Jenseits der Spekulation

David Shankbone, "The Corporatist State 2011". Some rights reserved. Quelle: www.pigs.deNach den Aufsätzen von Johannes Müller (Wohlstand für alle) und Stefan Voß (Die Logik der Spekulation) kommt nun mit Günter Buchholz der dritte keynesianische Ökonom zur Finanz- und Wirtschaftskrise zu Wort. Buchholz räumt – eng angelehnt an die Analysen der Memorandum-Gruppe – mit der neoliberalen Mär auf, dass zu wenig freier Markt für die Krise verantwortlich sei.

Von der staatlichen Regulierung zur Wirtschaftsdemokratie

Von Günter Buchholz

Ich referiere hier die Darstellung der aktuellen Krisenproblematik eng angelehnt an die Sicht der linkskeynesianisch argumentierenden, von der veröffentlichten Meinung zu Unrecht weitgehend ignorierten Memorandum–Gruppe; vgl. Memorandum 2009, erschienen im PapyRossa Verlag, Köln 2009, S. 93 ff.

Den Mittelpunkt der aktuellen Finanzkrise stellen die zweitklassigen („Subprime“-) Immobilienkredite in den USA dar. Deshalb ist von der „Subprime – Crisis“ die Rede. Die Finanzmarktakteure, die sich auf die Spekulation mit dem US-Immobilienkrediten spezialisiert haben, konnten hohe Risiken eingehen, weil sie nicht im gesetzlich regulierten traditionellen Banksystem, sondern in einem unregulierten Schattenbanksystem operierten. Dieses bestand aus so genannten Zweckgesellschaften, die von Hedgefonds und etablierten Banken betrieben wurden.

Den Akteuren im unregulierten Schattenbanksystem waren keine Grenzen bei der durch Schulden finanzierten Spekulation gesetzt. Das gesetzlich vorgeschriebene Mindesteigenkapital wurde nicht hinterlegt. Die Zweckgesellschaften konnten daher nicht nur in außergewöhnlich hohem Maße Kredithebel einsetzen, d.h. ihre Geschäfte mit einem extrem hohen Anteil an Fremdkapital finanzieren, sondern sie führten auch eine umfangreiche Fristentransformation durch, nahmen also kurzfristige Schulden auf, indem sie z. B. Anleihen mit einer Drei- oder Sechsmonatsfrist begaben („Commercial Papers“), deren Einnahmen dann zum Kauf von langfristigen Kreditpaketen genutzt wurden.

„Im Sommer 2007 führten zunehmende Kreditausfälle und wachsende Verunsicherung dazu, dass sowohl der Markt für Kreditpakete als auch der Markt für kurzfristige Anleihen zusammenbrach. Die Zweckgesellschaften verloren schlagartig die Möglichkeit, sich zu refinanzieren. Auf diese Möglichkeit waren sie aber dringend angewiesen, da ein großer Teil der Schulden in sehr kurzer Frist zurückzuzahlen war. Im Juni 2007 traf es zwei Hedgefonds der US-Investmentbank Bear Steans.“

Jedoch zeigte sich schnell dass die Finanzkrise nicht auf die USA beschränkt blieb. Ende Juli 2007 stand die private Deutsche Industriebank (IKB) kurz vor der Pleite und konnte schließlich nur durch Kapitalspritzen und Risikoübernahmen im Umfang von 9,2 Milliarden Euro durch den Staat und durch die öffentliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gerettet werden. Die Vorgänge um die IKB hätten dringend der Aufklärung durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss bedurft, aber dieser kam nicht zustande. Die Übertragung der Risiken des US-Immobilienmarktes zur IKB und anderen europäischen Banken wurde über zwei Bindeglieder vermittelt:

Erstens sind die Banken in den USA und in Europa in den letzten Jahren zunehmend dazu übergegangen, die durch sie gewährten Kredite in Wertpapiere umzuwandeln und zu verkaufen („Verbriefung“). Das Risiko für den Ausfall von amerikanischen Immobilienkrediten wurde so weltweit gestreut und durch die Verbriefung von Verbriefungen bewusst vernebelt und fast unsichtbar gemacht.

„Zweitens gründeten viele Banken Zweckgesellschaften mit Sitz in Steueroasen, um mit Paketen von solchen verbrieften Krediten zu spekulieren. Die Zweckgesellschaften hatten in der Regel kaum Eigenkapital. Sie benötigten daher für den Notfall umfangreiche Kreditzusagen von den Banken, die diese unterhalten haben. Diese Kreditzusagen tauchten in den Bilanzen der Banken als Quasi-Verbindlichkeit nicht auf.“

Die Spekulation konnte glücken, solange das Preisniveau auf dem US-Immobilienmarkt anstieg, solange also die Hausse die Hausse nährte (positive Rückkopplung). Diese Hausse – Wertsteigerungen waren scheinbar real, tatsächlich jedoch irreal und illusionär. Als das Immobilien-Preisniveau nicht weiter anstieg, sondern zu sinken begann, setzte die Krise ein, und nun nährte die Baisse die Baisse (negative Rückkopplung); die Illusionen platzten.

„Im Sommer 2007 mussten die Zweckgesellschaften deshalb ihre Kreditlinien bei den Banken in Anspruch nehmen. Auf diesem Feld war auch die Deutsche Bank aktiv. Sie verkaufte rechtzeitig ein Kreditbündel an die IKB, kündigte dann ihre Kreditzusage an das Institut und machte anschließend die deutsche Bankenaufsicht auf die Schieflage der IKB aufmerksam.“

Blickt man auf die weltweite Entwicklung, dann wird klar, dass private Banken massiv an der hochbrisanten Spekulation beteiligt waren. Dies gilt leider auch für Kreditinstitute in Deutschland. Die wichtigsten Krisenfälle sind neben der IKB-Bank die Commerzbank /Dresdner Bank und der Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate, insbesondere deren irische Tochtergesellschaft Depfa plc, die ihre langfristige Staats- und Projektfinanzierungen durch kurzfristige Geldmarktanleihen refinanziert hatte und die nun vor der Illiquidität stand.

In Deutschland agierten auch die öffentlichen Landesbanken auf den internationalen Kapitalmärkten. Ihre Zweckgesellschaften bescherten ihnen Milliardenverluste. Davon betroffen sind bislang vor allem die Sachsen LB, West LB und Bayern LB, aber auch die LBBW mit Hauptsitz in Stuttgart, sowie offenbar auch die HSH – Nordbank.

Auffällig war, wie einseitig und intensiv im Vergleich mit der Krise der privaten Banken die Krise der Landesbanken von der veröffentlichten Meinung betont und in den Vordergrund gestellt wurde, vermutlich um damit Krise der privaten Banken in den Hintergrund der öffentlichen Wahrnehmung treten zu lassen. Was war nun die Ursache der Krise der Landesbanken?

„So absurd es klingt: Das Engagement der Landesbanken wurde nicht zuletzt durch die Einigung der Bundes- und Landesregierungen mit der EU-Kommission vom Juli 2001 bezüglich der Begrenzung der Staatshaftung begünstigt. Damals wurde vereinbart, dass die Staatshaftung für die Landesbanken im Juli 2005 ausläuft (Anstaltshaftung und Gewährträgerhaftung). Allerdings durften die Institute bis zu diesem Zeitpunkt noch langfristige Anleihen mit Staatsgarantie über die gesamte Laufzeit begeben. Damit hatten sie´für eine Übergangszeit die Möglichkeit, in großem Umfang zu günstigen Konditionen zusätzliche Mittel aufzunehmen. Diese Finanzmittel wurden in großem Umfang für den Kauf von Wertpapieren auf der Grundlage von US-Immobilienkrediten genutzt. Hinzu kommt, dass die Landesbanken immer schon als besonders renditeschwach galten. Hier sollten also die Zweckgesellschaften für Besserung sorgen – das war fatal.“

Der Bankensektor hat derzeit vor allem zwei Probleme: Die Wertverluste zehren das Eigenkapital auf; gleichzeitig lähmt das tiefe Misstrauen den Handel mit Finanztiteln. Aktuell wird geschätzt, dass die deutschen Banken bis zu einer Billion Euro an faulen Aktiva in ihren Bilanzen haben. Ihr Kapital beträgt allerdings nur 366 Milliarden Euro, das der Großbanken 79 Milliarden. Daraus ergibt sich, dass vielen Banken – trotz gelockerter Bilanzierungsregeln (GB) – die Insolvenz droht.

Dieses für die gesamte Bevölkerung katastrophale Ergebnis ist von der Politik ermöglicht worden, weil diese in der Ära der neoliberalen Hegemonie die ihr zukommende Gestaltungsrolle zugunsten einer marktradikalen Deregulierungspolitik aufgeben hat, oder richtiger, weil sie durch massiven und nachhaltigen Einsatz machtpolitischer, ideologischer, propagandistischer und insbesondere auch finanzieller Mittel des an der Deregulierung interessierten Finanzsektors dazu veranlasst worden ist: an FDP, CDU, CSU, SPD und Grüne sind – unterschiedlich – hohe Parteispenden aus dieser Quelle geflossen.

Die Kohl–Regierung brachte in den 1990er Jahren drei „Finanzmarktförderungsgesetze“ auf den Weg, mit denen unter anderem die Anlagemöglichkeiten an der Börse ausgeweitet wurden und die Börsenumsatzsteuer abgeschafft worden ist.

„2002 folgte unter Rot-Grün das 4. Finanzmarktförderungsgesetz (Bt-Drs. 14/8017) in Kombination mit der Steuerreform des Jahres 2000, durch die die Steuerfreiheit von Gewinnen aus dem Verkauf von Anteilen an inländischen Kapitalgesellschaften eingeführt wurde. Das Kleinunternehmerförderungsgesetz (Bt-Drs. 15/537) brachte 2003 eine steuerliche Besserstellung von forderungsbesicherten Wertpapieren (Assed Backed Securities, ABS). Damit wurde der Handel mit verbrieften Krediten gefördert – also mit hoch spekulativen Finanzinstrumenten, die die aktuelle Krise ausgelöst haben und heute als „toxische Papiere“ die Bankbilanzen weltweit belasten. (…) 2004 und 2005 folgten weitere gesetzliche Verbesserungen für die Nutzung des Verbriefungsmarktes. Auch unter der großen Koalition wurden die Produkte weiter gefördert. Der damalige und heutige Staatsekretär im Bundesfinanzministerium, Jörg Asmussen, betonte noch 2006, dass seitens des BMF „den Instituten keine unnötigen Prüf- und Dokumentationspflichten entstehen werden, wenn sie in „gängige“ BS-Produkte mit gutem Ranking investieren.“

Die vom Finanzsektor gewünschte und langfristig mit allen Mitteln voran getriebene staatliche Deregulierung der Finanzmärkte war eine wesentliche Mitursache der Finanzkrise. Ohne die problematischen neuen Finanzprodukte, insbesondere die Verbriefungen, wäre die Weiterverteilung und Vernebelung der Risiken nicht möglich gewesen. Und ohne diese Möglichkeit wären bei geringer Bonität riskante Hypothekenzusagen ausgeblieben, weil die Hypothekenbanken dafür selbst hätten haften müssen. Die Immobilienblase hätte sich also gar nicht entwickeln können. Diese problematischen weil spekulationsanfälligen Finanzprodukte müssen daher untersagt werden und vom Markt verschwinden.

Unter dem Druck der Krise muss der bürgerliche Staat nun den Finanzsektor stabilisieren und regulieren. Die Ernsthaftigkeit seiner Bemühungen bemisst sich daran, ob er seine falschen und extrem schädlichen Deregulierungen tatsächlich rückgängig macht und die oben genannten entsprechenden Gesetze wieder aufhebt. Da es sich um nationales Recht handelt, könnte nun im Parlament ihre Aufhebung beantragt werden. Bisher ist dies nicht geschehen. In der veröffentlichten Meinung ist darüber nicht einmal diskutiert worden.

Der Staat ist nicht die neutrale Instanz, als die er vielen erscheint. Auch die Existenz einer repräsentativen parlamentarischen Demokratie hebt diese Nicht-Neutralität nicht auf. Denn die Privatwirtschaft (bzw. das Kapitalverhältnis) bedingt den bürgerlichen Staat ökonomisch (BIP-Wachstum, Steuern), und dieser garantiert wiederum die Existenz der Privatwirtschaft (bzw. das Kapitalverhältnis) rechtlich und politisch („Ordnungspolitik“). Diese enge Wechselbeziehung kann die legitime demokratische Willensbildung teils behindern, teils blockieren und teils sogar verkehren. Darin liegt ein zentrales Problem, aber auch eine Chance für unsere Demokratie.

Hinreichend wird die staatliche Stabilisierung und Regulierung des Finanzsektors erst durch eine Politik der Demokratisierung der Gesellschaft, die als ein Gegengewicht die strukturelle Abhängigkeit des Staates vom Kapitalverhältnis zumindest soweit relativiert, dass der Demokratie die Steuerung von Wirtschaft und Gesellschaft ermöglicht wird.

Regulierung des Finanzsektors durch den Staat: notwendig – aber nicht hinreichend

Das internationale Finanzsystem hat sich zu einem globalen Spielcasino entwickelt. Ins besondere die Investmentbanken sind hier als Spieler aktiv. Dieses Spielcasino muss geschlossen werden, weil sich diese Form des Glücksspiels für uns alle als außerordentlich schädlich erwiesen hat, aber es ist inzwischen leider wieder in Betrieb genommen worden. John Maynard Keynes und im Anschluss an ihn Hyman P. Minsky haben frühzeitig und weit vorausschauend vor diesen Risiken gewarnt, aber unter der Hegemonie der neoliberalen Ideologie und der Interessen der Spekulanten sind diese Warnungen von der Wirtschaftspolitik nicht beachtet worden.

Jetzt muss politisch gehandelt werden. Die Banken müssen sich „wieder auf ihr Kerngeschäft konzentrieren“, und dieses „besteht aus der Verwaltung der Einlagen sowie der Vergabe von Krediten. Der Wertpapierhandel (…) sollte nicht zu den Aktivitäten einer Bank gehören. Banken sollten nicht Eigentümer von Kapitalanlagegesellschaften sein. Insgesamt ist das hochriskante Investment Banking massiv einzuschränken.“

Eine Bankreform sollte die Bedeutung des Interbankenmarktes durch zins- und kreditpolitische Maßnahmen der Zentralbank relativieren, und das Regelwerk von Basel II muss korrigiert werden, weil es sich prozyklisch und somit krisenverschärfend auswirkt.

Eine Reform der Finanzmärkte ist erforderlich. Es sollte – mit Ausnahme der Erstausgabe von Aktien oder Anleihen – eine spürbare Steuer auf Finanztransaktionen eingeführt werden.

„Durch die Finanzmarktliberalisierung der vergangenen 20 Jahre und die Schaffung regulierungsfreier Räume haben die Finanzaufsichtsbehörden immer größere Probleme, den Finanzsektor wirksam zu beaufsichtigen.“ (…) Daher braucht es nicht nur eine Reform der Finanzregulierung, sondern auch Reformen der Aufsichtsstruktur selbst. Die Finanzaufsicht stellt sich auch als europäische Aufgabe. (…) Die Schaffung einer – zumindest für die Eurozone – einheitlichen Finanzaufsichtsbehörde ist überfällig.“

Von der staatlichen Regulierung des Finanzsystems zur Wirtschaftsdemokratie

Die ökonomische Krise des Systems zwingt die Funktionseliten in Wirtschaft und Politik zum Handeln, und zwar durchaus gegen ihren Willen. Würden Sie ihre faktische Verantwortung im Hinblick auf die Deregulierung und auf die Förderung der Krisentendenzen wahrnehmen, oder würden sie vom Souverän dazu genötigt werden, dann müssten erhebliche Teile von ihnen die gesellschaftliche Bühne für immer verlassen. Davon jedoch kann gar keine Rede sein. Vielmehr wird mehr oder weniger erfolgreich versucht, die Verantwortung zu vernebeln, zu verleugnen und auf andere abzuwälzen; insbesondere die exorbitanten Kosten. Und die entscheidenden Informationen werden strikt geheim gehalten, sogar vor den Abgeordneten des deutschen Bundestages.

Die Krise hat die Dominanz des Finanzsektors zwar erschüttert, aber weil dieser Wirtschaftssektor mit der ihn begünstigenden Politik im selben Boot sitzt, darf die Politik weiter rudern, während die Finanzbankrotteure am Steuer sitzen: Die heute vorhandene Sozialstruktur, die entsprechend ungleiche Vermögens-, Eigentums- und Chancenverteilung sowie die zugehörigen gesellschaftlichen Machtstrukturen sollen mit der aktuellen staatlichen Krisenpolitik möglichst konserviert werden. Eben deshalb dürfte wie bisher keinerlei Bereitschaft bestehen, sich auf die vernünftigen Vorschläge der Memorandum-Gruppe einzulassen.

Es zeigt sich hier, dass die halbierte Demokratie auf eine Grenze gestoßen ist, die nur dann überwindbar ist, wenn der Souverän die Demokratie politisch revitalisiert und sie dabei entschlossen ausweitet, indem der Bereich der Wirtschaft einbezogen wird. Danach sieht es bisher zwar nicht aus, aber der Fortgang der Krise mag Veränderungen in Gang setzen. Es geht jedenfalls nicht um die Konservierung der gegenwärtigen gesellschaftlichen Strukturen, sondern um ihre Transformation, insbesondere um eine zukünftige Gesellschaft, die ihre Wirtschaft der alleinigen Steuerung durch die von Max Weber so bezeichneten formalen Rationalität (Rentabilität) entzieht und eine material-rationale Steuerung durchsetzt.

Ich möchte mit einer Überlegung des bekannten Weltsystemtheoretikers Immanuel Wallerstein (2002) enden, um damit in historischer Perspektive kurz anzudeuten, was jetzt zu tun ist:

Gesellschaftliche Systeme „werden geboren; sie leben ein langes Leben, folgen dabei einigen Regeln; und an einem Punkt geraten sie in eine Krise, stehen an einem Scheideweg und verändern sich zu etwas anderem. Die letzte Phase, die Übergangsphase, ist besonders unvorhersehbar, aber sie ist besonders offen für den Input von einzelnen und von Gruppen, was ich als Zuwachs des Faktors des freien Willens bezeichnet habe. Wenn wir unsere Gelegenheit nutzen wollen, was mit als moralische und politische Verpflichtung erscheint, müssen wir zuerst die Gelegenheit als das erkennen, was sie ist und worin sie besteht. Dies verlangt, dass wir den Rahmen des Wissens rekonstruieren, so dass wir die Natur unserer Krise und deshalb unsere historischen Alternativen im 21. Jahrhundert verstehen können (…).

Ich habe argumentiert, dass es strukturelle Begrenzungen für den Prozess der endlosen Kapitalakkumulation gibt, die unsere Welt heute beherrscht, und dass diese Beschränkungen gegenwärtig als Bremse beim Funktionieren des Systems in Erscheinung treten. Ich habe argumentiert, dass das, was ich als Asymptoten der operativen Mechanismen genannt habe, eine strukturell chaotische Situation schafft, die unangenehm zu erleben sein wird und deren Verlaufsbahn sich grundsätzlich nicht vorherbestimmen lässt.

Schließlich habe ich die These aufgestellt, dass in einem Zeitraum von 50 Jahren eine neue Ordnung aus diesem Chaos entstehen wird und dass diese neue Ordnung als Funktion dessen geformt werden wird, was jeder in Zwischenzeit tut – diejenigen mit Macht im gegenwärtigen System und diejenigen ohne Macht. Diese Analyse ist weder optimistisch noch pessimistisch, insofern ich nicht vorhersagen kann, ob das Ergebnis besser oder schlechter sein wird. Sie sind jedoch realistisch, da sie versucht, eine Diskussion über die Arten von Strukturen anzuregen, die uns in eine solche Richtung bewegen könnten.“

Günter Buchholz ist Prof. für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Consulting an der FH Hannover. Zudem sind seine Arbeitsschwerpunkte Politische Ökonomie, Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsethik sowie Hochschul- und Gleichstellungspolitik. Zu diesen Themen erschienen bereits mehrere Artikel von Buchholz auf le Bohémien.

Artikelbild: David Shankbone, “The Corporatist State 2011”. Some rights reserved. Quelle: www.pigs.de

 

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5 Kommentare zu "Jenseits der Spekulation"

  1. Systemfrager sagt:

    Schon wieder ein Bastardkeynesianismus in Reinkultur
    Noch einmal, für all diesen Bastardkeynesianer:
    – Ja, es stimmt, für Keynes war das Finanzsektor ein chaotisches System. Dass aber dort ökonomische Zyklen entstehen, das lag außerhalb seiner Vorstellung. So naiv war er nicht, es gibt aber nicht wenige in Deutschlad, die seine Theorie so unsinnig interpretieren. Das ist eher Hayek als Keynes
    – Keynes war ein Nachfragetheoretiker

    PS
    Kurz vereinfacht: Menschen sparen zu viel. Das verursacht ein Nachfrageproblem. Das ist der Auslöser aller Probleme. Dann fallen die Zinsen, aber anstatt dass die Wirtschaft mehr real investiert, wird das Geld von den Banken und Börsen verbraten. Wie man weiß, diese Erklärung ist nicht in sich ganz schlüssig, aber das ist jetzt nicht das Thema

    • Sebastian Müller sagt:

      Wie kommen Sie darauf, dass Buchholz ein Bastardkeynesianer sei?

      • Systemfrager sagt:

        Ich benutze diese Bezeichnung von Robinson in einem ein bisschen breiteren Sinne. Jede Interpretation, die das Nachfrageproblem “unter den Teppich kehrt”, bezeichne ich so. Diese Interpretationen sind dann meistens monetär – geldtheoretisch -, wo man sich dann sehr nahe den neoliberalen Mises und Hayek nähert. (Welche seltsamerweise auf einer Zins-Metaphysik des Sozialdemokraten Wicksell füßen.) Keynes in “Vom Gelde” hat auch auf Wicksell gesetzt, dann hat er sich in der “General Theory” von ihm explizit (!) distanziert.

        Jeder darf sich nennen wie er will. Sicher! Ganz bestimmt! Auf jeden Fall! Jeder kann sagen: Ich bin Keynesianer. Es ist aber so. Ich als überzeugter Keynesianer habe da “psychische Probleme”, wenn jemand Keynes total einseitig interpretiert, weil man damit zugleich seine Leistung zunichte macht. Wozu braucht man dann Feinde, wenn man solche Freunde hat

  2. Sebastian Müller sagt:

    In Ordnung.

    Aber weder in dem Artikel von Voß oder Buchholz geht es darum das Nachfrageproblem unter den Teppich zu kehren. Das Nachfrageproblem ist lediglich nicht Gegenstand des Themas. Es geht primär um die Ursachen und die Bekämpfung der Finanzkrise, nicht um wirtschaftspolitische Fragen im weiteren Sinne. Das würde in der Tat interessant werden, wenn es darum geht, die derzeitige Troika-Politik in Südeuropa und bald auch Frankreich (?) zu bewerten.

    Im übrigen würde ich mich auch als Keynesianer in Ihrem Sinne sehen…

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