Das Abendland ist dabei, seine ökonomische und politische Vorherrschaft zu verlieren. Dieser externe Bedeutungsverlust hat auch interne Auswirkungen auf die Verfasstheit der politischen Ökonomie.
Von Sebastian Müller
Wir befinden uns in einer Übergangsphase, die vom langsamen Ende der Demokratie kündet.
Spätestens die europäische Krise zeigt es tagtäglich: Das Prinzip der Deregulierung und Privatisierung, verbunden mit einer rücksichtslosen prozyklischen Austeritätspolitik – eine Strategie, um im globalen Konkurrenzkampf nicht weiter an Boden zu verlieren – ist normativ und empirisch diskreditiert. Zumindest oberflächlich, denn die tieferen Logiken dieser Politik wurden durch die Hegemonie des Neoliberalismus mit dem ausgehenden 20. Jahrhundert im Alltagsverstand der Menschen verankert.
Um es mit anderen Worten auszudrücken: Es ist in der Öffentlichkeit und auch weithin in akademischen Kreisen die banale Erkenntnis gereift, dass mit dem Spielregeln des neoliberalen Systems der fundamentalen Krise, die die westliche Welt aufzehrt, nicht beizukommen ist. Und mehr noch – die neoliberale Logik ist in den Augen vieler Beobachter sogar der Auslöser und Teil dieser Krise. Neoliberalismuskritik ist en Vogue wie nie zuvor, und längst kein Alleinstellungsmerkmal der Linken mehr.
Allerdings beschert uns der von neoliberalen Ideologemen durchsetzte Alltagsverstand unserer Gesellschaft einen Verlust an geistigen Spielraum und damit verengte Problemlösungsstrategien. Das führt mitunter dazu, dass selbst in der Kritik am Neoliberalismus teils immer noch innerhalb neoliberaler Logik argumentiert wird, beziehungsweise lange Zeit zwischen zwei neoliberalen “Betriebsystemen” herumlaviert wurde.
Während der orthodoxe Neoliberalismus konservativ-liberaler Prägung zu deutlich für eine Umverteilung von unten nach oben steht – hat sich auch der abgemilderte “Dritte Weg” sozialdemokratischer Prägung als unglaubwürdig erwiesen: an eine Verbindung von neoliberalen Reformen und “Sozialverträglichkeit” glaubt fast niemand mehr. Die neoliberale Ideologie gerät in die Krise und verliert an Überzeugungskraft. Doch der Glaubensverlust ist nicht unmittelbar gleichbedeutend mit einem Hegemonieverlust – im Gegenteil.
Die Ökonomisierung des Politischen
Der weitgehende wissenschaftliche und öffentliche Wahrnehmungswandel führt – und das ist das Entscheidende – nicht zu einen Wandel in institutioneller und politisch-wirtschaftlicher Hinsicht. Es stellt sich vielmehr die Frage nach dem “befremdlichen Überleben des Neoliberalismus” (Crouch), sprich das Paradoxon, dass er trotz seines empirischen Versagens in der Krise als Instrumentarium um so mehr hegemonial und fundamental wirkt. Er zeigt sich resistent gegen makroökonomischen und zivilgesellschaftlichen Druck.
Die Gründe für diesen systemischen Dogmatismus aber sind weitaus beunruhigender als der Dogmatismus selbst: Nämlich das Zusammengehen der ökonomischen und politischen Sphäre, beziehungsweise der Assimilierung des Politischen durch die Ökonomie und damit im hayekschen Duktus die “Enthronung der Politik”. Und es ist genau diese Entwicklung, die das mittel- bis langfristige Fortbestehen der Demokratie mehr als in Frage stellt.
Der Journalist Geoffrey Geuens hat diese Assimilierung und damit nicht zuletzt die privaten Interessen des politischen Personals in einem Artikel in der Le Monde diplomatique aufgezeigt. Als Beispiel nennt er unter anderem die Ernennung von Mario Monti zum italienischen Ministerpräsidenten und die damit jenseits demokratischer Legitimität installierte sogenannte “Technokraten-” oder “Experten”-Regierung, was ” im Prinzip nur verschleiert, dass es sich um eine Regierung der Banker handelt” und “die meisten der neuen Minister aus den Chefetagen der großen italienischen Konzerne stammen.”
Kaum verwunderlich scheint es da zu sein, dass jüngst ausgerechnet jener Monti forderte, die ohnehin geschwächten nationalen Parlamente sollten weniger Mitsprache- sprich Einspruchsrechte bekommen. Doch damit macht Monti lediglich einen längst bestehenden strukturellen Trend zu einer konkreten Forderung. Der deutsche Bundestag verkommt – wie zum Beispiel die Abstimmung zum ESM eindrucksvoll belegt – zu einem gefügigen Abstimmungsorgan. Die zentralen Entscheidungen fallen auch hier längst hinter verschlossenen Türen, in Experten-Gremien und Ministerien, innerhalb derer der Einfluss der Privatwirtschaft italienischen Verhältnissen in nichts nachsteht.
Spätestens nach dem 2004 von Otto Schily etablierten Personalaustauchprogramm “Seitenwechsel”, – mit dem Vertreter aus der Wirtschaft in den Ministerien Posten erhalten und umgekehrt – liest sich die Liste derer, die nach ihrer politischen Karriere lukrative Positionen in der Wirtschaft bekommen haben, wie das “who is who” der deutschen Politik. Schily selbst sitzt heute im European Advisory Board von Investcorp, einer Beteiligungsgesellschaft mit Sitz in Bahrain. Und Geuens führt die Liste beliebig weiter: “Wolfgang Clement, unter Schröder Minister für Wirtschaft und Arbeit, hat einen Sitz im Aufsichtsrat der RWE Power AG und fungiert als “Senior Advisor” der Citigroup Global Markets Deutschland und als “Strategic and Operational Partner” der Investmentfirma RiverRock European Capital Partners. Caio Koch-Weser, von 1999 bis 2005 Staatssekretär im deutschen Finanzministerium, sitzt seit 2006 im erweiterten Vorstand der Deutschen Bank. Und der SPD-Spitzenpolitiker Peer Steinbrück, Finanzminister im ersten Kabinett von Angela Merkel, ist seit 2010 Mitglied des Aufsichtsrats der ThyssenKrupp AG.”
Da die institutionelle Verankerung neoliberaler Rezepte einerseits, als auch die Verzahnung von Ökonomie und Politik im 21. Jahrhundert bereits derart weit voran geschritten ist, dass ein ernsthafter politischer und ökonomischer Paradigmenwechsel so gut wie nicht mehr absehbar ist, kann mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von einer Verschärfung der Krise und – um es nüchtern und ohne Umschweife zu sagen – von dem endgültigen Ende der Demokratie ausgegangen werden. Der Neoliberalismus als Wirtschafts- und Gesellschaftssystem braucht in seiner konsequentesten Umsetzung auch kein demokratisches Regime. Er ist eine Ordnung der ökonomischen Elite und damit schlicht und ergreifend genau die Ordnung, die den Profit und Machtzuwachs dieser Elite gewährleistet und institutionalisiert. Und eben dies – so die banale Erkenntnis – erklärt die obige Paradoxie.
Seite 2: Nationaler Souveränitäts- und europäischer Demokratieverlust
Der Analyse ist zuzustimmen, doch über die Verwunderung des Autors bezüglich des “endgültigen Endes der Demokratie” möchte ich einige Gedanken als Diskussionsanstoß beisteuern:
1. Da ist sein Verständnis von “Demokratie”, das mich verwundert, geht er doch anscheinend davon aus – man korrigiere mich – dass die Herrschenden unter dem, was sie uns als Demokratie konstituiert haben, so etwas wie “Volksherrschaft” verstanden hätten. Oder warum meint er “nüchtern und ohne Umschweife” sagen zu können, das “von dem endgültigen Ende der Demokratie ausgegangen werden” müsse?!
2. Auch jede Form der bürgerlichen Demokratie ist nichts weiter als eine Magd der “neuen Herrscher der Welt” (J. Ziegler 2005), die ihrerseits eigentlich auch immer schon ein alter Hut gewesen sind, und zwar zu allen Zeiten.
3. Die von Sebastian Müller referierte Konzeption des Neoliberalismus ist allerdings nicht nur “eine Ordnung der ökonomischen Elite und damit schlicht und ergreifend genau die Ordnung, die den Profit und Machtzuwachs dieser Elite gewährleistet und institutionalisiert”, sie ist auch ein Herzensanliegen der Plappernden Kaste, die sich von den Herrschenden durch exzellent bezahlte Positionen alimentieren lässt.
4. Mario Monti, der in der FAZ diesbezüglich al “der mutige Europäer” gefeiert wird (13. 8.), wird in Le Monde folgendermaßen referiert: “Er bedauert, dass die (europäischen, also “demokratisch” gewählten) Regierungen bei der Rettung (!) des Euro Geiseln (!) der Parlamente geworden sind.” Womit er die Gegenthese zu Sebastian Müllers Wahrnehmung formuliert hätte.
Ich denke, dass keine Regierung – und die Gesetzesvorlagen kommen zu 99 % aus den Ministerien – zu keiner Zeit etwas anderes getan hatte als das, was – zumindest on the long run – den Herrschenden (nicht auch) genutzt hätte!? Parlamentarier waren nie etwas anderes gewesen als Durchwinker bzw. Gegner von Gesetzesvorlagen, alimentiert für die harte Arbeit, ihrer Klientel die Interessen der Herrschenden als deren Eigentinteresse zu verkaufen: Die Nichtauflösung der Bundeswehr trotz Fortfalls ihres grundgesetzlichen Auftrags namens “Verteidigungsfall” ist nur ein Beispiel von vielen, das die Ohnmacht der Parlamentarier, die man auch als “Geiseln” ihrer eigenen Karrierestrategien definieren könnte, beredt zum Ausdruck bringt.
Fazit: es gibt auch in Sachen “Demokratie” im Westen nichts Neues!
Der Fahrplan ist lange bekannt und wird natürlich nicht rauspossaunt. http://de.wikipedia.org/wiki/Staatenkartelltheorie – dabei interessant: Das Europäische Parlament ist nach der Staatenkartelltheorie ein – weniger wichtiges, nicht wirklich kartellnotwendiges – multifunktionales Gemeinschaftsorgan der EU:[6] Die eine Funktion sei die Inszenierung von europäischer Demokratie; hier sollen die demokratischen Anspruchshaltungen der Parteien und Bürger der Mitgliedstaaten symbolisch bedient werden resp. ins Leere laufen. Weitere Fahrplan hier: http://www.whi-berlin.eu/whi-papers.html
“Demokratie ist die Diktatur der Dummheit”, oder “kauft Scheisse, Scheisse ist gesund, 10 Millionen Schmeißfliegen können sich nicht irren” (unbekannter verfasser)
Demokratie wird immer gleich gesetzt mit “Gerechtigkeit”. Hmm, halte ich für falsch, denn demokratisch ist in USA die Todesstrafe. Vom Volk so gewollt. In Sachsen sitzen die Nazis im Parlament, vom Volk so gewollt.
Und wo sich das Volk einen scheissdreck um das Land schert, in dem es wohnt ist es das Gleiche.
Zwingt man ein Volk nicht sich um seine ureigensten Angelegenheiten zu kümmern, dann wird es genau das tun, was gerade passiert.
Wir brauchen mehr als nur “Demokratie”. Wir brauchen eine wirkliche Volksherrschaft oder einer muss entscheiden, aber nur wer?
Vielleicht ist es das menschliche Dilemma, was dahinter steckt, eben diese Art von Macht gar nicht ausnützen zu können, weil die Menschheit sich die Demokratie erst einmal verdienen muss, bzw. zu dumm ist, die Tragweite dieser Machtbefugnisse “Demokratie” überhaupt zu verstehen.
Wenn ich mir so an sehe, was alles zur Wahlurne geht, wenn es denn geht, dann kommt es mir wirklich hoch.
Also wie kann etwas sterben, was faktisch gar nicht existiert?
In Deutschland gibt es aber – trotz Demokratie – keine Todesstrafe.
Und dank Demokratie haben die Nazis selbst in Sachsen nicht wirklich etwas zu sagen.
Die Zustandsbeschreibung ist der Lage angemessen düster. Kein Hoffnungsschimmer, kein Ausblick auf Möglichkeiten der Überwindung des beschriebenen Prozesses. Wie auch?
In Anbetracht jener Entwicklung beschäftigen mich momentan folgende Fragen: Da die Verelendung der europäischen Völker nun eingeleitet ist – in Griechenland praktisch abgeschlossen und in Spanien derweil in vollem Gange – und wir mit Sicherheit erwarten können, dass die übrigen europäischen Nationen nach und nach folgen werden, welchen Nutzen bringt dies den Profiteuren wie multinationalen Konzernen und den ominösen Finanzmärkten wirklich? Sicher, zunächst einmal unermesslichen Reichtum – aber was nutzt am Ende eine komplett finanziell ausgeblutete Weltbevölkerung? Klar kann man dann wieder billig im Niedriglohnkontinent Europa produzieren lassen, aber wer soll denn dann noch für den Konsum sorgen? In Afrika und Asien geht die steigende Kaufkraft an den meisten Menschen ja doch noch recht spurlos vorbei. Schaufelt sich damit jene Elite nicht doch auch ihr eigenes Grab? Will man in jenen Sphären wirklich auf ein Leben in Raumstationen ausweichen?
Und was immer wieder benannt werden muss: Wir konnten bisher in dieser Krise – die immer noch von vielen als “Schuldenkrise” tituliert und wahrgenommen wird – viele, viele Masken fallen sehen. Wir haben einen Verrat der gesamten politischen Klasse an den Menschen Europas erlebt.
Die Stärkung der unkontrollierten, keiner Haftung unterliegenden Finanzwirtschaft war politisch gewollt – sie war sicher erkauft, aber das alles fand im Rahmen politischer Gesetzgebung statt. Die Politik hat sich selbst machtlos gemacht – oder besser: die Macht der Staaten wurde von ihren jeweiligen Lenkern gegen ein paar persönliche Vorteile eingetauscht. Wir dürfen nicht vergessen, wer uns verraten und an die Reichen verkauft hat.
Also Demokratie ist ja nicht möglich! Das Prinzip des Staates und dessen Funktionen sprechen schon dagegen. Wie sollte ein Volk herrschen, dass hochgradig arbeitsteilig organisiert und sozial sehr stark differenziert ist? Wo sollte hier eine Gemeinsamkeit über die Ziele bzw. den Weg diese Ziele zu erreichen, möglich sein? Es ist kein Geheimnis, dass es immer Macher und Gemachte, Führer und Geführte etc. geben wird. Die Frage wird aber dennoch sein, in wessen Interesse vorrangig Politik betrieben wird und welche Ziele verfolgt werden.
Demokratie erfordert keine Gemeinsamkeit über die Ziele, sondern nur Mehrheiten.
Am besten funktioniert es, wenn man sich auf einen (kleinen) gemeinsamen Nenner einigt (das ist dann die Verfassung) und ansonsten soviel Freiheiten wie möglich zur Selbstentfaltung läßt.
Wer ist der Demos, also die Mehrheit, in der Bundesrepublik? Und wie kommt diese Mehrheit zustande? Das Grundgesetz dürfte hier nicht genügen, da es eine Deklaration in abstrakter Form darstellt und als ein Regulativ oder gar als Richtschnur des Handelns kaum in Frage kommen kann. Der kategorische Imperativ oder die Kantische Pflichtethik hat ja auch nicht funktioniert.
Auf Ihre Frage,” welchen Nutzen bringt dies (die Ausbeutung) den Profiteuren wie multinationalen Konzernen und den ominösen Finanzmärkten wirklich? Sicher, zunächst einmal unermesslichen Reichtum – aber was nutzt am Ende eine komplett finanziell ausgeblutete Weltbevölkerung?” fällt mir nur nur diese Antwort ein:
Es gibt sie ja nicht als homogene, am Wohlergehen des anderen Ausbeuters interessierte Gemeinschaft der Ausbeuter, sondern sie stehen untereinander in einem z. T. ruinösen Konkurrenzverhältnis, man kann es auch Krieg nennen.
Insbesondere dem “raffenden Kapital” http://profiprofil.wordpress.com/category/raffendes-kapital/ aber ist das Hemd näher als der Rock, und alle diese Egoshooter spielen “Malefiz”, also der Parole entsprechend: nach mir die Sintflut.
Und es muss der Neid ihnen lassen: mit dieser Strategie kann man sich auch (und gerade dann) persönlich bereichern, wenn die Welt zugrunde geht.
Tja, wenn man es so düster sieht!
Ich glaube der Autor versteht nicht das man ihn diese Sichtweise glauben lassen will, damit es so kommt wir er schreibt und wir noch besser beherrschbar sind.
Ein von Menschen gelebtes System funktioniert nur so lange, so lange die Menschen an dieses System glauben.
So gesehen kann man nun auch geneigt sein zu glauben das der Autor unseren Glauben an das System manipulieren will.
90% der Menschen haben keinen Vorteil wenn sie an dieses System glauben. Es tun aber von diesen 90% ca. 75% und das macht doch Hoffnung.
Denn nach der Gruppendynamik langt es wenn 5% etwas anderes machen. Dieses 5% können den Rest mitreissen.
OK…. vielleicht wird es keine Demokratie mehr geben. Aber vielleicht ist etwas anderes doch besser?
Gelungener Artikel, der die neoliberale Philosophie, Denk- und Handlungsweisen auf den Punkt bringt und dem ansich nichts mehr hinzuzufügen ist, ausser vielleicht, dass ich nicht mehr von einer Krise sprechen würde, sondern von langer Hand geplanten bewussten Umbau oder Abbau der Sozialstaaten unter dem Scheinwort “Krise”.
Wie der Artikel zeigt, wurde jede kleine Veränderung geplant. Eine Krise entsteht tatsächlich nur plötzlich durch ein krisenhaftes Ereignis und darf nicht länger als 1 bis 2 Wochen andauern, wenn sie mit entsprechenden Mitteln behoben worden ist.
Dauert sie länger, taugten die Mittel nicht und es hätten neue angewandt werden müssen, was in diesem Fall der Banken-, Finanz- und Staaten-“Krise” ja nicht staatgefunden hat.
“Nimmt die Entwicklung einer Krise einen dauerhaft negativen Verlauf, so spricht man von einer Katastrophe oder Niedergang” (wikipedia)
Genau dieser Niedergang war von Anfang an geplant und wir alle sind Zeitzeugen, wie über die Ökonomie die europäischen Sozialstaaten samt ihrer Demokratie zerlegt werden in marktkonforme Vasallenstaaten.
Dieser treffenden Analyse möchte ich Arthur Jensen’s Konzernkosmologie beifügen: http://youtu.be/NKkRDMil0bw
Ende der Demokratie, so wie wir sie jetzt erleben.
Da kann ich nur sagen, warum nicht?
Wenn Demokratie Minderheitenschutz bedeutet hätte, kann es nicht sein, dass eine Entscheidung gefallen ist, wenn die Hälfte plus einer Stimme das ist, was gilt. Minderheiten kommen da nicht vor.
Demokratie und Kapitalismus: wo die Produktionsfaktoren immer so ausgelegt sind, dass Geld plus Boden das non-plus-ultra sind, was sollte daran ”gut” sein.
Das s.g. Ende der Demokratie kann doch genausogut ein Anfang dessen sein, worauf wir schon lange warten, es sich bloß keiner getraut hat, zu glauben, es könnte werden.
Irgendwann gehen wir dorthin, wo wir glauben gemacht wurden, das gäbe es nicht.
Ich finde die Marktwirtschaft toll. Als Wirtschaftssystem. Aber sie ist KEIN Gesellschafts- und kein politisches System. Da bin ich für Demokratie.
Beide, Demokratie und Marktwirtschaft, passen wunderbar zusammen, wenn man – wie auf anderen Politikfeldern auch – das Primat der Politik anerkennt.
Und wenn man sich die Märkte mal genau ansieht – z.B. die Videos bei http://mosereien.wordpress.com/2012/08/15/wir-mussen-die-maerkte-beruhigen/ – dann das Politikziel der “Beruhigung der Märkte” noch absurder. Sollen sich die Märkte doch bitte einmal selbst beruhigen. Politik hat andere Prioritäten.
Zitat:
>Beide, Demokratie und Marktwirtschaft, passen wunderbar zusammen, wenn man – wie auf anderen Politikfeldern auch – das Primat der Politik anerkennt.<
Da bin ich eher skeptisch. Eine "freie marktwirtschaft" wie sie von Milton Friedman und Friedrich von Hayek postuliert und propagiert wurde, kann in einer Demokratie nicht funktionieren, denn sie geht *notwendiger Weise* mit Zwangsmaßnahmen und Repressalien gegen das Gros der Bevölkerung einher, die sich ob ihrer Schärfe so nur in totalitären bzw. autoritären Systemen durchsetzen lassen.
Daraus wiederum folgt: wer eine "freie Marktwirtschaft" nach von Hayek und Friedman installieren will – und das ist offensichtlich das Ziel der aktuellen "Eliten" – muss zunächst das politische und gesellschaftliche System von demokratisch auf autoritär umstellen.
und genau das ist auch in D gerade in vollem Gang.
Hervorragender Artikel! Bravo! Den ersten Leserkommentar von @blogfighter als Geschmacksverstärker noch untergerührt – und fertig ist Suppe. Guten Appetit!
Ich will nicht unhöflich erscheinen, aber ist dies nicht etwas absurd?
Manche Blogger sollten vielleicht öfter mal den Kopf aus den eigenen Seiten nehmen und sehen was der Rest der Welt so wahrnimmt?
Vor mittlerweile 6 (sechs!) Jahren erschien Colin Crouchs Buch „Postdemokratie“
http://de.wikipedia.org/wiki/Postdemokratie
Alles was du hier mühsam zusammenstellst ist seit 6 Jahren weltweit bekannt!
Das wäre noch nicht schlimm, denn je öfter man diese ja richtigen Einsichten verbreitet, desto besser. Aber wie alle langweiligen Gut-Menschen lässt du auch den inneren Zensor walten. Denn wie überall, auch in den NDS, wird das Symptom mit der eigentlichen Ursache verwechselt!
Natürlich ist es das Politikergesindel, das sich weigert gegen den Zerfall der Demokratie anzugehen. Warum sollten sie auch? Sie entscheiden die Höhe ihrer Diäten und sind pensionsberechtigt, egal was sie tun….
Die Frage müsste doch sein: Wie sind diese Herrschaften, also in DE die Kohl, Schröder und Merkel, und im Ausland zB die Sarkozy und Berlúsconi an die Macht gekommen?
Durch einen gewaltsamen Putsch etwa?
Nein, sie sind von den Blöden, der Masse, dem Georg Schramm’schen “Urnenpöbel” dorthin gewählt worden, in völlig legitimen, rechtsstaatlich korrekten und demokratischen, freien Wahlen…
Warum findet man bei euch Schlauen nie ein Wort über die eigentliche Ursache? Warum keinerlei Vorschlag was man dagegen tun könnte? Wenn es denn was gibt, das man tun könnte…
Warum auch? Nichts tut das Mittelmass des linken und rechten Spiessertums in diesem Lande lieber, als mit dem Finger entweder auf die „bösen“ Politiker und neo-liberalen Abzocker, oder halt die sozialen Hängematten-Liegenden zu zeigen.
Und selbstverständlich ist das auch alles was man tut….
@Tyler Durden Volland
Oh weh, oh weh, verehrter Tyler, genau solche Schwätzer wie dich, nämlich die Besser-Besser-Wisser von der Ultrafraktion braucht das Land! Bloß gut, dass der in diesem Fall arme Colin Crouch wohl kaum erfahren wird, innerhalb welche nichts als Phrasen dreschenden Kontexte du sein hervorragendes Buch stellst! Was du hier der nach Auswegen dürstenden Welt zum Besten gibst, atmet doch geradezu schon Verwesungsgeruch im Vergleich zu dem sehr lesenswerten Artikel von Sebastian Müller, der seine Analyse genau topaktuell in diese Zeit des Paradoxums des für alle sichtbaren Scheiterns der neoliberalen Ideologie und ihrer gleichzeitigen Stabilisierung stellt.
Und wenn schon Müller, dann meinetwegen auch den ehrwürdigen Albrecht Müller von den “NachDenkSeiten”, die du ja auch abmahnst: Beide Müllers, hie wie da, haben zumindest schon mal die Binse geschnallt, dass nunmal nicht jeder so ein stramm gefönter Durchblicker ist wie du und es offenbar doch ein paar von den “Blöden”, der “Masse” zu geben scheint, die vielleicht erst einmal peu à peu ihre neoliberale Gehirnwäsche reflektieren lernen müssen. Und erst dann kannst du deine Seminarfragen nach “Symptom und Ursache” stellen bzw. sie so schlagwortartig wie auch diskriminierend beantworten wie du mit deiner oberflächlichen Verwechslungsthese.
Und als ob’s nicht schon genug wäre, tut’s gleich nochmal weh, wenn du auch noch den fabelhaften Georg Schramm irgendwie zum Zeugen deiner – ich wiederhole – Phrasen dreschenden Anklage machst. Auweia! Was bitte hat der gute Georg Schramm auch nur im Entferntesten mit deinen hohlen Phrasen vom “langweiligen Gutmenschen” und “innerem Zensor” zu tun, mit denen es unser gescholtener Autor haben soll? Dass du schließlich selbst natürlich nichts anzubieten hast, Zitat: “Warum keinerlei Vorschlag was man dagegen tun könnte? Wenn es denn was gibt, das man tun könnte…”, das ist eigentlich keiner Erwähnung mehr wert. Setzen, sechs!
Ach ja: Ich wollte gewiss nicht unhöflich sein!
Genau wie ich es beschrieben. habe dummschwätzende Spiesser. Nicht ein einziges Wort zur Sache, nichts als oberlehrerhafte Behauptungen. wie schon gesagt:
Ich freue mich, dass ihr Blöden zahlen werdet… ihr verdient es einfach. Und es hat sich ja in der Vergangenheit schon des öfteren erwiesen, dass ihr einfach zu dumm zum Lernen seit, der einzuge Punkt der euch zum Lernen bringt ist euer Geldbeutel.
Was schlägst Du denn vor?
Also ich schlage schon seit langen vor, dass die Bildung wieder stattfindet.
Deine Kommentare geben mir Recht.
Ich sehe aber auch einen sehr verbitterten Menschen.
Von wie hoch bist Du den abgestürzt? Hast wahrscheinlich den NEO-Cons alles geglaubt vor Deinem Absturz.
Das wird ja immer schlimmer mit dir! Wie kann man sich nur freiwillig und ganz ohne Not dermaßen zur Karikatur machen?
Ich antworte hier in der Art, in der man aus dem Stegreif Schüttelreime produziert, weil mir die Zeit mangelt, gehörig auf die einzelnen Aspekte und deren Verknüpfungen einzugehen und bin mir bewusst und bitte um Nachsicht, dass meine Glossen dem sehr gehaltvollen Artikel kaum gerecht werden.
Das Ende des Liberalismus nahm zusammen mit dem Ende der Demokratie und damit der Geschichte, jedenfalls einer kritischen Geschichtsanalyse und ernst zu nehmenden Geschichtsschreibung seinen Anfang.
Mit dem langsamen Sterben dieser beiden kulturellen Aspekte individueller Freiheit und deren Gewährleistung nach möglichst allen Seiten hin ging und geht in gleicher Art und gleichem Mass eine Degeneration der Meinungsbildungs- und äusserungsfreiheit einher.
In gleicher Art, weil wie bezüglich der Freiheit der Gestaltung des Erwerbs durch Arbeit und Investition, der Verfügung über rechtmässiges Eigentum und der Freiheit der Ordnung individueller, privater Angelegenheiten, wurde und wird die Freiheit, sich und andere über Tatsachen und Ansichten in selbst gewählter und bestimmter Form kundig zu machen von den Stärkeren definiert und beansprucht und den Schwächeren vorenthalten und verweigert, mit den Folgen, die denen, die Augen haben, zu sehen und Ohren, zu hören und ein Organ, zu denken, nicht eigens geschildert werden müssen.
Nicht der ideelle Kerngehalt von Liberalismus und Demokratie sondern der kollektive Rückfall in die Selbstverständlichkeit von Angst und diese kurzsichtig mit Rücksichtslosigkeit kompensierenden Fruchtbarkeitskulte (Erfolg, Wachstum, Vermehrung) haben die Verwirrungen verursacht bzw. wuchern lassen, die kaum mehr zulassen, das Erhaltenswerte vom Schädlichen zu unterscheiden und unter dem einen Gesichtspunkt richtig zu handeln ohne unter einem andern, ebenso beachtenswürdigen alles hoffnungslos falsch zu machen.
Der Neoliberalismus, jedenfalls der von seinen Adepten und Nachbetern zelebrierte, ist ein Pseudoliberalismus, der unter Freiheit das Recht des Stärkeren versteht, den – aus neoliberaler Sicht selbstverschuldet -Schwächeren nach einem selbstgefällig bestimmten Leistungsmass geringzuschätzen, zu verdrängen, zwangsweise umzusiedeln, zu erniedrigen, versklaven, missbrauchen und misshandeln. Der Zweck, der Stärkere zu sein, im zügellosen Konkurrenzkampf um jeden Preis zu obsiegen, heiligt die Mittel.
Das verdient nicht, Technokratie genannt zu werden. Einem wahrhaften Technokraten stehen da die Haare zu Berge.
Man sollte die Begriffe für Formen ehrlichen Bemühens nicht aus reiner Denk- und Sprachfaulheit zu Schmäh- und Schimpfworten umnutzen. Richtig heisst dieser zu beanstandende Kult “tyrannische, despotische Techno- (und Chremak’argyrio-)kratie.
So wie der Liberalismus zum Pseudoliberalismus verglüht ist, ist die Demokratie seit 50 Jahren am Dahinsiechen und konnte sie von einer sich zunehmend infantilisierenden Massenkonsumgesellschaft nicht aus einer durch Mode und Zeitgeist hörigen und frönenden Medien kommentierten und glossierten, durch demokratische Rituale zusammengesetzten und “öffentlich” beobachteten behördlichen Apparat legitimierten pluralistischen Funktions- und Riskikogemeinschaft zu einer eigentlichen, des Rechts nur als minimalem Behelf und Standard bedürftigen Kultur verantwortungs- und rücksichtsvoll individueller Autonomie weiter entwickelt werden.
Toleranz wurde durch die unbeschränkt scheinenden Möglichkeiten, Missliebigem auszuweichen bzw. es zu kompensieren, belang- und gegenstandslos und deren Übung vernachlässigt. Toleranz ist aber eine Sache eigentlich tagtäglicher, unspektakulärer Übung, ist wesentlicher Teil zivilisierter und erst recht kultivierter – Kommunikation.
Lange Zeit war es bequemer, statt Alltägliches zu üben sich in Exclusivitäten, Privilegien und Extravaganzen jeder Art und Gewichtigkeit fortzustehlen. Die Optimierung bzw. Maximierung der Optionen, Anstrengungen und Missliebigkeiten auszuweichen ist zum Lebenssinn und -stil geworden. Grenzenlosigkeit in jeder Hinsicht war das Ideal und zügellose Ausbeutung des Greif- und Verfügbaren dessen Bestätigung und scheinbare Erfüllung.
Das waren für viele ehemalige, zum Teil heute herb enttäuschter und bitter resignierender Euroturbos auch die unter- und unbewussten, techno-, chremo- und argyrokratisch gerechtfertigten und verbrämten Beweggründe für ein nach innen grenzenloses (Freizügigkeit), nach aussen ungezügelt ausdehnenenden (Osterweiterung) Europas.
Mangels der erwähnten, unspektakulären, selbstverständlichen Toleranzübung ist die Fähigkeit zu feiner Unterscheidung und zu Einsicht in die Notwendigkeit entwickelter Differenzierung kollektiv verkümmert. Das Manko an Verfeinerung des Umgangs miteinander wurde durch aufwändige Spektakel jeder Art und Unverschämtheit kompensiert.
Wo wegen Verknappung von Ressourcen die Auswahl der Möglichkeiten, Unangnehmes, Widerwärtiges, Lästiges zu meiden oder ihm gar auszuweichen, zu entfliehen und es an Übung von Toleranz und Streitfähigkeit fehlt, stauen sich Ärger und Frust zu Aggressionspotetialen und fehlt ebenso die Übung, diese durchwegs zivilisiert zu meistern.
Demokratie kann nicht allein auf rechtlichen Grundlagen beruhen. Werden Gesetze ohne Verständnis für Belange des Lebens der von den Gesetzen Betroffenen und ohne Rücksichtnahme auf politisch Unterlegene gemacht, ist es um Demokratie bereits geschehen. Demokratie erfordert Erziehung – nicht zu Gehorsam sondern zu Kultur, d.h. zu autonom verstandener, gewollter und geprägter Rücksichtnahme zur Erhaltung der Freiheit Aller. Dazu hat ein auf Maximierung der individuellen Defensivpotentiale gegen das bedrohlich, erdrückend, anonym, beschönigend “sozial” genannt obligatorisch Kollektive ausgerichteter Zeitgeist nur beschränkt Lust, Zeit und Geld; er ist von Angst, nicht von Lebensfreude getrieben. Ein sehr typisches Erschöpfungssymptom.
Viele die Vorgänge kritisch Beobachtenden scheinen mir einer der von mir hier in willkürlich ausgewählten Teilen geschilderten und ansatzweise begründeten ähnlichen Auffassung zu sein, dass von den uralten, in jüngerer Zeit zwar mit grossem Getöse und barbarischem Blutvergiessen aber im Wesentlichen nur scheinbar total umgekrempelten Massenvernicht- nein : Massenaufzucht-, -haltungs-, -bewirtschaftungs- und -nutzungssystemen keine nennenswerte Zukunft und damit auch kein Anfang von etwas Neuem, wie immer das aussehen und zu erfahren sein möge/würde, zu erwarten sein wird.
Damit ist nicht gesagt, ob und wie lange diese sich Fossile sich noch fortsetzen oder sich auch für ihre Vasallen und Knechte als endlich erweisen werden. Für den Einzelnen, der sich in dieser Welt aufrecht und eigenständig zurecht finden will, ist diese Frage müssig. Die Gehorsamen andererseits stellen sie sich nicht.
Neulich mutmasste ich, dass sich Herrschaft von Regieren dadurch unterscheidet, dass sie Selbstbeherrschung voraussetze, denn wie anders könnte Herrschen erlernt werden als durch Erlangung uneingeschränkter und ungeteilter Herrschaft über sich selbst? Für das Regieren reichen Scheinheiligkeit und Sentimentalität völlig aus und das deutet darauf hin, dass diejenigen, die über die Regierenden wachen, keine Herrscher im von mir dreist vorgeschlagenen Sinne sein können. Meisterhafte Manipulatoren, das Ja!
Ein wahrer Tsunami von Worten, schön eins hinters andere gehängt. Leider total unverständlich. Könnten Sie Ihre Erklärung eventuell so Abfassen, dass auch einfachere Gemüter diese verstehen.?
Das mit der Herrschaft kapiere ich nicht. Wenn Herrschaft legitmierte bzw. verrechtlichte Macht ist, Macht frei nach Max Weber darin besteht, jemand anderem meinen Willen aufzudrücken, dann hieße Selbstherrschaft sich selbst seinen legitimen Willen aufzudrücken?
Dass die Regierenden keine unmittelbare Herrschaft ausüben, die i.a. im Gewaltmonopol ihre Grundlage hat, sollte schon das Beispiel Belgien, das eineinhalb Jahre ohne Regierung auskam deutlich machen. Soweit kann dann wieder folgen…
@petrosoakedsins
Als Freundin einer guten deutschen Sprache, als Freundin und Bewunderin intellektuell anspruchsvoller Lesekost verneige ich mich im Kotau vor dir, lieber petrosoakedsins! Wenn dir so ein Text mal so eben, da dir ja “die Zeit mangelt” aus dem Ärmel tropft, dann, ja dann wird frau schon sprachlos ihrerseits. Auf der anderen Seite spukte mir während der Lektüre deines Beitrags immer dieser ursprünglich im Heimwerkermilieu angesiedelte Spruch durch den Kopf: “Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht?”. Im Ernst: Ich fand es wirklich wahnsinnig schwierig – angesichts der Überschaubarkeit der zu destillierenden Essenz deiner inhaltlichen Aussagen – diesen ungeheuer komplexen Bandwurmsätzen zu folgen! Da möchte ich ehrlich sein, auch wenn ich inhaltlich in Vielem sehr nah bei dir bin.
Ich frage mich dann schon auch, welche Leserschaft du mit dieser Universitätssprache ansprechen willst? Jeder Autor ist freilich auch immer irgendwie eitel, ich und du natürlich auch. Aber das kann doch nicht der alleinige Grund sein, warum du dich so extrem gespreizt ausdrückst. Gut, der Artikelautor Sebastian Müller hat hier auch nicht gerade auf Straßendeutsch um seine Leser geworben, aber deine wirklich speziell komplizierte Sprache übersteigt tatsächlich alles, was ich in den letzten Monaten (oder gar Jahren?) an Schriftsätzen mit (gesellschafts-)politischen Inhalten gelesen habe!
Wie gesagt, ich finde deine sprachlichen Fähigkeiten auf der einen Seite sehr bemerkenswert, auf der anderen Seite aber wenig hilfreich für einen größeren Leserkreis, der ja gerade zu solchen Themen wie diesen Zugang haben sollte. Da steigen doch viele frustriert und erschlagen nach dem ersten Absatz schon wieder aus. Bitte nimm’ mir die Kritik nicht allzu übel!
aber ist das, was du hier ansprichst, nicht unser grundsätzliches dilemma?
in intellektuellen zirkeln (wie den meisten polit-blogs) ist die analyse der situation doch längst abgeschlossen.
allein, man findet weder sprache noch andere geeignete mittel, um der (demokratischen) mehrheit, die brisanz der situation zu vermitteln. zumindest nicht in einer form, die geeignet wäre, den angemessenen breiten protest an der wahlurne und/oder auf der straße zu erzeugen.
im gegenteil: die menschen lachen sich schlapp über einen geifernden Georg Schramm (höchste verehrung an der stelle!), gehen aus dem kabarett und leben völlig ohne konsequenzen ihr leben wie gehabt weiter. sie sehen zu, wie kinder ausgebildet, statt gebildet werden um auch für die zukunft als konsumierendes rädchen im getriebe zu funktionieren; empören sich maximal über ein windrad in der nachbarschaft, wählen aber zu 90 prozent wieder die selben, denen sie den zustand verdanken.
ich sehe hier ein deutliches defizit der kritischen bewegung(en). in der allerorten verbreiteten panik vor evtl. “führungsfiguren”, verkennt man, dass ohne solche, eine ansprache der kritischen masse einfach nicht gelingt.
man spielt den neoliberalen mit “assamblea”, “human mic” u.ä. an und für sich sympathischen instrumenten in die karten, weil die mobilisierungskraft fehlt, man aber sehr gut als demokratisches feigenblatt von der anderen seite instrumentalisiert werden kann.
wenn die beschriebene entwicklung irgendwie noch aufgehalten werden soll, dann wird mm nichts an charismatikern vom schlage Walesa oder Vallejo vorbeiführen, auch wenn mir die nachteile durchaus bewusst sind.
Dass die meisten Leute desinteressiert an allem sind, was nicht Hobby oder Beruf betrifft, muss einem klar sein. Die Situation ist für durchschnittliche, d.h. über 50 jährige, Kabarettzuschauer*innen nicht so brisant, weil die meiste Zukunft schon hinter diesen liegt. In einer marktwirtschaftlich individualisierten Gesellschaft wie der unseren, ist es meiner Meinung nach fraglich, ob sich überhaupt noch größere Kreise von einer neuen Führungsperson ansprechen ließen.
Um’s ein wenig polemisch auf den Punkt zu bringen: Bei Walesa ging’s um Reisefreiheit und Bananen, während Camila Vallejo Sex Appeal und Redegewandheit als Sprachrohr der Studierendenschaft miteinander verbindet, wobei die Chilenen in der Mehrheit zuletzt wieder rechtskonservativ gewählt haben. Der kritischen Masse geht es also nach wie vor so gut, dass sie dafür ist, sich mit den Reichen zu solidarisieren und die Ärmeren in den Staub zu treten, aus Angst weiter nach unten abzurutschen. Mag damit die Linke in Chile wahrnembarer als bei uns sein, eine kritische Masse hat sie damit noch lange nicht erreicht.
M.a.W., eine charismatische Figur muss nicht schädlich sein, aber eine solche allein, bewirkt auch nichts.
Ich sehe es auch so bzw. bedingen sich diese beiden Faktoren. Solange der Protest nicht auch die so genannte “Mitte” erreicht, so lange kann welche/r CharismatikerIn auch immer nichts bewegen. Am besten – für Deutschland – natürlich wäre, eine solche Figur käme aus dem Adel mit feudalem Hintergrund. Wir konnten ja angelegentlich Karl-Theodor erleben, welche Massen mit so einer gegelten Fresse und gestelztem Duktus (pardòn!) hypnotisiert werden können! Selbst eine – an sich ja eher dröge – Figur wie Hollande hätte ja in Deutschland keine Chance. Deutschland hat in Richtung Protest, Rebellion, gar Revolution seine eigenen Gesetze. Allerdings müssen wir nur warten, denke ich, einen langen Atem haben. Die Schere zwischen Arm und Reich, der Verlust der Demokratie werden irgendwann einmal so viele auf die Straße treiben (s. England), dass der Knoten platzen muss. Ok, für solche Fälle ist ja jetzt gerade schon ein Türchen für die Bundeswehr im Innern aufgemacht worden… Trotzdem, früher oder später läuft das Fass über. Schön wird’s dann erstmal nicht!
Und bitte: Ich bin 50++ (Doppelplus) und sehe bei Georg Schramm und anderen Kollegen fantastisch engagierte, wütende Altersgenossen, die eben NICHT alles beim Alten lassen, wenn sie abgelacht haben, sondern am nächsten Tag auf die Straße gehen – gegen Rechts, gegen Sozialabbau, gegen … usw. Die wirklich lebendig Toten kommen doch von unseren Schulen und Universitäten, diejenigen, die die neoliberale Ideologie schon im Babyalter vom Pädiater intravenös gespritzt bekommen haben! Die sind doch das Problem! Mit 50 hat man seine Zukunft hinter sich, hey, was für ein völlig abstruses Gequatsche ist das denn?!? Du bist einfach noch zu jung und/oder dein dir verfügbares Wahrnehmungsspektrum ist noch viel zu egozentrisch, als dir vorstellen zu können, dass außer den eigenen Sorgen um die Zukunft dieses Globus vor allem die Sorgen für die eigenen Kinder und Enkelkinder in den Vordergrund rücken! Aber gut, diese Art naturgegebenen Altruismus kann man natürlich nicht lernen, sie muss erfahren, gelebt werden. Wirklich, dieser Satz “Die Situation ist für durchschnittliche, d.h. über 50 jährige, Kabarettzuschauer*innen nicht so brisant, weil die meiste Zukunft schon hinter diesen liegt” ist neben seiner überflüssigen diskriminierenden Konnotation einfach nur dumm und kurzsichtig!
@Reyes Carrillo
Mein Kommentar war polemisch und spielte auf den Eindruck an, den auch mein Vorposter Don M. Tingly vom Kabarettpublikum zu haben scheint. Im Hinterkopf hatte ich dabei die Worte eines US-amerikanischen Schriftstellers, dessen Name mir entfallen ist, der singemäß meinte, dass er froh sei, nicht mehr allzu viel Zukunft vor sich zu haben angesichts des Zustandes der Welt.
Das Schlimme ist, da stimme ich Dir zu, dass von den guten Kabarettisten nur noch sehr wenige junge Leute erreicht werden, weil sie in einer völlig entpolitisierten Welt aufgewachsen sind.
@ernte23
Nein du, das glaube ich eben überhaupt nicht: Die Zeiten, in denen diese jungen Leute aufgewachsen sind, sind die Zeiten dieses neoliberalen Mehltaus, der sich seit den 70ern über alles gelegt hat, Zeiten einer rot-grünen Koalition als ideologischem Vollstrecker und nun die Merkel’schen Zeiten der TINA (there is no alternative). Entpolitisiert erscheint sie nur dadurch, dass der Diskurs verschwunden ist, dass es keine Lager mehr gibt, dass es keine wirkliche Opposition mehr gibt (außer DIE LINKE.), dass wir so durch und durch neoliberale Bundespräsidenten wie Herzog, Köhler, Wulff und Gauck (Rau mit Abstrichen) hatten und haben und vor allem Zeiten einer völlig kritiklosen und neoliberal aufgeladenen Medienlandschaft! Auch Zeiten natürlich des Kotaus vor dem eigenen Ich, vor der eigenen Karriere, vor der Privatisierung aller Lebensrisiken, aber gleichzeitig der Entsolidarisierung und Abgrenzung. Der Neoliberalismus ist selbstverständlich hochpolitisch, und wie! Wenn auch die Gehirnwäsche vergleichsweise sanft verläuft.
Das heißt in der Praxis, dass du auf gezielte Nachfrage von der Mehrzahl selbstverständlich – so wie du es feststellst – gesagt bekommen wirst, dass man sich nicht groß für Politik interessiere. Aber DASS das so ist, das ist doch schon die Saat dieser Gehirnwäsche, hat also super funktioniert. Ich wette sonst was: Wenn du heute hundert jungen Leuten einen kleinen Fragenkatalog zu – sagen wir – der Lösung der zehn drängendsten Problemen der Gegenwart beantworten ließest, dann würde die große Mehrheit im weitesten Sinne dem Zeitgeist entsprechend neoliberale Antworten geben. Wenn das nicht äußerst politisch ist, dass Ideologie so tief in einen hineinträufeln kann (steter Tropfen…), dass man schließlich seine Weltsicht als die eigene (!), also eigens entwickelte Sichtweise erlebt. Das ist ja das äußerst perfide daran, die Dauermeinungsmache so anzulegen, dass sie schließlich als etwas Eigenes, als eigene Meinung erlebt wird. Jedes rechts- und linksgesteuerte totalitäre System könnte sich von dieser Methode dicke Scheiben abschneiden! Nein, diese scheinbar unpolitischen jungen Leute sind aufgeladen bis an die Haarspitzen mit Politik – und merken es nicht. Das stimmt wohl.
@ Reyes:
auf den punkt richtig!
die neolibs haben es seit über 30 jahren geschafft, die gesellschaft einer derartigen gehirnwäsche zu unterziehen, dass humanistisches denken, schon deshalb beinahe unmöglich wird, weil das notwendige vokabular fehlt. wenn Wittgenstein recht hatte und die grenze meiner sprache auch die grenze meiner welt ist, dann haben die marktfundamentalisten die richtige strategie: indem sie konsequent medien, schulen und unis gleichgeschaltet haben, ist es ihnen gelungen eine (eigentlich schon zwei) generation(en) buchstäblich heranzuzüchten, der die wahrnehmungsfähigkeit für soziale und politische missstände fehlt. das muß auch der grund dafür sein, warum studenten heute lieber “marktkonform” ihre unbezahlten praktika absolvieren, anstatt mit verve auf die straße zu gehen und gegen den verlust von perspektive und mitsprache zu rebellieren.
@ ernte:
natürlich ist das reine auftauchen einer charismatischen figur allein nicht ausreichend. ich halte es aber für alternativlos (“haha”), weil es nur so gelingen kann, die menschen erstmal überhaupt für die probleme zu sensibilisieren. die taktik der neolibs ist ja offensichtlich: wir verbergen die wahrheit solange es geht vor der breiten masse und betäuben sie mit konsum, bis die lage so schlimm geworden ist (siehe Euro), dass man dank der panik, die dann plötzlich um sich greift, ohne großen widerspruch demokratische, soziale und ökologische normen abbauen kann, weil man eben weiß, dass die angst bedingungslosen gehorsam und eindreschen auf wohlfeile sündenböcke (” die griechen”, “die moslems”, “der chinese” etc.) sehr leicht machen.
wir brauchen einen hallo-wach-rufer, der mit den gleichen waffen zurückschlägt: indem er medienpräsenz ob seines charismas und der aggressivität seiner aussagen quasi erzwingt. Alexis Tsipras hat es doch vorgemacht. bei uns scheitert es leider meist an den eitelkeiten der beteiligten (Gysi vs Lafo etc.). schade.
Eigentlich hast du, so gesehen, völlig Recht. Der Rest ist eh so wunderbar bündig beschrieben, wie ich es – leider – nie könnte. Man muss eben seine (Welt-)Grenzen kennen… :-)