In Brüssel ist das Reformfieber ausgebrochen. Neben den Plänen für eine “echte” Wirtschaftsunion werden nun auch Vorschläge für eine “effiziente” EU und eine “schlagkräftige” Außenpolitik diskutiert. Vorgestern meldeten sich Kommissionschef Barroso, Außenminister Westerwelle und der britische Ex-Premier Blair zu Wort. Kleinster gemeinsamer Nenner: so wie bisher kann es nicht weitergehen.
Von Eric Bonse
Die EU steht, nur drei Jahre nach dem angeblich “endgültigen” Lissabon-Vertrag, vor einem Scherbenhaufen. Diesen Schluss legen die zahlreichen Reformpläne nahe, die mittlerweile bald täglich in Brüssel eingehen. Sollten sie tatsächlich umgesetzt werden, würde kein Stein auf dem anderen bleiben. Allerdings passen auch die Puzzlestücke, die jetzt präsentiert werden, kaum zueinander.
Barroso ruft: Eurobonds! Westerwelle antwortet: nicht mit mir! Van Rompuy ruft: eine echte Wirtschaftsunion mit Bankenunion jetzt! Merkel ruft: Eile hat Weile! Blair ruft: Europa braucht eine neue “Erzählung”, nach Peace kommt Power! Cameron ruft: wir wollen keine Großmacht EU! Westerwelle ruft: wir brauchen eine gemeinsame Außenpolitik! Merkel ruft: aber keine Anerkennung Palästinas!
“Bis 2017 wird die EU zur Großbaustelle”
Wie aus diesem Durcheinander ein schlüssiges Ganzes werden soll, ist rätselhaft. Nur der Zeitplan scheint sich langsam zu klären. Bis zur Europawahl 2014, so Barroso, will man sich weiter durchwurschteln, ohne neuen EU-Vertrag. Spätestens in fünf Jahren soll es allerdings so weit sein, denn dann soll der Fiskalpakt in das EU-Recht integriert werden, heißt es in seinem Entwurf. 2017 blüht uns also der Nachfolger des Lissabon-Vertrags, danach soll sogar noch eine Vertragsänderung folgen, weil’s so schön war… Die EU wird zur Dauerbaustelle, genau wie Brüssel.
Fest steht wohl auch schon, dass das neoliberale Fundament des neuen Bauwerks nicht mehr angetastet wird. Im Gegenteil: Folgt man Barroso und Van Rompuy, soll es durch so genannte “Reformverträge” zementiert werden. Von Brüssel oktroyierte Strukturreformen drohen künftig nicht nur in Krisenländern, sondern in der ganzen Eurozone, vielleicht sogar Deutschland. Und sie können auch nicht mehr rückgängig gemacht werden, da es ja (wie beim Fiskalpakt) um Verträge geht …
“Reformen müssen von unten kommen”
Damit wird der Reformgedanke in sein Gegenteil verkehrt. Echte Reformen müssen seit Martin Luther von unten kommen, genau wie eine neue “Erzählung” über Sinn und Zweck der europäischen Einigung. Sie können nicht von oben verordnet werden – schon gar nicht per Vertrag, der zwischen den Eliten ausgehandelt wird. Das zumindest sollte man doch aus den letzten Debakeln gelernt haben…
Der Artikel erschien ursprünglich auf Lost in Europe
Tja,
die Verträge
der Rechstsstaat
freie Wahlen
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“Ob es nun um das Verhältnis eines Einzelnen zu einem anderen oder zu einem Volk geht, so wird es immer gleich sinnlos sein, wenn jemand sagt: Ich schließe mit dir, allein zu deinen Lasten und allein zu meinem Nutzen, einen Vertrag, den ich einhalten werde, solange es mir paßt, und an den du dich halten wirst, solange es mir gefällt.”
Rousseau, J.-J.: Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundlagen des politischen Rechts