Zum 50. Jahrestag des Elysée-Vertrages gibt es nicht viel zu feiern. Kanzlerin Merkel und Präsident Hollande gehen sich zwar nicht mehr aus dem Weg. Doch gemeinsame Initiativen sucht man vergebens. Wenn nicht alles täuscht, markiert das Jubiläum vor allem eins: die Entstehung eines deutschen Europas.
Von Eric Bonse
Schon die Ortswahl ist bezeichnend: der Elysée-Vertrag wird diesmal nicht an seinem Ursprungsort Paris gefeiert, sondern in Berlin, der heimlichen neuen EU-Hauptstadt. Vor zehn Jahren, beim letzten Jubiläum, war das noch anders.
Damals traf man sich noch im Elysée-Palast, feierte die deutsch-französische Entente im Irakkrieg (Berlin und Paris standen gemeinsam gegen London und Washington) und stimmte sich auch wirtschaftspolitisch eng ab.
Berlin hat in Paris abgekupfert
In der EU gab Paris damals noch den Ton an. Deutschland war der “kranke Mann Europas”, Frankreich war in vieler Hinsicht ein Vorbild, das Altkanzler Schröder eifrig kopierte: von den Eliteunis über die Industriepolitik bis hin zur Zentralisierung der Macht (im Kanzerlamt) kupferte er vieles in Paris ab.
Gleichzeitig machte er sich über die 35-Stunden-Woche lustig – und sorgte mit seiner Agenda-Politik dafür, die deutschen Löhne unter das (damals noch günstigere) französische Niveau zu drücken.
Und heute? Ist Merkels Kanzleramt die (un-)heimliche Schaltzentrale Europas, reist die Bundesregierung in Kompaniestärke nach China, um Flugzeuge zu verkaufen, gilt Deutschland als Vorbild. Und Paris hat das Nachsehen.
Ausgeprägter Merkiavellismus
Jahrzehntelang drückte Frankreich der EU seinen Stempel auf, nun haben wir ein “deutsches Europa”. Es entstand keineswegs nur durch Abwarten, Aussitzen und eine gehörige Portion “Merkiavellismus”, wie der Soziologe U. Beck meint.
Nein, es ist eine Folge strategischer Entscheidungen – in vielen Bereichen hat Berlin von Paris gelernt und die Franzosen mit ihren eigenen Mitteln geschlagen. Und Merkel nutzt die Eurokrise, um ihre eigene, nationale Agenda durchzusetzen.
Ch. Bertram, Ex-Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, hat das treffend so zusammengefasst (zitiert nach “IP“):
„Diese Bundesregierung hat von Anbeginn der Krise immer nur national, nicht aber europäisch gedacht. Ihre Sorge war stets in erster Linie, Gefahren vom deutschen Wohlstand abzuwehren, nicht vom Wohlergehen Europas. Das Gold der Bundesbank liegt ihr mehr am Herzen als die Zukunft der EU.“
Klar, auch Paris verfolgt nationalen Interessen. Doch Frankreich braucht Deutschland und Europa. Diese Bundesregierung hingegen verhält sich so, als brauche sie Frankreich und (Süd-)Europa nicht. Das ist der zentrale Unterschied.
Auf Dauer wird dies allerdings nicht gutgehen. Ich sehe derzeit drei Hauptprobleme für das “deutsche Europa”:
- Die Bürger machen nicht mit. Die meisten Deutschen wollen gar kein “deutsches Europa”, weil sie es nach Wiedervereinigung und Agendapolitik als Überforderung empfinden (Stichwort “Zahlmeister”).
- Die Wirtschaft koppelt sich zunehmend von Europa ab. Die großen Konzerne sehen die EU nur noch als Freihandelszone, am liebsten würden sie sich aller Verpflichtungen entledigen (siehe z.B. die Debatte über Emissionsrechte).
- Die schwarzgelbe Bundesregierung ist nicht willens und in der Lage, die mit der neuen Rolle geforderte “Führung” zu leisten. Derzeit schafft sie es nicht einmal, ihre EU-Politik zu erklären – wann hat Merkel es zum letzten Mal versucht?
Zudem misst Berlin mit zweierlei Maß. Für Deutschland gibt es immer wieder Ausnahmen (siehe z.B. den exorbitanten Exportüberschuss, die Sonderregeln für Sparkassen in der Bankenaufsicht, die goldene Aktie bei VW), während man in der EU eine strikte Ordnungspolitik predigt.
Dies stößt auf – berechtigten – Widerspruch in Paris. Ob es am Ende doch wieder auf Frankreich zuläuft, ist allerdings völlig offen. Vielleicht geht Merkel nach der Wahl auf Hollande zu und lockert den Sparkurs (siehe “Wie die Krise enden kann”).
Genauso gut ist aber denkbar, dass sich Berlin mit London und Warschau verbündet – oder eine Politik des “Teile und herrsche” versucht. Ich bin mir nicht mal sicher, ob man den 60. Jahrestag des Elysée-Vertrags noch feiern wird…
Eric Bonse ist Journalist mit dem Schwerpunkt EU-Politik. Der Artikel erschien auf seinem Blog Lost in Europe