Die biologische Klasse

…und die Auflösung von Klasseninteressen

Von Roberto J. Lapuente

TH. Korr, "Aufruf zum Klassenkampf" (CC-Lizenz)Das große Geld hat der Unterklasse so lange eingeflüstert, dass es so etwas wie Klasseninteressen gar nicht gibt, bis die es geglaubt hat. Das an sich war schon durchtrieben. Sie hat alsdann neue Klassen eingeführt, die nicht auf ökonomische Prämissen zurückzuführen sind, sondern auf biologische Gemeinsamkeiten.

Diese biologisch konzipierten Klassen anstelle eines ökonomisch verstandenen Klassenbegriffes nehmen dem Sozialabbau, der Entrechtung, der Vereinsamung und Zersparung der öffentlichen Hand das Wind aus den Segeln. Wenn sich Menschen plötzlich nicht mehr als nahestehend begreifen, weil sie in denselben Prekärbeschäftigungen verarscht werden, sondern weil sie zum Beispiel beide weiblich sind, dann zieht man die Verantwortlichen für die soziale Schieflage aus der Schusslinie.

Die Biologisierung des Klassenbegriffes unterschlägt die ökonomischen Ungleichheit

Schwarze sind nicht gleich Schwarze. Obamas Kinder und die Kinder eines afroamerikanischen McDonalds-Angestellten aus Harlem haben nicht dieselben Probleme.

Während ökonomisch privilegierte Frauen um die “Gleichberechtigung von Frauen in Führungspositionen” (so schrieb es die taz) kämpfen, zählt die Wartefrau jenen Teil ihres Lohnes, der der Willkür der Stehpinkler geschuldet ist, auch Trinkgeld genannt.

Unterdessen Schäuble jede Nische dieser Republik und Europas erreichen kann, wissen weniger reiche Querschnittsgelähmte viel über Barriereunfreiheit zu erzählen.

Sind alle Kinder gleich? Das Kindergeld eines Kindes aus einer Bedarfsgemeinschaft ist anzurechnendes Einkommen, inzwischen Millionärskinder nicht über ihrer Kindergeldbedürfigkeit Rechenschaft ablegen müssen.

Vural Öger kann vermutlich seine Rechnungen begleichen, der nette Türke am Eck nicht immer.

Alleinerziehende Mütter sind nur im Wehgeklage gleich: die eine beklagt sich, weil sie das Zuwenig an Zeit noch nicht mal finanziell niederschlägt, die andere, weil die Tagesmutter keine Zeit aufbringen will, um den kleinen Oliver-Pascal während ihres Leadership Live Experience zu versorgen.

So viele biologische Gruppen, deren Gemeinsamkeit nur ist, entweder dieselbe Hautfarbe, eine Vagina, eine Behinderung, Jugend, ethnische Herkunft oder Familienstand zu haben. Mehr auch nicht. Dahinter verschwindet der ökonomische Rang, aus dem die soziale Stellung destilliert wird. Dahinter gehen Privilegien und Unterprivilegierung flöten.

Die “biologische Klasse” kanalisiert soziale Diskrepanzen

Die politische Linke warf Alice Schwarzer zuweilen vor, mit ihrem Geschlechterkampf den Klassenkampf zu spalten und gar aufzulösen. Das Konzept des Geschlechterkampfes ist ein biologisches und hebt die ökonomische Grundlage der Klassen auf, dividiert Klasseninteressen auseinander. Es gibt keine gemeinsamen Klasseninteressen zwischen Frauen oder Schwarzen oder Kindseltern – es gibt innerhalb dieser Gruppen jedoch ökonomisch-klassenspezifische Interessen. Biologische Gruppen haben den Zufall als Grundlage, nicht die ökonomische und somit soziale Stellung. Und nur sie machen die Klasse.

Diese falsche Definition von Klasse wird aktuell bemüht, um die Frauenquote für Frauen in Führungspositionen zu popularisieren. Besonders arglistig ist hierbei, dass man Frauen für dieses Vorhaben gewinnt, die keinerlei Interesse an der Bevorzugung ökonomisch bessergestellter Frauen haben können. Arglistig, weil sie Frauen zu elitären Klassenkämpferinnen macht, die nichts mit dieser Elite gemein haben, außer den zufälligen Umstand, mit einer Vagina ausgestattet zu sein. Die Lebenswirklichkeiten für Kassiererinnen und Verkäuferinnen sind andere als jene, die eine Frau aus dem oberen Segment der Gesellschaft kennt. Für eine Frau, die nicht monatlich zusehen muss, wie sie ihr (Über-)Leben finanziert, die nicht Verzicht übt aus Mangel, die nicht Haushalt, Lohnarbeit und Familie unter einen Hut bringen muss, weil sie selbst bei Mutterschaft Personal engagieren kann, sollen sie geradestehen, um der Frauenquote in Führungspositionen Nachdruck zu verleihen.

Die “biologische Klasse” deklassiert und schafft Kasten innerhalb der Klasse

Die biologisch konzipierte Klasse ist nicht nur falsch, sie ist gefährlich. Sie ist prädestiniert dazu, ohnehin privilegierten Klassen Pfründe und Monopole zu sichern. Innerhalb dieser künstlich erschaffenen Klasse ziehen genau diejenigen den Kürzeren, die in der ökonomisch-sozialen Definition von Klasse wahrgenommen würden. Natürlich verwenden die biologischen Klassisten nicht den Begriff des Klasseninteresses oder gar -kampfes. Es ist altes Vokabular, das verpönt ist. Sie haben sich aber ohne Nutzung dieser Begriffe eine Klasse entworfen, in der es Fußvolk gibt, das für höhere Interessen und zu dessen eigenen Nachteil mobilgemacht werden kann. So boxt man Frauenquoten durch oder betreibt man Familienpolitik zugunsten reicher Kinder und ihrer Eltern.

Die biologische Klasse baut nicht auf Prämissen der Gleichheit und sie will auch keine Gleichheit herstellen. Sie deklassiert und macht Menschen zu Einzelkämpfern, zu Subjekten ohne Einordnung, wirft auf Individualinteressen zurück, schaltet Klasseninteressen aus. So kämpfen Schwarze zwar für die Präsidentschaft eines Mannes, der dieselbe Hautfarbe hat, gleichwohl die Benachteiligung von Menschen aus ihrer Gesellschaftschicht mit Desinteresse betrachtet und folglich hingenommen wird, weil der Benachteiligte beispielsweise asiatischer Herkunft ist. Die biologische Klasse ist das falsch eingeimpfte Klassenbewusstsein zur Auflösung des Klassenkampfes, der die Besitz- und Eigentumsverhältnisse und die Produktionsverhältnisse hinterfragt und aufgreift.

Der Artikel erschien ursprünglich auf Ad Sinistram

Artikelbild: TH. Korr, “Aufruf zum Klassenkampf” (CC-Lizenz)

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5 Kommentare zu "Die biologische Klasse"

  1. Jared J. Myers sagt:

    Wie wahr: Zu ergänzen wäre noch die vielleicht deutsche Besonderheit, die Jungen gegen die Alten und vice versa aufzuhetzen – dabei hat ein von 500 Euro Rente “Lebender” mehr mit einer 25-jährigen, 1000 Euro brutto “verdienenden” Niedriglöhnerin gemeinsam als mit einem pensionierten Beamten des Höheren Dienstes oder einem verrenteten mehrfachen Hausbesitzer.

  2. metabipolar sagt:

    Dilemma!

    Ist es nicht interessant, wie alles miteinander VERFLOCHTEN ist? Wo es Zinsen gibt, gibt es auch Schulden, und, wo es Schulden gibt Schuldner und Gläubiger.

    Oder ist es vielleicht gar nicht wirklich VERFLOCHTEN in dem Sinne, daß verschiedene – ich nenne sie mal – Körper und Abstrakta einander umschlungen halten, ohne sich wirklich zu mischen? Bilden wir alle nicht viel eher eine amorphe Masse namens Realität, wobei sich die Formlosigkeit lediglich auf die Grenzen unserer Wahrnehmung bezieht? – Genauso wie ‘Chaos’ nur das Nichterkennen einer Systematik beschreibt, oder manch gut gepflegter Zynismus lediglich Angst ist – sozusagen das Stockholm-Syndrom der eigenen Gesellschaft?
    Birgt spalterisches ‘Kästchendenken’ (der Schwarze, die Hausfrau, der/die Mann;-)) nicht immer die Gefahr von Ignoranz und Ausgrenzung? – Oh, ich weiß, das ist ein Widerspruch in sich. Wenn die ‘Kästchen’ nicht der wahren Realität entsprechen, kann es ja auch keine Ausgrenzung geben (sic!). Desweiteren gäbe es ohne Kästchen keine Sprache wie wir sie kennen, denn diese charakterisiert sich ja ausschließlich durch Unterscheidung. Ohne Sprache keine Zivilisation. Hm!
    Ich habe am Montag (glaube ich) auf arte im Rahmen der ‘Why poverty?’-Reihe den Bericht über Bono und B. Geldorf angeschaut. Augen- und ohrenscheinlich gibt es vor allem in Afrika einige KritikerInnen, die das Engagement der beiden gegen Armut durchaus SEHR kritisch sehen, und auch deren Argumente, auf die ich jetzt nicht näher eingehen möchte, klangen irgendwie logisch (Hatte mit Entmündigung zu tun). Natürlich würden/werden Menschen, die direkt und nachweislich durch die gesammelten Gelder/Vergünstigungen der Rockstars überlebt haben eine ganz andere Meinung haben.
    Ist es in dieser hochkomplexen Weltgesellschaft nicht zunehmend schwierig, einen konkreten Standpunkt einzunehmen, da für jede (meist) im Netz kolportierte Meinung umgehend mindestens eine ‘Gegenhydra’ inklusive nachwachsenden Köpfen aus dem Ei schlüpft?
    Kommen wir mal konkreter zu Herrn Lapuentes Artikel: Während ich ihn las, dachte ich die ganze Zeit über solche Sachen wie: ‘Ja, stimmt.’ oder ‘Genau ins Schwarze.’ oder ‘Recht hat er.’. Aber dann mußte ich aus irgend einem philosophisch angetriggerten Grund erst einmal denn obigen Anfang schreiben.

    Und jetzt sehe ich mal wieder beide Seiten. Einerseits: ‘Ja’, ich gehe weitgehend mit Herrn Lapuentes Meinung konform,
    andererseits: ‘Nein’, denn, ist es nicht für manch einfaches Gemüt z.Z. zuviel verlangt, sich um den Respekt gegenüber JEDEM Lebewesen zu bemühen? Brauchen die multipel zersplitterten Persönlichkeiten von heute in ihrer raren Freizeit nicht klar umrissene Ziele, wie z.B. Gleichberechtigung von, Frauen, Tieren, Minderheiten etc?
    Ich weiß, es ist schwierig und unangenehm, sich mit Fragen wie diesen zu beschäftigen. Wenn die ‘Kinderkrebsfrauen’ am Supermarkt mich mal wieder engagiert nach meinen knappen finanziellen Ressourcen angehen, sage ich auch immer (wahrheitsgemäß!): Kinderkrebs machen meine Eltern. Meine Frau und ich machen oxfam.

    Ich beschäftige mich sehr mit heutigen philosophischen Fragen, aber je mehr ich das tue, desto mehr muß ich mich auch ZWINGEN, am Ende Entscheidungen zu treffen, konkrete Ziele zu formulieren, da mit steigendem Überblick alles immer komplexer und amorpher zu werden droht. Insofern finde ich Herrn Lapuentes teilweise Kritik etwas zu kurz gedacht. Hinter den im Artikel angesprochenen spalterischen Zielsetzungen verbirgt sich eine Vielfalt von Menschen. Die einen mögen geschickte Manipulateure sein, andere die Manipulierten. Wieder andere kommen nach intensiver Auseinandersetzung mit der Materie zu dem Schluß, daß es sich hier um hehre, unterstützungswürdige Ziele handelt.
    Kommen wir also zum Kern, meinem Lieblingsthema: Frage: Wie bekommt man Menschen dazu, sich für sinnvolle Ziele einzusetzen? (WAS Sinn macht, ist in dem Zusammenhang nicht wichtig!)
    Antwort: Zentrum der Sozialisation/Schule von Morgen muß der Begriff ‘Realität’ werden. Der Mensch braucht geisig implantierte hocheffektive (und holistische) Analysetools und gesichertes Wissen ‘aus der cloud’, um sich mit konkreten Fragen der Weltgesellschaft suffizient beschäftigen zu können. Danach wird übrigens immer noch genug Konfliktpotential übrig sein, das aber näher an der Realität, was immer das sein mag. Was genau am Ende überhaupt bei so einer Art von Schulbildung/Erziehung herauskommt weiß ich ebenfalls nicht, aber nur ‘Realität’ kann die Antwort auf alle Fragen sein.
    Und ‘Nein’, ich bin kein Transhumanist. ;-)
    Ich versuche, Realist zu sein, soweit möglich.
    Hoffe, das war verständlich.
    Und nichts gegen Herrn Lapuentes Artikel.
    Schönen Abend allerseits.

  3. Hans Kolpak sagt:

    Ich wünsche mir eine freie Gesellschaft aus selbstbestimmt lebenden Menschen ohne Strafen für eine andere Sichtweise.

    Es vielerlei Eliten, die ihre Schafherden scheren und ihre Kuhherden melken. Dabei gibt es auch Überschneidungen, was nicht weiter stört. Es gibt auch Schafe, die gemolken und es gibt Tiere, die geschlachtet werden.

    Da wir nun wissen, wo der Hase im Pfeffer liegt, können wir uns unserem eigenen Leben widmen und uns so gut wie möglich außerhalb von Ausbeutersystemen bewegen. Das wird nur teilweise gelingen. Jeder Mensch verantwortet sein eigenes Leben.

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