Zum 10. Todestag von Jürgen W. Möllemann

Vorgestern vor 10 Jahren, am 5. Juni 2003, starb mit Jürgen W. Möllemann einer der wohl schillerndsten, aber auch charismatischsten Köpfe, die die FDP je vorweisen konnte. Ein Nachruf.

Bundesarchiv, B 145 Bild-F064951-0028 / Hoffmann, Harald / CC-BY-SA

Von Florian Sander

Möllemann stand seit jeher stets für aktive FDP-Klischee-Bekämpfung, er repräsentierte als Person das gelebte Gegenmodell zu allem, was mit der FDP – ob nun zu Recht und zu Unrecht – immer negativ konnotiert war. Ihn umgab nicht die Hybris des Besserverdienenden, welche man in materiell fokussierten, großbürgerlichen Kreisen so häufig vorfindet, sondern immer sprach er die Sprache des „kleinen Mannes“, verstand es, auch komplexe politische Inhalte für den Normalbürger in verständlichen Worten darzulegen, ohne dabei den Sachverhalt zu simplifizieren. Wer diesen Stil noch heute kennenlernen möchte, dem sei Möllemanns letztes Buch „Klartext für Deutschland“ ans Herz gelegt, in welchem er ein letztes Mal zu einem politischen – und gelegentlich auch persönlichen – Rundumschlag zu verschiedensten Themen und gegen seine Gegner ausholte.

Möllemann verstand es, die Inhalte freiheitlicher Politik auf eine Weise zu kommunizieren, die demonstrierte, dass diese mehr ist als nur ein Korrektiv der Christdemokraten in schwarz-gelben Koalitionen, dass die FDP das Potenzial zur Volkspartei hätte, wenn sie sich nur inhaltlich und kommunikativ zur Genüge öffnen würde. Stets verkörperte Möllemann dabei auch das gelebte Gegenmodell zum seit langem mit der FDP assoziierten Wendehals-Opportunismus, der dem Zeitgeist und der Aussicht auf Regierungsbeteiligung prinzipienlos hinterher rennt. Und gerade dieses Gegenmodell war es, das ihn letztlich – inmitten von karrieristischen Opportunisten – scheitern ließ, obwohl er sich nach seinem Rücktritt als Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler im Jahre 1993 so hatte aufrappeln können.

Von Möllemann und seinen Getreuen stammte das Projekt 18, dem die „Werkstatt 8“ vorausgegangen war, mit deren Hilfe es die NRW FDP unter ihrem Landesvorsitzenden Möllemann bei der Landtagswahl 2000 von 4 auf fast 10 % und den Sprung aus der außerparlamentarischen Opposition zurück in den Landtag schaffte und die Möllemann zum ihrem Fraktionsvorsitzenden im Düsseldorfer Landtag sowie als späte Belohnung 2001 auch zum stellv. Bundesvorsitzenden der FDP machte. Art und Professionalität der Wahlkampfführung und Organisation des FDP-Landesverbandes NRW waren hierbei beispiellos und sollten mit Hilfe der Strategie 18 auf den Bund übertragen werden. Hier wurde jedoch die Rechnung ohne den unvermeidlichen, damaligen Parteivorsitzenden Guido Westerwelle gemacht, der es schaffte, aus dem – durchaus auch inhaltlichen – Projekt 18 einen „Spaßwahlkampf“ zu formen, der im „Guidomobil“ und einem Besuch des „Big Brother“-Containers gipfelte. Aus einer ernstzunehmenden Vision für eine neue FDP wurde eine Leichtmatrosen-Kampagne ohne programmatischen Kern.

Im Jahre 2002 schließlich dann die Karsli-Affäre – und zugleich der Anfang vom Ende für Möllemanns Karriere. Möllemann, der von 1981 bis 1991 und seit 1995 auch Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft war, hatte im Frühjahr 2002 den vormals grünen Landtagsabgeordneten Jamal Karsli, welcher von einer „zionistischen Lobby“ gesprochen hatte, in die FDP-Fraktion aufgenommen. Im Zuge der darauf folgenden öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Zentralrat der Juden und insbesondere dessen damaligen Vizepräsidenten Michel Friedman wurden Möllemann antisemitische Äußerungen vorgeworfen.

Der gleiche Vorwurf traf im September 2002 einen Flyer, den Möllemann in Nordrhein-Westfalen wenige Tage vor der Bundestagswahl an die Haushalte hatte verteilen lassen und der sowohl Friedman als auch den damaligen israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon scharf kritisierte. Die Skandalisierung des Vorgangs führte letztendlich zur blamablen Wahlniederlage der FDP, die zum Rücktritt Möllemanns als Parteivize führte. Ungereimtheiten und strafrechtliche Ermittlungen aufgrund der unklaren Finanzierung des Flugblatts führten zum Rücktritt als Landes- und Fraktionsvorsitzender der NRW FDP sowie zu seinem Ausschluss aus der Bundestagsfraktion und seinem Parteiaustritt 2003, wenige Monate vor seinem mutmaßlichen Selbstmord im Rahmen eines Fallschirmsprunges.

Einer der Menschen, die Möllemann charakterlich nicht nur in positiver Weise ähnlich sind, sondern auch bis zuletzt bis ihm befreundet waren, ist das heutige FDP-Präsidiumsmitglied Wolfgang Kubicki. Kubicki hat nun anlässlich des 10. Todestages Möllemanns einen Brief von ihm veröffentlicht, in dem dieser beschreibt, dass er sich wenige Wochen vor seinem Tod „beobachtet und verfolgt“ fühlte. Vor wem genau Möllemann sich fürchtete, wird wohl immer Gegenstand von Spekulationen bleiben. Selbige an dieser Stelle fortzuführen, ist müßig.

Nicht müßig jedoch ist es, die Umstände aufzuarbeiten, die zu seinem Suizid geführt haben, so es einer war. Denn mit Ruhm bekleckert haben sich in dieser Hinsicht sehr viele seiner Kontrahenten ganz und gar nicht. Angefangen bei dem medialen Rummel um Möllemanns angeblichen Antisemitismus: Die Debatte um seine Äußerungen gegenüber Friedman wie auch zu seinem Flugblatt hysterisch zu nennen, wäre untertrieben. Sie glich vielmehr einer Hetzjagd, die darauf abzielte, nicht nur den Einfluss eines Politikers zu minimieren – was in einer Demokratie legitim ist – sondern einen Menschen in seiner Existenz zu zerstören – was nicht nur illegitim ist, sondern bösartig und niederträchtig. Hierbei haben sich auch zahlreiche Politiker der FDP in einer Weise verhalten, die nicht einfach nur unsolidarisch, unsachlich und intrigant ist, sondern ebenso unehrenhaft und perfide.

Kubicki wies jüngst in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass die Unschuldsvermutung quasi ausgehebelt worden sei, als man Möllemann noch vor Abschluss strafrechtlicher Ermittlungen zum Rücktritt bewegt und ausgeschlossen hatte. Dass der heutige Außenamts-Verwalter und Außenminister-Darsteller Westerwelle in dieser Situation noch nachgetreten hatte, lässt – gelinde gesagt – nicht auf charakterliche Größe schließen. Dass das Unrecht noch heute, an seinem 10. Todestag, weiter geht, wenn etwa Journalisten in Artikeln zu diesem Anlass weiterhin unreflektiert und – vermutlich ohne es je gelesen zu haben – vom „antisemitischen Flugblatt“ schreiben, zeigt, wie wenig sich im gesellschaftlichen Klima verändert hat.

Immerhin ein schwacher Lichtblick: Möllemanns Zögling und Protegé Christian Lindner, der, wie sein Mentor einst, heute Fraktions- und Landesvorsitzender der NRW FDP sowie stellv. Bundesvorsitzender der FDP ist, erinnerte nun in einer kurzen Pressemitteilung zum 10. Todestag an Möllemanns „politische Lebensleistung über Jahrzehnte“ und würdigte Möllemann als „populären und leidenschaftlichen Liberalen“. Dass zumindest Möllemanns früherer Landesverband ihm Fairness zuteilwerden lässt, gibt weitere Hoffnung, dass innerhalb der Partei auch ein anderer Umgang miteinander möglich ist, als so manche sogenannte Spitzenpolitiker in Berlin es lange praktiziert haben.

Eines jedenfalls ist klar: Würde Möllemann heute weiterhin in führender Position der FDP wirken und wäre ein fairer politisch-medialer Umgang mit ihm gewährleistet, so müsste sich wohl kein Liberaler darüber Gedanken machen, ob die Partei im September diesen Jahres den Wiedereinzug in den Bundestag schafft.

Artikelbild: Bundesarchiv, B 145 Bild-F064951-0028 / Hoffmann, Harald / CC-BY-SA

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3 Kommentare zu "Zum 10. Todestag von Jürgen W. Möllemann"

  1. Rainer sagt:

    Da hatte ich den Herrn Möllemann fast vergessen, aber jetzt ist die Erinnerung wieder da. verdammt, ich weis nicht ob das gut ist…

  2. ion sagt:

    “(….), sondern immer sprach er die Sprache des „kleinen Mannes“, verstand es, auch komplexe politische Inhalte für den Normalbürger in verständlichen Worten darzulegen, ohne dabei den Sachverhalt zu simplifizieren.”

    Mir kommen gleich die Tränen; Meinen Sie etwa so, wie mit z.B. diesem Wahlplakat (-Entwurf) für 2000, das Bhagwan, Hitler und Horror-Filmstar Freddy Krüger kombiniert zeigt und textet(?!):
    »»»
    Wenn wir nicht schnell für mehr Lehrer sorgen, suchen sich unsere Kinder selber welche.
    NRW braucht Tempo. Möllemann
    «««
    Cf.: http://www.muensterschezeitung.de/lokales/muenster/Schlossplatz-Befuerworter-weisen-FDP-zurecht;art993,1754953

    R.I.P., Herr Möllemann!

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