Geleaktes Sitzungsprotokoll

Grüne insgeheim doch für Vorratsdatenspeicherung?

Von Gerd R. Rueger

Am 2. Mai hatte der Bundestagsausschuss Besuch von Dr. Reinhard Priebe, EU-Kommissionsdirektor für Innere Sicherheit. Thema war das EU-Vertragsverletzungsverfahren zur Vorratsdatenspeicherung gegen Deutschland. Die EU klagt für die Durchsetzung der anlasslosen Überwachung des Datenverkehrs. Widerstand kommt vom „Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung“ (AK Vorrat), der in Deutschland seit langer Zeit gegen das Überwachungsgesetz und seine Durchsetzung durch Brüssel kämpft.

Nun könnte ein dem AK-Vorrat zugespieltes Sitzungsprotokoll des Bundestags-Innenausschusses die Grünen entlarvt haben. Ihre nach außen dargestellte Position zur Vorratsdatenspeicherung scheint nach dem Wortprotokoll vom 2. 5. 2012 der nicht-öffentlichen Anhörung des Innenausschusses des Bundestags nicht mehr eindeutig zu sein.

EU-Kommissar Dr. Priebe beklagt im Ausschuss das Urteil des Bundesverfassungs- gerichts gegen die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie. Die Entscheidung aus Karlsruhe ändere nichts an der Verpflichtung zur einer EU-konformen Vorratsdatenspeicherung. So gibt der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz zu, dass der Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder und dessen damaliger Aussenminister Joschka Fischer die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung mit durchgesetzt hätten.

Wolfgang Wieland, der Innenpolitische Sprecher der Grünen, verweist auf das Wirken des Bundesinnenministers Otto Schily innerhalb der rot-schwarzen Koalition. Nicht von ungefähr äußerte Wieland die Befürchtung, dass sich nun die FDP auf Kosten der Grünen beim Thema Bürgerrechte profilieren könnte. Darüber, ob – und wenn ja – wie weit sich der Grüne tatsächlich von der EU-Richtlinie distanzierte, lässt das Protokoll indes unklar. Deutlicher äußerte sich der Abgeordnete Dieter Wiefelspütz (SPD), der das Urteil des Bundesverfassungs- gerichts indirekt scharf kritisierte:

„Die Richtlinie ist Europarecht und das zu bagatellisieren, macht mich vor dem Hintergrund der Qualitäten unseres Verfassungsstaates Deutschland betroffen. (…) Recht und Gesetz ist die Grundlage unserer Zivilisation und auch die Grundlage europäischen Denkens. Dass das hier bagatellisiert wird als eine Petitesse, das finde ich hochpeinlich. Strafverschärfend kommt hinzu, dass diese Richtlinie unter dem maßgeblichen Einfluss Deutschlands entstanden ist. Das ist nichts anders als die Wahrheit. Die rot-grüne Bundesregierung, Herr Schröder und Herr Fischer, hat vor Jahren diesen Prozess mit betrieben. (…)“

Eine ähnliche Meinung vertritt nach dem Protokoll allerdings auch Wieland. Er wies indes darauf hin, dass es während der Rot-Grünen Koalition für den Gesetzesentwurf keine Mehrheit im Parlament gab. Doch könne es keinen „vernünftigen Zweifel“ geben, dass Europäisches Recht umzusetzen sei, so Wieland. In diesem Zusammenhang kritisierte er auch die Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die sich mit ihrer Gegnerschaft zur Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie als „Jeanne d´Arc der Bürgerrechte“ feiern ließe.

Das Online-Magazin Telepolis bemerkte, dass Wielands oft verwendete “Wir”-Form darauf hin deute, dass der Politiker im Ausschuss zumindest für seine Bundestagsfraktion gesprochen habe. Deshalb könne es gut sein, dass von den Grünen trotz entgegengesetzter Wahlkampfaussagen kein Widerstand gegen eine Komplettüberwachung des Kommunikationsverhaltens aller Bundesbürger zu erwarten sei (wenn SPD und Grüne 2013 eine Mehrheit auf Bundesebene erhalten sollte). Insofern würde, so Telepolis, Rot-Grün in dieser Hinsicht keinen Unterschied zu einer Großen Koalition bedeuten.

Dass eine Rot-Grüne Regierung die EU-Richtlinien durchsetzen müsse, dazu sieht zumindest der AK-Vorrat genauso wie das BVG keine rechtliche Verpflichtung. So sei Deutschland vielmehr nach Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf Achtung des Privatlebens und der Korrespondenz) verboten, ein Umsetzungsgesetz zur anlasslosen Vorratsspeicherung aller Verbindungsdaten zu verabschieden. Die in der EU-Richtlinie 2006/24/EG vorgesehene Vorratsdatenspeicherung sei unverhältnismäßig und würde deshalb vom EU-Gerichtshof höchstwahrscheinlich bald für nichtig erklärt. Deutschland sollte lieber in der Zwischenzeit beantragen, wegen wichtiger Erfordernisse des Grundrechtsschutzes als Teil unserer öffentlichen Ordnung von der Umsetzungspflicht befreit zu werden. So empfiehlt der AK-Vorrat als Reaktion auf das EU-Vertragsverletzungsverfahren:

– Dass Deutschland von einer Umsetzung der EU-Richtlinie absehen und die absehbare Nichtigerklärung der Richtlinie durch den EuGH abwarten sollte

– Die Freistellung von der Umsetzungspflicht beantragen (siehe Punkt 1) und erforderlichenfalls einklagen sollte

– In der Zwischenzeit keinesfalls eine Vorratsdatenspeicherung einführen sollte, weil ein solches Gesetz auch bei Nichtigerklärung der EU-Richtlinie fortbestünde. Der Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums befristet die darin vorgesehene anlasslose und flächendeckende Vorratsspeicherung aller Internet-Verbindungsdaten (IP-Adressen, § 113a TKG-E) nicht einmal auf den Tag, an dem die europarechtliche Speicherpflicht außer Kraft tritt.

– Während die im Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums vorgesehene anlassbezogene Datensicherung (§ 100j StPO-E) im Grundsatz hinnehmbar ist, gilt dies nicht für die gleichfalls vorgesehene anlasslose und flächendeckende Vorratsspeicherung aller Internet-Verbindungsdaten (§ 113a TKG-E). Diese muss aus dem Gesetzentwurf gestrichen werden!

– Die Identifizierung von Internetnutzern (§ 100k StPO-E) muss außerdem wenigstens den Voraussetzungen für die Verwendung sonstiger Verkehrsdaten (§ 100g StPO) unterworfen werden.

Fraglich ist allerdings, ob die Stimme des AK-Vorrat öffentlich überhaupt ausreichend gehört wird. Der Einfluss von Lobbygruppen, Parteien und Unternehmen ist groß. Zudem droht eine Verschleppung der Vorratsdatenspeicherungs-Debatte, oder ein Durchwinken der Richtlinie im Windschatten der Fußball-EM. Damit aber währe ein weiterer Schritt zur Transparenz der Bürger gegenüber der Intransparenz der großen Konzerne getan. Zu befürchten ist ferner die Einschränkung der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Datennetzen und der Unversehrtheit der Privatsphäre, die bereits durch Acta bedroht wird.

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8 Kommentare zu "Geleaktes Sitzungsprotokoll"

  1. Piwi sagt:

    Wie blöde sind die Menschen?

    Glaubt ernsthaft jemand, dass die totale Überwachung zum Schutze der Menschen geschieht?

    Wie blöde sind die Menschen?

    Sehr blöde!

  2. END the EUDSSR !!! sagt:

    CSUGRÜNEFDPSPDCDU sind schon lang gleichgeschaltet –
    Richtung Sowjet-Europa´s Hochfinanzdiktatur EUDSSR !
    Ein Haufen Marionetten der Finanzoligarchen !!!!!!!

  3. mikel sagt:

    Trittin hat ja nun direkte Anweisung in Chantilly bekommen.

    Man sollte diese Drecksäcke endlich vor ein unabhängiges Gericht stellen.
    Aber das muss man sich zuvor wohl schnitzen…

    Redet da von Rechtsstaat, dieser Wiefelspütz, also dreister geht’s nimmer.

  4. KingBalance sagt:

    Frei nach der Devise: Alle sagten: Das geht nicht. Dann kam einer, der wusste das nicht und hat’s gemacht.

  5. Viator sagt:

    Erfreut euch daran, hier kritische Kommentare verfassen zu können, so lange es noch relativ unwahrscheinlich ist, deshalb von den Organen der neuen Ordnung gegängelt zu werden… mal eben eine Hausdurchsuchung unter Vorwand, etc.

    Sehen wir es mal so: Es gibt da einen sehr geduldigen Personenkreis, der es kaum erwarten kann, die unmittelbare Macht an sich zu reissen – indirekt ist dies ja bereits der Fall. Dieser wird sein Ziel nicht durch Vorschnelligkeit riskieren, wie er hinreichend gezeigt hat, aber wenn es soweit ist, wird er nicht zögern. Dann wird es plötzlich sehr schnell gehen und die Ereignisse werden sich überschlagen.

  6. CreatIX sagt:

    Danke für den Artikel! Sehr gut finde ich auch die Handlungsempfehlungen, hoffentlich liest da jemand mit, der politisch was zu sagen hat! Vorratsdatenspeicherung ist das Tor zur BraveNewWorld-Hölle. Unter dem Vorwand des Terrorismus hat schon das freiheitsliebende-NR.1-Land (USA) seine Glaubwürdigkeit durch fragwürdige Gesetze und Handlungen (Guantanamo) verspielt und grundlegenste Freiheiten abgeschafft. War das Ziel der Anschläge, eine irrationale Angst zu schaffen, die alles rechtfertigt? Über die europäische Ebene soll nun auch bei uns der Gläserne Bürger geschaffen werden. Ich fände es nicht schlecht, wenn sich das ein oder andere Land einfach an der Umsetzung solcher Vorlagen verweigert. Gibt es noch aufrechte Politiker? Ich habe jetzt wieder Hoffnung auf die Franzosen (und nat. noch die Deutschen)!

  7. Trine sagt:

    Also sieht es zur Zeit so aus, dass die Daten innerhalb 7 Tage noch gelöscht werden oder werden die Daten insgeheim trotzdem schon für ein halbes Jahr lang gespeichert? & Ab wann soll es denn eine Entscheidung geben?

  8. Thador sagt:

    Grün war mal die Hoffnung-
    ob Orange das wirklich ersetzen kann?

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