Das Drama des überzeugten Europäers

Daniel Cohn Bendit (Autor: Kenji-Baptiste OIKAWA (CC). Quelle: Wikimedia)Mitten in der schlimmsten EU-Krise ist ein heftiger Streit zwischen überzeugten Europäern und Euroskeptikern entbrannt. In der “Zeit” werfen sich der Europaabgeordnete D. Cohn-Bendit und der Soziologe U. Beck auf der einen und Politikchef B. Ulrich auf der anderen Seite vor, die Europa-Idee zu missbrauchen. “Wir sind keine Ideologen, wir fordern nur eine Revolution”, heißt die Devise der “Europhoriker”. Das Dumme ist: sie bejubeln eine Konterrevolution.

Von Eric Bonse

Eins vorweg: ich bin ein überzeugter Europäer. Ich bin 2004 nach Brüssel gegangen, weil ich einer kleinen europäischen Revolution – der Entstehung einer Verfassung und der Entwicklung einer eigenständigen EU-Außenpolitik – beiwohnen wollte. Leider musste ich dann mit ansehen, wie beides kläglich scheiterte. Schon damals wollten uns Leute wie Cohn-Bendit weismachen, dass Europa trotzdem vorankomme und es sich nur um eine kleine Krise handele, die dialektisch in ihr Gegenteil – einen großen Sprung nach vorn – verwandelt werden könne.

Einen ähnlichen Zweckoptimismus erleben wir auch jetzt wieder. Ausgerechnet die überzeugtesten und überzeugendsten Europäer behaupten allen Ernstes, dass die Euro- und EU-Krise eine enorme Chance bedeute. “Kleine Revolutionen” seien da im Gange, weil es plötzlich Dinge wie einen permanenten Euro-Rettungsfonds, eine Finanztransaktionssteuer oder ein Anleiheprogramm der EZB gebe. Cohn-Bendit und Beck gehen sogar so weit, Kanzlerin Merkel und EZB-Chef Draghi zu “Teilzeit-Revolutionären” zu erklären, weil sie diese neuen Instrumente geschaffen haben.

Was für ein Irrtum! Natürlich ist es richtig, dass Merkel & Co. noch vor zwei Jahren all das abgelehnt haben, was sie heute widerwillig aufbauen. Richtig ist auch, dass die neuen Instrumente zumindest theoretisch die Möglichkeit bieten, sie auszubauen. Aus dem ESM könnte ein Europäischer Währungsfonds werden, aus der Finanzsteuer eine eigenständige Einnahmequelle für die EU, aus dem Anleiheprogramm eine Transferunion. Theoretisch ließe sich all dies mit Eurobonds und einer demokratisch gewählten EU-Regierung zu einem neuen Ganzen ausbauen, das unsere Europhoriker “Vereinigte Staaten von Europa” nennen.

Doch wie sieht die Praxis aus? Die neuen Instrumente sind so programmiert, dass sie die EU spalten, die Demokratie aushöhlen und die Wirtschaft in den Krisenländern abwürgen. Der ESM wird dazu missbraucht, halb Europa ein neoliberales Crashprogramm überzustülpen. Das Anleiheprogramm darf nur nutzen, wer sich mit Haut und Haaren den Dogmen von Privatisierung und Liberalisierung verschreibt. Und die Finanzsteuer kommt erstmal nur den Nationalstaaten zugute. Merkel & Co. sträuben sich nicht nur dagegen, der EU eigene Steuern zuzugestehen, sie wollen Brüssel auch auf Dauer kurzhalten (siehe “Weniger Geld für mehr Europa”).

Intellektuell unredlich wird es, wenn unsere Protagonisten einerseits völlig richtig beschreiben, wie Deutschland die Krise für “hegemoniale Übergriffe” nutzt – und kurz darauf behaupten, Merkel und fast alle anderen deutschen Politiker seien “Europhoriker”, die mit revolutionären Taten um die Mehrheit in Deutschland rangeln. Wie passt das zusammen? Ist es nicht Merkel, die jeden großen “Sprung nach vorne” verhindert – ob er nun Eurobonds, Bankenunion oder EU-Steuer hieße? Ist es nicht diese Bundesregierung, die unter dem wohlfeilen Slogan “mehr Europa” versucht, mehr Deutschland durchzusetzen?

“Das ist keine Revolution, sondern eine Konterrevolution, lieber Dany l’Allemand!”

Das ist das Drama des überzeugten Europäers: einerseits will er in der Krise eine Chance sehen, endlich ein neues, demokratisches und solidarisches Europa zu schaffen. Andererseits muss er hilflos mitansehen, wie die EU unter deutscher Regie immer mehr zu einem autoritären und neoliberalen Projekt verkommt (siehe “Zwangsjacke Euro”). Das ist keine Revolution, sondern eine Konterevolution, lieber Dany l’Allemand!

Ich fürchte, dass wir dieses Drama erst dann überwinden werden, wenn wir uns von dieser EU und dieser Bundesregierung verabschieden und ein neues Europa jenseits der neoliberalen Eliten denken…

Dieser Kommentar erschien zuerst auf Lost In Europe

Artikelbild: Daniel Cohn Bendit (Autor: Kenji-Baptiste OIKAWA (CC). Quelle: Wikimedia)

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3 Kommentare zu "Das Drama des überzeugten Europäers"

  1. maschkom sagt:

    Wunderbar! Viele würden sich eine andere politische Grundhaltung in Deutschland und Europa wünschen, als den Neoliberalismus. Das wird um so schwieriger, wenn immer mehr Menschen nicht von der eigenen Hände Arbeit, sondern von Zinserträgen profitieren. Unser Geldsystem, die Einheitswährung EURO, mit seinem Zins und Zinseszins bringt die größten Profite hervor, wie sie die Welt noch nie gesehen hat. Zugleich ist dieses Zinssystem das größte Übel. Wegen der Zinsen stürzen ganze Völker in die Abhängigkeit von Geldgebern. Es entsteht eine Art Neokolonialismus. Weil auch die kleinen Leute davon profitieren wollen, erhalten die Befürworter auch deren Stimme. Man wird die sprudelnden Geldquellen natürlich nicht freiwillig abschneiden.

  2. Herle King sagt:

    ‘Cooperate or quit’: Greek govt uses
    bully-boy tacticts to cover failings?
    http://www.youtube.com/watch?v=CTFXL0UkabY

    und die zuKunft für viele Menschen in der EU-Zone:

    Neue Heimat Campingplatz
    – Wenn die Wohnung zu teuer ist (Doku)

  3. fakeraol sagt:

    “Europa” ist nur eine weitere Stufe der Hirarchie. Selbst wenn beim Neu”beginn” jedes Landes nach dem Krieg tatsächlich der “Souverän” hätte bestimmen dürfen, wer ihn in welcher Position vertreten soll, haben wir trotzdem heute die Situation, dass wir nur noch aus einer Vorauswahl, die innerhalb der Parteien von Oben getroffen wird, ein bischen pokern dürfen, wer uns wohl in den nächsten Jahren aetwas weniger gelügen, betrügen und verraten wird, als die anderen Kandidaten, und schon die Posten schachern die Herren und Damen da oben unter sich aus.
    Noch dazu diktiert die Politik der “Europarat”, also die meist “konservativen” (Euphemismus für “reaktionären”) Staatschefs der Länder, die dann ihren Bürgern gegenüber beklagen, das sie ja an EU-Gesetze gebunden seien (die sie doch selber dem EU-Parlament zur Absegnung vorgelegt haben). Weder würde das EU-Parlament weniogstens mit einfacher Mehrheit gewählt (nur 46% Wahlbeteiligung), noch wurde legitimiert, das die “konservativen” regierenden Parteien über den Umweg “EU-Rat” ihren eigenen Parlamenten die Entscheidungen diktieren können, also der “Oposition” (auch so ein Euphemismus) praktisch vorschreiben, was sie abzusegnen hat.

    Warum, glaubt ihr, scheuen diese Brüder den “Volksentscheid” wie der Teufel das Weihwasser?
    Normalerweise delegiert man Arbeiten an jemand anderen, wenn es effektiver ist, dessen Sachverstand zu nutzen, statt sich mühseelig selber in die Materie einzuarbeiten. Allerdings erwartet man davon dann, dass es so besser läuft, als wenn man es selber machen würde.
    Wenn ich sehe, wieviele sich nicht mal von “Petitionen” also von Bittgesuchen des “herrschenden Volkes” an seine beauftragten Vertreter mehr etwas versprechen, wieviele sagen “wir können ja doch nichts ändern”, dann sind die meisten wohl nicht zufrieden mit den Leistungen ihrer beauftragten Vertreter.
    Die Situation ist so grausig, dass es offenbar weniger Arbeit machen würde, sich selber mit der Materie der nötigen Entscheidungen zu beschäftigen, als unseren “Vertretern” hinterherzuflehen, das sie sich doch bitte (!!!) mal darum kümmern sollen, ihren 80 Mio. Arbeitgebern die geschuldete Leistung zu erbringen.

    “Wenn Du willst, das etwas RICHTIG gemacht wird, …..” <<<<< wer kennt die Lösung?
    Solange Menschen ihre Entscheidungsmacht an andere Menschen delegieren, werden diese sie immer wieder dazu einsetzen, sie weiter auszubauen und sich der Kontrolle durch diese Menschen zu entziehen und es ihnen zu verwehren, sich ihre Entscheidungsmacht zurückzuholen. Sie werden sie IMMER GEGEN ihre Auftraggeber einsetzen.
    Wenn ihr also wollt, dass Entscheidungen in EUREM Sinn getroffen werden, dann " … macht es SELBER"!!!
    Jeder Hirarchie führt früher oder später zu einer offenen Diktatur, wenn ihr jeder Euer Stück Macht behalten wollt, wenn Ihr mündige Bürger bleiben wollt, dann duldet keinen Herren über Euch, dann entscheidet SELBER, nicht in Form der "Diktatur der Mehrheit über die Minderheit", genannt "Demokratie", sondern im Suchen nach Ausgleich zwischen ALLEN Menschen, auch der "Minderheit".

    Genau das macht Ihr in Euren Familien, da werden ALLE Familienmitglieder berücksichtigt und Kompromisse geschlossen, mit denen alle leben können. Lasst Euch nicht einreden, wenn es um mehr Menschen geht, würde das nicht mehr funktionieren, weil es zu viele unterschiedliche Interessen gäbe. Schon in dieser Begründung steckt der Gedanke, die Interessen eines Teils der Menschen zu ignorieren und gegen sie eine Diktatur zu errichten.
    Die Wahrheit ist, das die wesentlichen Interessen aller Menschen sich gar nicht grossartig unterscheiden und sehr wohl unter einen Hut zu bekommen sind. Wir KÖNNEN alle MITeinander leben, wenn wir wollen.
    Die Minderheit zu ignorieren, keine Kompromisse zu suchen, mit denen alle leben können, bedeutet Unterdrückung, bedeutet Widerstand, bedeutet Aufbegehren und wenn man das dann niederzuhalten versucht, bedeutet es KRIEG!

    Wer KRIEG will, kann weiter für Hirarchie und die "Diktatur der Mehrheit" stimmen.

    Ich habe viele Väter.
    Ich habe viele Mütter,
    ich habe viele Schwestern,
    und ich habe viele Brüder.
    Meine Väter sind schwarz
    und meine Mütter sind gelb
    meine Brüder sind rot
    und meine Schwestern sind hell.
    Ich bin über zehntausend Jahre alt,
    und mein Name ist Mensch!

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