Als drittes Land schlüpft Portugal unter den Rettungsschirm der EU. Eine Nachricht, wie viele: Man verspürt Unbehagen. le Bohémien versucht dem Thema Finanzkrise auf den Zahn zu fühlen und ruft zur Debatte auf.
Von Florian Hauschild
Seit Ausbruch der Subprimekrise im Jahr 2007 rücken Fragen der Weltfinanzordnung mehr und mehr ins öffentliche Bewusstsein. Was zuvor noch ein klassisches Themenfeld einer kritischen Gegenöffentlichkeit war, beginnt nun – zwar noch nicht im politischen, wohl aber im gesellschaftlichen Diskurs – Aufmerksamkeit zu erregen. Angesichts immer größerer Rettungsschirme, Rettungspakte, Zentralbankinterventionen und Krisengipfel regt sich eine gewisse Skepsis:
Entspricht es wirklich der Wahrheit, dass der Euro plötzlich gerettet ist, einfach auf Grund von Bürgschaften, die natürlich nicht mit realen Zahlungen zu verwechseln sind? Und wieso ist der Euro überhaupt in Gefahr? Wann werden die Staatsschulden eigentlich zurückgezahlt? Oder wird dies überhaupt beabsichtigt? Ist eine im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse dann nicht sinnvoll? Oder steckt gar mehr dahinter?
Diese Fragen sollen und können nicht alle auf einmal beantwortet werden. Aber sie können gestellt werden, in der Hoffnung eine Debatte anzuregen.
Gleichsam sollen die gestellten Fragen mit einer These verknüpft werden: Die Ursachen der Subprimekrise, die sich dann zur Bankenkrise und schließlich zur Fiskal- und Währungskrise entwickelte, liegen in der Ausgestaltung des Weltwährungssystems.
Es wird vermutet, dass es zu kurz greift, „nur“ den Neoliberalismus, und im Zuge dessen „nur“ die gierigen Banker und manipulativen Rating-Agenturen an den Pranger zu stellen. Sicher, all diese Themen müssen benannt und besprochen werden. Aber ergibt es wirklich Sinn, über eine Finanzkrise zu sprechen und plötzlich nur noch einzelne Details in den Vordergrund zu rücken, ohne näher zu betrachten was ein Finanzsystem letztendlich ausmacht: die Logik des Geldes?
In den Nachrichten-Medien wird diese Frage kaum noch gestellt, man muss schon wissenschaftliche Abhandlungen bemühen, um Fragen der Vermögensverteilung, der Geldmengen und der Geldschöpfung auf den Grund zu gehen. Einen interessanten Einstieg in diese Thematik bietet Heinz-J. Bontrups Abhandlung Zur größten Finanz- und Wirtschaftskrise seit achtzig Jahren, wenngleich Bontrup an entscheidenden Stellen doch nur an der Oberfläche kratzt.
Dennoch soll gewürdigt werden, was Bontrup zu Recht als problematisch benennt:
Betrug das gesamte weltweite liquide Finanzvermögen 1980 noch 12 Billionen US-Dollar, so lag der Wert 2007 bei rund 196 Billionen US-Dollar. Dies entspricht in 27 Jahren einer Steigerung von weit über 1.500 Prozent! Das weltweite Bruttosozialprodukt konnte da nicht mithalten. Von 1980 bis 2007 legte es nur um 450 Prozent zu.[1]
Bontrup stellt also fest, dass Geldvermögen schneller wachsen, als die in diesem Zusammenhang immer zu betrachtende Wirtschaftsleistung.
Doch was ist Geld überhaupt? Geld ist ein Medium, ein Schuldversprechen des einen an den anderen. Oder anders ausgedrückt: Jedes Geldvermögen benötigt einen Schuldner, der mit eben dieser Summe in der Schuld steht, wie sie der Vermögende besitzt. Das Vermögen des einen ist die Schuld des anderen. Kein Vermögen ohne Schuld. Folglich ergeben alle Schulden und alle Vermögen addiert Null[2]. Ein Zusammenhang, der bereits Aristoteles bekannt war[3].
Das von Bontrup angesprochene expansive Wachstum der Geldmenge, oder auch des „liquiden Finanzvermögens“ bedeutet, dass diese Entwicklung ebenso stark steigende Schulden zur Folge haben muss. Wenn Vermögen immer Schuld woanders bedeutet, bedeuten stark ansteigende Vermögen, stark ansteigende Schulden woanders. Diese logische Ableitung ist der zentrale Diskussionsansatz der in diesem Artikel formuliert werden soll.
Drei Fragen müssen nun gestellt werden:
a) Warum steigt die weltweite Geldmenge so stark an?
b) Wer sind die equivalenten Schuldner für dieses stark anwachsende Geldvermögen?
c) Was ist die logische Konsequenz dessen?
Warum steigt die weltweite Geldmenge so stark an?
Diese Frage wird sehr strittig diskutiert. Zinskritiker argumentieren mit der Logik des Zinseszins-Systems. Als Beispiel wird hierfür oft das Bild des Josephspfennigs herangezogen. Kurz zusammengefasst besagt dieses Gedankenexperiment, dass in einem Zinseszins-System die Geldvermögen – und damit eben auch die Schulden – ganz einfach aufgrund von mathematischer Logik exponentiell wachsen müssen. Zinskritiker verstehen es daher als eine Notwendigkeit eine andere Umlaufsicherung als die des Zinses im Geldsystem zu verankern.
Als weitere Quelle von ungezügeltem Geldmengenwachstum wird oft die so genannte Giralgeldschöpfung zur Diskussion gestellt. So können Geschäftsbanken die Geldmenge erhöhen, indem sie Kredite vergeben. Denn da – wie im Euroraum üblich – Geschäftsbanken bei der Kreditvergabe nur zwei Prozent ihrer Zentralbankgeldguthaben als Sicherheit zurückhalten müssen, bedeutet dies, das diese privaten Institute Geld in bis zu 50-facher Höhe des an sie verliehenen Zentralbankgeldes schaffen und verleihen können.
Ebenfalls können sie für dieses fiktiv geschaffene Geld Zinsen (sofern sie Schuldner finden) oder Spekulationsgewinne (wenn das Geld in den Finanzsektor fließt) erwarten. Zweifellos ein zu hinterfragender Zustand.
Heinz-J. Bontrup benennt in seiner Analyse als Ursache mehrere Faktoren. So spricht Bontrup vor allem die zügellose Liberalisierung der Finanzmärkte an, in deren Folge Spekulation ungebremst stattfinden konnte, was zu einem Anstieg der weltweiten Buchgeldmenge M3 führte: „Alles, was sich dazu eignete, wurde zum Handelsobjekt dieses Geldes: Aktien, Währungen, Immobilien, Rohstoffe, ganz oder teilweise aufgekaufte Unternehmen und jetzt sogar Staaten.“[4]
Zurecht prangert Bontrup Pervertierungen des Finanzsystems, wie etwa die unkontrollierte Spekulation mit Nahrungsmitteln an, jedoch muss kritisiert werden, dass er in seiner Analyse mehr die Folgen als die Ursachen dieser Thematik im Blick hat.
Wer sind die equivalenten Schuldner für dieses stark anwachsende Geldvermögen?
Da es bei stark steigenden Geldvermögen immer mehr Schuldner bedarf, wurden in den letzten Jahrzehnten die Regeln der Kreditvergabe an private Schuldner immer weiter ausgehöhlt. Ihren exzessiven Höhepunkt fand diese Kreditwut in der zügellosen Hypothekenvergabe in den USA, woraus schließlich ein Immobilienboom resultierte, der schließlich in der allseits bekannten Subprimekrise mündete.
Stark verkürzt kann zur Entwicklung der Subprimekrise gesagt werden: Nachdem irgendwann nicht mehr ausreichend private Neuschuldner als Gegenpol für die weiter stark ansteigende Vermögensmenge zur Verfügung standen, platze die Immobilienblase und es kam zu einer Verlagerung der Schulden. Diese „wanderten“ schließlich mehrere Ebenen in die „Höhe“. Es konnte beobachtet werden, wie zunächst Banken die Schuld in ihren Bilanzen verbuchen mussten, und als dies fast zum Kollaps des Finanzsektors führte, wurde die Schuldenlast mittels der so genannten Rettungspakete zu bedeutenden Teilen in die Staatshaushalte transferiert.
Spätestens hier sollte klar sein, dass von Politikern, im Hinblick auf steigende Staatsverschuldung, oft getätigte und von Medien oft reproduzierte Aussagen wie „Wir wirtschaften auf Kosten unserer Kinder“ aus volkswirtschaftlicher Sicht völliger Unsinn sind. Man mag von der steigenden Staatsverschuldung halten was man will, Fakt ist: Wenn es nicht mehr ausreichend private Schuldner gibt, die im Geldsystem das Equivalent zu den immer weiter steigenden Vermögenswerten bilden, muss sich das Vermögen schließlich größere Schuldner suchen. Wie eben die Staatshaushalte.[5]
Als in Europa letztendlich die ersten Staatshaushalte von der extrem angewachsenen Schuldlast im Zuge der Finanzkrise erdrückt wurden, musste die Schuld auf die letzte verbliebe Ebene transferiert werden: auf das supranationale Gebilde Europäische Union. Diese „Alternativlosigkeit“ hängt auch damit zusammen, dass in der Währungsunion, durch den drohenden Zusammenbruch einzelner Mitgliedstaaten, die Gemeinschaftswährung gefährdet wurde.
Natürlich sollen durch diese Darstellung nicht andere grundlegende Probleme einer Währungsunion mit wirtschaftlich sehr unterschiedlichen Mitgliedsstaaten aber ohne gemeinsame Wirtschaftspolitik in Abrede gestellt werden. Diese weiteren Systemfehler sind allerdings nicht die Ursache der Gesamtproblematik „Eurokrise“ sondern sie sind lediglich der Grund dafür, warum eine Währungskrise zunächst im Euro-Raum ausgebrochen ist und (noch) nicht in den USA.
Was ist die logische Konsequenz dessen?
Als logische Konsequenz dieser Zusammenhänge kann nur ein Schluss gezogen werden: Der Frage der Logik des Geldsystems muss mehr Bedeutung im wirtschaftswissenschaftlichen Diskurs beigemessen werden. Auch sollten aber die Medien ihrer Informationspflicht nachkommen, und Fragen sowie Unklarheiten zum Geldsystem ein seriöses Forum zur Debatte zu liefern.
Denn in einer Welt mit einem Finanzsystem, das einer sich immer schneller drehenden Zentrifuge gleicht, in der Besitzende von Nichtbesitzenden getrennt werden und das letztendlich Staatshaushalte an den Rand der Handlungsunfähigkeit rückt, kann kein politisches System langfristig für sozialen Ausgleich sorgen. Auch die Debatte um eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung läuft ins Leere, spart man die Ebene des Geldsystems aus.
Hinweis: Diskussionsbeiträge die in Quantität und Qualität eher einem eigenen Artikel als einem Kommentar entsprechen, würde le bohémien gerne als Gastbeitrag im Zuge dieser Debatte publizieren. Bitte senden an le-bohemien@web.de
[1] Heinz-J. Bontrup: Zur größten Finanz- und Wirtschaftskrise seit achtzig Jahren (2011): 21. Hannover
[2] Heinz-J. Bontrup: Zur größten Finanz- und Wirtschaftskrise seit achtzig Jahren (2011): 22. Hannover
[3] Aristoteles (1989): Politik. Schriften zur Staatstheorie, übersetzt und hg. von Franz F. Schwarz. Stuttgart
[4] Heinz-J. Bontrup: Zur größten Finanz- und Wirtschaftskrise seit achtzig Jahren (2011): 21. Hannover
[5] Zu beachten ist dabei aber, dass Staatshaushalte seit jeher Big Player waren, wenn es darum ging, hohe Verschuldungssummen aufzutürmen um den mathematischen Gegenpol zum privaten Vermögen zu bilden.
Zum Thema:
Euro-Krise – Staatsfinanzierung als Subvention des Finanzsektors
Das System krankt- Die Mär von der „Griechenland- und Euro-Krise“
Geldschöpfung – Werte aus dem Nichts schaffen
“Als weitere Quelle von ungezügeltem Geldmengenwachstum wird oft die so genannte Giralgeldschöpfung zur Diskussion gestellt. So können Geschäftsbanken die Geldmenge erhöhen, indem sie Kredite vergeben. Denn da – wie im Euroraum üblich – Geschäftsbanken bei der Kreditvergabe nur zwei Prozent ihrer Zentralbankgeldguthaben als Sicherheit zurückhalten müssen, bedeutet dies, das diese privaten Institute Geld in bis zu 50-facher Höhe des an sie verliehenen Zentralbankgeldes schaffen und verleihen können.
Ebenfalls können sie für dieses fiktiv geschaffene Geld Zinsen (sofern sie Schuldner finden) oder Spekulationsgewinne (wenn das Geld in den Finanzsektor fließt) erwarten. Zweifellos ein zu hinterfragender Zustand.”
Der oben genannte Teil Ihres Artikels ist zweifelsfrei richtig, aber doch fälschlich oder zu krass ausgedrückt.
Die Giralgeldschöpfung trägt zwar zu einem steigenden Geldmengenwachstum bei, wird aber durch 2 Faktoren gebremst. Dies sind zum einen die von der BaFin (in der SolvV) geforderten Eigenkapitalunterlegungen für bestimmte Geschäfte und zum anderen die von der Europäischen Zentralbank geforderten Mindestreserven. Diese beiden Faktoren führen meines Wissens dazu, dass ein größerer Prozentsatz als 2% nicht mehr für neue Kredite bei der Giralgeldschöpfung zu verfügung steht.
Desweiteren ist es zwar richtig, dass die Banken für diese “künstlich erzeugte Geldmenge” Renditen in Form von Zinsen kassieren, aber um Girageld zu schöpfen müssen sie aber auch für jede neue Einlage auch wieder Zinsen zahlen, was dazu führt das dieser Effekt nur für die Spanne zwischen Soll- und Habenzins gilt.
Soweit meine Meinung zum Verständniss unserer kleinen Welt , die natürlich auch nicht stimmen muss … ;)
Hallo,
ich würd bezweifeln, dass die Geldmenge ins unermessliche steigt. Schliesslich können wir weltweit in den letzten Jahren eine Senkung der Inflationsraten beobachten. In vielen europäischen Staaten und noch stärker in Schwellen- und Entwicklungsländern.
Die Quantitätsformel lautet:
Geldmenge * Umlaufgeschwindigkeit des Geldes = Preisniveau * Volkseinkommen
Wenn nun Preisniveau tendentiell sinkt müssen Geldmenge und/oder Umlaufgeschwindigkeit auch sinken.
Die Staatsverschuldung seh ich eher als realwirtschaftliches Problem. Vielen traditionellen Sozialstaaten in Europa und Japan fällt es immer schwerer eine den Ausgaben entsprechende Menge aus der Realwirtschaft zu entziehen.
Gleiches gilt für die USA. Bei der besteht das Problem aber aus meiner Sicht eher in den Kosten für ihre militärischen Auslandseinsätze. Eine Lösung könnte in einer stärkeren und effektiveren Versteuerung von hohen Finanzeinkommen bestehen.
Steigende Staatsschulden sind kein Naturgesetz. Die USA konnte noch unter Clinton in einigen Jahren Überschüsse im Staatshaushalt erzielen. Einigen lateinamerikanischen Staaten wie Brasilien und Chile gelingt ein langjähriger substantieller Abbau der Staatsschulden. Der chilenische Staat ist heute praktisch schuldenfrei. Natürlich funktionierte das mit einem nicht erstrebenswerten Sozial- und Gesundheitssystem.
Die Globalisierung bietet hohen Einkommen bessere Möglichkeiten. Sie sind dadurch sehr stark gestiegen. Eine Lösung besteht aus meiner Sicht in einer Besteuerung dieser Einkommen.
Gruß Lemmy
@ Lemmy,
ich glaube in der Sichtweise, das hohe Einkommen und Vermögen stärker besteuert werden müssen, sind wir uns alle einig! Fakt ist ja, das mit der sinkenden staatlichen Autorität über große Unternehmen, und eine kontinuierliche Senkung der Unternehmensteuern, hoher Einkommen etc., geradezu Einbrüche bei den Haushaltseinnahmen provoziert wurden.
Im übrigen bin auch der Meinung, dass eine effektivere Besteuerung von Vermögen einerseits, und Finanztransaktionen andererseits nicht nur die Gefahren der Spekulation eindämmt, sondern auch einige Haushaltslöcher zu stopfen im Stande wäre. Unabhängig zu den noch zu debattierenden Fragen der Geldschöpfung…
Hallo Sebastian,
Die Geldmenge ist natürlich durch die langanhaltende Niedrigzinspolitik in Folge der Finanzkrise stark angestiegen. Gottseidank. Trotzdem seh ich hier keinen Grund zur Beunruhigung. Einiges im Artikel vermag ich einfach nicht nachvollziehen.
Die Staatsverschuldung wird nicht von den Anlegern verursacht, sondern von den Politikern, die über den Bundeshaushalt befinden. Tatsächlich liegen die Renditen für Bundesanleihen auf rekordverdächtig niedrigen Werten. Ist das im Interesse der Anleger? In einem globalen Finanzsystem gibt es immer Möglichkeiten zur Anlage von Vermögen. Das muss nicht künstlich geschaffen werden. Insbesondere wenn man die Renditen dieser alternativen Anlagemöglichkeiten mit denen der Bundesschatzbriefen vergleicht.
Der Euro Rettungsfond wird nicht aus dem EU Haushalt sondern aus den einzelnen Staatshaushalten bestückt.
Im übrigen sinkt die erwartete staatliche Neuverschuldung für die Bundesrepublik bereits dieses Jahr unter das BIP Wachstum. Und das ist letztlich der entscheidende Wert für Schuldenaufbau oder Schuldenabbau.
Und nochmal: Staatsverschuldung ist KEIN globales Problem. Die Situation hat sich nur umgekehrt. Früher kamen Schwellen- und Entwicklungsländer häufiger in problematisch hohe Verschuldungsgrade. Heute sind es die traditionellen Industriestaaten wie Japan, USA und West-Europa.
Anleger interessieren sich auch nicht für die Größe eines Gläubigers, sondern für 2 Dinge: Bonität und Rendite.
Durch steigende Staatsverschuldung sinkt die Bonität des Schuldners und die Gläubiger erwarten eine höhere Rendite. Beides führt zu einem niedrigeren Kurs der sich im Umlauf befindlichen Anleihen.
Gruß Lemmy
Hallo erstmal an alle Diskutanten, freut mich sehr wenn die Debatte auf einem solchen Niveau ein wenig ins Rollen kommt. Ich denke wir sind uns alle einig, dass da niemand fertige Antworten parat hat, aber es sind definitiv interessante und sehr komplexe Dinge von denen wir reden. Ich habe auch gemerkt, dass sich, bei dem Versuch alles so allgemeinverständlich wie möglich zu formulieren dann doch die eine oder andere Ungenauigkeit eingeschlichen hat. Aber dafür gibt’s ja schließlich die Kommentare.
Also gut ich versuch mal zum bisher gesagten Stellung zu nehmen:
@Hannes: Interessanter Punkt. Allerdings, die 2% die ich in meinem Artikel genannt habe sind eben genau die von dir genannten Mindestreserven die von der EZB gefordert werden. Nachlesen kannst du das in dem verlinkten Wiki-Artikel über Giralgeldschöpfung. Bliebe noch die von dir genannte BaFin-Eigenkapitalunterlegung. Ich muss gestehen darüber habe ich jetzt keine validen Zahlen, aber vielleicht weiß ja jemand der Diskussionsteilnehmer mehr (?). Fakt bleibt aber: Die Giralgeldschöpfung führt zu einer relativ großen Potenzierung der Zentralbankgeldmenge…und um diese Frage ging es in dem Punkt ja letztendlich. Dann sagtest du noch „aber um Girageld zu schöpfen müssen sie aber auch für jede neue Einlage auch wieder Zinsen zahlen“…nun ja den Zentralbankzins…wenn der aber bei 0% oder 0,5% liegt, bleibt aber eben ein schöner Gewinn für die privaten Geldinstitute.
@Lemmy(1): Dass sie ins unendliche steigt, sagt auch keiner, bzw. weiß wohl auch niemand genau wie weit sie letztendlich noch steigen kann. Ich halt mich bei meiner Argumentation einfach an die von Bontrup verwendeten Zahlen. Demnach sind die Geldvermögen in 27 Jahren um 1500% gestiegen, das weltweite BIP aber nur um 450%. Darin liegt letztendlich das Problem. Das Thema Inflation ist sehr, sehr schwierig. Ich möchte mich da jetzt auch nicht ohne genaue Nachforschungen äußern…man müsste aber das Argument prüfen, dass im Finanzsektor in den letzten Jahrzehnten sehr wohl eine Inflation stattgefunden habe.
@Lemmy(2):…ja da hätte ich mich wohl deutlicher ausdrücken sollen: also a)„Wenn es nicht mehr ausreichend private Schuldner gibt, die im Geldsystem das Equivalent zu den immer weiter steigenden Vermögenswerten bilden, muss sich das Vermögen schließlich größere Schuldner suchen. Wie eben die Staatshaushalte.“ …Klar „suchen“ die Vermögen nicht aktiv und direkt die Schuldner…ich wollte mit dem Wort „suchen“ lediglich die mathematische Logik dahinter ausdrücken. Das sollte nichts über die beteiligten Akteure aussagen, eben viel mehr noch einmal den Zusammenhang herausstellen, dass ein Geldvermögen eben immer einen Schuldner benötigt.
zu b): „Als in Europa letztendlich die ersten Staatshaushalte von der extrem angewachsenen Schuldlast im Zuge der Finanzkrise erdrückt wurden, musste die Schuld auf die letzte verbliebe Ebene transferiert werden: auf das supranationale Gebilde Europäische Union.“
Völlig richtig dein Einwand dazu, das Geld kommt letztendlich natürlich aus den Haushalten der Mitgliedsstaaten (bzw. bürgen diese dafür). Dennoch wird das ganze Schuldenproblem aber eine politische Ebene nach oben transferiert, dergestalt dass die Extrem-Schuldnerstaaten nun eben von der besseren Bonität der solventeren Mitgliedsstaaten im Gesamtgebilde EU profitieren…weiß nicht, ob ich mich nun klarer ausgedrückt habe.
„Im übrigen sinkt die erwartete staatliche Neuverschuldung für die Bundesrepublik bereits dieses Jahr unter das BIP Wachstum.“ …meiner persönlichen Einschätzung nach hat Deutschland als Staat da noch die geringsten Probleme…aber die Welt ist nun mal vernetzt, Europa eben auch…und nun schau mal nach Spanien, Griechenland, Irland. Da schaut es alles andere als rosig aus. So kann mich eine partiell geringere Neuverschuldungserwartung Für D da wenig vom Hocker hauen.
„Staatsverschuldung ist KEIN globales Problem. Die Situation hat sich nur umgekehrt.“ …völlig richtig. Man muss sich ja nur mal China anschauen, das meiner Meinung nach im Übrigen eine sehr intelligente Wirtschaftspolitik fährt (intelligent heißt hier aber nicht ethisch korrekt). Natürlich profitiert immer jemand wenn jemand anderes verliert. Insofern wird sich da meiner Meinung nach definitiv so einiges verschieben. Man muss sich aber fragen ob diese Verschiebung gerecht von statten geht und ob man sie als Gesellschaft so hinnehmen will…darauf spielt das Ende meines Artikels an.
Und dabei muss man eben auch in die Staaten reinschauen. Auch in einem Staat gibt es nicht nur „wir haben Schulden“ sondern auch Nutznießer sprich Gläubiger, die natürlich ein Interesse daran haben dass die Staaten weiter ihre Schulden bedienen können und die im Übrigen bisher noch nichts zur Stabilitätssicherung beigetragen haben! Die Gläubiger können private Halter von Staatsanleihen sein oder andere wohlhabende Akteure…unbestritten findet da aber eine Vermögenskonzentration statt und die Verteilung wird immer ungerechter…gibt’s zig Studien zu…
…vielleicht wäre das nun mal ein guter Punkt in der Diskussion nach folgenden zwei Punkten zu fragen:
1) wie ließen sich die Gläubiger in die Linderung der angespannten Finanzsituation in Europa und USA einbinden? Ließe sich dadurch so manches sozial gerechter regeln? Wirklich über Besteuerung? Kapital ist oft eben sehr mobil…
2) Und man kann dann ruhig auch mal auf die Schuldenbremse eingehen, die – wenn man es so verstehen will – ja auch durchaus dem Zweck dienen kann den Schuldner (Staat) nicht soweit an die Wand fahren zu lassen, dass er am Ende seinen Schuldendienst nicht mehr leisten kann; sprich die Gläubiger auch weiter auf ihre regelmäßigen Zinsgewinne, finanziert aus Steuereinnahmen, vertrauen können. Polemisch gefragt: In 10 Jahren dann Schuldenbedienen auf Kosten des Sozialabbaus?
Florian,
Das hat aber nicht zu einer Entwertung des Geldes geführt.
Nochmal die zentrale Quantitätsgleichung.
Geldmenge * Umlaufgeschwindigkeit des Geldes = Preisniveau * Volkseinkommen
Deutsche Staatsanleihen besitzen eine Laufzeit von afaik 20 Jahren oder sogar mehr. Wenn jemand darin langfristig investiert, wird dieses Geld dem Kreislauf entzogen.
Wenn ich mir dagegen von dem Geld ein Auto kaufen würde, kauft sich der Autoverkäufer von seinem Gewinn möglicherweise eine teure Urlaubsreise und das Reisebüro kauft sich wieder etwas anderes usw. Die Bundesbank hat zwar die Ausrichtung an Geldmengenkonzepte immer geliebt, fragt sich aber wie aussagekräftig sie wirklich sind. Genauso entscheidend für die realwirtschafliche Seite der Gleichung ist nämlich die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes.
Warum? Wenn ich mir Aktien kaufe, sind das Anteile an einem Unternehmen. Keiner hat wegen meines Aktienkaufs Schulden.
So aberwitzig hoch sind ja nun die von europäischen Staaten gezahlten Renditen für tatsächlich ausgegebene Anleihen wirklich nicht. Um genau das für Griechenland, Portugal zu verhindern, gibts ja den Euro Rettungsfond.
Und wenn die “Zinsen” (afaik eigentlich Renditen) der Staatsanleihen steigen, sinkt halt der Kurs der bereits ausgegebenen Staatsanleihen, weil es sich um festverzinsliche Wertpapiere handelt.
Die Gläubiger erhalten also 3% Rendite für Deutsche Staatsanleihen. Und das soll dann als Argument dafür herhalten, dass sie einen Großteil der Staatsschulden in Höhe von 70% des Werts aller in Deutschland hergestellten Leistungen begleichen müssen? Das wirkt mir dann doch ein wenig scheinheilig. Dann doch schon eher, dass Sozialstaaten halt von gutgestellten Leuten eine entsprechende Beteiligung am Gemeinwesen einfordern. Da seh ich nix ehrenrühriges. Mit solchen mathematisch leicht zu widerlegenden Argumenten, liefert man denen eher noch Munition.
2) Schuldenbremse kann über Einsparungen oder über Einnahmeerhöhungen geschehen. Ich bin für die Schuldenbremse. Allerdings sollte man dabei dringend beachten, dass dies sozial gerecht geschieht. Es gibt eine Menge Einsparungen, die insbesondere die obere Mittelschicht und Oberschicht treffen würde. Etwa die Verringerung der Subventionierung für Firmenwagen. Oder für Photovoltaik-Panels auf Eigenheimen. Ausserdem können mehr Steuerprüfer eingestellt werden, die sich ja für den Staat rechnen. Und die Steuern für Leute mit großem Einkommen lassen sich erhöhen. We have a choice.
Staatsanleihen gelten in unseren Breiten als sehr sichere aber nicht sonderlich gewinnträchtige Geldanlage.
Hier kannst du dir die Renditen einmal anschauen: http://www.onvista.de/anleihen/suche-vergleich/staat.html
Von der Rendite musst du aber die Inflation abziehen. Und der Kurs über den Nennwert. Wenn sone Anleihe einen Kurs von 122% hat, bedeutet das für den Käufer, dass er heute 122% bezahlt, jährlich den Kupon einstreicht und zur Fälligkeit 100% ausgezahlt bekommt.
Vergleich mal die Renditen für venezoelanische und chilenische Staatsanleihen auf der Onvista Seite ;-)
Hey Lemmy,
“Das hat aber nicht zu einer Entwertung des Geldes geführt.” …ja vermutlich weil eben auch sehr viel Kapital in den Finanzmarkt geflossen ist und dort zu einer Inflation führt (nicht geprüftes Argument) in jedem Fall dort aber Bubbles erzeugt, die dann auf die Realwirtschaft zurückschlagen.
“Wenn jemand darin langfristig investiert, wird dieses Geld dem Kreislauf entzogen.” …mit Nichten. Das Geld hat dann ja erstmal der Staat, der es weiter ausgibt…er leiht es sich vom Bürger..wieso soll es also entzogen sein?
“Warum? Wenn ich mir Aktien kaufe, sind das Anteile an einem Unternehmen. Keiner hat wegen meines Aktienkaufs Schulden. ” …naja aber durch den Aktienkauf schaffst du ja das Geld nicht…es muss zuvor ja irgendwie “geboren” worden sein und zwar als die Schuld eines anderen…bei Verkauf der später vielleicht höher bewerteten Anteile fließt auch wieder echtes Geld von a nach b. Es gilt aber dabei zu beachten dass dabei nur Werte umverteilt, nie geschaffen werden.
“So aberwitzig hoch sind ja nun die von europäischen Staaten gezahlten Renditen für tatsächlich ausgegebene Anleihen wirklich nicht. Um genau das für Griechenland, Portugal zu verhindern, gibts ja den Euro Rettungsfond.”…du musst das halt in größeren Dimensionen denken. Auch wenn die Zinsen nicht aberwitzig hoch sind, werden doch 20% (!)Prozent des deutsches Staatshaushaltes Jahr für Jahr für Zinszahlungen benötigt…und wenn ein Staat dann in die Nähe der Zahlungsunfähigkeit rückt wird die Neuausgabe von Staatsanleihen richtig teuer.
Florian,
mein wichtigster Punkt besteht eigentlich darin, dass mit den Renditen unserer Staatsanleihen in keinster Weise das Anwachsen der Geldvermögen erklärt werden kann. Zur Zeit liegen die je nach Restlaufzeit bei 2% bis 3%.
Über 10 Jahre komme ich bei einer Rendite von 3% auf einen nominalen “Gewinn” von 34%. Und davon musst du noch die Inflation abziehen, 2% Inflation über 10 Jahre würde einen Wertverlust von fast 22% entsprechen. Bliebe ein Gewinn von 12%… über 10 Jahre. Das ist weit, sehr weit entfernt von der von dir oben angesprochenen Zunahme des Geldvermögens um 1500%.
Das ist natürlich sehr richtig.
Emitiert ein Unternehmen Aktien, holt also Fremdkapital in das Unternehmen, dann werden die möglicherweise mit diesen von mir zur Verfügung gestellten Mitteln etwas sinnvolles anstellen. Damit werden dann Werte geschaffen.
Dabei darf ich aber nicht die Gesetze der Schwerkraft vergessen. Für einen Anleger sind Staatsanleihen Anlageoptionen mit einem geringen Risiko und sehr geringen Renditen. Die Zunahme der großen Geldvermögen erklären diese 1% Realzins pro Jahr in keinster Weise.
Wenn der Staat irgendwann seinen Schuldendienst nicht mehr leisten kann, lassen sich zwar die neuen Staatsanleihen nur zu deutlichst höheren Renditen verchecken, jedoch haben die aktuellen Halter von bereits laufenden Staatsanleihen ein echtes Problem. Deren Kurs wird nämlich in den Keller fallen.
Empirisch existiert auch keine Korrelation zwischen Staatsverschuldung und einer hohen gesellschaftlichen Ungleichheit. Viele der aktuell überdurchschnittlich verschuldeten Länder (z.B. Japan, Deutschland, Frankreich) weisen einen vergleichsweise hohen Grad der ausgeglichenen Verteilung der Einkommen und Vermögen auf. Viele Länder mit einer sehr geringen Staatsverschuldung haben dagegen eine sehr ungleiche Verteilung der Einkommen auf (z.B. Chile).
Ich seh das so:
Unser Geld- und Finanzsystem hat eigentlich über lange, lange Jahre sehr gut funktioniert. Das war früher ganz anders. Hab mal eine Wirtschaftsgeschichte über meine Heimatstadt Köln gelesen und da gabs selbst durch die Gründerzeit Mitte des 19. Jhdts hindurch ständig Finanzkrisen, Bankencrashs, etc.
Infolge der langen Phase der Stabilität für die traditionellen Industriestaaten baute man aber ausgehend von USA und UK immer mehr Regulierungen für die Finanzmärkte ab. Schliesslich hatte man ja in der Realwirtschaft mit stärker werdender Konkurrenz insbesondere aus Ostasien zu kämpfen. Und diese unreguliertere Finanzwelt schuf scheinbar saubere und hochbezahlte Jobs in der Finanzwirtschaft. Und nun ist dieses Kartenhaus zusammengebrochen… Das bedeutet aber für mich nicht, dass das bestehende Geld- und Finanzsystem nicht grundsätzlich reformierbar wäre. Länder, die in jüngerer Zeit Erfahrungen mit kleineren oder größeren Finanzkrisen gemacht haben (z.B. Schweden, Brasilien, Chile, Mexiko, Südkorea, Malaysia) waren aufgrund strengerer Regulierungen kaum von der Finanzkrise in ihren Finanzinstitutionen betroffen.
Gruß Lemmy
und wenn ein Staat dann in die Nähe der Zahlungsunfähigkeit rückt wird die Neuausgabe von Staatsanleihen richtig teuer.
interssanter Beitrag,
“dass mit den Renditen unserer Staatsanleihen in keinster Weise das Anwachsen der Geldvermögen erklärt werden kann. “…seh ich im Übrigen genauso…bliebe aber die Frage warum die Geldvermögen so stark ansteigen? Giralgeld? Exponentielles Wachstum im Zinseszinsystem? Aufblähung des Finanzsektors? Mischung aus allem?
“Wenn der Staat irgendwann seinen Schuldendienst nicht mehr leisten kann, lassen sich zwar die neuen Staatsanleihen nur zu deutlichst höheren Renditen verchecken, jedoch haben die aktuellen Halter von bereits laufenden Staatsanleihen ein echtes Problem. Deren Kurs wird nämlich in den Keller fallen.” naja ganz so einfach ist es nicht…also wenns wirklich zur Insolvenz käme, müsste das Währungssystem neu aufgesetzt werden…dann hätten die Altgläubiger natürlich ein Problem. Wenn ein Staat aber nur am Rande der Zahlungsunfähigkeit taumelt, ist es richtig bitter. Dann werden ja die Schulden weiter bediehnt und eben auch voll und ganz zurückgezahlt bei Auslauf der jeweiligen Anleihe (auch wenn deren Kurs auf dem Markt temporär niedriger gehandelt wird). Die unangenehmste Situation für eine Gesellschaft wäre also wenn der Staat schwer verschuldet ist, einen großen Teil seines Budgets für den Schuldendienst aufbringen muss, aber noch nicht genug verschuldet ist um nen Schnitt zu machen. Man kann da schon von so ner Art Knebelgriff sprechen, denke ich…Meine Einschätzung ist, dass wir uns genau in dieser Phase befinden. Ich seh das als einen langen, qualvollen Siechprozess in dem Europa und USA nun sind. Es hat auch niemand wirklich die balls nen Währungsschnitt zu machen und damit türmt sich immer mehr auf und selbst die angesehensten Experten geben zu sie haben keine Ahnung wie lange das noch gut gehen soll. Frage ist halt inwieweit die Gläubigerlobbys diese Politik beeinflussen.
Deine Einschätzung am Ende find ich ne interessante Position…da steckt wahres drin, vor allem was die Geschichte betrifft…problematisch ist halt der Grad zu dem gewisse Finanzakteure im Zuge der Deregulierung herangewachsen sind . Sehr gutes Interview dazu gibts hier: http://www.taz.de/1/zukunft/wirtschaft/artikel/1/ackermann-ist-gefaehrlich/
Es gibt in diesem Land eine Menge Menschen, die deutlich mehr verdienen als sie für ihr Leben, ein Haus oder andere langlebige Gebrauchsgüter ausgeben. Es wird heute in diesem Land deutlich mehr Leute geben, die über 60.000 Euro und deutlich mehr im Jahr machen als inflationsbereinigt vor 20 Jahren. Immer mehr liegen über dem Spitzen- und Höchststeuersatz und fallen dann aus der Progression. Bin kein Freelancer, aber ich kenn ebensolche 25 Jährigen, die es für völlig normal halten, 80 Euro die Stunde zu machen. Die kommen schon aufgrund ihres eher langweiligen Hotellebens nach ein paar Monaten auf die Idee, sich einen Porsche zu kaufen. Das Geld sollten sie lieber anlegen ;-) Und einen Teil eben über den Staat an Leute verteilen, die wirklich Not leiden.
Sehe ich für Deutschland nicht. Dieses Jahr wird die Neuverschuldung vermutlich etwas über 2% betragen und das BIP Wachstum ein wenig darüber. Wenn das BIP stärker wächst als die Verschuldung, sinkt die Last des Schuldendienstes auf die Staatsausgaben. Im übrigen wird der Bund ja noch Staatsanleihen zu den aktuell sehr niedrigen Preisen los.
Infolge der Globalisierung haben die Arbeiter und einfachen Angestellten immer mehr an Macht verloren. Diese Arbeit kann zur Freude der Gutverdiener z.T. billiger in Indien, China, der Türkei, in Osteuropa oder sonstwo erledigt werden. Wenn die mehr von ihrem Globalisierungs-Profit über den Staat umverteilen lassen, wären wir einige sozial- und finanzpolitischen Sorgen los. Die Senkung der Spitzensteuersätze in der neoliberalen Euphorie-Phase der 90er und Anfang der 00er war einfach ein Fehler.
Ich bin heute stark von Dani Rodrik und Ha-Joon Chang geprägt. Ich seh die als unaufgeregte Pragmatiker, die Wirtschaftstheorie konsequent nicht als Suche nach dem heiligen Gral des “richtigen” Systems betrachten, sondern als hinreichend rationale Entscheidungen als Reaktion auf sowieso immer neue Problemlagen. In einer Wirtschaft liegen NIE alle Parameter auf einem Optimum. Wenn man versucht, einen bestimmten Parameter zu optimieren, kann man dadurch durchaus das Gesamtsystem schwächen, wenn man andere Parameter ausser Acht läßt oder sie aus bestimmten Gründen nicht optimieren kann. Und das gibts in komplexen Systemen immer. In der ökonomischen Theorie kennt man das als Lipseys Theory of the Second Best. Mich hat das zu ökonomisch-geisteswissenschaftlichen Studentenzeiten schwer fasziniert. Zwischendurch hab ich das vergessen.
Dann arbeitet ich aber 10 Jahre später in IT Projekten unterschiedlicher Größe. Jobs, die ich alleine oder mit 2 bis 7 Leute erledigte und Jobs, die in einem großen Team mit bis zu 100 Personen auf 2 Kontinenten und 5 Ländern erledigt wurden. In den großen Projekten waren viele Dinge optimiert: Der IBM Mann stand bei Problemen sofort auf der Matte, es gab hervorragende und übrigens auch menschlich integre Manager, Spitzen-Experten zu Spezialthemen, es wurde nach im Einzelnen sehr ausgeklügelten aber halt auch starren Prinzipien gearbeitet. Ich lernte dort immer. Trotzdem empfand ich die Produktivität nicht selten als eher katastrophal. Z.T. ist das natürlich durch Kommunikationskosten in großen Teams zu erklären. Aber z.T. eben auch durch die Tatsache, dass die hypertrophe Optimierung bestimmter Komponenten nicht zu einer Optimierung des Gesamtsystems führen. Mit weniger starren second best Ansätzen würd man möglicherweise eine höhere Effizienz erzielen. Auch der Entwicklungsökonom Dani Rodrik betont stark dieses Second Best Ding.
Unser heutiges Geldsystem ist in einer realen und komplexen Umwelt auch ökologisch gewachsen. Gut, es gab einen crash, aber wir sollten das Kind vielleicht nicht mit dem Bade ausschütten und uns in unserer stets modelhaft-vereinfachten Sicht der Realität etwas optimiertes überlegen. Gleichzeitig sollten wir die von den Menschen so empfundenen Probleme wirklich angehen und nicht denen Glauben schenken, die behaupten, dass bei sowas wie die Anhebung des Spitzensteuersatzes nur Idioten im Land bleiben und alle schlauen Leute auswandern würden. Wie Ha-Joon Chang sagt: We have a choice. Wir brauchen dabei aber nicht die Welt zu retten, sondern nur ein konkretes Problem lösen. Wenn es etwa in Deutschland immer mehr Kinder gibt, die in Armut aufwachsen. Warum nicht einfach dieses Problem zielgerichtet angehen?
Warum eigene Geldtehoretische Systeme entwerfen? Warum das hypertrophierte Modelldenken von Teilen der Ökonomie imitieren, die ganz offensichtlich nicht funktionieren?
Und wo ich schon solange schreibe, noch ein Beispiel:
Der chilenische Finanzminister Laraín gestern: Versteh auch nicht, warum bei unseren toll vielen Banken der d.u.r.c.h.s.c.h.n.i.t.t.l.i.c.h.e Zinssatz für Konsumentenkredite seit Jahrzehnten auf 30 (in Worten dreissig) Prozent pro Jahr verharrt. Bei einer Inflationsrate von in den letzten Jahren 2% und weniger… er würde da ein paar Subventionen für Hypothekenkredite einführen, was übrigens ein Markt mit deutlich niedrigeren Zinsen ist und absolut NULL mit dem Markt für Konsumentenkredite zu tun hat. Nach praktisch jeder ökonomischen Theorie müßte der Preis für die Kredite sinken, insbesondere weil es für Überschuldete keine Privatinsolvenz gibt. Die verharren dann den Rest ihres Lebens in der DICOM Hölle, ohne die Möglichkeit vor der nächsten Wiedergeburt auch nur ein Girokonto zu eröffnen.
Warum da nicht einfach Konsumentenkredite mit 10% über der Inflation einfach verbieten? Und sollte das aus irgendwelchen Gründen echt dafür führen, dass zu wenig Konsumentenkredite vergeben werden, dann die Maßnahme direkt wieder aussetzen. Vermutlich würd das aber nicht geschehen.
Schnelle ad hoc Lösungen, die bei nicht-funktionieren wieder aufgehoben werden. Keine Suche nach dem perfekten System.
Einerseits möchte ich kein Spielverderber sein, andererseits wurde ja zur Debatte aufgerufen. Bin ich also Spielverderber: die tiefere Ursuche für Armut und Krisen ist schlicht die Logik des Kapitalismus selbst, das Geldsystem wiederum folgt nur dieser Logik. Wenn jetzt das Argument kommt: ‘es ging doch schon mal besser’, so stimmt das zwar (in Grenzen), aber nur deshalb, weil es dem Kapitalismus selbst schon mal besser ging. Er selbst und seine Reproduktion – die schlicht darin besteht, aus Geld immer mehr Geld zu machen – ist prekär geworden. Steigende Produktivität führt zu Arbeitslosigkeit, die wiederum als Hebel zu (absolut oder auch ‘nur’ relativ zur Produktivität) sinkenden Löhnen dient – die aber fatalerweise gleichzeitig auch die Nachfrage darstellen. Während also einerseits immer mehr produziert wird bzw werden kann, sinkt andererseits die Nachfrage. Und genau diese ‘Nachfragelücke’ wurde seit jetzt gut 3 Jahrzehnten durch immer weitere Verschuldung ‘scheinbar’ geschlossen. Nur dadurch wiederum konnte überhaupt die Akkumulation von Kapital (Geld zu mehr Geld) noch aufrecht erhalten werden – und genau da bildet das Geldsystem diese Logik als Akkumulation von Vermögen einerseits durch die Akkumulation von Schulden andererseits ab. Stößt nun letzteres an Grenzen – weil inzwischen alles schon doppelt und dreifach verpfändet ist, siehe die Differenz zwischen Schulden- und Wertwachstum – dann auch ersteres, die ‘Selbstverwertung’ des Kapitals kommt zum Erliegen. Das ahnt zumindest auch die Politik, weshalb es zu einer ‘echten’ Regulierung des Finanzsektors auch nicht kommen wird, denn das würde nicht nur die ‘Konjunktur’, sondern letztlich den gesamten Geschäftsbetrieb ausbremsen. Das kann jetzt zB in Griechenland auch schon ganz konkret beobachtet werden.
Da hilft dann auch keine Umschuldung, kein Währungsschnitt und keine Reform des Geldsystem, wie auch immer die aussehen mag. Denn das Grundproblem – die für die kapitalistische Logik zu hohe Produktivität – bleibt ja bestehen und davon unberührt.
Geld kann man nicht essen, auch gibt es zu wenig Wärme ab, wenn man es verheizt.
Das Leben wird ausschließlich von den Gesetzen der Natur bestimmt.
Mit Geld kann man diese Gesetze etwas verzögern, umso komprimierter
machen sie sich jedoch dann bemerkbar!
Ich habe 2 Anmerkungen:
1. Inflation: schwieriges Thema, der Warenkorb ist ja nicht mal mehr als Erklärungsmodell im Unterricht geeignet. Wenn ich mir die USA und ihre Notenbank anschaue, dann ist Inflation bzw. Nichtinflation eher manipuliert und wird seitens China gesponsert, erlaubt den USA ihren Lebensstil bezahlbar zu halten und schafft China Beschäftungungs/ Wirtschaftswachstum mit immensen Dollarreserven, die nicht mehr verwendbar sind.
2. deine idealtypische Vorstellung, dass dem Geld Schuld bzw. Wert gegenüberstehen muß, teile ich überhaupt nicht. Das funktioniert ja schon bei den Notenbanken nicht (siehe Punkt 1 USA), außerdem ist die Verschachtelung des geliehenen Zentralbankgeldes in Folgefinanzprodukten der Banken so komplex, dass es meiner Meinung nach nicht mehr transparent und abgrenzbar ist. Will heißen, wahrscheinlich verdienen die Banken schon alleine am Kreislauf an sich genug, solange bis jemand dem Ganzen nicht mehr traut – zurückfordert – und damit zum Einsturz bringt.
Beispiel: Bank verdient nur an den Gebühren/ Provisionen, ein terminiertes Finanzprodukt wird immer wieder erneuert und bläht sich durch Einbehaltung des Bankverdienstes (Gebühren, Provisionen) auf, solange der Kreislauf durch komplizierte Konstruktionen erhalten werden kann und keiner ein Interesse hat diesen zu stoppen, füttert dieser sich selber. Wenn für alle anderen Beteiligten das Produkt ein Nullsummenspiel ist reicht das schon, das Volumen muß für den nächsten Lauf nur größer werden, um die Gebühren zu decken. Sogar dieser Ami (Name entfallen) konnte sein viel extremeres Schneeballsystem sehr lange am Laufen halten.
Beispiel: eine Hypo Real Estate finanziert langfristige Staatspapiere mit kurfristigen Verbindlichkeiten gegen und verdient am Zinsspread solange bis ‚harte’ Ereignisse den
schönen Refinanzierungskreislauf stoppen.
Das alles ist kein realwirtschaftlich geschaffenes Geld mehr, sondern ein systemimmanentes Problem. Leider ist geliehenes Geld nicht mehr nur eine Finanzierungsmöglichkeit für reale Güter und Dienstleistungen, sondern es existiert ein inzwischen viel größerer virtueller Kreislauf.
Wie dieser noch erklärbar ist, dass wäre einen Nobelpreis wert.
Oder wie erklärst du den Bau spanischer Feriensiedlungen inkl. Golfplatz, beides nie zur Nutzung gedacht, aber ein Renditeobjekt.
So etwas geht nur gut, solange bis……
ich nochmal, derheutige SPON Artikel http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/0,1518,757152,00.html über einen amerikanischen Untersuchungsbericht bestätigt genau meine Meinung, Zitate: “Investoren seien im Unklaren belassen worden, um die “CDO-Maschine” in Gang zu halten und Gebühren einzustreichen” und “Intern habe Lippmann seine Kollegen wiederholt gewarnt, dass die in den CDO verpackten Ramschkredite bald an Wert verlieren würden. Oft habe er sogar von einem “Ponzi-Schema” gesprochen, einem Schneeballsystem wie das, wegen dem der Milliardenbetrüger Bernard Madoff für den Rest seines Lebens in Haft landete.” Madoff das ist der Ami, den ich meinte und Schneeballsystem!
Hi, allerseits,
der Unterschied zwischen dem Bruttosozialprodukt und dem Finanzvermögen bei niedriger bis moderater Inflation in den Industrienationen könnte auch darin begründet sein, dass
1. der Westen die gedruckten Scheine zunehmend für die politische Kolonialisierung der (ressourcenreichen) Entwicklungsländer verwendet. Diese gedruckten Scheinchen versickern zum größten Teil in den somit “gezüchteten” Machtpyramiden der ausländischen regierungen und beeinflussen somit trotz der gewaltigen Rüstungsaufträge (die ja wiederum Gewinne nach Hause reinspielen) kaum die Inflation innerhalb der Industrienationen selbst. Dass die Entwicklungsländer aber mit “leeren” Geldscheinen destabilisiert und mit tödlichen Waffen überflutet werden, kümmert die Drahtzieher der “Welt-Demokraten” nicht.
2. Zum anderen sind einige Vermögen grotesk überbewertet (denkt an die Palmen-Inseln oder auch an sonst. Luxusgüter, die um so besser bei deren Konsumenten ankommen, je höher der Preis ist. Der tatsächliche Wert interessiert keinen)
3. unbekannte, aber vermutlich sehr große Ansammlungen der Vermögenswerte sowie liquider Mitteln sind in den off-shore-paradisen deponiert und somit nicht in den Zahlen zur Bruttosozialprodukt-Entwicklung enthalten…