposition sitzt.

    Die NPD dagegen unterliegt einer Fehleinschätzung und einer Dramaturgie, die schon lange nicht mehr differenziert zwischen legitimen nationalen Positionen und nationalistischem Schrott, der zwar unterstellt wird, aber nicht existiert. Da wird nur ein Feindbild geschürt.

    Ist es daher polemisch, die antifaschistischen Positionen mit den Parteiprogrammen der Blockparteien gleichzusetzen? Dies entspräche der Polarisierung unserer Gesellschaft in Antifas und NeoNazis durch die Strippenzieher in diesem unserem Lande.

    Das, was von den Mandatsträgern der Nationalen Partei Deutschland als hochverräterisch erlebt wird, ist der Ausverkauf deutscher Interessen, der bereits in den fünziger Jahren durch die Verschuldung deutscher Behörden begann. Heute haben wir sowieso nur noch einen Scherbenhaufen vor Augen.

    Hans Kolpak
    Deutsche ZivilGesellschaft

  4. Cora sagt:

    @Hans Kolpak: Wenn es sich bei dem nationalistischen Schrott nur um Unterstellungen handelt: Wie erklären Sie sich dann die Äußerungen von Udo Pastörs in folgendem Beitrag (erstmalig zu hören bei 1:07);
    http://www.youtube.com/watch?v=XaYZqKg8C98
    Meiner Ansicht nach sind sowohl (in diesem Falle äußerst schädlicher) Nationalismus als auch Antisemitismus innerhalb der NPD sehr real – da muss nicht erst irgendwas unterstellt werden.
    Wie dem auch sei: Laut Ministerpräsidentin Christine Liebknecht (Thüringen) stehen die Chancen für ein NPD-Verbot wirklich gut (Interview-Ausschnitte von heute): http://www.lvz-online.de/nachrichten/mitteldeutschland/lieberknecht-sieht-gute-chancen-fuer-npd-verbot–laender-wollen-ersten-schritt-machen/r-mitteldeutschland-a-165762.html
    Auf die Person Pastörs wird dabei nicht explizit eingegangen – aber dass er zu dem Verbot seiner Partei maßgeblich beigetragen hat, sollte es denn dazu kommen, ist offensichtlich.

  5. Hans Kolpak sagt:

    Wären solche Aussagen jemals Teil des Parteiprogrammes gewesen, wäre nie eine NPD irgendwo zur Wahl angetreten. Dafür gibt es schließlich Landeswahlleiter und den Bundeswahlleiter. Ob nun dieser Mensch ein V-Mann ist oder nicht – er wird geduldet und damit schaufelt sich diese Partei ihr eigenes Grab.

    Hätte ich jemals Verantwortung als Bundesvorstand in diesem Laden getragen, wäre jeder entdeckte V-Mann mit einem Riesengetöse in der Öffentlichkeit aus der Partei ausgeschlossen worden.

    Aber Dummheit und Parteipolitik sind schon immer miteinander ins Bett gestiegen. Für solche Leute verwende ich nur begrenzt Zeit. Die ernten, was sie säen.

    Nicht umsonst zitiere ich in meinem Blogeintrag zum Thema den NPD-Film vom 12. November 2012 “Die NPD wehrt sich”.

    Davon mal abgesehen: Politische Parteien sind ein Auslaufmodell. Die einzigen, die noch versuchen, als Partei dieses Parteienunwesen systemkonform ad absurdum zu führen, ist die NEIN!-Idee Deutschland, gegründet am 1. April 2012: http://www.NEIN-Idee.de bzw. http://www.NEIN-Idee.be mit den von mir verfassten Pressetexten.

Einen Kommentar hinterlassen

Kommentar abschicken

le-bohemien