EU-Debatte

“Für Europa” bedeutet nicht “Für Eurokratie”

Ein Gastkommentar von Florian Sander

Ein weit verbreiteter Trick von politischen Parteien, Regierungen, Journalisten sowie politisierenden Wissenschaftlern besteht darin, Begriffe zu besetzen, um sie anschließend als Kampfbegriffe oder nur noch in einem selbst definierten Kontext verwenden zu können. Auf diese Sprachregelung soll sodann der Rest der Gesellschaft verbindlich festgelegt werden – und jeder, der dagegen verstößt, diskreditiert sich automatisch selbst. In einem älteren Kommentar von mir wurde demonstriert, wie linke Wissenschaftler dies im Fall des Begriffes der „Islamophobie“ versucht haben. Nun, in den schwierigen Wochen der Diskussion um die „Euro-Rettung“, zeichnet sich ähnliches auf weit höherer Ebene ab, um EU- und Euro-Skeptiker zum Schweigen zu bringen.

Wer am Abend nach der Landtagswahl von Mecklenburg-Vorpommern die unvermeidliche „Berliner Runde“ mit den Generalsekretären der Parteien CDU, CSU, FDP, SPD, Grüne und Linke gesehen hat, der konnte Zeuge dieses Prozesses werden, im Zuge dessen sich Politiker gezielt das Fehlen von Begriffsdefinitionen und die daraus resultierende Schwammigkeit und Ungenauigkeit von Worten zunutze gemacht haben, um diese zu besetzen. Es war der CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe, der auf die Abschlussfrage des Moderators an alle Anwesenden, ob man die „Vereinigten Staaten von Europa“ wolle oder nicht, antwortete, die CDU wolle „mehr Europa“.

Und auch im Zuge anderer Debatten, ob medial-öffentlich, in sozialen Netzwerken oder in eigenen politischen Bekanntenkreisen geführt, stellt man häufig fest, wie von Seiten der EU-Integrations-Befürworter die Begriffskombination „Für Europa“ gleichgesetzt wird mit „Für den Ausbau der EU“. Im Zuge dieses Kniffs sollen alle, die einen supranationalen Staat EU ablehnen, der die nationalstaatliche Souveränität der Mitgliedsländer negiert und sich – demokratisch de facto nicht legitimiert – pausenlos in innere Angelegenheiten einmischt, als „anti-europäisch“, „europafeindlich“ oder gar als „rechtspopulistisch“ gebrandmarkt werden.

Jedem, der sich ein wenig mit der Geschichte der Debatte um die europäische Einigung befasst hat, sollte bewusst werden, wie anmaßend und wie schädlich ein solches Vorgehen für die politische Diskussionskultur ist. Es war kein Geringerer als Charles de Gaulle, der die Vorstellung vom „Europa der Vaterländer“ geprägt hat, und der es nicht verdient hätte, heutzutage von einem politischen Establishment, das von historischen Leistungen, wie de Gaulle sie vollbracht hat, nur träumen kann, als „anti-europäisch“ bezeichnet zu werden.

Ein politisches Establishment, das – ohne jede echte Opposition und stellenweise unter Umgehung des Parlamentes – die Konstruktion eines supranationalen EU-Staates vorantreibt, ein politisches Establishment, das dabei die Krise einer instabilen Währung dazu nutzt, um eine „EU-Wirtschaftsregierung“ zu installieren, welche im Endeffekt nur ein weiterer Schritt zur haushaltspolitischen Entmachtung souveräner Nationalstaaten sein soll, ein politisches Establishment, das dieses Jahrhundertprojekt ohne jede Beteiligung des Volkes vorantreibt, ein solches Establishment verhält sich nicht nur undemokratisch. Ein solches politisches Establishment hat jedes Recht verwirkt, sich selbst als „pro-europäisch“ zu stilisieren.

Das erste Kriterium für eine Position, die man als „pro-europäisch“ bezeichnen kann, wäre der Respekt gegenüber den Wünschen der europäischen Völker. Und dass diese dem Eurokratie-Projekt mehrheitlich ablehnend gegenüberstehen, von den linksliberalen Vertretern der politischen, wissenschaftlichen und medialen „Meinungsmacher“ einmal abgesehen – daran kann kein ernsthafter Zweifel bestehen. Die Wahlbeteiligung der letzten Europawahlen hat es gezeigt. Und die Wahlbeteiligung der nächsten Europawahlen wird es zeigen, sofern keine politischen Alternativen zur angeblichen „Alternativlosigkeit“ präsentiert werden.

Wer für Europa ist, der hört dem zu, was Europa zu sagen hat. Es wird Zeit, dass die deutsche Politik dies erkennt, wenn sie nicht selbst zu ihrer EU-verursachten Abschaffung beitragen möchte.

Weitere Artikel des Autors: 

– Innenansichten der FDP

Aussenpolitik der Bundesregierung

– Zur Gorch Fock-Farce

– Tendenzen der Hochschulpolitik


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11 Kommentare zu "EU-Debatte"

  1. Solveigh Calderin sagt:

    “Ein politisches Establishment, das – ohne jede echte Opposition und stellenweise unter Umgehung des Parlamentes – die Konstruktion eines supranationalen EU-Staates vorantreibt” – Genau DAS IST ja gerade der Sinn und Zweck der ganzen Angelegenheit! Merkel hat irgendwo gar behauptet: “Ich baue an einer neuen Weltordnung!”….

    Mal wieder “am deutschen Wesen…”??

    „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch. Menschen, seid wachsam!“ Bertolt Brecht

  2. matt_us sagt:

    “Das erste Kriterium für eine Position, die man als „pro-europäisch“ bezeichnen kann, wäre der Respekt gegenüber den Wünschen der europäischen Völker. Und dass diese dem Eurokratie-Projekt mehrheitlich ablehnend gegenüberstehen, von den linksliberalen Vertretern der politischen, wissenschaftlichen und medialen „Meinungsmacher“ einmal abgesehen – daran kann kein ernsthafter Zweifel bestehen.”

    Natuerlich bin ich auch nicht fuer eine Eurokratie – und ich bin mir auch nicht sicher ob wir eine haben. Zum Beispiel wollen gewaehlte EU Parlementarier eine Abschaffung von “nackten Credit Default Swaps” (Wetten das Laender Pleite gehen) udn eine Einfuehrung einer Finanztransaktionssteuer.

    Das wird in den deutschen Medien aber schoen unter den Tisch fallen gelassen, denn die schreiben im grossen und ganzen was den reichen Eliten hilft – die ja z.T. mit solchen Finanzinstrumenten zocken.

    Deshalb waere ich mal schoen vorsichtig was die Wuensche europaeischer Voelker sind. Was in den Medien fuer eine Meinungsmache gegen Griechenland (von FAZ bis BILD) gemacht wird, ist das etwa keine mediale Meinungsmache?

    Fuer eine alternative Betrachtung der Lage, bitte mal hier vorbeischauen:

    http://eurogate101.com/2011/09/16/wo-bleiben-die-guten-ideen/

  3. e-lena sagt:

    LESENSWERT!

    http://ef-magazin.de/2011/09/19/3195-die-euro-luege-teil-iii-bundestag-hat-haushaltshoheit-schon-lange-nicht-mehr

    “Die Euro-Lüge, Teil III: Bundestag hat Haushaltshoheit schon lange nicht mehr”

    von Ralph Bärligea

    • Solveigh Calderin sagt:

      Frau Merkel hat schon öffentlich verkündet, “an einer neuen Weltordnung” mitzuwirken. Davon versteht der “Pleb” natürlich nichts!

  4. Shuizid sagt:

    Wir BRAUCHEN mehr Europa. Zu mindestens, wenn wir weiterhin wettbewerbsfähig gegenüber den VSA und China bleiben wollen. Europa, als vereinigter Staat, als eine große Gemeinschaft. Und das zentralste eines Staates ist nun einmal die Bürokratie, die immerhin alle beschlossenen Gesetze und Richtlinien umsetzt. Eurokratie mag als Kampfwort schön klingen, weil auch schon die Bürokratie im Allgemeinen einen schlechten Beigeschmack hat.
    Das Problem ist, dass zwei verschiedene Dinge mit derselben Bezeichnung auftauchen. Man hat das notwendige Element und das reale Phänomen. Selbes gilt für “Europa”. Ein vereinigtes Europa bietet viele Chancen und Möglichkeiten. Das Problem ist die reale Umsetzung, die auch im Artikel kritisiert wird. Dennoch sollte man “mehr Europa” nicht mit einem “Ausbau der EU” gleichsetzen. Auch wenn unglücklicherweise die Zeichen eher darauf stehen, dass wir mehr EU bekommen, als ein demokratisch vereinigtes Europa.

    • Solveigh Calderin sagt:

      @dass wir mehr EU bekommen, als ein demokratisch vereinigtes Europa. – Eben!

      Es ist nicht richtig, ein “vereintes Europa” entgegen dem Willen der Menschen erzwingen. So, wie Europa jetzt zwangsvereinigt wird (und es funktioniert ja nicht, wie Spanien, Griechenland, Italien zeigen), hilft es nur den Konzernen, und sonst keinem! Die Bürger haben die Rechnung zu bezahlen und basta! Nur haben sie die Ursachen für Rechnung weder gewollt und erzeugt. Wem soll das gefallen? Mir nicht! Ich verstehe die Kritik in diese Richtung.

      Die Eurokratie ist so eingerichtet, dass niemand schuld bzw. verantwortlich ist, alle verweisen die Verantwortung an jemand anderes… Bürokratien sind immer schlecht, vor allem, wenn sie wie Kraken über die Menschen herrschen und den ihnen keine Luft mehr zum atmen lassen vor lauter Gesetzen, Verordnungen, Durchführungsbestimmungen und was weiß ich nicht noch alles. Auch das ist ja Absicht: Der doofe Bürger soll gar nicht wissen, worum es geht! Es soll unmöglich gemacht werden, in dem Dschungel die wahren Ursachen an dem Dilemma zu finden. Wir sollen nicht an die Wurzel des Übels gelangen! Das könnte ja Veränderungen provozieren, nicht wahr?

      Schließlich, wer sagt, dass wir “wettbewerbsfähig” gegenüber VSA (Du meinst wohl USA?) und China “bleiben müssen”? Wer sagt, dass ein MITeinander nicht viel einträglicher und vor allem friedlicher als ein GEGENeinander sein kann? Warum immer: ICH muss BESSER sein, ICH will ALLES nur für MICH haben? Es ist genug für alle da! Wir müssen uns darum nicht balgen! Das ist übrigens auch unwürdig.

      • Shuizid sagt:

        Ich meine VSA, weil dies das Akronym für “Vereinigte Staaten von Amerika” ist. Genauso, wie früher GDR auf die Artikel aus Ostdeutschland gedruckt wurde. Ist natürlich nur Haarpsalterei, aber mit Absicht ;)
        Und nein, Bürokratien sind nicht grundsätzlich schlecht. Sie sind notwendig, damit beschlossene Gesetze auch umgesetzt werden können. Die Bürokratie hat die unliebsame Aufgabe, dafür zu Sorgen, dass politische Entscheidungen auch zum Volk gelangen. Es ist eigentlich falsch, die Bürokratie zu verunglimpfen, denn die ist nur ausführendes Organ (zugegeben, auch dort gibt es natürlich schwarze Schafe – und keine Ahnung, in welchem Verhältnis die zu den weißen Schafen stehen). Gesetze und Richtlinien werden von den Politikern und Ministerien beschlossen. Dafür die Bürokratie zu strafen wäre so, als ob man Lehrer für den Lehrplan beschuldigt.
        Derweil stimme ich dir natürlich zu, sowohl was die Mängel an der realen Eurokratie anbelangt, als auch, dass ein globales Miteinander für alle dauerhafte Vorteile hätte. Ich räume ein, dass mein Argument schwach ist. Leider ist das aber utopisch. Banker und Manager wirken meist wie laufende Koksbatterien, voller Selbstvertrauen, übermenschlicher Überzeugung und von ihrem eigenen Wesen so eingenommen, dass sie gar nicht auf die Idee kämen, einen anderen Weg ein zu schlagen. Die Weltwirtschaft ist nunmal ein Gegeneinander und um darin zu bestehen, muss man auch gegen die anderen sein, weil “die Anderen” garnicht auf die Idee kommen, mal zusammen zu arbeiten. Und “die Anderen” sind vernehmlich in allen tragenden Positionen aller Gesellschaften zu finden. “There’s enough for everybody’s need and not for anybodys greed.” Mahatma Ghandi
        Solange aber die Gier bestehen bleibt, wird das mit einer nachhaltigen Welt nichts. Aber eben jene Gier ist einer der Grundzüge des Kapitalismus, weil irgendwann mal der dubiose Glauben geprägt wurde, der Vorteil des Einzelnen würde automatisch zum Vorteil für die Gesellschaft werden. Das hat sich leider nicht bewahrheitet, aber ebenso wie jede andere Kritik am Kapitalismus führte das zu keinen Änderungen, weil die Leute, die etwas ändern könnten, zumeist diejenigen sind, die den größten Vorteil aus dem Status quo ziehen.
        Für die scheinheilige Stabilität des Systems müssen wir darum balgen und diejenigen, die das System erhalten wollen, tun das auch…
        Ich sollte mir echt abgewöhnen, außerhalb vom Debattieren Argumente von Positionen ein zu bringen, die ich persönlich garnicht vertrete O.o
        Mir wäre das Miteinander ja auch lieber und dass das Gegeneinander auf Dauer gut geht, ist praktisch ausgeschlossen.

  5. Pistepirkko sagt:

    Denkt mal bitte auch daran, dass für die Themen die die EU diskutiert unsere Großeltern und Vorfahren auf die Schlachtfelder gezogen sind!!!
    Legitimiert die EU endlich demokratisch, aber weitet sie aus als Garant das keiner mehr in den Krieg ziehen soll.

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