Die Flüchtlingskrise hat Griechenland aus dem engen Kreis der Topthemen verbannt. Für die Menschen in Hellas bringt die mediale Ruhe zwar auch Vorteile, doch die Mentalität ‚Aus den Augen, aus dem Sinn’ hält keine Lösungen parat.
Von Florian Schmitz
Vor etwa einem Monat haben die Griechen ein neues Parlament gewählt. Daran werden sich einige vielleicht noch erinnern. In den Medien in Deutschland fand das Ereignis wenig Beachtung. Während der Rücktritt des alten und neuen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras noch mit enormer Aufmerksamkeit bedacht wurde, verrieten die Titel der deutschen Tageszeitungen am Montag nach der griechischen Parlamentswahl nichts oder wenig vom Wahlausgang.
Daher zur Erinnerung: Syriza, also die Partei von Alexis Tsipras, hat die Wahl gewonnen. Die konservative Nea Dimokratia konnte ihr Ergebnis der Parlamentswahl zu Beginn des Jahres nur leicht verbessern, die Faschisten der Goldenen Morgenröte sind drittstärkste Kraft. Dass in Deutschland gerade die Flüchtlinge und das unsägliche Treiben von PEGIDA und AFD volle Aufmerksamkeit auf sich ziehen, ist verständlich. Doch gerade diese beiden Themen zeigen, wie fehlende oder einseitig geführte Mediendiskurse zur Verschärfung von kritischen Situationen beitragen.
Das alte Griechenland bleibt an der Macht
Dasselbe gilt auch für Griechenland. Nach einem langen Dasein als Topranker im deutschen Pressespiegel ist die Zeit auf dem roten Teppich der Lieblingssündenböcke nun vorbei. Vorerst. Während man in Deutschland davon ausgeht, dass die Macht in den Händen eines linken Ideologen liegt, der in der Realität angelangt ist, ist in Griechenland jede Hoffnung auf eine Verbesserung der Situation und der letzte Glaube an Demokratie dahin. Das liegt auch an der neuen Regierung.
Zwar haben die Menschen in Griechenland den alten Ministerpräsident im Amt bestätigt, doch ihr Vertrauen genießt er nicht. Als Tsipras Anfang 2015 den Regierungsauftrag erhielt, ging es den Menschen um einen Bruch mit dem alten System, sprich, einen Bruch mit den alten Parteien PASOK und Nea Dimokratia. Beide Parteien stehen symptomatisch für Günstlingswirtschat, Korruption und Steuerbetrug. Dabei war gerade die konservative Nea Dimokratia der Wunschpartner der reformheuchlerischen Institutionen.
Die Syriza war nach den Wahlen 2012 Oppositionsführer zur großen Regierungskoalition, bestehend aus den alten Volksparteien. Viele Mitglieder gerade der sozialdemokratischen PASOK, die derzeit um ihre Existenz ringt, sind in dieser Zeit zur Syriza übergelaufen. Dies macht sich jetzt auch in Tsipras Kabinett bemerkbar. Nach dem Bruch mit dem linken Parteiflügel vor den letzten Neuwahlen sind alle Ministerien besetzt mit ehemaligen Mitgliedern der Nea Dimokratia und PASOK. Nur das Verteidungsministerium wird von einem Rechtspopulisten des Koalitionspartners ANEL geleitet.
Was bleibt ist Stagnation
Somit ist nicht viel Bewegung zu erwarten in Griechenland. Vermeintliche Hilfspakete (die dem deutschen Volk bisher keinen Cent gekostet haben – im Gegenteil ) werden einzig und allein der Bankenrettung dienen. Wie bereits zuvor wird auch diesmal die in den Medien mit dem schamlosen Euphemismus ‚Griechenlandhilfe’ verzerrte Krisenpolitik keinen wirtschaftlichen Aufschwung bringen.
Auch an einen Schuldenschnitt wird vor der Bundestagswahl 2017 wohl kaum zu denken sein. Die Kanzlerin, die sich derzeit – auch auf Kosten der Umfragewerte ihrer Partei -, in den Medien als Flüchtlingsheldin feiern lässt, wird in diesem Punkt nicht nachgeben. Nicht zum Wohle Griechenlands versteht sich, denn jeder, der sich auch nur ansatzweise mit dem Thema auseinandergesetzt hat, weiß, dass das Land ohne eine Umstrukturierung der Schulden nicht wieder auf die Beine kommen wird.
Es ist nicht überraschend, dass die scheinheilige Forderung der sogenannten Geberländer nach Steuergerechtigkeit und gegen Korruption ins Leere zielt, wenn sie an Repräsentanten eines Systems gerichtet wird, die 1.) selbst bis an die Haarspitzen im Geflecht von Korruption und Vetternwirtschaft stecken, und 2.) seit 2012 nicht einen einzigen Schritt unternommen haben, um dagegen anzugehen. Aber das sind keine Neuigkeiten. Nicht nur linke Blogs, der Freitag oder die TAZ haben dies mehrfach zum Ausdruck gebracht. Auch die Leitmedien haben sich mitunter kritisch zur ‚Griechenlandrettung’ geäußert.
Desinteresse zahlt sich nicht aus
Dabei wird gerade in diesen Tagen deutlich, dass Desinteresse nicht zur Problemlösung beiträgt und vor allem auf dem Rücken von Unschuldigen ausgetragen wird. Tausende von Flüchtlingen sitzen in Regen und Kälte fest, wollen nach Deutschland, einem Land, das die Kapazitäten aufweist, um mit den Herausforderungen umzugehen. Viele fragen sich, warum sie eigentlich nicht in anderen Ländern bleiben wollen und vergessen dabei wohl, dass die meisten Länder Europas, auch z.B. Österreich, mit enormen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen haben.
Die interessengelenkte und undifferenzierte Griechenland-Berichterstattung spielt bei all dem auch eine Rolle. Der völlig aus dem Verhältnis geratene mediale Fokus auf das Land hat die Illusion geschaffen, dass es in allen anderen Mitgliedsländern einfach blendend läuft. Dabei zeichnet sich ein beängstigendes Bild. Europas Staaten befinden sich in einem Prozess rasanter Renationalisierung. Ultrarechte Randströmungen sind immer mehr Teil der Gesellschaftsmitte. Die AFD liegt bundesweit bei 7%. Was hat das eine mit dem anderen zu tun, könnte man fragen. Die Antwort: Europa hat Griechenland nicht als Chance genutzt.
Nationalstaat vs. globale Probleme
In einer globalisierten Welt ist es eine Illusion, Probleme auf nationalstaatlicher Ebene lösen zu wollen. Und das, was in Griechenland als Krise bezeichnet wird, ist nichts weiter als ein Indikator von systematischen Fehlbildungen, die nicht auf das Land zu beschränken sind. Es soll an dieser Stelle nicht schon wieder rezitiert werden, wo die Institutionen überall versagt haben. Das ist in diesen und anderen Blogs, sowie arrivierten Zeitungen, Zeitschriften und anderen Info- und Meinungsformaten ausführlich nachzulesen.
Gerade aber am Umgang mit den Flüchtlingen und in gewisser Weise auch am Interesse derer an der Bundesrepublik, ist das Versagen Europas am besten abzulesen. Hätte man in der Griechenlandkrise gelernt, das Gemeinwohl über die Interessen der Nationalstaaten zu stellen, wäre das Dubliner Abkommen wohl schon lange Vergangenheit. Dann hätte man sich auf den großen Flüchtlingsstrom vorbereiten können, anstatt die Zivilbevölkerung improvisieren zu lassen.
Dann hätte man in Staaten wie Griechenland, das seit Jahren mit den immer steigenden Flüchtlingszahlen zu kämpfen hat, Strukturen aufbauen können, die ein Verbleib von Flüchtlingen zumindest im Ansatz ermöglichen. Dann müssten jetzt nicht Tausende von Flüchtlingen auf den Straßen Europas dem Winter entgegenbangen. Dann hätten die europäischen Außenminister sich auf ihrem Sondertreffen zielbewusst geeinigt und kooperiert.
Deutschland gut, alles gut?
Deutschland ist nicht einfach das wirtschaftliche Zugpferd Europas und daher der Hauptfokus der Flüchtlinge. Vielmehr geht die wirtschaftliche Macht der BRD auf Kosten der ‚europäischen Partner.’ Und gerade die Griechenlandkrise hat auf beeindruckende Weise unter Beweis gestellt, dass die Bundesregierung an einem starken Europa kein Interesse hat – sofern damit eigene Vorteile aufzugeben sind.
Ebenso wie das fehlende Interesse an Flüchtlingen offensichtlich nicht zum Ausbleiben von Flüchtlingen führt, wird auch auf anderen Ebenen eine nationalzentrierte Politik auf lange Sicht nicht vor Problemen schützen. Dabei sollten gerade jetzt kritische Fragen zu Griechenland im Kontext mit anderen Problemen – inkl. der Flüchtlingsströme – gestellt und Antworten gefordert werden. Denn fest steht: Sich der Verantwortung zu entziehen ist ein Spiel mit der Zeit.
Florian Schmitz lebt und arbeitet in Griechenland als freier Korrespondent und Autor. Als überzeugter Europäer widmet er sich auf seinem Blog EUdyssee.net Aspekten des europäischen Lebens, die in Zeiten der Krise oft nicht genug Beachtung finden.
” Die AFD liegt bundesweit bei 7%. ” Ich befürchte dass man sich noch wundern wird, was in der Anonymität der Wahlkabine geschehen wird.