Die Marktgesellschaft und das Ende des Autors

Leben und Sterben im Widerstand – Eine Nachbetrachtung anhand des gerade erschienen Buchs von Bernd Mattheus: Passionen.[1]

Von Karl Kollmann

Kunst – ja: Kunst und nicht Kunstgewerbe, tritt immer ein Stück aus dem Bestehenden heraus, im besten Fall ist sie Rebellion gegen eine unglücklich machende Welt. Dieser transzendierende Charakter läßt sie zu einer gesellschaftlichen Avantgarde werden. Klar – ihr Bewegungsraum ist eben „die Kunst“, die Hochkultur, wo es zumindest seit zwei Jahrhunderten etwas unreglementierter, „freier“ und weniger rauh zugeht, als im Alltag aus Politik, Wirtschaft und sozialen Normen. Dada, Surrealismus, Aktionismus waren solche Kampfansagen an das Bestehende, die sich fallweise auch den Konflikt mit der Öffentlichkeit und der Staatsanwaltschaft nicht versagt haben.

Es war einmal – Kunst jenseits von Kommerz

In den siebziger, achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts hat das Wirtschaftssystem und seine kapitalistische Logik nach dem Sport schließlich auch die Kunst übernommen. Zuvor war das noch anders: Vermarktung war noch nicht der Motor für Sport oder Ästhetik. Sportler waren teilweise Amateure, Profis gab es, aber deren Bezahlung orientierte sich am Einkommen von Handwerkern. Und in der Kunst hatte man jene Narrenfreiheit, die es in kleinen Zirkeln immer schon gab. Das Bekanntwerden als Schriftsteller funktionierte über persönlichen Kontakt mit Rezensenten und Lesern, mit Briefen und über eine Schiene, die man „Qualität“ nennen könnte, oder „Neuigkeitswert“. Natürlich gab es auch arrivierte Kunst und die hatte – gerade in der Bildenden Kunst – ihren Preis, das gesamte Feld „Kunst“ verstand sich auch bei den Arrivierten allerdings ganz klar jenseits von Kommerz.

Das Unglück des Schönen Fensters

Dazu kam, die Nachkriegsgeneration, sofern sie wach und hellhörig war, erlebte das Wunder der 68er Jahre: „Die 1960er-Jahre hatten etwas besonders Berauschendes an sich, etwas, das diejenigen, die es im richtigen Alter bewusst miterlebten, nie mehr ganz losließ. Obwohl es schon früher utopische Schriften und utopische Gemeinschaften gegeben hatte, war dies das erste Mal, dass Utopia für einen kurzen Moment aus dem Schatten ins Licht trat, sowohl als Theorie als auch in der Praxis. Der utopische Traum von einem Leben frei von Mühsal und Beschwernis, Streit und Krieg, stand kurz davor die Köpfe und Herzen einer ganzen Generation junger Menschen zu erobern.“ So romantisch berührt schreiben die Skidelskys in ihrem Buch „Wieviel ist genug?“[2] über diese Jahre.

Tatsächlich waren die Ausgangsbedingungen für dieses gesellschaftspolitische Aufflackern der 68er Jahre günstig. Prosperierende Wirtschaften in Amerika und Europa, ein durch den Sozialstaat, starke Gewerkschaften und sozialdemokratische Parteien gezügelter Kapitalismus mit hohen Lohnzuwächsen und breiter Arbeitszeitverkürzung. Dann eine allgemeine Stimmung unter den Intellektuellen, daß nach dem Grauen des Zweiten Weltkriegs endlich mit dem Kriegführen (Vietnam!) aufgehört werden muß. Dazu ein heftiges Aufbegehren gegen die verlogene Moral und die sexuelle Repression der Väter und Großvätergeneration.[3]

Kunst wird ein industrieller Prozeß

In den 70er Jahren änderte sich das langsam. Mediatoren (Agenten, Galeristen) wurden zunehmend wichtiger, Verkaufsprofis sozusagen machten sich in der Kunst und Literatur breit. Schließlich wurde der Künstler/Autor zu seinem eigenen Marketingmenschen. Das machen sie ja gut, etwa Sascha Lobo oder Charlotte Roche, usw. Oder der Wiener Aktionist Hermann Nitsch, der einmal zu den Aufrührern gehörte, dann aber mit sturer Nichtweiterentwicklung seit 40 Jahren zum österreichischen Staatskünstler mutierte. Letzthin konnte er damit 500.000 Euro im Safe zu Hause in seinem Schloß aufbewahren, die ihm nun Einbrecher stahlen.[4]

Der Kapitalismus war stärker als der 68er-Widerstand, die Alternativ-Kultur (Musik, Literatur, bildende Kunst, Sexualität) wurde von einer rasch ausufernden und natürlich kapitalistisch organisierten Kultur-Industrie aufgesaugt, in den Wirtschaftskreislauf integriert. Damaliger sexueller und gesellschaftspolitischer Widerstand beispielsweise ist heute ein geschätztes Marketingkonzept der Tourismusindustrie von Städten.[5] Die Musikindustrie hat Milliardengeschäfte mit den damaligen „Alternativen“ gemacht, die Werbung hat sich deren erotische Freizügigkeit gekapert und sie ins alltägliche Geschäft eingebaut. Mit „repressiver Toleranz“ hat der Kapitalismus den Widerstand gegen sich in neue Geschäftsfelder umgesetzt, in Konsum, mit dem sich gut Geld verdienen läßt.

Künstler, Autoren, die mit ihrem Leben in diese rund zwei Jahrzehnte dauernde Umbruchsphase von Kunst und Literatur gefallen sind, die dieser Wandel, diese Vermarktwirtschaftlichung von Kunst mitten im Leben überrascht hat, sind arme, orientierungslose Hunde geworden, wenn sie sich nicht rechtzeitig an die neuen Verhältnisse angepaßt haben. Die meisten haben das, Menschen sind ja flexibel und heiß auf Anerkennung.

Ein Autoren-Leben für den Widerstand

Das Buch, von dem hier die Rede ist, zeigt wie die Liebe scheitert, wenn der Kapitalismus in den gedachten persönlichen Freiraum eingedrungen ist und man darauf nicht vorbereitet war. Und mit den mißglückten Lieben scheitert das Leben insgesamt. Zwanzig Jahre ist es halbwegs gut gegangen – das Schreiben, die Bücher, die eigene Existenz. Da war das Fenster offen. Aber langsam geht das Geld aus, auch an der Wohnung, für die das Geld fehlt, scheitert die Liebe und der Versuch zu zweit in dieser Gesellschaft zu überleben.

Verbissen wird das Leben gelebt. Ein Schriftsteller leistet Widerstand gegen den Alltag, auch gegenüber Menschen, egal ob sie ihm nah oder fern stehen. Er will dem Tod, eigentlich dem Leben eine andere Wahrheit abtrotzen und dennoch, seine Endlichkeit holt ihn stahlhart ein. Außenseiter, Eremiten leben so: zurückgenommen, einfach, halb verborgen – manchmal hätten sie schon Freude dabei, die Verhältnisse handfester zu bekriegen.

Rückblick: Da ist ein Autor, der mit seinen Leidenschaften und mit seinem Werk zu einer Zeit beginnt, wo er Chancen auf (sein!) Leben hat, denn sonst wäre er nicht Schriftsteller geworden. Das ist ja keine spontane Entscheidung, sondern ein Vorgang, der einen mitzieht, nachdem man sich intensiv eingearbeitet hat. Persönlich fasziniert und angetrieben von der Idee, daß es – nach den 68er Jahren – nach wie vor Möglichkeiten für einen persönlichen Lebensentwurf gibt.

Herbe Dinge zutage fördern, den kaum bekannten Surrealismus in das deutschsprachige Bücherlicht bringen. Antonin Artaud und der Totalkampf gegen die französisch verfärbte bürgerliche und spätbürgerliche Sattheits-Gesellschaft, das fasziniert sowieso. Leben, Denken und Schreiben trotzig selbst in die Hand nehmen, und dabei in einem (bescheidenen) Maß erfolgreich sein, Anerkennung finden.

Das Zerriebenwerden

Daß sich die Welt ändert, während man in ihr lebt, und der Kapitalismus nunmehr auch die Alternativen übernimmt, das bekommt Bernd Mattheus mit. Na klar, der Autor ist bei aller Selbstfixiertheit, die in den drei Passionen transparent wird und auf den ersten Blick vielleicht sogar teilnahmslos wirkt, wach und lebendig geblieben.

Die Leidenschaften, die Lieben, werden allerdings zerrieben, denn der Alltag hat sich von den 68er-Ideen schon weit entfernt, selbst in jenen Nischen, wo die Kunststudentinnen ihren Alltag leben. Wenn das Geld für eine gemeinsame Wohnung fehlt, dann scheitert Liebe schnell, auch andere Pläne, Reisen etwa. Ansonsten Kassel, Ende der 80er Jahre, Anfang der 90er Jahre, am Ostrand der alten Bundesrepublik, mit dem gelegentlichen Lichtblick der documenta, die allerdings schon eingängig die Industrialisierung der Kunst demonstriert.

Diese drei mißglückten Leidenschaften des Buches und des Lebens sind eine Art Trauma geworden. Der Autor hält sich fortan von der Liebe für viele Jahre fern. Man könnte fast sagen, die Beschäftigung mit der Rebellion von Artaud und Bataille gegen die das Subjekt knechtende Kultur, haben ihn für Liebesbeziehungen am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gewissermaßen entfremdet. Er hat übersehen, daß sich das offene Fenster der 68er Jahre längst schon geschlossen hatte und die Lebensverhältnisse festgefroren wurden. Er, der an die alten Nischen und Möglichkeiten glaubt, hat übersehen, daß die Marktgesellschaft [6], der Kapitalismus, die kleine anspruchslose Existenz, die Kunst und alle früheren Nischen aufgesaugt hat. Ökonomische Verhältnisse schlagen auf Alles durch, selbst auf die entferntesten Regungen eines bescheidenen, zurückgenommenen Lebens.

Lehrstücke

Die Arbeit und das Leben von Bernd Mattheus belegen eines: mit guter, intensiver Anstrengung kann man nicht mehr überleben, wenn man das Alphabet unserer marktgesellschaftlichen Kunst und Literatur nicht halbwegs perfekt beherrscht.

Also Werbung, gutes Marketing, Spektakel, sich Anbiedern an politische Verhältnisse. Die von ihm geschätzten, übersetzten und biographierten Autoren: Artaud, Bataille und Cioran, verstanden das auch nicht, aber das waren andere Zeiten. Viele andere, etwa die Wiener Aktionisten verstanden das gut, Paradigma ist dafür der erwähnte Hermann Nitsch. Ihm folgen heute viele andere Künstler, sie sind sich mittlerweile nicht zu blöd, um für eine konservative Partei Wahlwerbung zu machen.[7] Die künftigen Chancen (für Geld und Anerkennung) sind heute meist näher als Überzeugung oder Anstand. Und die ganz Großen wie Christo zelebrieren ihre Kunst-Spektakel ohnedies mit bereitwillig gefördertem Millionen-Aufwand.

Chancen ?

Der klassische Künstler oder Autor, der mit seiner Arbeit, seinem eigenen Werk, seiner kritischen Haltung und auch Dickschädligkeit, seinen Lebensunterhalt bestreiten möchte, den gab es, – jedoch heute hat er keine Chance mehr. Alles muß jetzt marktkonform sein, das gilt nicht nur für das „ästhetische Produkt“, sondern auch für das Leben des Künstlers. Wer sich als Akteur, als selbstbestimmter Mensch in dem einstmals vergleichsweise freien Feld der Kunst und Literatur bewegen möchte, der wird zerrieben, wenn er/sie sich nicht an die wirtschaftlichen Spielregeln der Kunst- und Kulturindustrie hält und gefügig ist. Der Kunstkapitalismus bietet Chancen, aber nur jenen, die sich anpassen und im Anpassungswettbewerb erfolgreich sind.

——————————–

[1] Bernd Mattheus: Passionen. Daniela Maria Greta., Maro-Verlag, Augsburg 2013.
[2] Robert und Edward Skidelsky: Wie viel ist genug? Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. München 2013. S 92.
[3] Mehr dazu in den Anfangskapiteln von Karl Kollmann: Ausgeschrieben, Augsburg 2011.
[4] o. A.: Einbruch in Schloss von Hermann Nitsch: Schaden von 500.000 Euro, in: Der Standard, 7. März 2013, http://derstandard.at/1362107699183/Einbrecher-bei-Hermann-Nitsch-verursachen-Schaden-von-500000-Euro .
[5] wien.orf.at, 19. 2. 2013 „Wien-Tourismus richtet seine Werbung verstärkt auf homosexuelle Gäste aus“, http://wien.orf.at/news/stories/2574266/
[6] Der Ausdruck kommt von Karl Polanyi und bedeutet, daß die Sozialstruktur nach marktwirtschaftlichen (kapitalistischen) Regeln funktioniert, die Gesellschaft von der ökonomischen Logik übernommen wurde. (Karl Polanyi: The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und
Wirtschaftssystemen. Frankfurt/Main 1978, erschienen ist es schon 1944).
[7] Andrea Heigl, Gudrun Springer: “Machiavelli hätte seine Freude mit Erwin Pröll”,
Interview mit Thomas Sautner, Der Standard, 2. März 2013, http://derstandard.at/1362107171841/Machiavelli-haette-seine-Freude-mit-Erwin-Proell

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