Demokratie. Ein Abgesang?

Demokratischer Universalismus

Für Rancière, der so verhalten mit der Vokabel des Kommunismus liebäugelt, wie Badiou mit jener der Demokratie, ist letztere weiterhin am geeignetsten, um die Aktualisierung einer grundlegenden Gleichheit zu bezeichnen. So grundlegend, dass auch gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse immer schon auf ihr fußen, gegen die sie daher auch stets gewendet werden kann. „Ließe sich ein besseres Wort anstelle von Demokratie finden“, sagt Rancière, „hätte ich nichts dagegen, nur welches sollte das sein?“ Insofern die Demokratie eine grundlegende Gleichheit zur Geltung bringt, ist sie wesentlich universalistisch.

Wenn Wendy Brown in ihrem Beitrag meint, der Demokratie wohne „schon immer ein offener Antiuniversalismus inne“, weil sie sich nur über „eine konstitutive Außenseite (…) definiert“, so geht sie, bei aller nicht nur historischen Analysekraft dieses Standardhandgriffs postkolonialer Theorie, in letzter Instanz ganz einfach den Effekten einer topologischen Metapher auf den Leim.

Brown misst die Demokratie als „Regierungsform“ an ihrem unerreichten Anspruch und will sie erneut als „eine Politik des Widerstands“ verstanden wissen. Derart fügt sie sich gut ins Tableau linker Gegenwartsphilosophie. Das ist ebenso aufrührerisch wie bescheiden.

Querulanten, Störer, Demokraten

Das Thema eines Überschusses der konstituierenden Macht des Volkes (peuple) gegenüber der konstituierten Macht − oder des Demos als jeder Zählung äußerlich, das auch dem Demokratiebegriff Rancières unterliegt −, zieht sich durch den gesamten Band. Das Beharren auf diesem ständigen Exzess der Konstitution selbst hat einen dynamisierenden Effekt und wertet den demokratischen Konflikt unmittelbar auf. Es weiß ihn als ebenso unhintergehbar, wie unvereinbar mit der konsensuellen Verwaltung des Lebens oder der Demokratie verstanden als Staats- oder Regierungsform. Politik, als Sphäre der dissensuellen Bearbeitung gesellschaftlicher Konflikte, wird es immer geben. Das „Volk“ als homogenes Ganzes und handelnde Einheit gibt es höchstens in der kruden Vorstellungswelt des konservativen Staatsrechts und seiner zeitgenössischen Emanationen.

Mittelbar haftet dieser Argumentation jedoch auch die Gefahr einer Trivialisierung des politischen Konflikts an. Gerade indem sie ihn verallgemeinert, zeigt sie sich offen für Ungenauigkeiten, gar für Spielarten eines ironischen Konservatismus und der Apologie staatlicher Herrschaft angesichts permanenter demokratischer Destabilisierungen. Zwei Beispiele zur Illustration.

Ersten ist vor einigen Monaten Miguel Abensours Demokratie gegen den Staat auf deutsch erschienen.[5] Auch hier wird die Demokratie – der Titel zeigt es an – nicht als Staatsform, sondern dieser entgegenstehend gefasst. Ausgehend von der Figur der „wahren Demokratie“ spürt Abensour dem eigentlich politischen, dem „machiavellischen Moment“ im Werk des jungen Marx nach. Ab 1843 habe dieser den Staat nicht mehr als organisches Ganzes und organisierende Form gedacht. Ebenso den Demos nicht länger als ein Moment der Verfassung und dieser untergeordnet, sondern die Verfassung lediglich als ein Moment im Leben des „ganzen Demos“. Stets reduzierbar auf dessen Selbstkonstitution trete sie ihm nicht als eine fremde, als entfremdete Macht gegenüber. Doch vor dem Hintergrund einer an sich richtigen, dekonstruktivistischen These – des Demos als nicht-identisch mit sich selbst – weiß Abensour die Staatsform letztlich nicht als historisches Instrument der Klassenherrschaft aufzufassen, sondern nur neutral. Derart rutscht sie ihm, gleichsam rückwärts, mit Organisation und Konstitution überhaupt in Eins und wird ontologisch verewigt. Die Marxsche Rede vom Ende des Staates angesichts der „wahren Demokratie“ wird ihm so notwendig obskur – oder zur reinen Bewegung eines Endens ohne Ende. Und so scheint alles schon gesagt im Simmelschen Topos einer „Tragödie der Kultur“, letztere nur in Manifestationen existieren kann, die ihr sogleich fremd und starr gegenüberstehn. Weil Abensour die spezifische Form Staat in ihrer konstitutiven Verbindung mit Herrschaft nur denkt, indem er beide – Staat und Herrschaft – als ewig setzt, ist seine Konzeption der Demokratie selbst tragisch. Er nennt sie passend „rebellierend“. Dass die Simmelsche „Tragödie der Kultur“ auch eine Rekuperation des Marxschen Themas des Warenfetischismus war, in dem die gesellschaftlichen Verhältnisse den Menschen als Verhältnisse zwischen Dingen unverfügbar gegenübertreten, gerät hier völlig aus dem Blick.

Zweitens entdeckt Jean-Luc Nancy in seinem Beitrag zum eben erschienenen Band − aus ähnlichen Gründen wie Abensour − seinen „Sinn für die Notwendigkeit des Staates“. Weil es einen „Trieb zu herrschen“ gebe – eine supplementäre und sehr zweifelhafte Voraussetzung, die auch Abensour, mit Lefort und Machiavelli, zu machen sich genötigt sieht – könne die Demokratie nur den Charakter einer „fortlaufenden Störung“ des Staates haben, nicht aber hoffen, denselben zu ersetzen. Letzteres sei eigentlich „eine der großen Illusionen der Moderne“ und die Demokratie also nicht mehr als − Störung und Exzess − der Pickel am Arsch des Staates. Wolle sie mehr sein, so die Implikation, so nur als negativer, als totalitärer Eifer. Das ganze Problem ist die Verwechselung des Staates mit Formen der Konstitution überhaupt. Eine Verwechslung, und sei es ungewollt, deren apologetischer Charakter nicht verkannt werden sollte.

Der Unterschied zum klassischen Konservatismus ist so grundsätzlich wie subtil. Die negative Anthropologie bleibt erhalten. Nur wird die Herrschsucht nicht durch den Staat gebändigt – der so indirekt notwendig sei –, sondern bringt ihn unmittelbar hervor. Eine feste Größe ist er hier wie dort. Und da Nancy nicht zu bemerken scheint, dass durch die vielgeliebte „Begründungslosigkeit“ und umfassende Delegitimierung hindurch, die Vernunft als Forderung einer freien Gleichheit insistiert, ist sein Diskurs zum autoritären Konservatismus hin zumindest offen.

Regierung oder Selbstorganisation des Demos

Diese links-heideggerianische Perspektive, die in dem Büchlein auch durch den meandernden Beitrag Daniel Ben Saїds vertreten wird, wird ergänzt durch die neo-leninistische. Markiert wird sie durch Slavoj Žižeks im vertrauten Copy-and-Paste-Verfahren erstellten Text. Zusammen bilden beide ein artikuliertes, zur Einheit verschränktes Ganzes: So wie Nancy und Abensour auch den Staat und Ben Saїd die „Machtübernahme“ affirmieren, weiß Žižek, dass es auf den Druck ankommt, den die „Selbstorganisation des Volkes“ auf jede denkbare „Regierung“ ausübt. Das Paradigma der Regierung selbst bleibt unhinterfragt.

In einer nur vier Seiten umfassenden Notiz am Beginn des Bandes – die AutorInnen treten darin in alphabetischer Reihenfolge auf – kennzeichnet Giorgio Agamben indes gerade die Regierung als „das zentrale Rätsel der Politik“. Jede Diskussion über Demokratie, sagt er, die sich der ihr eigenen „Amphibologie“ von Verfassung und Regierung nicht stellt, drohe „zum Geschwätz zu verkommen“. Gemeint ist die Verschränkung einer legitimierenden und einer exekutiven Ebene zu einer „doppelköpfigen gouvernementalen Maschine“, deren Effektivität gerade in der verschleierten Vermittlungslosigkeit dieser beiden Ebenen bestehe. „Regieren“, schreibt Agamben in seinem Opus magnum Herrschaft und Herrlichkeit, auf das er verweist, „heißt die Entfaltung besonderer Nebenwirkungen einer allgemeinen ‚Ökonomie‘ zulassen“. Insofern sei „die ökonomisch-gouvernementale Ausrichtung der zeitgenössichen Demokratien“ keine bedauerliche Deformation, sondern diesen wesentlich. Im eher theoretischen Problem der Vermittlungslosigkeit von Rechtfertigung und Praxis erkennt er das leere Zentrum jeder Macht, die nur im Paradigma der Ökonomie − verstanden als Verwaltung − existiere. Zweifelhaft ist allerdings, ob sich über diese Leere entscheidendes sagen lässt, ohne auch die abwesende Ursache der Ökonomie zu erwägen, den unbewegten Beweger, das gesellschaftliche Verhältnis des Kapitals.

Widerstand und Selbstorganisation

Wo die Verfahren demokratischer Aushandlung im Zuge einer autoritären Krisenlösung derzeit verstärkt durch marktkonforme Expertokratien subvertiert werden, sucht sich doch ein demokratisches Streben auch neue Wege der Einflussnahme. Die Platzbesetzungen des letzten Jahres legen davon ein reges Zeugnis ab. Ein Automatismus ist dies jedoch nicht. Eher noch liegt die Ausweitung autoritärer Tendenzen in der Konsequenz der Situation. Diese Gefahr zu unterschätzen, wäre naiv. In den neuen faschistischen Bewegungen wetterleuchtet sie nur am grellsten.

An den Platzbesetzungen − genauer: an ihrem Verschwinden −  zeigt sich zudem die Schwierigkeit, dass „Widerstand“ allein wenig nachhaltig ist. Ein positives Projekt in eigenem Recht, eine alternative Organisierung, ersetzt er nicht. Ihrer aber bedarf umgekehrt auch effektiver Widerstand schon bald als Basis und Ausblick zugleich.

Dieser Artikel ist zuvor auf dasDossier und in einer gekürzten Fassung im Neuen Deutschland erschienen.

Artikelbild: Andreas Praefcke, “Reichstag, Plenarsaal des Bundestags”. Some rights reserved. Quelle: wikimedia commons


[1] Jacques Rancière, Demokratie und Postdemokratie, in: Alain Badiou, Jacques Rancière, Rado Riha, Jelica Šumič, Politik der Wahrheit, Wien 1997, S. 94-122.
[2] Thomas Wagner, Demokratie als Mogelpackung. Oder: Deutschlands sanfter Weg in den Bonapartismus, Köln 2011.
[3] Giorgio Agamben, Alain Badiou, Daniel Bensaїd, Wendy Brown, Jean-Luc Nancy, Jacques Rancière, Kristin Ross, Slavoj Žižek, Demokratie? Eine Debatte, Berlin 2012.
[4] Jacques Rancière, Der Hass der Demokratie, Berlin 2011. (103 Seiten)
[5] Miguel Abensour, Demokratie gegen den Staat. Marx und das machiavellische Moment, Berlin 2012.

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5 Kommentare zu "Demokratie. Ein Abgesang?"

  1. Gerd Weghorn sagt:

    Ehrlich: ich habe weder das erkenntnisleitende Interesse, noch die „Erkenntnis“ selbst verstanden, die der Autor mit Sätzen wie diesen zum Ausdruck bringen wollte: „Gegen den Beteiligungswillen der Leute empfiehlt der neu-alte Antidemokratismus die Absorption im Privaten“, von der „Herrschaft des demokratischen Menschen“. Oder mit dieser Schlussfolgerung: „Und auch sein positives Verständnis demokratischer Politik, die er als „Führung“ des „tatfreudig sich zusammenballenden Volk[es]“ entwirft, lässt einige Fragen offen.“
    Bei mir sind diesbezüglich alle Fragen offen geblieben, weshalb ich hier den kessen Versuch unternehme, mit meinen eigenen Erkenntnissen Denkanstöße in Richtung: ist Deutschland überhaupt eine „Demokratie“ – oder nur der Schatten einer solchen? Was voraussetzt, dass man sich über seinen Begriff von Demokratie ins Benehmen setzt. I
    Dies habe ich am 7. April 2011 am Beispiel eines Artikels von Jürgen Habermas in der SZ vom gleichen Tage gemacht, der, wie ich es formulierte, mir „mit dem Gewicht seiner Lebenserfahrung und seiner Qualifikation wesentliche Denkanstöße zu meinem Generalthema „Funktionen von Politik und Publizistik in der deutschen Demokratie“ vermittelt hat. https://profiprofil.wordpress.com/2011/04/07/zeitgenosse-jurgen-habermas/
    Habermas“, so fahre ich fort, „geißelt ein „Verständnis von Demokratie“, welches Opfermentalitäter in politische bzw. publizistische Machtpositionen befördert, die nichts anderes im Sinn haben (können) als den karrieristischen Ausbau ihrer privilegierten Position als Opinionleader der Plappernden Kaste gegenüber den von ihrem jeweiligen „Milieu“ sozialisierten Opfermentalitätern der so genannten “Wahlbürger”.
    Da ist zum ersten Habermas´ Kritik an jener „Orientierung der deutschen Außenpolitik“, die ich mit „Militarisierung der deutschen Außenpolitik“ auf den Begriff gebracht hatte:
    „Die nationale Einigung“, so schreibt Habermas, „hat in Deutschland einen Mentalitätswandel in Gang gesetzt, der (wie politikwissenschaftliche Untersuchungen belegen) auch das Selbstverständnis und die Orientierung der deutschen Außenpolitik erfasst und in Richtung einer stärkeren Selbstzentrierung verändert hat. Seit den neunziger Jahren wächst allmählich das Selbstbewusstsein einer militärisch gestützten ‘Mittelmacht’, die als Spieler auf weltpolitischer Bühne agiert. Dieses Selbstverständnis verdrängt die bis dahin gehegte Kultur der Zurückhaltung einer Zivilmacht, die vor allem einen Beitrag zur Verrechtlichung des Systems der ungezügelten Staatenkonkurrenz leisten wollte.“ (ders.)
    Dieses „Verschwinden“, bemerkte ich, ist allerdings kein „naturwüchsiger“ Akt, sondern das Resultat der Feigheit der Sozialdemokratie vor den Feinden einer Politik der friedlichen Koexistenz, ihre Unterwerfung 1999 ff. unter die Weltherrschaftspläne des Pentagon.
    Eine Begründung für meinen Vorwurf lieferte Egon Bahr im August diesen Jahres, wenn er sagte: der 11. September 2001, „das war die Emanzipation Amerikas von der NATO und hat diese aus einem Instrument zur Verteidigung der Freiheit zu einem Instrument hegemonialer Bestrebungen der USA gewandelt. Nicht zuletzt deshalb wurden die Rüstungspläne der Bush-Junior-Administration anschließend auch ohne Rücksicht auf die Verbündeten realisiert – allerdings zugleich mit der Erwartung an diese, mitzuziehen und sich anzupassen, um kompatibel zur Kriegführung an der Seite amerikanischer Verbände zu sein.
    Auf Habermas und seine Demokratiedefinition zurückkommend schrieb ich in 2011: „Da ist zum zweiten Habermas´ Kritik an jenem “Verständnis von Demokratie“, das von dem bestimmt wird, was ich als Feigheit vor dem wirklichen Feind der Demokratie bezeichnet habe: der Verzicht des Gros der „politischen Klasse“ – die sich insgesamt als Elite versteht und sich als solche auch selbst benimmt/bedient/privilegiert – auf alle wesentlichen „normativen Bindungen“, hier insbesondere auf die normative Verpflichtungen, die sich für die Sozialdemokratie aus den Art. 14, 25 und 26 GG ergeben: Sozialismus und Pazifismus als Kernthemen einer Linken, die sich als Interessenvertreterin der arbeitenden Menschen und ihrer Angehörigen versteht.
    Als Ursache für diese Feigheit vor dem Feind der arbeitenden Menschen liegt hier auf Seiten der staatstragenden Parteien nach Habermas „ein Verständnis von Demokratie zugrunde, das die New York Times nach der Wiederwahl von George W. Bush auf die Formel von der post-truth democracy gebracht hat. In dem Maße, wie die Politik ihr gesamtes Handeln von der Konkordanz mit Stimmungslagen abhängig macht, denen sie von Wahltermin zu Wahltermin hinterherhechelt, verliert das demokratische Verfahren seinen Sinn. Eine demokratische Wahl ist nicht dazu da, ein naturwüchsiges ( sic) Meinungsspektrum bloß abzubilden; vielmehr soll sie das Ergebnis eines öffentlichen Prozesses der Meinungsbildung wiedergeben. Die in der Wahlkabine abgegebenen Stimmen erhalten das institutionelle Gewicht demokratischer Mitbestimmung erst in Verbindung mit den öffentlich artikulierten Meinungen, die sich im kommunikativen Austausch von themenrelevanten Stellungnahmen, Informationen und Gründen herausgebildet haben. Aus diesem Grunde privilegiert das Grundgesetz die Parteien, die nach Artikel 21 ‘an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken’. (Quelle: https://profiprofil.wordpress.com/2011/04/07/zeitgenosse-jurgen-habermas/ )
    Nun wirken die „marktkonformen“ Parteien zweifellos „bei der Willensbildung des Volkes“ mit, doch tut dies (leider auch) die SPD in Abhängigkeit „von der Konkordanz mit Stimmungslagen“ (Habermas), die von der vierten Gewalt und dem Bildungssystem in einem Prozess der endlosen Manipulation nach dem Belieben der herrschenden Lehre gestaltet werden kann – und gestaltet wird!
    Daraus folgt für mein Verständnis von Demokratie im Sinne der Verfassungsgeber, dass die Parteien nach Art, 21 GG die verdammte Pflicht und Verpflichtung haben, durch die „Willensbildung des Volkes“ die Menschen zur Mitbestimmung und Mitwirkung zu erziehen und zu befähigen, wozu es in erster Linie einer professionellen Beziehungs-, Führungs- und Kampfkompetenz in all den Rollenfeldern bedarf, in denen persönliche Mitwirkung und Mitbestimmung möglich sind.
    „Demokratie“ ist also ein politisches System, das auch und nicht zuletzt dem pädagogischen Auftrag der „Volksbildung“ im Sinne des Grundgesetzes gerecht werden muss, damit ihr repräsentativer Charakter auf die Entscheidungsprozesse zurückgeführt werden kann, die aus der Einsicht ihrer historischen Notwendigkeit erwachsen, die man auch als „Sachzwänge“ bezeichnen könnte.
    Fazit: Eine „politische Willensbildung des Volkes“, die wenigstens in Zukunft nicht darauf abstellt, „mehr Demokratie, also persönliche Mitbestimmung und Mitwirkung, zu wagen“, eine solche politische Willensbildung, wie sie ja heute vorherrscht, endet in der Tat als „Absorption des Einzelnen im Privaten.“

  2. Wolf sagt:

    Amüsant, wie intellektuell- verbrämt immer noch dem Glauben an die Demokratie Zeit- und Kraftopfer dargebracht werden.

    “EIGENTLICH IST SCHON DAS WORT DEMOKRATIE eine Zumutung. ›Demokratie‹ heißt ›Volksherrschaft‹. Herrscht irgendwo ›das Volk‹? Natürlich nicht, bestenfalls darf das Volk Menschen wählen, von denen es sich beherrschen läßt. Und selbst die bekommt es vorsortiert angeboten.

    Eine wirkliche Demokratie wäre, wenn das ganze Volk über das ganze Volk herrschte, also jeder Mensch jedem anderen genausoviel zu sagen hätte, wie er sich von anderen zu sagen lassen hat. Das ist entweder Unsinn oder das Ende der Herrschaft von Menschen über Menschen. Denn wenn jeder jeden ›beherrscht‹, ist das genau dasselbe, wie wenn niemand herrscht. Da Menschen aber unterschiedliche Meinungen haben, kann solch eine Demokratie in einem Staat nicht funktionieren, es sei denn, eine Meinung setzte sich durch und unterdrückte viele andere. Genau das aber ist in unseren ›Demokratien‹ der Fall. Der Unterschied zwischen Diktaturen und Demokratien besteht genau besehen darin, daß in ersteren eine Minderheit die Mehrheit und in letzteren eine Mehrheit zahlreiche Minderheiten unterdrückt. Beides aber ist eine Herrschaft einiger über viele, also eine Oligarchie und keine Demokratie – auch, wenn sich die Herrschenden ihre Herrschaft von einer Mehrheit legitimieren lassen.

    Weil aber Menschen verschiedene Meinungen haben, die sich eben nicht in einer Gesellschaft unter einen Hut bringen lassen, ist Demokratie – die Herrschaft aller über alle
    – entweder nur in kleineren Gruppen möglich oder gar nicht. Ein Netz kleiner Gruppen, eine Föderation verschiedener Gesellschaften aber ist nichts anderes als Anarchie. Wirkliche Demokratie ist also entweder an-archisch oder unsinnig.
    Natürlich kann man sagen, die Partei X ist ein wenig liberaler, sozialer und freiheitlicher als die Partei Y. Wenn aber das Ziel Freiheit ist, und Freiheit nur ohne Staat und Regierung geht, alle Parteien aber Staat und Regierung sind, so kann ich eben nicht das wählen, was ich will. Ich muß es schon selber herstellen, erreichen, aufbauen. Wenn ich ein Leben ohne Regierung will, ist es absurd, mir die Leute auszuwählen, die mich regieren sollen.”

    Horst Stowasser in “Freiheit pur”, kostenlos unter http://www.mama-anarchija.net/media/downloads/FreiheitPurPlus4-2007.pdf

  3. Jan Rolletschek sagt:

    Ich möchte bei Gelegenheit – nicht jetzt – etwas genauer auf einige in der Diskussion aufgeworfene Fragen eingehen. Zu diesem Zeitpunkt will ich nur rasch deutlicher herausstellen, was der spezifische Einsatz des Textes war. Die nominelle Demokratie, unter der wir leben, ist, soviel sollte deutlich geworden sein, in den Augen der meisten der rezensierten Autor_innen eben dies: nur eine nominelle Demokratie, tatsächlich aber ein Form oligarchischer Regierung. Das ist auch meine Ansicht. Wenn hier also von “Demokratie” die Rede ist, muss in jedem besonderen Fall unterschieden werden, was (welcher Gegenstand) sich hinter dem Wort verbirgt. Das Wort “Demokratie”, steht dort, ist ein umstrittenes Wort. Deshalb ginge man fehl, hielte man sich an der Oberfläche dieses Wortes auf, betriebe man “Wortfetischismus”. Das Wort wird für ganz unterschiedliche Anliegen beansprucht, steht dort. Man geht also fehl darin, einfach zu tun, was die Oligarchen so gerne wollen: ihre Oligarchie für eine “Demokratie” zu erklären, für d i e Demokratie schlechthin, um sodann die Demokratie ü b e r h a u p t zu kritisieren. Will man verstehen, worum es in der Debatte um die Demokratie geht, muss man zunächst die Polysemie des Wortes einräumen, anstatt sich Strohpuppen und Begriffsfetischhe aufzustellen und sie dann umzuschlagen.
    Der besondere Einsatz des Textes steht zwei Gedankenschritte weiter auf dem Spiel. Die Auseinandersetzung findet dort statt, wo ein Begriff der Demokratie, der diese keineswegs als Staats- oder Regierungsform, sondern als deren jeweilige Unterbrechung denkt (Schritt eins), selbst wieder ein Ergänzungsverhältnis mit einem Begriff der Demokratie als ebens solche Staats-oder Regierungsform eingeht – kurz, das Umkippen von Dekonstruktion in Konservatismus. Die Reihe, die kritisiert wird und dieses seltsame Bündnis verdeutlicht, lautet: “Demokraten”, Störung, Exzess, Querulanten,”Widerstand”, Pickel am Arsch des Staates. Denn die post-heideggerianische linke Philosophie, ebenso wie die Macht selbst sind gegenwärtig darin übereingekommen, dass es keine herrschaftslose Organisationsform gibt. Die einzige, sehr bescheidene Uneinigkeit besteht darin, ob man die Macht oder deren Unterbrechung mit dem schönen Wort “Demokratie” auszeichnen soll.

  4. Herle King sagt:

    Edelmetallmesse 2012: Max Otte
    “Es hat sich eine parasitäre Kaste gebildet”
    http://youtu.be/ENIhnoHoAyE

  5. Manuel Schnabel sagt:

    nur eine kurze Anmerkdung: meines Erachtens wurde der Begriff der Postdemokratie, vor allem im deutschen Raum durch Colin Crouch geprägt und populär. Es kann aber sein, dass Rancière ihn zuvor benutzte.

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