War es unmoralisch, den Pleite-Deutschen ihre Schulden zu erlassen?
Von Robert Misik
Eigentlich sollten sich die Austerity-Fans – wie nennt man die eigentlich? Austerians? Oder doch besser Austeridioten? – längst lächerlich gemacht haben. Seit mindestens einem halben Jahrzehnt erklären sie uns jetzt schon, dass ein radikaler Sparkurs zur wirtschaftlichen Gesundung führen würde. Das ist natürlich logisch schwer zu begründen, da ja das Abwürgen der Wirtschaft nach aller Logik einen wirtschaftlichen Niedergang nach sich zieht, da, wenn neben den privaten Haushalten auch noch der Staat seine Ausgaben einschränkt, die Einkommen von allen gekürzt werden. Aber diese Logik sei außer Kraft, behaupten die Austeridioten nun schon seit Jahren und zwar aus folgendem Grund: Wenn der Staat “ordentlich wirtschaftet” und seine Budgets in Ordnung bringt, dann werde das Vertrauen der Märkte gestärkt und damit auch das Vertrauen im privaten Sektor, der dann wieder wie verrückt zu investieren beginne.
So also soll sparen nicht zum Niedergang, sondern zum Aufschwung führen.
Falls Sie jetzt daran zweifeln, dass dieses doofe Argument tatsächlich der Hintergrund aller Austeritäts-Befürwortung ist, möchte ich nur auf die Aussage des seinerzeitigen EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet hinweisen, an die Paul Krugman in einer der jüngsten Ausgaben der “New York Review auf Books” dankenswerterweise erinnerte:
As regards the economy, the idea that austerity measures could trigger stagnation is incorrect … In fact, in these circumstances, everything that helps to increase the confidence of households, firms and investors in the sustainability of public finances is good for the consolidation of growth and job creation. I firmly believe that in the current circumstances confidence-inspiring policies will foster and not hamper economic recovery, because confidence is the key factor today.
Nun, heute können wir uns nur mehr biegen vor Lachen angesichts dieses Quatsches, da fünf Jahre ins Land gegangen sind und wir wissen, was daraus wurde: eine soziale Katastrophe im Süden Europas, eine langanhaltende Depression in Griechenland und Spanien und Stagnation in den sogenannten “reichen Ländern” – de fakto stecken auch Deutschland und Österreich in eine Rezession.
Also, die Logik sollte sich wieder durchsetzen.
Sie tut es aber zu langsam. Und da kann man sich fragen: Warum eigentlich? Natürlich gibt es eine Reihe von Gründen: Finanzkräftige Interessen, die an der Verwirrung und der falschen Politik gutes Geld verdienen, natürlich. Aber einer der Gründe ist die Vermischung von pragmatischen und moralischen Überlegungen.
Wie wir unsere Wirtschaft wieder in Gang bringen und dafür sorgen, dass möglichst viele Leute ein gutes Leben führen können, ist eine Frage, hinter der natürlich moralische Motive lauern (dass es ein erstrebenswertes Ziel ist, dass die Menschen ein gutes Leben führen, ist ja selbst eine moralische Behauptung), aber zunächst ist es natürlich eine pragmatische Frage: Gut ist, was funktioniert.
Aber sie wird oft von moralischen Urteilen überlagert: Etwa von einer Schwundform christlich-abendländischen Masochismus’ (und auch Sadismus’), also der Vorstellung, dass Leiden zu Erlösung führt. Man müsse durch ein Purgatorium, aber dann werde alles wunderbar. Ich habe diese ökonomische “Erlösung durch Leiden”-Ideologie, die besonders gerne von Deuschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble vertreten wird, einmal “Sado-Maso-Ökonomie” genannt. Das steckt vielen Leuten sehr tief in den Knochen und färbt auch ihre ökonomischen Vorstellungen ein – gerade in Momenten der Krise.
Auf eine andere fatale Verquickung von moralischen und pragmatischen Argumentationsreihen hat der amerikanische Ökonom Robert Kuttner in der jüngsten Ausgabe des “New York Review of Books” aufmerksam gemacht: Die Argumentation, so Kuttner, gehe so, dass man denjenigen, der Schulden aufnimmt und sie (aus welchen Gründen auch immer) nicht zurückzahlen kann, moralisch verurteilt. Das führt auch durchaus aufgeklärte Leute dazu, zu sagen: Die Griechen sollen ihre Schulden zurück zahlen. Sie haben sie ja auch aufgenommen. Wer Schulden macht, ist moralisch verurteilt, sie zurück zu zahlen.
Es mag sie jetzt überraschen, aber es gibt eigentlich eine solche moralische Verpflichtung nicht. Unser Wirtschaftssystem hat nämlich Mechanismen eingebaut, die die Nichtrückzahlung von Schulden legitimieren. Einer dieser Mechanismen ist der Zins. Wäre die Nichtrückzahlung von Schulden eine derart verdammenswerte Sache – also schier unvorstellbar – dann müssten alle Zinsen gleich hoch sein. Sind sie aber nicht. Leihe ich einem ökonomisch potenten Kreditnehmer Geld, sind die Zinsen niedrig; leihe ich sie jemanden, dessen ökonomische Aussichten fragwürdiger sind, sind die Zinsen hoch. Diese Zinsdifferenz ist der Preis für das höhere Risiko, das der Investor nimmt. Nun, wenn aber der Investor ein moralisches Anrecht auf den höheren Preis für höheres Risiko hat, dann hat aber auch der Kreditnehmer keine in jedem Fall geltende moralische Verpflichtung, zu zahlen. Denn der höhere Zins spiegelt ja die mögliche Zahlungsunfähigkeit des Schuldners wider.
De Fakto hat unser Wirtschaftssystem viele Mechanismen, die Moral durch Pragmatismus ersetzen sollen. Früher kam, wer seine Schulden nicht bezahlen konnte, in Schuldturm und Gefängnis. Man hielt das für moralisch gerechtfertigt. Es stellte sich allerdings bald heraus, dass das zwar möglicherweise moralisch rechtfertigbar, aber äußerst blöde ist. Denn wenn der Schuldner im Gefängnis sitzt, erhält der Gläubiger gar nichts mehr. Und die gesamte Gesellschaft muss auf die Leistungsfähigkeit des Eingekerkerten verzichten. Deswegen erfand man das Insolvenzrecht. Wer überschuldet ist, dem werden ein Teil der Schulden erlassen, damit er wieder auf die Beine kommt, einen Teil der Kredite bedienen und sich sonst wieder nützlich machen kann. Man kam nämlich schnell dahinter, dass das für alle zusammen besser ist.
Jedem Geschäftsmann wird diese Möglichkeit offen gelassen und er wird vielleicht scheele Blicke ernten (Bankrotteure sind nicht immer gut angesehen), aber bald wieder als ehrenwerter Geschäftsmann anerkannt werden.
Warum aber soll, was für jedes Unternehmen gilt, für einen Staat wie Griechenland nicht gelten? Also noch einmal: Unternehmen, die zuviele Schulden haben, gehen in die Insolvenz. Kreditgeber, die vergleichweise unsolideren Kreditnehmern Geld leihen, lassen sich dieses Risiko mit höheren Zinsen bezahlen, aber das Risiko, an dem sie gut verdienen, ist eben die mögliche Nichtrückzahlbarkeit der Schulden. That’s it. Warum sollte also die Nichtzurückzahlen erdrückender Schulden moralisch verwerflich sein?
Übrigens macht Kuttner in seinem bemerkenswerten Beitrag (eigentlich eine Rezension von David Graebers “Debt: The First 5.000 Years”) noch auf einen anderen, sehr beredeten Sachverhalt aufmerksam: Nazideutschland hatte bereits Anfang der 40er Jahre eine Staatsschuldenquote von 675 Prozent des BIP angehäuft. Nach 1945 überlegten die Allierten kurz, ob man Deutschland zur Rückzahlung der Schulden verpflichten sollte. Doch dann schaltete man schnell um: Man half mit dem Marshallplan und die deutschen Schulden wurden erlassen. In den frühen 50er Jahren war die deutsche Schuldenquote dann auf schlappen 12 Prozent. Und dass nur, weil man dem Sünder Deutschland die moralische Pflicht erlassen hat, für seine Schulden einzustehen.
War das unmoralisch? Und wenn es damals moralisch war, wie kann das selbe heute bei den Griechen unmoralisch sein?
Denn eines ist ja, wie Kuttner schön formuliert, unbestritten: “Welche fiskalischen Sünden die Griechen begangen haben mögen, die Nazis waren doch schlimmer.”
Der Artikel erschien auf misik.at und steht unter einer CC-Lizenz.
Sehr geehrter Herr Misik,
Sie machen sich in fast kabarettistischer Weise über Leute lustig, die seit geraumer Zeit über unser aller Wohl und Wehe entscheiden. Das ist erstens ihr gutes Recht und, so befürchte ich, haben Sie auch noch eine zutreffende inhaltlich Analyse geliefert.
Dabei kann man sich natürlich fragen, ob ihre Austerians nicht einfach nur für die Öffentlichkeit, in Bildzeitungsmanier, so handeln. Daß sie stattdessen hinter den Kulissen professionell arbeiten. Nun, ich fürchte, daß Sie auch in diesem Falle richtig liegen. Die tun nicht nur so. Die sind so: tief in mittelalterlichem Schuld-und-Sühne-Denken verhaftet, bar jeder ökonomischen Professionalität.
Dann aber stellt sich mir die Frage, wie es mit schöner Regelmäßigkeit seit Jahrzehnten dazu kommt, daß solche Leute in die entscheidenden Stellen von Politik und Wirtschaft gelangen?. Und wie kommt es, daß die dann auch noch vom „kleinen Mann auf der Straße“ Unterstützung erfahren, wie bei jeder Wahl abzulesen ist?
Ich meine diese Fragen, insbesondere für unser Land und unser Volk betrachtet, sehr ernst. Welche Erklärung haben Sie dafür?
Man kann vieles ja auch nur noch fast kabarettistisch sehen. Viele Argumente erscheinen mir recht logisch, zumindest berücksichtigen sie weitere Aspekte im Zusammenhang mit der Schuldendiskussion. Und das ist dringend notwendig.
Die Kritik an der Austeritätspolitik darf sich allerdings nicht nur gegen Entscheidungsträger richten. Denn diese handeln ja nicht in einem luftleeren Raum, will heißen, sie spiegeln ein gesellschaftliches Umfeld wieder. Und hier ist fast ein “leider” einzufügen. Es wird Zeit, dass wir dem Kabarett wieder seinen ureigenen Platz geben.
Manchmal frage ich mich, ob es nicht gezielt so gewollt ist.
Dass man so lange die Leute für Blöd verkauft hat, dass man ihnen nun nicht die Wahrheit sagen will. Dass wir uns Gesamtgesellschaftsökologisch/ökonomisch weiteren Wachstum nicht mehr leisten können.
Vlt will man die Wirtschaft im Würgegriff halten.
Vlt will man die Menschen zu Alternativen zwingen?
Oder vlt ist es noch viel viel schlimmer, als alle denken, und es ist ein letzter Ökonomischer Großangriff der Finanzelite, der in einem technokratisch-faschistischem Weltregieme endet, welcher über die InvestmentbankingKorpokratie errichtet wird, die seit Jahrhunderten von diversen Clans aufgebaut wurde.
So oder so ist es sehr ratsam sich möglichst unabhängig von der globalen Wirtschaft zu machen, und sich soweit wie möglich selbst oder aus kommunalen/regionalen Strukturen versorgen. Idealerweise Bargeldlos. Denn mit dem Grad der Unabhängigkeit wächst der Grad der Freiheit.
Na ja, der Artikel beleuchtet eine schon lange bekannte aber immer wieder verdrängte Erkenntnis. Vielleicht wird den Menschen der Sachverhalt und die Idee eines Zinsaufschlages nicht richtig erklärt, ob nun absichtlich oder auch nicht!
Vielleicht macht auch die Aussicht auf einen großen Gewinn den Geber blind und im Nachhinein suhlt er sich im Dreck und sinnt nach Rache. Denn ein Schuldenturm oder die jetzige Insolvenz, egal ob privat oder staatlich ist nichts anderes als den Gläubiger zu demütigen und aus dem Geschäftsverkehr zu nehmen, d.h. für Jahre Rache an ihm zu nehmen.
Ich beschreibe es mit dem Begriff Rache, weil durch den höheren Zins (Risikoaufschlag) bei der Vergabe im Eigentlichen schon Verluste abgedeckt sind. Sollte dies nicht der Fall sein und das Risiko schlecht eingeschätzt worden sein, so ist eigentlich der Geber selbst am Verlust Schuld! (Es besteht ja wohl kaum ein Vergabezwang!)
Im Übrigen ist die Insolvenz fast das Gleiche, wie der Schuldenturm! Zumindest was die Zeit der Nicht-Teilnahme am Geschäftsverkehr betrifft. Ob nun jemand 7 Jahre im Turm oder 7 Jahre + 3 Jahre (Einträge) vom Geschäftsverkehr ausgeschlossen ist, ist eigentlich gleich, dieser jemand, ist wirtschaftlich über diesen Zeitraum kalt gestellt und wird nur in den seltensten Fällen wieder wirtschaftlich auf die Beine kommen. Daran ändert auch die neue Änderung des deutschen Insolvenzrechts nichts!
Welches im übrigen ein Rachegesetz ist und bleibt, da ja eigentlich das Risiko mit dem Zinsaufschlag abgedeckt sein sollte, wie schon erwähnt!
Die einzige Verbesserung der Insolvenz gegenüber dem Schuldenturm ist, dass der Gläubiger nicht so schnell durch die Rache des Gebers auch gesundheitlich vor die Hunde geht.
Schön, dass wir so etwas wissen! Nicht schön, dass diese Idiotie immer noch Bestand hat!
Ob im Großen oder im Kleinen, Gier macht blind und Rache andere kaputt!