Händchen halten mit Herrn Schäffler?

Eines muss man Frank Schäffler lassen: Das FDP-Bundestagsmitglied ist ein streitbarer Eurokritiker ohne parteipolitische Scheuklappen. Wer dem Schwaben eine gewisse Unberechenbarkeit nicht zugetraut hatte, der konnte sich in der Online-Ausgabe des Schweizer Monat eines besseren belehren.

Von Sebastian Müller

In dem Züricher Magazin, das sich selbst in der Tradition des Liberalismus sieht, ist von Schäffler, also jenem klassischen Liberalen, der freilich auch dem libertären Spektrum zugeordnet werden kann, ein bemerkenswerter Gastartikel erschienen, und zwar über den Sinn oder Unsinn links-liberaler Allianzen.

Das Planspiel des FDP-Politikers ist angesichts der von ihm wohlwollend zur Kenntnis genommenen parlamentarischen Übereinstimmung mit der einzigen “Fraktion, die konsequent und geschlossen gegen die Rettungsschirme, gegen den Aufbau neuer europäischer Bürokratien und gegen die Entmachtung der nationalen Parlamente gestimmt hat” – nämlich der Linksfraktion – in gewisser Weise folgerichtig. Interessant ist es aber vor allem deshalb, weil allein die Idee einer Allianz zwischen der äußerst rechten sowie linken Ecke der parlamentarischen Sitzordnung ein Novum darstellen dürfte.

Im Sinne dieses Planspiels nennt Schäffler Gemeinsamkeiten zwischen dem “Liberalismus und Sozialismus”, die immerhin als politische Bewegungen “eine ausgeprägte Abneigung gegen politisch gewährte Privilegien für einzelne Gruppen” teilen würden. Diese gemeinsame Abneigung führt, wie Schäffler nicht unüberrascht konstatiert, in der europäischen “Schuldenkrise” zu ähnlichen Analysen. Auch für die von Sarah Wagenknecht immer wieder gegeißelte Umverteilung von Unten nach Oben sei “in einem liberalen Staatswesen kein Platz.”

Weniger überraschend ist es aber, das spätestens hier auch für Schäffler die wenigen Gemeinsamkeiten aufhören. Nicht zufällig liegt die letzte Koalition zwischen einer sozialistisch- sozialdemokratischen und einer liberalen Partei auf Bundesebene gut 30 Jahre zurück. Der Kampf um die Deutungshoheit der Krise ist damit eröffnet.

Die Sache mit dem Liberalismus

Allein die letzte These von Schäffler dürfte erstaunen hervorrufen, ist es doch gerade die FDP als politische Heimat des Schwaben, die nicht von ungefähr als Partei der Privilegierten und der “sozialen Kälte” wahrgenommen wird. Auch der italienische Philosoph Domenico Losurdo, der sich mit dem Liberalismus ausgiebig beschäftigte (Freiheit als Privileg), dürfte hier wohl entschieden widersprechen. Und Oskar Lafontaine, – wenn man schon von den Linken spricht -, würde einwerfen, dass gerade der Sozialismus ein zu Ende gedachter Liberalismus sei. Lafontaine, der alte Fuchs, wäre nicht Lafontaine, wenn er nicht mit Karl-Hermann Flach einen verstorbenen Parteikollegen von Frank Schäffler als Kronzeugen zu zitieren wüsste:

“Er [Der Liberalismus] hat nach seinem großen und erfolgreichen Kampf um geistige Freiheit, bürgerliche Rechte und verbriefte Verfassungen teilweise versagt, ließ sich als Interessenvertreter privilegierter Schichten missbrauchen, erstarrte bürgerlich konservativ und trägt Mitverantwortung an den Sünden des Frühkapitalismus, an Kinderarbeit, Menschenausbeutung und ungerechter Vermögensverteilung.”

Tatsächlich stammt dieses Flach-Zitat aus der Streitschrift “Noch eine Chance für die Liberalen” aus dem Jahr 1971, einem kurzen sozialliberalen Intermezzo der FDP auf dem Weg von einer national- zu einer wirtschaftsliberalen Partei. Diese sozialliberale Phase der FDP war auch zugleich ihre intellektuelle Blüte.

Unabhängig von der fehlenden kritischen Reflexion über den Liberalismus, die man von einem Sozialisten doch ohne weiteres erwarten würde, muss man den keineswegs sozialliberalen Frank Schäffler doch aufrichtig zu Gute halten, dass er einerseits überhaupt bereit ist, sich mit den Positionen der Linken ernsthaft auseinanderzusetzen, und andererseits die Chuzpe besitzt, im Bundestag gegen die Mehrheit seiner Fraktion zu stimmen.

Ökonomisch unsinnig und hochgefährlich

Doch wie es auch nicht anders sein kann, ist die vorsichtige Annäherung, die sich allein auf die gemeinsame Negation der bisherigen Europapolitik der Bundesregierung stützt, ein taktisches Manöver, um dann die Positionen der Linken zu desavouieren. Schäffler versucht die von von ihr propagierten Rezepte zur Bekämpfung der Finanz- und Wirtschaftskrise – die unverkennbar die Handschrift von Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht tragen – mit These und Antithese auseinanderzunehmen. Auffällig dabei ist aber, wie schwer es ihm fällt, die seinem Studium geschuldete betriebswirtschaftliche Perspektive zu verlassen.

Vorab muss gesagt werden, dass auch aus linker Perspektive nicht alle Standpunkte Schäfflers abzulehnen sind. Wenn er beispielsweise das Prinzip der Haftung betont, das als ein zentrales Charakteristikum einer Marktwirtschaftlichen bzw. ordoliberalen Ordnung in der Finanzkrise außer Kraft gesetzt wurde, dann ist dies kaum von der Hand zu weisen. An dem Prinzip der Haftung muss auch denjenigen gelegen sein, die interventionistische Eingriffe in die, oder zumindest einen Ordnungsrahmen für die Marktwirtschaft befürworten. Doch das Prinzip der Haftung, so wünschenswert es auch ist, ist als Allheilmittel gegen die Krise ungenügend – weil die, die hätten haften müssen, ihre Schäfchen längst ins Trockene gebracht haben.

Gerade Sahra Wagenknecht, die in ihrem Buch “Freiheit statt Kapitalismus” – wer hätte das gedacht – ausgiebig Röpke, Erhard und Eucken zitiert, will Schäffler den “zu Ende gedachten Ordoliberalismus” nicht kampflos überlassen. Was Schäffler aber übersieht ist, dass es Wagenknecht um die Bekämpfung von ungebremster Marktmacht geht, die – hat sie ersteinmal eine Oligopol- oder Monopolstellung erreicht – auch das Prinzip der Haftung zwangsläufig außer Kraft setzen muss. Die Frage, ob man nun Großbanken vergesellschaften oder zerschlagen will, tangiert nicht die richtige Diagnose.

Schäfflers Flirt mit der Linksfraktion fällt aber genau da in das stereotypische Muster (neo)liberaler Phobie, wo es um die programmatische Kernfrage der Linken, nämlich die Vergesellschaftung geht. Da für Schäffler “mit der leichtfertigen Preisgabe der wirtschaftlichen Freiheit (…) am Ende auch die politische Freiheit begraben [wird]”, sei die Forderung nach Vergesellschaftung “politisch hochgefährlich”.

Den Nachweis aber, warum aber die Vergesellschaftung von gesellschaftlich relevanten Kernbereichen (wie der Daseinsfürsorge und Infrastruktur, sprich: Wasser, Gesundheit, Bildung, Verkehr sowie Bank- und Finanzwesen!?) die politische Freiheit begraben sollte, bleibt er schuldig. Wäre dem so, dann hätte sich Europa auch noch in den Jahren 1945 bis 1990 in Unfreiheit befunden. Vielleicht hätte Schäffler auch hier auf den 1973 verstorbenen Flach hören sollen, der nicht weniger konstatierte, als dass “die Auffassung, daß Liberalismus und Privateigentum an den Produktionsmitteln in jedem Fall identisch seien, (…) zu den Grundirrtümern der jüngsten Geschichte [gehört].”

Auch die Bundesbank ist eine öffentliche Institution, ganz zu schweigen von den Genossenschafts- und Landesbanken. Diese aber, so Schäffler, wären nicht “vor Torheit” geschützt, wie uns die Pleiten der deutschen Landesbanken “eindrucksvoll in Erinnerung gerufen” haben sollen. Doch das eigentliche Sakrileg für ihn ist die direkte Staatsfinanzierung durch die Notenpresse und das “Primat der Politik über die Notenbank”, die zu Inflation, Enteignung der Sparer und schliesslich zum Zusammenbruch des Geldverkehrs führen würde.

Mehr Markt ist weniger – oder umgekehrt

Hier beginnt Schäffler, das Pferd von hinten aufzuzäumen, wenn er an dem Beispiel der Landesbanken, der Staatsfinanzierung durch die Notenpresse oder der US-Immobilienblase, der Marktwirtschaft nicht zu viel, sondern zu wenig Markt attestiert und dies als Ursache der Krise sieht. Aber seine neoliberale Krisendeutung zeigt nicht nur, wessen Geistes Kind er ist, sondern zeugt auch von einer ungeheuerlichen Geschichtsvergessenheit.

In Bezug auf die öffentlichen Landesbanken sollte erwähnt werden, das vor allem die Politik, – insbesondere die vom Liberalisierungswahn angetriebene rot-grüne Bundesregierung -, die Landesbanken dazu drängte, sich wie die privaten Banken auch riskanten, renditeträchtigen Spekulationsgeschäften zuzuwenden. Dies geschah nicht zuletzt vor dem Hintergrund, Deutschland als Finanzstandort auf Teufel komm raus attraktiv machen zu wollen.

Die von der US-Regierung vorgegebenen günstigen Kredite für Immobilien waren der unglückliche Versuch, die sozial spaltende Wirkung einer deregulierten Wirtschaft abzufedern. Doch die Immobilienblase war nicht die Wurzel, sondern allein ein Symptom der Krise. Der von den Monetaristen bereits seit den 1970er Jahren in die Wege geleitete Finanzmarktkapitalismus, – der von Schäffler so hofierte Milton Friedman stand für die Liberalisierung der Finanzmärkte und des Kapitalverkehres sowie die Aufgabe des Systems fester Wechselkurse (Bretton Woods) -, hat zu einer so noch nie da gewesenen Einkommensschere geführt. Alleine die Vermögenskonzentration bei einer neu enstehenden Geldaristokratie führte zu einer Anhäufung von Kapital, das nicht mehr in die Realwirtschaft investiert wurde, sondern als reine Spekulationsmasse diente.

Vor dem Hintergrund des schärfer werdenden Standortwettbewerbes im Finanzkapitalismus hob die Regierung Clinton 1999 jenen geschichtsträchtigen Glass-Steagall-Act auf, der mehr als ein halbes Jahrhundert die Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken vorschrieb. Nicht die Subventionierung von Wohnungskrediten also, sondern die Politik der Deregulierung privilegierte und privilegiert eine einflussreiche Minderheit auf Kosten der Allgemeinheit.

Die Krisenpolitik der europäischen Zentralbank folgte viel zu lange den Grundsätzen monetärer Preisstablitätspolitik, die anscheinend auch Schäffler selbst favorisiert. Durch das fataler Weise im Vertrag von Maastricht verankerte Verbot, den Staaten direkt über die EZB Kredite zu gewährleisten, – was für Schäffler nichts anderes als  finanzielle Planwirtschaft wäre -, sind die Staaten von Krediten auf den Sekundärmarkt, also von privaten Gläubigern abhängig. Damit aber sind sie Objekte der Spekulation, was zu steigenden Zinsen für Kredite führt, die Staaten wie Griechenland, Spanien oder Portugal kaum noch bedienen können, ohne wiederum neue Kredite aufzunehmen oder unter die “Rettungsschirme” zu schlüpfen.

Eine direkte Finanzierung durch die EZB würde dieser Spekulation gegen die Staaten und damit dem ganzen Teufelskreislauf ein Ende bereiten. Die sogennante “Staatschuldenkrise”, die tatsächlich eine Bankenkrise ist, wäre weitgehend entschärft. Selbst eine Inflation, die bei diesen Schritt entgegen aller Kassandra-Rufe keineswegs eine zwangsläufige Konsequenz wäre, wäre in Hinblick auf die Staatschulden sogar wünschenswert. Die Entscheidung der EZB, während der Krise im Euroraum Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt aufzukaufen, war zwar ein Schritt in die richtige Richtung, geht aber noch nicht weit genung.

Unsichtbare Hand?

Umgekehrt also wird ein Schuh daraus: Gerade das zuviel an ungehemmten, deregulierten Markt führt zu fehlender Haftung und – wie man heute anhand der sich in der Geiselhaft der Finanzmärkte befindlichen Staaten erkennt – zur Begrabung der politischen Freiheit. Oder hat die voranschreitende Entmachtung der nationalen Parlamente Europas noch etwas mit den geistigen Wurzeln des Liberalismus zu tun?

Es geht hier also mitnichten um – Zitat Schäffler: “Staatssozialismus”, sondern schlicht um den Weg zu einer regulierten Marktwirtschaft, in der Haftung und soziale Verantwortung wieder eine Rolle spielen. Die Liberalen würden einen Schritt zurück nach vorne tun, wenn sie begreifen würden, dass ein regulierter Markt dem politischen Liberalismus nicht widerspricht, sondern ihn sogar bedingt – oder wie Walter Eucken erkannte, die marktliberale Ideologisierung des Laissez-faire paradoxer Weise zu einer Schwächung des Marktes selbst führt.

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6 Kommentare zu "Händchen halten mit Herrn Schäffler?"

  1. ernte23 sagt:

    Der Ordoliberalismus, da haben die anderen Neoliberalen in meinen Augen schon recht, müsste eine enorme staatliche Wirtschaftsüberwachung anstreben, um dem theoretischen Leitbild der vollkommenen Konkurrenz zu entsprechen. Der Staat müsste folglich den Wettbewerb veranstalten, weil es immer die Tendenz geben wird, sich Vorteile zu verschaffen.

    Auch die Ordoliberalen streben eine Gesellschaft von Unternehmern an, was derzeit in vielen Unternehmen umgesetzt wird, in denen die abhängig Beschäftigten ihre eigenen Unternehmer zu sein haben.

  2. Hans Kolpak sagt:

    Keine Wirtschaftstheorie und keine Parteiideologie kann das abbilden, was Menschen wollen: wirtschaften. Ganz nebenbei: Politische Parteien sind ein Auslaufmodell.

    Wir brauchen ein wertgedecktes Geld. Wir brauchen eine einfache Steuer auf die Umsätze und steuerfreie Einkommen sowie steuerfreie Vermögen. Wir brauchen ein Zinssystem ohne Zinseszins.

    Das sind wenig Worte für viel Bedeutung.

    Hans Kolpak
    Deutsche ZivilGesellschaft

  3. EuroTanic sagt:

    Für mich ist Liberalismus einfach die Freiheit der Menschen zu tun und zu lassen was sie wollen. Wenn es niemanden anderen schadet. Ergo kann ein Realkommunismus auch im Liberalismus gelebt werden, sofern die Bürger es so wollen. Und sofern sie niemanden der dagegen ist dazu zwingen daran teilzunehmen. Schachtschneider hat Recht, wenn er feststellt, dass Demokratie mit der Herrschaft vieler über wenige falsch verstanden wird. Freiheit ist das Gegenteil von Herrschaft.

  4. Kommentatore sagt:

    Herr Schäffler ist keineswegs Anhänger von Milton Friedmans Monetarismus, sondern spricht sich klar gegen das sozialistische Zentralbankmonopol aus. In dieser Hinsicht liegt der ansonsten erstaunlich ausgewogene Artikel falsch, auch wenn Schäffler abgesehen davon Milton Friedman sicher sehr schätzt.

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