Thesen zur Protestbewegung

Gibt es Parallelen zwischen Tea Party und 68ern?

Die Tea Party Bewegung wirbelt seit einigen Jahren in den USA genauso viel Staub auf wie einst die 68er Revolte in Deutschland. Dabei scheint auch die Tea Party die USA von innen zu verändern. Doch sind das bereits alle Gemeinsamkeiten der auf den ersten Blick grundverschiedenen Bewegungen?

Nein, meint der Politikwissenschaftler Florian Sander, der im folgenden Beitrag versucht, beide Bewegungen im Kontext der historischen, politischen und sozialen Begleitumstände zu deuten. Vielmehr seien sowohl 68er als auch die Tea Party in Erscheinung getreten, weil die politische Waage der Gesellschaft aus dem Gleichgewicht getreten ist. Die Gemeinsamkeiten seien beträchtlich, nicht nur in ihrem positiven Wirken, sondern auch in ihren negativen Auswüchsen.

Ja, widerspricht sein Kollege Dennis Walkenhorst in seiner Replik. Er weist stattdessen auf einen unvereinbaren Faktor hin: Man müsse die ständigen radikal-religiösen Bezüge der Tea Party in Augenschein nehmen. Ein politischer Vergleich würde daher zu kurz greifen. Anstatt wie die 68er ein höheres Maß an gesellschaftlicher Differenzierung anzustreben, würde die Tea-Party mit ihrem Bestreben, gesellschaftliche Komplexität auf ein Mindestmaß zu reduzieren, eine  eine völlig entgegengesetze gesellschaftsevolutionäre Perspektive einnehmen.

Was Tea Party und 68er gemeinsam haben

Von Florian Sander

Wird in diesen Tagen in Deutschland über den US-Präsidentschafts- wahlkampf und die dazugehörigen Vorwahlen der Republikaner berichtet, so bleibt in keinem Artikel die Erwähnung der Tea-Party-Bewegung und ihrer Repräsentanten aus. Sie bietet dem klassischen, europäischen linksliberalen Journalisten und seiner Leserschaft etwas, was beide seit Ende der Bush-Präsidentschaft stark vermisst haben dürften: Die Möglichkeit, sich über die ach so hinterwäldlerischen Amerikaner zu erheben, was seit Beginn der Regierungszeit des demokratischen Messias Barack Obama so schwierig geworden war.

In den hiesigen journalistischen und politischen Kommentaren zur Tea-Party-Bewegung hat man derweil manchmal den Eindruck, dass es den meisten Kommentatoren an ganz grundsätzlichen Kenntnissen hinsichtlich des konservativen Spektrums in den USA fehlt. Da werden verschiedenste Strömungen munter miteinander vermischt, Kausalitäten verdreht, Inhalte erfunden, die Tea Party mutiert zum Inbegriff alles Bösen, das die USA jemals hervorgebracht haben und steht somit für die meisten in direkter Tradition George W. Bushs und seiner neokonservativen Regierungstruppe.

Die Realität ist hingegen weitaus komplexer und – wie „Bewegungen“ nun einmal sind – heterogener. Die Mehrheit der Tea-Party-Bewegung ist keineswegs neokonservativ dominiert, sondern setzt sich vielmehr zusammen aus den Strömungen der Libertären (insbesondere repräsentiert durch den eher säkularen Ron Paul), der klassischen „Paläokonservativen“ („PaleoCons“) sowie den Evangelikalen („TheoCons“, repräsentiert vor allem durch Bachmann und Perry).

Alle drei Gruppen haben einen wesentlichen Unterschied zu den „NeoCons“ (und im übrigen auch Obama) gemeinsam: Sie stehen einer interventionistischen, also aus Sicht der Europäer kriegsfördernden Außenpolitik eher skeptisch gegenüber, da die weltweite US-Präsenz Geld kostet und eine konsequente Sparpolitik sowie ein schlanker Staat die primären Ziele der Tea Party sind. Libertäre wie Ron Paul präferieren sogar einen ausgemachten Isolationismus (den sie freilich selbst niemals als solchen bezeichnen würden). Im Zuge dieser Eigenschaften tun sich fundamentale Unterschiede zu den NeoCons auf, weswegen sich eine undifferenzierte Gleichsetzung jener Gruppen ausdrücklich verbietet.

Für den weniger hysterischen und stattdessen ganzheitlicher beobachtenden Betrachter tun sich gleichsam ganz andere Vergleiche auf. Es bietet sich nämlich an, politische Bewegungen nicht gesondert zu beurteilen, sondern ihr Wirken und ihre Bedeutung stets in Relation und im Kontext der historischen, politischen und sozialen Begleitumstände zu sehen. Versucht man dies in Bezug auf die Tea-Party-Bewegung, so kommt man interessanterweise zu Ergebnissen, die jenen, zu denen man bei einer Beurteilung der Rolle der deutschen 68er Bewegung kommt, nicht unähnlich sind.

Graswurzel-Bewegungen drücken stets politische oder soziale Schieflagen aus. Bildlich gesprochen: Sie treten dann in Erscheinung, wenn die politische Waage der Gesellschaft aus dem Gleichgewicht getreten ist, und versuchen sodann ein mächtiges Gegengewicht der Basis zu implementieren. Ein Merkmal eines solchen Vorgangs, das bei der Beurteilung häufig vergessen wird einzubeziehen, ist, dass derlei „Gegengewichte“ jedoch nicht immer exakt das Gewicht mit sich bringen, das nötig wäre, um das Gleichgewicht wiederherzustellen, sondern dass sie zumeist derart brachial vorgehen, dass das Gewicht zunächst fundamental in die andere Richtung verlagert wird oder werden soll. Aber: Dies macht ihr Wirken langfristig gesehen nicht weniger wichtig für Staat und Gesellschaft insgesamt.

Bei beiden Beispielen, Tea Party und 68ern, lässt sich dieses Phänomen wiederfinden. Die 68er Bewegung war die Reaktion einer Jugend auf eine übermäßig konservative, verkrustete Gesellschaft, in der das starke Bedürfnis nach gesellschaftspolitischer und sexueller Liberalisierung und einem neuen „Gleichgewicht“ in diesem Feld bestand. Doch anstatt es bei dieser berechtigten Forderung zu belassen, zeichnete sich die mit den 68ern assoziierte APO durch eine dezidiert sozialistische und linksgerichtete Programmatik aus, die das Pendel so weit in die andere Richtung verschob, dass Konservative und Liberale heute noch immer damit beschäftigt sind, die negativen Folgen antiautoritärer Pädagogikideale und kompletter linksalternativer Ideologisierung der Bildungspolitik wieder gerade zu biegen.

Die gesellschaftlich eigentlich sehr notwendige Umwälzung von 1968 – die, im Gegensatz zu so manchen späteren linken Mythen, dank Charakterköpfen wie Rudi Dutschke in Teilen nicht „antideutsch“, sondern sogar patriotisch gesinnt war – mutierte zu einem Marsch durch die Institutionen, der ebenso viele negative Folgen mit sich brachte wie ursprünglich positive.

Das Wirken der Tea Party vollzieht sich zwar innerhalb einer ganz anderen politischen Kultur und im Rahmen ganz anderer Politikfelder und Themen. Die grundsätzliche Problematik aber bleibt die gleiche. Die USA haben sich in den letzten Jahren konstant selbst überfordert. Die hegemoniale weltpolitische Rolle als einzig verbliebene Supermacht hat sich im Zuge der Finanzkrise als zutiefst ungesund für Haushalt, sozialen Frieden und somit das künftige Wohl des Landes entpuppt.

Die Tea Party mit ihrer radikalen Forderung nach schlankem Staat, rigoros sparsamem Haushalten und einem Ende des außenpolitischen Interventionismus bildet dabei zunächst das unausweichliche Druckmittel hin zur Etablierung eines neuen Gleichgewichtes, das dem Washingtoner Establishment Haushaltsdisziplin lehrt und ihm beibringt, dass Imperien nur überleben können, wenn sie aus der Geschichte lernen und sich nicht konstant selbst überfordern.

Doch auch hier wird der Bogen überspannt: Es bleibt nicht bei den oben genannten Forderungen, sondern geschossen wird mit der gesamten erzkonservativen und radikallibertären Munition. Das heißt: Liberalisierung des Waffenrechts, evangelikale Rhetorik, Kreationismus in den Lehrplänen, Moralismus und zahlreiche andere Programmpunkte, die selbst freiheitlichen Europäern Schauer über den Rücken jagen. Die Waage strebt nicht auf das Gleichgewicht hin, sondern droht zur anderen Seite zu kippen.

Es wird deutlich: Trotz Unterschieden in Zeit, Breitengrad und Thema sind die Gemeinsamkeiten in Teilen beträchtlich. Beide Bewegungen waren und sind in ihrer Existenz unausweichlich und historisch notwendig, beide Bewegungen sind jedoch in Teilen auch Synonyme für Emotionalisierung, Hysterie und ganz neue politische Disharmonien und Ungleichgewichte.

Aus diesen Erkenntnissen folgt besonders eines: Mehr Differenzierung in der politischen Beobachtung täte uns allen gut. Sie täte uns nicht nur gut, sondern sie ist sogar zwingend notwendig, um darauf basierend in der Lage zu sein, die positiven Inhalte einer Bewegung wie der der 68er oder der Tea Party aufzugreifen und das hysterische und disharmonische Beiwerk abzuschütteln. Damit die gesellschaftlich-politische Waage eines Tages endlich wieder im Gleichgewicht ist – in den USA genauso wie in Deutschland.

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10 Kommentare zu "Thesen zur Protestbewegung"

  1. Tai Fei sagt:

    Also die TEA-Party-Bewegung mit einer Graswurzelbewegung zu vergleichen, halte ich für sehr gewagt. Hinter dieser Bewegung stecken potente Geldgeber und mächtige Wirtschaftsinteressen.

  2. Ole sagt:

    Die 68er kamen von unten, nicht von oben. Weder hatten sie Wirtschaftskonzerne im Rücken, noch eine Lobby. Die entwickelte sich zwar durchaus später und wirkt heute nach, sie war aber eben nicht der Startimpuls.
    Die 68er haben die Republik verändert. Sie würde heute nicht das sein, ohne sie. Viele neue Impulse kamen, nicht alle waren gut, aber überwiegend waren sie nicht schlecht und taten der Gesellschaft gut: In der Gesellschaft wurde das Züchtigungsrecht reformiert, Ohrfeigen von Lehrern an Schüler und Eltern an Kinder wurden verboten, nicht konservatives Korsett sondern subjektive Lebensqualität und persönliches Glück wurden zum Lebensmittelpunkt, auf konservativen Dörfern konnten endlich Protestanten und Katholiken heiraten. Wird man so etwas auch von der Tea Party Bewegung sagen können? ich denke nein.

  3. Pistepirkko sagt:

    Sorry! Aber selten so einen Mist hier auf dieser Seite gelesen.
    68er haben nich nur in Europa die Lebensbedingungen aller Menschen verbessert. Ohne Trauschein in eine Wohnung leben, Homosexualität ausleben, Bildungschancen für alle, Meinungsfreiheit usw. habnen die Gesellschaft freier und friedlicher geamcht.
    TeaParty ist reaktionäres Gewäsch, welches feudale Unterdrückungszenarien propagiert und geradezu in die Abhängigkeit der Konformität führ, da hinter diesen Leuten der schnöde Wirtschaftsliberalismus steht.
    Und wenn Konservative die 68iger Hinterlassenschaften weggräumen müssen, wer räumt denn dann nun die Finanz- und Wirtschaftskriesenhinterlassenschaften seit 2008 weg? Die Cons bestimmt nicht!

  4. Reyes Carrillo sagt:

    @Pistepirkko

    Du hast alles Nötige dazu gesagt! Vielen Dank!

  5. maschkom sagt:

    Ich hatte die 68er Bewegung als eine Befreiungsbewegung aus einem konservativen Korsett verstanden.

    Hingegen die Tea Party verstehe ich als einen Schritt zurück, hin zu einem konservativen Korsett. Sie ruft die Menschen in ein Korsett aus Ordnung und Verhaltensregeln, scheinbarer Sicherheit und der vermeintlich richtigen Orientierung im Glauben.

    Wie wir alle wissen ist jeder Glaube, gleich ob es eine Religion eine Sekte oder eine Wirtschaftsordnung ist, nicht dazu geeignet den Menschen mehr Freiheit zu geben, er ist dazu geeignet die Menschen eingegrenzt zu halten und davon abzuhalten, selbständig und individuell zu denken und zu handeln.

    Insofern haben wir hier zwei gegensätzliche Modelle, die gegensätzlicher nicht sein können.

    Ich könnte mir sogar vorstellen, dass die Tea Party kräftig durch die Hochfinanz unterstützt wird. Deren Interesse ist es die Menschen die Menschen dumm zu halten, sie davon abzuhalten selbständig zu denken. Wenngleich ich deren Finanzierungswege nicht kenne.

  6. Paulist sagt:

    Den Schweizern -die mit ihrem hohen Mass an direkter Demokratie (Volksentscheide en masse) sicherlich freiheitliche Europäer sind, womöglich die freiesten überhaupt- jagt eine Liberalisierung des Waffenrechts sicher keine Schauer über den Rücken. Dort bewahrt man nach seinem Wehrdienst die Waffe daheim auf – für den Fall der Fälle. DIE würden sich eher gruseln, wären sie entwaffnetes Personal, dessen Grundgesetz gebeugt wurde, um Millitäreinsätze -keine Hilfsaktionen- bei Bedrohungen im Inland “legal” zu ermöglichen. Faschistisches Coming Out der Lobbykratie, ick hör´ dir trapsen.

  7. Michi sagt:

    Die 68er waren vermutlich genauso wenig eine Graswurzelbewegung wie es die Tea Party ist. Und wer von der Notwendigkeit der damaligen sexuellen Liberalisierung spricht, dem empfehle ich Houellebecqs “Elementarteilchen” oder “Ausweitung der Kampfzone” zu lesen!

  8. almasala sagt:

    Noam Chomsky sieht das so: Die Tea-Party ist keine soziale Bewegung, sondern wird massiv vom privaten Kapital unterstützt. Das ist eine Bewegung, die demografisch gesehen dem nicht unähnlich ist, was die Nazis organisiert haben. Kleinbürgertum, relativ wohlhabend, ausschließlich Weiße, die Angst vor Fremden haben, weil sie fürchten, dass die weiße Bevölkerung irgendwann in der Minderheit ist.

  9. Michi sagt:

    “Kleinbürgertum, relativ wohlhabend, ausschließlich Weiße…”
    Das waren die 68er auch!

  10. Eco sagt:

    Alle beiden Richtungsgedanken, gibt es mehr oder minder ausgeprägt (tlw. unterdrückt) in allen Gesellschaften, was in etwa bei De Rechts und Links ist, grob übersetzt heisst Konserativ und Demokratisch in US, dass gibt es natürlich mit vielen Facetten ausgeschmückt (u.a.Religion) auch in anderen Nationen, es gibt fast nie einen richtigen Konsenz, die Kräfte reiben immer aneinander und wenn sie dies nicht mehr tun würden, hätte die Gesellschaft ein Problem!
    M.A.nach…

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