Europa verschwindet

Europa (Satellitenbild)Die Wahl in den USA wird von wirtschafts- und sozialpolitischen Themen beherrscht. Außenpolitik spielt diesmal keine große Rolle, Europa kommt so gut wie gar nicht vor. Das dürfte sich auch nach der Entscheidung zwischen Obama und Romney nicht ändern. Abgesehen von der Eurokrise ist die EU aus US-Sicht kaum noch der Rede wert. Daran trägt die EU mit Schuld – sie hat es nicht verstanden, sich von den USA zu emanzipieren und eine eigene Agenda zu setzen.

Von Eric Bonse

“Diese Woche kriegen wir leider nichts unter, alles steht im Zeichen der US-Wahl. Und nächste Woche sind wir auch schon dicht, dann kommt China dran”. Diese Auskunft einer taz-Redakteurin ist typisch für die aktuelle Nachrichtenlage. Europa verschwindet gerade vom “Radarschirm” der Politiker und der Medien – alle stehen im Bann der großen Weichenstellungen in Washington und Peking.

Zwar stehen auch in Brüssel wichtige Entscheidungen an. Ein falscher Schritt in der Griechenland-Krise, und schon könnte nicht nur die Eurozone, sondern auch die US-Wirtschaft in gefährliche Turbulenzen geraten. Doch damit ist schon alles gesagt: Die EU zählt eigentlich nur noch als potentieller Störfaktor. Eine aktive, gestaltende Rolle in der Weltpolitik hat der alte Kontinent schon lange nicht mehr inne.

Dies liegt nicht nur an der verfehlten Wirtschaftspolitik (siehe z.B. “Das Ende aktiver Wirtschaftspolitik”). Es liegt auch an der Außenpolitik, die nach einem viel versprechenden Neustart nach dem Irakkrieg in eine selbst verschuldete Unmündigkeit zurückgefallen ist. Alle drei großen Themen, mit denen die EU-Diplomaten punkten wollten, haben sich als Flops erwiesen.

Ob im Iran, im Nahen Osten oder im Kosovo – die EU hat unter der unprofessionellen “Führung” ihrer Außenbeauftragten Ashton überall an Boden verloren.

Am deutlichsten ist dies im Iran. Mit der jüngsten Runde von Wirtschaftssanktionen hat die EU auch ihren letzten Trumpf – die Handelspolitik – aus der Hand gegeben. Die Sanktionen treffen nicht mehr wie geplant das Mullah-Regime, sondern das iranische Volk (siehe “Wirtschaftskrieg gegen Iran”). Gleichzeitig hat die EU jede eigenständige Politik gegenüber Israel aufgegeben. Nicht zuletzt mit Rücksicht auf Deutschland wird auf alles verzichtet, was Israel von einem Krieg gegen Iran abhalten könnte. Pressionen, gar Sanktionen? Don’t even think about it!

Damit zusammen hängt die europäische Kapitulation im Nahen Osten. Die Zwei-Staaten-Doktrin gegenüber Israel und Palästina steht nur noch auf dem Papier, wie “Le Monde” völlig zu Recht anmerkt. De facto hat die EU die Hoffnung auf einen unabhängigen Palästinenserstaat längst begraben, die Proteste gegen Mauerbau und Siedlungspolitik sind nur noch leere Rhetorik. In das Vakuum stößt nun die Türkei, die sich zum Anwalt der Palästinenser und sogar der Araber aufschwingen möchte.

Ein Trauerspiel ist auch die Politik auf dem Balkan. Der bisher größte außenpolitische Einsatz, die EU-Mission Eulex im Kosovo, ist gescheitert, wie sogar der europäische Rechnungshof moniert. In Serbien und Bosnien ist keine klare Linie erkennbar, selbst der EU-Beitrittskandidat Kroatien wird neuerdings wieder auf Distanz gehalten – übrigens ausgerechnet von Deutschland, das Kroatien einst voreilig anerkannte und so mit zum Ausbruch der Balkankriege beitrug.

“Die Amerikaner rufen am liebsten EZB-Chef Draghi an”

Europa verschwindet, und das selbst in seiner Nachbarschaft. Kein Wunder also, dass die EU den US-Kandidaten Obama und Romney kein Wort im Wahlkampf wert war. Kein Wunder auch, dass die US-Administration am liebsten bei EZB-Chef Draghi anruft, und nicht bei “Außenministerin” Ashton, wenn es etwas zu besprechen gibt. Schließlich zählt die EU derzeit nur als Krisenherd.

Europa bewegt die Märkte, aber nicht die Menschen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Lost In Europe

Print Friendly, PDF & Email
Filed in: Politik Tags: , , , ,

Ähnliche Artikel:

<span style='font-size:16px;letter-spacing:1px;text-transform:none;color:#555;'>Grenzüberschreitender Lebensentwurf</span><br/>Keine Grenzen, nirgends Grenzüberschreitender Lebensentwurf
Keine Grenzen, nirgends
<span style='font-size:16px;letter-spacing:1px;text-transform:none;color:#555;'>Demokratie</span><br/>Gedanken zu Europa Demokratie
Gedanken zu Europa
<span style='font-size:16px;letter-spacing:1px;text-transform:none;color:#555;'>EPAs</span><br/>Die Alternativen zum Freihandel EPAs
Die Alternativen zum Freihandel

3 Kommentare zu "Europa verschwindet"

  1. Komisch, daß zuerst der EU vorgehalten wird gegenüber Israel keine von den USA abgesetzte eigenständige Politik zu betreiben, dann aber Deutschland dafür verantwortlich gemacht wird. Deutschland ist aber ein wesentlicher Teil von Europa. Inkonsequent und unlogisch.

    Die Sanktionen gegen den Iran treffen natürlich auch das Regime, nur eben nicht ausschließlich. Das hat aber auch nie jemand behauptet. Besser Sanktionen als Krieg.

    Nur noch lustig ist es, wenn dann im gleichen Artikel Sanktionen gegen Israel gefordert werden. Warum denn das? Und die träfen dann nur den Premierminister, oder wie? Absurd.

    • Freigeist sagt:

      Besser Sanktionen als Krieg !?
      Wenn schon dann sollte man Israel sanktionieren bevor der Irre von Tel Aviv den Iran bombadiert und uns in absehbarer Zeit der 3. WK ins Haus steht.
      Agressive Kriegspolitik seitens der USA und Israel wie eh und je.
      Die Sanktionen gegen den Iran treffen im übrigen nicht nur die iranische Bevölkerung sondern vor allem die deutsche und europäische Exportwirtschaft.
      Und das dürfte wohl im Interesse der US- Amerikaner sein.
      Europa und Deutschland als die wirtschaftlich stärkste Macht werden generalstabsmäßig geplant immer mehr geschwächt.
      Und da unsere derzeitigen Politiker alle embedded sind dürfte sich in Sachen Emanzipation und Souveränität auch nichts zum positiven bewegen.
      Eher im Gegenteil. In Griechenland sehen wir ja schon wo die Reise in Europa hingeht. Zustände wie in einem 3.Welt Land.
      Aber wir drucken jetzt einfach Geld bis der Arzt kommt und alles wird gut.
      Was hat der Goldman Sachs Draghi wohl im deutschen Bundestag gesagt!?
      Wollt ihr den totalen Euro?

  2. Axel Gschaidet sagt:

    Finde ich schade, dass der Artikel im ersten Absatz auch ein Versagen der Medien andeutet, sich dann aber doch nur auf die politischen Akteure einschießt (so sehr sie es auch verdient haben).

Einen Kommentar hinterlassen

Kommentar abschicken

le-bohemien