Deutsch-französische Freundschaft
Ziemlich beste Freunde

In diesen Tagen zeigt sich, von welcher Bedeutung die Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich auch für die Weltpolitik als Ganzes ist.

Frankreich, Staatsbesuch Bundeskanzler Kohl

Foto: Bundesarchiv, B 145 Bild-F076604-0021 / Schaack, Lothar / CC-BY-SA

Von Florian Sander

Deutschland, Frankreich und die EU als Friedensmächte

Die Hoffnungen der friedliebenden Europäer ruhen derzeit auf der Initiative des französischen Staatspräsidenten Hollande und der deutschen Bundeskanzlerin Merkel, die gemeinsam mit dem russischen Präsidenten Putin und dem ukrainischen Staatschef Pedro Poroschenko auf eine friedliche und diplomatische Lösung des Ukraine-Konfliktes hinwirken wollen. Der Vierergipfel am Mittwoch in Minsk ist jedoch nicht nur aufgrund der auf ihr ruhenden Hoffnungen bedeutsam. Er kennzeichnet zugleich eine Entwicklung, die schon im Jahre 2002 im Vorfeld des Irakkrieges beobachtbar war, als sich der damalige Kanzler Schröder und der damalige französische Präsident Chirac in ihrer Ablehnung des Krieges einig waren und damit innerhalb der „westlichen Welt“, als das „alte Europa“ (Donald Rumsfeld) gegen den Führungsanspruch der USA Stellung bezogen.

Auch heute wieder sind die Reaktionen amerikanischer Politiker auf die europäische Initiative das, was Briten als „not amused“ bezeichnen würden. Und dies trifft nicht nur auf republikanische Säbelrassler und notorische kalte Krieger wie den Senator John McCain zu, sondern durchaus auch auf Vertreter der Demokraten, die kürzlich, wenn auch diplomatisch verbrämt, u. a. auf der Münchner Sicherheitskonferenz ihre kühle Missbilligung kundtaten.

Nachdem die Selbstdefinition der Bundesrepublik als souveräner Staat im Zuge der NSA-Affäre mehr als gelitten hat, scheint nun endlich die Bundesregierung – gestärkt durch die Allianz mit den Franzosen – zumindest partiell, zu einer selbstbewussteren Außenpolitik zurückzufinden. Möglicherweise kann das durchaus auch als Retourkutsche auf die US-amerikanische Arroganz gedeutet werden, die mit der besagten Affäre einherging.

Und hier zeigt er sich auch, der Wert der deutsch-französischen Freundschaft: Sie ermöglicht es Berlin, zur dringend gefragten souveränen deutschen Außenpolitik zurückzufinden, die sich nicht in einer lediglich taktisch eingesetzten, assistierenden „good cop“-Funktion für die amerikanischen „bad cops“ erschöpft, sondern eigene Akzente setzt – Akzente, die auch den Amerikanern durchaus mal so richtig missfallen dürfen. Das gemeinsam mit Frankreich koordinierte Handeln spricht Deutschland dabei zugleich vom ewig wieder vorgebrachten Vorwurf des „deutschen Sonderweges“ frei. Es zeigt, dass Deutschland zu kooperieren gewillt ist – sich deswegen jedoch nicht automatisch auf die Linie der amerikanischen Hegemonialmacht einlassen oder gar seine außenpolitische Souveränität abgeben muss.

Doch auch Frankreich geht gestärkt aus der Kooperation mit dem wirtschaftsstarken Deutschland hervor: In Paris herrscht eine quasi „historische“, allenfalls durch Transatlantiker wie Sarkozy zeitweise unterbrochene Skepsis gegenüber der Vorstellung, den USA die Deutungshoheit über die Lösung europäischer Konflikte zu überlassen. Daraus generiert sich das lebhafte gemeinsame Interesse, eine alternative Linie, eine Art dritten Weg zu etablieren. Ein Ansinnen, das hoffen lässt: Hoffen auf die Chance einer aus dieser gemeinsamen Stärke geborenen, europäischen Friedensmacht. Die Worte der Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) waren vor diesem Hintergrund gar nicht allzu falsch: Deutschland ist bereit „zu führen“. Aber wohl glücklicherweise nicht auf die blutige Art und Weise, wie es sich manche auf der anderen Seite des Atlantiks – und wohl leider auch manche auf dieser Seite des Ozeans – erhoffen.

Makler für den Frieden im Nahen Osten

Deutschland bietet sich durch die Freundschaft mit Frankreich nicht zuletzt auch die Gelegenheit zu lernen: Und zwar zu lernen, wie souveräne Außenpolitik aussehen kann, wenn man nur wirklich will, wenn man mutig genug ist.

Ein Beispiel der letzten Monate hierfür bietet in diesem Zusammenhang die Anerkennung des Staates Palästina durch die französische Nationalversammlung, welcher wenig später die – wenn auch eingeschränkte – Anerkennung seitens des Europäischen Parlamentes folgte. Eine Entscheidung also, die Modellcharakter hatte – für die EU und vielleicht auch eines Tages für ein Deutschland, das sich traut, gestärkt durch das Bündnis mit Frankreich auch in so brisanten Feldern wie der Nahostpolitik endlich friedenspolitische Akzente zu setzen.

Eine Zielsetzung, deren Verwirklichung angesichts des Flächenbrands in der Region umso notwendiger geworden ist. Denn so sehr sich auch die US-Administration Barack Obamas zumindest auf den Iran zubewegt hat, so sehr herrscht doch, gerade was die nötige Bekämpfung des IS angeht, unter den dafür entscheidenden Mächten noch immer Sprachlosigkeit. Sprachlosigkeit, die durch die in der islamischen Welt glaubwürdigeren und angeseheneren Europäer eher überwunden werden könnte als durch die USA. Weitere internationale Herausforderungen also, in denen die deutsch-französische Freundschaft und deren „Output“ von entscheidender Bedeutung sein könnten.

Führungsmächte innerhalb der EU

Was für außenpolitische Ansätze außerhalb der EU gilt, gilt auch innerhalb. Im gestörten deutsch-griechischen Verhältnis ergibt sich durch die deutsch-französische Freundschaft das Potenzial einer Vermittlung, die zumindest die Chance eines Dialogs mit der neuen griechischen Regierung deutlich vergrößert. Die französische Vermittlerrolle könnte in diesem Falle eine Möglichkeit bieten, die Würde eines zwar krisengeschüttelten, aber souveränen Griechenlands wiederherzustellen, ohne dass dieses sich in einem vergifteten Verhältnis zu Deutschland und damit einer Art dauerhaften Trotzreaktion einrichtet.

Von nicht geringer Relevanz für die inner-europäische Führungsrolle Deutschlands und Frankreichs ist dabei allerdings die Erkenntnis, dass die Stärke aus der Verschiedenheit herrührt. Ein politisch homogenisierter und administrativ quasi zwangsweise zusammengeketteter EU-Superstaat würde rundherum eine Schwächung Europas bedeuten, die über die Forcierung des Nichtgewollten Europas Völker gegeneinander aufbringt, anstatt ihnen ihre kulturelle Eigenständigkeit zu lassen, die sich eben auch in nationalstaatlicher Souveränität ausdrückt.

Die ewig neu kolportierte Story, dass Europa nur als gemeinsamer Bundesstaat eine gewichtige Rolle in der Weltpolitik spielen könne, ist und bleibt dabei historischer Unfug. Deutschland als Wirtschaftsmacht und Frankreich als Atom- und Vetomacht im UN-Sicherheitsrat haben im letzten halben Jahrhundert die Weltpolitik entscheidend mit geprägt, von der Rolle Großbritanniens und anderer europäischer Staaten einmal ganz abgesehen. Dies wird sich auch künftig nicht ändern.

Die Stärke der deutsch-französischen Allianz, sowohl als Führungsmächte innerhalb der EU wie auch als entscheidende Hauptakteure der EU nach außen, liegt in der Verbindung ihrer Verschiedenheit, nicht in einer erzwungenen, auch suprastaatlich-formalisierten Aneinander-Kettung. Die Vorstellung eines „Europas der Vaterländer“ nach Charles de Gaulle bietet dabei das richtige, weil die Identität der Beteiligten respektierende Konzept. Ein Konzept, das nicht nur die staatliche, rein politische Ebene berührt und betrifft, sondern auch die der Gesellschaft(en) generell.

Die Freundschaft der beiden Völker: Von wegen „Erbfeind“!

Als vor wenigen Wochen der islamistische Anschlag auf „Charlie Hebdo“ die Welt erschütterte, waren die Betroffenheit und die Solidarität in Deutschland besonders ausgeprägt. Das kam nicht von ungefähr: Die Freundschaft beider Völker ist seit langem nicht nur auf politischer Ebene ausgeprägt, sondern auch – nicht nur bedingt durch die rein geografische Nachbarschaft – auf der gesellschaftlichen generell.

Laut einer 2012 geführten, von der deutschen Botschaft in Paris in Auftrag gegebenen Umfrage äußerten jeweils über 85 Prozent der befragten Franzosen bzw. der befragten Deutschen, ein recht gutes bis sehr gutes Bild von den jeweils anderen zu haben. Bei den Deutschen überwiegt die „Sympathie“, bei den Franzosen der „Respekt“ für ihre jeweiligen Nachbarn.

Ein Ergebnis, das deutlich macht, wieso das deutsch-französische Bündnis auch auf politischer Ebene so gut und effektiv zu funktionieren scheint: Es ist, empirisch belegt, „zivilgesellschaftlich“ unterfüttert und beruht auf einer gelebten gegenseitigen Freundschaft.

Ein Verhältnis, das auch erfüllt ist von interessanten Gemeinsamkeiten: Die der inneren kulturellen Ambivalenz beispielsweise. Während in Deutschland West und Ost nach wie vor, wenn auch nicht mehr in der Intensität wie noch vor einigen Jahren, miteinander „fremdeln“, so bestehen in Frankreich gewichtige Mentalitätsunterschiede zwischen Nord und Süd, die gerne auch filmisch und literarisch verarbeitet und thematisiert werden.

Während Deutschlands Identitätsempfinden nach wie vor stark von der Zeit des Nationalsozialismus geprägt wird, so erlebt Frankreich mit seinen heutigen, gewichtigen Integrationsproblemen die Folgen seiner kolonialen Ära – in einer Weise, die, bei allen Problemen, die es in diesem Feld in Deutschland gibt, in Frankreich weitaus dramatischer und teilweise gewalttätiger ausfallen als hierzulande. Beide Kulturen hadern somit auf ihre eigene Weise noch heute mit den schwierigsten Epochen ihrer Geschichte – und können gerade dadurch voneinander lernen und somit zu einem neuen, europäischen Selbstbewusstsein finden.

Voneinander lernen – das gelingt in der Regel gerade auch durch das Akzeptieren von Unterschieden. Und auch davon gibt es bei einem vergleichenden Blick genug. Zumeist ausgedrückt in Mentalitäten: Die französische Neigung zum Aufbegehren etwa, zur „action“ (Streik!), gehört nicht eben zu den Charakteristika, die man auch den Deutschen zuschreiben würde. Ähnlich sieht aus mit der Assoziation vom „bohémien“ aus oder dem damit im Zusammenhang stehenden, französischen „joie de vivre“. Umgekehrt kommen Franzosen nicht unbedingt häufig in den Genuss, mit Attributen wie „pünktlich“ oder „diszipliniert“ geehrt zu werden.

Deutsche gelten demgegenüber nicht selten als eher kühl, humorlos und distanziert, während – gerade auch befeuert durch entsprechende künstlerisch-kulturelle Beiträge – Franzosen gerne eine Art lebensbejahende Melancholie zugeschrieben wird.

Ganz unabhängig davon, ob all diese Zurechnungen nun stimmen oder nicht, oder ob sie vielleicht auch – soziologisch gesprochen – als stetige Fremdbeschreibungen sich irgendwann zu kollektiven Selbstbeschreibungen verfestigten (eben etwa durch entsprechende kulturelle Verarbeitung) und gerade dadurch „wahr“ wurden: Deutlich wird, dass zwischen beiden Kulturen tiefgreifende Unterschiede bestehen; ja sogar Unterschiede, die beide Seiten wie eine Art Yin und Yang wirken lassen. Umso mehr hoffnungsvoll stimmt es, dass diese Unterschiede – ebenfalls dem Yin-Yang-Symbol gleichend – so sehr geschätzt und durch eine eng verbundene und gut harmonierende Freundschaft belohnt werden.

Eine Freundschaft also, die ihre Stärke aus der Kraft der Diversität und der Unterschiede schöpft – was einmal mehr deutlich macht, wie wichtig eine Aufrechterhaltung dieser beiden so eigenen Identitäten in einem Europa souveräner Staaten ist. Und eine Freundschaft, die eine mächtige Wirkung entfalten kann: Als verantwortungsvolles Führungsduo innerhalb der EU wie auch als Allianz von Friedensmächten bei der Lösung internationaler Konflikte und als Gegengewicht zu den USA. Mit dem guten Beispiel dafür vorangehend, wie man jahrhundertelange „Erbfeindschaft“ überwinden und diese endgültig in die Kellerarchive der Weltgeschichte verbannen kann. Souverän – aber geeint durch Freundschaft.

Artikelbild: Bundesarchiv, B 145 Bild-F076604-0021 / Schaack, Lothar / CC-BY-SA

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5 Kommentare zu "Deutsch-französische Freundschaft
Ziemlich beste Freunde"

  1. 12346578 sagt:

    Sorry aber erstens hat es einen Staat “Palestina” niemals gegeben (erfunden durch die bitischen Bestzer ca. 1918) und zweitens hat Frankreich erst vor kurzem ein Staat Lybien in Schutt und Asche bombardiert, während Deutschland bei der Aufklärung und mit Patriots die Jihadisten unterstützt.

    Den Rest vom Märchen konnte ich nicht lesen, da ich mein Essen drin behalten will.

    • “Sorry aber erstens hat es einen Staat “Palestina” niemals gegeben”

      Offensichtlich hat hier jemand keine Kenntnisse von der Tagespolitik, oder er hat den Text nicht richtig gelesen. Beides sollte man jedoch haben bzw. tun, bevor man hier von “Märchenstunde” spricht.

  2. PeWi sagt:

    Mein Eindruck ist ein völlig anderer. Ein französischer Staatspräsident trippelt wie ein Chihuahua der deutschen Kanzlerin hinterher. Von Freundschaft kann keine Rede sein und nicht einmal von Partnerschaft. Die Körpersprache ist eine völlig andere. Ich bezweifle außerdem, dass Merkel wirklich Friede will, was man so landläufig unter Frieden versteht. Ihr geht es doch nur darum, Russland zu zeigen, wo der Besen hängt, aber nicht um ein gleichberechtigtes Gespräch. Wenn es ihr wirklich um Frieden gänge, würden z.B. keine Sanktionen Bestand haben. Bitte Äußerlichkeiten nicht als wirklich Geschehendes verkaufen! Und seit wann will Deutschland von anderen lernen? Dieser Wesenszug ist hier nicht verankert. Im Gegenteil. Deutschland hat sich auf ein hohes Ross geschwungen und verlangt von anderen – auch mit finanzieller Gewalt – sich nach Deutschland zu richten, Frankreich nicht ausgeschlossen. Und wehe Frankreich hat eine andere Meinung als Deutschland. Freundschaft geht wirklich anders! Auch ich konnte die ganze Märchenstunde nicht ertragen.

    • Murksel sagt:

      Diesem Kommentar kann ich mich nur anschließen.
      Der Artikel erscheint mir etwas weltfremd.
      Dass die Merkel wirklich Frieden will, glaube ich nicht. Da wird uns gerade wieder große Theater vorgespielt.

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