Neue Studie:

Spekulationen mit Nahrungsmitteln weitestgehend unreguliert

Von Florian Hauschild

„Wir wissen eigentlich nur, dass wir nichts wissen.“ So lässt sich zwischen den Zeilen die karge, aber zugleich brisante Aussage einer von der Welthungerhilfe in Auftrag gegebenen Studie mit dem Titel „Finanzmärkte als Hungerverursacher?“ herauslesen. Erarbeitet wurde die Studie unter Hans H. Bass, Professor für Allgemeine Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Bremen. Trotz aller Einschränkungen und Verweise auf die Komplexität der Materie schätzt die Studie, dass das Engagement agrarbranchenfremden Finanzmarktakteure auf den internationalen Terminmarkten für Mais, Soja und Weizen in den Jahren 2007 bis 2009 im Jahresdurchschnitt zu einer Preisniveauerhöhungen von bis zu 15 Prozent gegenüber einem über einen längeren Zeitraum hinweg bestimmten Referenzwert führte.[1] Außerdem wird zusammenfassend angemerkt: „Gegenwärtig wirkt sich das Geschehen auf den internationalen Finanzmärkten über verschiedene Mechanismen negativ auf die Importpreise der Entwicklungsländer aus und pflanzt sich von dort auf die lokalen Märkte fort.“[2]

Für die drei genannten Agrargüter waren nach Angaben der US-amerikanischen Aufsichtsbehörde am Ende des Jahres 2010, US-amerikanische Finanzunternehmen zu Anlagezwecken mit einem Bestandsvolumen von etwa 31 Mrd. US-Dollar auf den Terminmärkten aktiv. Dies entspräche zwar nur fünf bis zehn Prozent der Weltjahresproduktion dieser Nahrungsmittel, jedoch verstärke sich der Einfluss der agrarbranchenfremden Finanzmarktakteure noch durch die Hebelwirkung der von ihnen genutzten Anlageprodukte.[3]

Deutsche Finanzmarktakteure spielen mit einem am Markt investierten Kapitalvolumen von etwa 1,5 Mrd. USD nur eine untergeordnete Rolle. Die Studie mahnt allerdings, dass sich dieses Engagement unter Beibehaltung der gegenwärtigen Nicht-Regulierung dieses Finanzmarktsektors in den nächsten Jahren deutlich erhöhen könnte. Dadurch würde zusätzlich Druck auf die Rohstoffmärkte ausgeübt werden.

Bass und sein Forschungsteam benennen darüber hinaus aber auch weitere Faktoren, die bei der fundierten Analyse der Nahrungsmittelpreise unbedingt beachtet werden sollten. So merkt die Studie an, dass der generelle Anstieg der Preise seit 1990 zunächst einmal auf eine strukturell steigende Nachfrage von Agrargütern als Tierfutter und Bioethanol aber eben auch auf den steigenden Bedarf in Schwellenländern wie China zurückgeht.[4] Im Übrigen konnten Agrargüter erst durch diesen strukturellen Anstieg des Preisniveaus für agrarfremde Finanzmarktakteure interessant werden.

Als problematisch in diesem Zusammenhang benennt die Studie zudem die zunehmende Liberalisierung der Finanzmärkte. Erst durch die Schaffung von Investmentzertifikaten auf Rohstoffe, ETFs und ETCs ist es überhaupt möglich, Liquidität in großen Mengen für Spekulationen an den Nahrungsmittelmärkten einzusammeln.

Genau an diesem Punkt wird schließlich auch deutlich wo die Studie an ihre Grenzen stößt, denn nachdem diverse Maßnahmen-Vorschläge verschiedenster politischer und zivilgesellschaftlicher Akteure seziert werden, stellen die Autoren fest:

„Wie gezeigt, sind die genauen Wirkungsmechanismen des Engagements von Finanzmarktakteuren auf den Handel mit Getreide und Soja noch nicht hinreichend erkannt. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass die dafür erforderlichen Daten schwer oder gar nicht verfügbar sind. Zugleich ist aber unabweisbar, dass negative Einflusse bestehen. Es steht zudem außer Frage, dass der starke Zufluss von Kapital zu Fonds anhalten wird, die sich auf den Nahrungsmittelmarkten engagieren. Das gilt in hohem Maße auch für Deutschland. […] Die vorzuschlagenden Maßnahmen sind daher eher mit einem Breitbandmedikament als mit einer gezielten medizinischen Therapie zu vergleichen.“[5]

Die sodann vorgeschlagenen, eher hilflos anmutenden Maßnahmen lassen sich im Wesentlichen zu den Punkten bessere Dokumentation der Finanzmarktgeschäfte und Berichtspflichten für die agierenden Akteure zusammenfassen. Des Weiteren plädiert die Studie für eine Wiedereinführung der Börsenumsatzsteuer um ausufernde Finanzmarktspekulationen einzudämmen, merkt aber an, dass eine solche Regulierung nur Sinn macht wenn sie global umgesetzt werden würde.[6]

Das nüchterne Ergebnis also: Die Aktivität agrarfremder Finanzmarktakteure auf den Nahrungsmittelmärkten ist dermaßen unreguliert, unkontrolliert und undokumentiert, dass nicht einmal ein hochkarätig besetztes Forschungsteam in der Lage ist, ausreichende Datenmengen für eine tief greifende Erforschung dieses Themas zu finden. Letztendlich können die Autoren der Studie nur fordern, dass in Zukunft doch bitte mehr Daten erhoben werden sollten. Es bleibt also zu hoffen, dass die Frage der Aktivitäten von agrarfremden Finanzmarktakteuren im Nahrungsmittelsektor breitere öffentliche Aufmerksamkeit erfährt. Die Aussage eines Traders, den die Studie zitiert lässt sonst auf wenig Gutes schließen:

Durch die Geldflut der Notenbanken sahen wir eine Bubble im Anleihenmarkt (Rendite 10y BRD-Anleihen Ende August ’10 = 2.18% p.a.). Aufgrund der Unsicherheit in Europa sucht das günstige Geld nun neue Investitionsobjekte (distressed yield). Für das Jahr 2011 wird spekuliert, dass Aktien sich anbieten und vor allem Premiumaktien aus dem exportstarken Deutschland gefragt sein werden. Ähnliche Story für Agrarguter: Die Forward-Curve fur Wheat ist steil und zeigt, dass die Markterwartungen von steigenden Preisen ausgehen. Agrarprodukte bieten ein interessantes Risiko-/ Renditeprofil für den Investor oder Spekulanten – auch dollarbereinigt.(Personliche Mitteilung eines Traders eines großen Bankhauses in London).[7]

Die Studie „Finanzmärkte als Hungerverursacher?“ ist am 08.04.2011 im Auftrag der Welthungerhilfe in Bremen erschienen.

Die Studie „Finanzmärkte als Hungerverursacher?“ als pdf

Zusammenfassung der Studie auf der Homepage der Welthungerhilfe


[1] Bass, Hans H. (2011): Finanzmärkte als Hungerverursacher?, Seite 5. Bremen

[2] http://www.welthungerhilfe.de/nahrungsmittelstudie2011.html

[3] Ebd.

[4] Bass, Hans H. (2011): Finanzmärkte als Hungerverursacher?, Seite 4. Bremen

[5] Bass, Hans H. (2011): Finanzmärkte als Hungerverursacher?, Seite 73. Bremen

[6] Bass, Hans H. (2011): Finanzmärkte als Hungerverursacher?, Seite 67ff. Bremen

[7] Bass, Hans H. (2011): Finanzmärkte als Hungerverursacher?, Seite 67. Bremen

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5 Kommentare zu "Neue Studie:"

  1. olsson sagt:

    es muss ein derartiger gesellschaftlicher druck zur einrichtung einer tobin tax geschaffen werden, dass solche ausreden nicht noch in 20 jahren gebraucht werden können…

  2. Lemmy Caution sagt:

    Ich halte eine andere Entwicklung für die Nahrungsmittelpreise für deutlich problematischer:
    Die wachsenden Mittelschichten in Schwellenländern besonders in Asien stellen ihre Ernährung auf Fleisch um. Südamerika ist da weniger problematisch, weil da immer schon viel Fleisch gegessen wurde. Ist vergleichsweise günstig.
    Und diese Fleisch-Ernährung verbraucht halt in der Herstellung wesentlich mehr Ressourcen. Deshalb gibts ja diesen Soja-Boom, von dem insbesondere Argentinien, Paraguay und Uruguay z.Zt. ihre fast schon chinesischen Wachstumsraten herbekommen.
    Ich denke allerdings auch, dass dies mehr aus Sicht der Ärmsten der Armen in Afrika, Asien und einigen Teilen Südamerikas gedacht werden muss. Und es ist wirklich geschmacklos, dass reiche Finanzinvestoren da auch noch ihre Boom und Bust-Zyklen draufsetzen. Nur halte ich die aktuelle Marktbewegung stärker in diesen realwirtschaftlichen Änderungen der Konsumgewohnheiten begründet. Nahrungsmittel lassen sich ja auch nicht endlos lagern.
    In Afrika gibts auch bei entsprechender Anschubfinanzierung eine Menge Möglichkeiten der effizienteren Produktion für den Binnenmarkt. HIer bin ich ein entschiedener Gegner einer unter Linken verbreiteten Kleinbauer Romantik. In Chile werden diese Leute eigentlich ganz gut mit stark staatlich regulierten Beratungsfirmen unterstützt. Die dort arbeitenden Leute sind oft Agrarökonomen mit einer Herkunft aus diesen abgelegenen Dörfern. Nur ist Kleinbauer trotzdem eine echt mühsame Form des Überlebens. Den echten Profit ziehen sowieso die brutalkapitalistischen Typen vom Markt (i.S. v. echten Marktständen).
    Eltern ziehen in die urbaneren Zentren aus Gründen wie der besseren Schulbildung für die Kinder. Solange dort ausreichend günstiger Wohnraum und vertretbare Arbeitsplätze geschaffen werden, ist das auch in Ordnung.
    Für eine Tobin-Steuer bin ich sowieso.
    Ganz ähnliche Dinge erzählte mir ein ex-Kollege und Freund, der aus dem Atlas-Gebirge aus Marokko stammt. Er und ein Nachbarsmädchen wurden von den Eltern sehr energisch in die 1 Stunde Fußmarsch entfernte Schule getrieben. Sie ist Dozentin auf einer Uni in Kanada. Er arbeitet heute als IT-Berater für eine europäische Bank. Beide sind darüber sehr froh.

    • Ja, völlig richtig. Wie geschrieben, nennt die Studie die steigende Nachfrage auch erstmal – sagen wir – als Grundübel. Erst durch die struturell steigende Nachfrage rücken Nahrungsmittel in den Fokus von Spekulanten. Wüstensand würde beispielsweise niemals zum Spekulationsobjekt weil es immer mehr Angebot als struturelle Nachfrage danach geben wird…Spekulationen verstärken also Trends in der Regel und rufen sie nicht hervor. Spekulanten springen bildlich gesprochen auf einen fahrenden Zug auf, machen ihn dabei aber schneller.

      Auch muss angemerkt werden, dass ein funktionierender Handel mit Nahrungsmitteln natürlich enorm wichtig ist. Es muss aber sehr wohl überlegt werden ob es im allgemeinen Intresse ist, wenn sich agrarfremde Finanzakteure im großen Stil an diesem Handel beteiligen. Tobinsteuer geht sicher in die richtige Richtung, erspart aber nicht die grundlegende Frage danach ob für Lebensmittel nicht besondere Regeln an den Finanzmärkten gelten sollten.

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