Ein Nachtrag zu den Unruhen in England
Von Sebastian Müller
Die tagelangen riots in London, Brixton, Liverpool, Birmingham und Manchester, die sich vor etwa einem Monat in England zugetragen haben, sind ein Fanal und ein überdeutlicher Hinweis darauf, wohin die englische Gesellschaft nach gut drei Jahrzehnten Privatisierung, Deregulierung und Sozialabbau steuert.
Die traditionell ausgeprägte englische Klassengesellschaft existierte schon immer. Doch seit drei Jahrzehnten neoliberaler Sozial- und Wirtschaftspolitik wird die soziale Schere im Königreich wieder größer. Diese Entwicklung wurde seit dem Amtsantritt von Margaret Thatcher als Premierministerin 1979 konstitutionalisiert, der seit der Nachkriegszeit herrschende Klassenkompromiss aufgelöst. Die Zerschlagung der Gewerkschaften, die Ruinierung des öffentlichen Sektors, insbesondere des National Health Service durch Privatisierung war die Konzequenz für den Rückzug des Staates als politisches Programm, das bis heute nachwirkt. Dazu gehörte ebenso die Grundsteinlegung für die 1994 erfolgende Privatisierung des nahezu letzten staatlichen Unternehmens, der Britsh Rail.
Die Ideologie des schlanken Staates und verminderter öffentlicher Leistungen wirkt, mehr oder weniger quer durch alle Parteien, bis heute fort. Die Bankenrettungen im größten Finanzplatz Europas haben auch hier das sogenannte Sparen zum allgemeingültigen Dogma werden lassen. Um über eines der größten Staatsdefizite Europas Herr zu werden, zieht sich der britische Staat noch weiter zurück, die private Wirtschaft soll das nötige Wachstum für Arbeit und Wohlstand erzielen.
Im März 2010 verabschiedete die Labour-Regierung noch unter Gordon Brown ein Konsolidierungsprogramm, welches jedoch von der Nachfolgeregierung, der konservativ-liberalen Koalition um Premierminister David Cameron um weitere Maßnahmen verschärft wurde.
Das Sparprogramm der Regierung steht unter den Leitbegriffen Eigenverantwortung und Freiheit. Ziel der “Reformen” ist es, die Verantwortung des Einzelnen zu erhöhen und anhand von Sanktionen und dem Abbau von Leistungen die Anreize zu einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zu verstärken. Völlig außen vor gelassen wird dabei, dass es einen Mangel an sozialversicherungspflichtigen Stellen gibt. Die Arbeitslosigkeit in Großbritannien beträgt 7,6 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit ist seit 2007 gar von 14,3 auf 19,6 Prozent angestiegen. Damit liegt das UK zwar unter dem EU-Durchschnitt, von einem Weg zur Vollbeschäftigung kann aber keine Rede sein.
Das Sparprogramm ist ferner Teil des Regierungsprojektes “Big Society. Not Big Government”, eine neoliberale Marketingstrategie, die im großen Umfang die Demontage der staatlich sozialen Infrastruktur unter dem Deckmantel einer Stärkung der Zivilgesellschaft durchführen soll. Im Kern geht es um eine radikale Privatisierung gemeinschaftlicher Organisationsformen auf regionaler und lokaler Ebene sowie öffentlicher Kernfunktionen. Dies betrifft z.B. Wohlfahrtsverbände und -einrichtungen, weite Zuständigkeitsbereiche der Kommunalverwaltungen, regionale öffentliche Einrichtungen und Nichtregierungsorganisationen.
Die Axt, die man an die Einrichtungen der öffentlichen Daseinsfürsorge legt, wird von der Regierung euphemistisch als Programm zur Stärkung der Zivilgesellschaft umschrieben (“Power to the People”). Statt der staatlich finanzierten, öffentlichen Einrichtungen sollen nun soziale Unternehmen durch Freiwillige betrieben werden. In diesem Kontext wurde in Großbritannien am 18.11.2010 unter anderem das sogenannte right to provide (das Recht, Dienstleistungen zu erbringen) für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes eingeführt. Doch selbst die begrenzten Mittel, die anfänglich für diese neuen privaten Dienstleistungsunternehmen (oder “soziale Unternehmen”) zur Verfügung gestellt werden sollten, sollen nun um etwa 10 Mrd. Pfund gekürzt werden.
Der Abbau und die Entmachtung staatlicher Funktionen und Institutionen wird also zugunsten der freiwilligen lokalen Initiative betont. Wesentlich dabei ist aber, dass diese “Liberalisierung” öffentlicher Funktionen und Aufgaben ohne Bereitstellung materieller Ressourcen erfolgt. Mit den Einsparungen an öffentlichen Ausgaben durch die Stärkung der Zivilgesellschaft – die tatsächlich nur eine Entrechtung selbiger ist – soll finanzieller Spielraum für die Senkung von Unternehmens- und Vermögenssteuern geschaffen werden. Im Angesicht der ohnehin schon im EU-Vergleich sehr geringen Staatseinnahmen von gut 41 Prozent des BIP in den letzten 4 Jahren ein wahnwitziges Vorhaben.
Das Big Society-Programm erinnert an eine frühere Generation solcher “sozialen Unternehmen”, die so genannten Building Societies (Bausparkassen), die unter der Thatcher-Regierung mit dem Ziel eingeführt worden waren, die Privatisierung von Wohnungsbau und -besitzverhältnissen zu befördern. Zwei Jahrzehnte später standen diese Bausparkassen in Großbritannien im Zentrum der Finanzkrise von 2007/08.
Doch die “Big Society” geht deutlich über den Abbau des Wohlfahrtsstaates unter Thatcher und Reagan hinaus: Durch die Privatisierung und den Ressourcenentzug werden die materiellen und organisatorischen Grundlagen zukünftiger emanzipatorischer Bestrebungen der »Allgemeinheit« ausgeschaltet. Denn es dürfte kein Zweifel daran bestehen, dass die »ehrenamtlichen sozialen Unternehmen« letztendlich von Großunternehmen übernommen werden.
Damit nicht genug: Die Erodierung der öffentlichen und sozialen Infrastruktur trifft zwangsläufig jene am härtesten, die auf sie angewiesen sind. Der staatliche Rückzug aus seiner gesamtgesellschaftlichen Verantwortung verschärft für die ärmsten Schichten geradezu die soziale Isolation, der demographische Gegensatz zwischen wohlhabendem Zentrum und prekarisierter, abgekoppleter Peripherie nimmt zu.
Gleichzeitig kommt die Privatisierung gesellschaftlicher Verantwortung im Zuge der durch den angelsächsischen shareholder value capitalism forcierten Ungleichverteilung von gesellschaftlichen Reichtum nur denen zu Gute, die ohnehin eine große Kaufkraft besitzen. Der Rest wird ausgegrenzt und in jene Randbezirke abgeschoben, in denen sie von den kaufwilligen Bürgern nicht gesehen werden. Die Verheißungen der kapitalistischen Konsumgesellschaft sind nur von einer immer kleineren Schicht einzulösen. Die Zeit des Massenwohlstandes in Europa scheint an ihr historisches Ende zu gelangen.
Die völlig verklärte und entartete Konzeption einer freien Zivilgesellschaft kommt den Vorstellungen der US-amerikanischen Tea-Party-Bewegung bedenklich nahe. Die Ähnlichkeit besteht nicht zuletzt in der Verwendung einer anti-staatlichen Terminologie progressiver Grassroot-Bewegungen.
Es spielt mit dem gerechtfertigten Unmut der Bevölkerung über die politischen Klassen, allerdings mit dem Ziel, den Zugriff genau dieser politischen und wirtschaftlichen Gruppierung auf kollektive Organisationen zu verschärfen und jede soziale Infrastruktur zu zerstören, die derartigen kollektiven Einrichtungen zu einem genuinen Ausdruck der Meinung und Wünsche der Bevölkerung machen würde. (Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik)
Die Gewalt und die Plünderungen in den englischen Städten haben nun schonungslos offenbart, wie dünn doch der Kitt der Zivilisation ist, und wie leicht er durch eine rücksichtslose Politik zerstört werden kann.
Der Mob, von der sozialen Infrastruktur abgeschnitten und auf dem Arbeitsmarkt perspektivlos, holte sich auf seinem Raubzug nun die Güter, die eben jener Konsumentenschicht von Werbung und Medien in ständiger Berieselung vorgehalten werden. Weil der soziale Konsens, aufgekündigt wurde, holt sich diese Schicht nun das, was sich sonst nur die Wohlhabenderen leisten können. Nichts könnte das gebrochene Versprechen der freien Marktwirtschaft deutlicher symbolisieren.
Und noch etwas wurde deutlich: Die Tendenz zur Selbstorganisation, zur Gruppenbildung und ethnischen Homogenisierung, wenn die staatliche Organisation versagt. Nur auf eine andere Art und Weise, als es sich die Regierung Cameron vorgestellt haben dürfte. Letztendlich aber ist es doch genau das, was sie mit ihrem Big Society-Programm provoziert. Die seit mehr als drei Jahrzehnten grassierende antistaatliche Terminologie selbst, im Westen besonders laut, hat die Geister der gesellschaftlichen Spaltung gerufen.
Zum Thema:
Der in diesem Artikel beschriebene Geist einer marktradikalen Gesellschaftsordnung in England ist aber auch bei uns mehr als nur rudimentär vorhanden. Die Tendenz politischer Intension zielt genau in dieselbe Richtung.
Dies zu erkennen ist nicht wirklich schön.
Übrigens glaube ich, dass der damit einhergehende Widerstand der Abgehängten auch hier mit ebensolcher restriktiven Härte wie in England begegnet werden würde.
Es macht Sinn mit einem Beitrag über Julian Assange hier zu antworten: http://www.sueddeutsche.de/digital/wikileaks-gruender-julian-assange-der-gegenverschwoerer-1.1031477 Einige Passagen:
– “Ein anderes Zitat des Anarchisten Landauer wählte Julian Assange als Motto seines Blogs iq.org. Es stammt aus dem 1910 erschienenen Artikel “Schwache Staatsmänner, schwächeres Volk!”: “Staat ist ein Verhältnis, ist eine Beziehung zwischen den Menschen, ist eine Art, wie die Menschen sich zueinander verhalten; und man zerstört ihn, indem man andre Beziehungen eingeht, indem man sich anders zueinander verhält. (…) Wir sind der Staat – und sind es so lange, als wir nichts andres sind, als wir die Institutionen nicht geschaffen haben, die eine wirkliche Gemeinschaft und Gesellschaft der Menschen sind.”
– “Wenn wir Grips oder Mut haben, dann ist das ein Segen und wir sind berufen, diese Eigenschaften nicht zu vergeuden, indem wir mit offenem Mund die Ideen anderer begaffen, Weitpinkelwettbewerbe gewinnen, die Effizienz des neokorporativen Staates verbessern, oder uns in Obskuritäten verlieren, sondern stattdessen die Kraft unserer Talente gegen die stärksten Feinde der Liebe unter Beweis stellen, die wir finden können.”
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Ja, die derzeitigen Staatenordnungen sind derzeit zweifellos im Begriff zu zerfallen. Einige bisherige Eliten scheinen gewillt zu sein formaldiktatorische Strukturen an die Stelle der gescheiterten repräsentative Systeme zu setzen (Stichwort ESM-Vertrag). Niemand sollte sich gezwungen fühlen bei diesem “Projekt” mitmachen zu müssen…oder um noch einmal auf den oben verlinkten Artikel zurückzukommen:
“Hier ist nun die Wahrheit, die sie frei machen wird. (…) Und angesichts dieses Gefühls Segensworte zu sprechen für die Profite und Propheten der Wahrheit, für die Befreier und Märtyrer der Wahrheit, für die Voltaires, Galileos und Principias der Wahrheit, für die Gutenbergs, Marconis und Internets der Wahrheit, für die Serienmörder der Täuschung, jene brutalen, getriebenen und besessenen Bergleute der Wirklichkeit, die jedes vermoderte Gebäude zerschmettern, zerschmettern, zerschmettern, bis alles in Ruinen liegt, für die Saat des Neuen.”
…dem ist nichts hinzuzufügen!
außer das vielleicht noch: https://le-bohemien.net/2011/07/16/das-alte-system-ist-gescheitert/
Genau!
Diese Politik, die weltweit zu beobachten ist, bedeutet die Auflösung aller Staatsstrukturen, d.h. das Ende dieses Prozesses wird sein, dass es keine Staaten mehr gibt. Sie lösen sich selbst auf…
Muss mir vor dieser Vorstellung grausen oder kann daraus auch Gutes, Neues entstehen? http://www.youtube.com/watch?v=l7AWnfFRc7g
Eine denk- und diskussionswürdige These zum Thema “Profiteure/Verursacher der sogenannten Finanzmarktkrise” hat Harald Werner veröffentlicht; http://www.haraldwerner.homepage.t-online.de/cms/index.php?id=190
Das ist ein interessanter Artikel, geht in seiner Lösung aber nicht weit genug. Denn das kapitalistische und hier neoliberale System per se muss nicht nur “gezähmt”, sondern abgeschafft werden. In dieser auf Profit orientierten Gesellschaft liegt die Wurzel des Übels, das wir heute erleben und das bereits vor 150 Jahren beschrieben wurde – als das Endstadium des Kapitalismus, Imperialismus, Finanzakapitalismus.
Die Rhetorik ist hier (Deutschland) wie da (England) eigentlich die gleiche: staatliche Fürsorge und Verantwortlichkeit behindert die Menschen ja nur, denn jeder ist seines Glückes Schmied und Not macht erfinderisch – seit Jahrzehnten immer die selben Formeln. In all den schönen Reden geht natürlich keiner der Staatsdemonteure darauf ein, dass die real existierenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen immer weniger zum Schmieden eines Glücks bereitstellen. Auf diejenigen, die im Rennen um das kleine Stückchen Glück leer ausgehen, drischt man dafür umso härter ein.
Derzeit ist ja interessant zu beobachten, dass sämtliche Masken gefallen zu sein scheinen. Das heißt: Absolut jedem ist nun die Diktatur des Großkapitals samt der totalen freiwilligen Unterordnung der politischen Klasse offenkundig. Wahrscheinlich könnte selbst die BILD-Zeitung daran nichts mehr schönfärben. Aber: die politische Klasse stört sich nicht daran, dass sie mittlerweile in den Augen der Öffentlichkeit wie der Kaiser ohne Kleider dasteht. Man macht einfach weiter mit dem Gerede von den Alternativlosigkeiten, die man durchdrückt, indem man allerlei Horrorszenarien an die Wand malt.
Wir sehen tatsächlich, dass die politische Klasse sich im Zuge der aktuellen Geldkrisen das Mäntelchen der demokratischen Legitimation elegant abstreift. Frau Merkel würde es bestimmt unhöflich und närrisch finden, wollte man sie darauf ansprechen, dass ihr Regime nichts mehr mit einem Anspruch von Volksvertretung zu legitimieren ist. Die Kanzlerin scheint Deutschland mehr oder weniger hinter sich gelassen zu haben. Gemeinsam mit Sarkozy bastelt sie nun an der Zukunft Europas, legitimiert allein durch volkswirtschaftliche Vormachtstellung. Wenn emsige Kapitalsdiener sich derart in immer größere Machtbereiche emporschwingen können, hat das mit Demokratie nichts mehr zu tun. Die Bevölkerung kann dem nur machtlos zuschauen.
Wir leben also bereits in post-demokratischen Zeiten und der politischen Klasse scheint es nicht einmal peinlich zu sein, dass sie mittlerweile als durchschaut gelten darf.
Ich denke auch, dass die Zivilgesellschaft, die zum Zwecke des Staatsabbaus immer gern beschworen wird, auch nur so eine Worthülse ist, die einfach nur hübsch klingen soll.
Eine wahre Zivilgesellschaft braucht Ressourcen, die ihr mit dem Staatsabbau jedoch entzogen werden. Es wird auch hier nicht so friedlich bleiben, wobei “friedlich” ja auch nur so eine Worthülse ist, die man der alltäglichen Gewalt durch Staat und kaputte Mitsklaven übergezogen hat.
Der Schlüssel zu einem möglichen Wandel der Gesellschaftsordnung liegt in der Positionierung der Mittelschicht. Bevor ihre Stellung völlig erodiert, müsste die Mittelschicht als Einheit von Bildungs- und Besitzbürgertum eine klare gesellschaftliche Position auf Seiten der Verlierer der gegenwärtigen Ordnung artikulieren. Ich fürchte, das wird nicht passieren.
Der letzte Teil der Gesellschaft, der für die herrschende Klasse aufgrund der von ihm bereitgestellten finanziellen Ressourcen überhaupt noch von Interesse ist, tritt immer noch lieber kräftig nach unten, ohne zu erkennen, dass die Mittelschicht auch nur ein Auslaufmodell ist.
Das ist meiner Ansicht nach das Problem: Die Unfähigkeit der Mitte ihre eigene vakante Stellung in dem Spiel zu begreifen und zu agieren (durch Wahlentscheidungen zum Beispiel), solange sie noch Mittel hat.
(Aber wahrscheinlich wählt die Mitte noch CDU/FDP/Grüne/SPD bis das Schiff schon versunken ist.)
Das sehen wir auch besonders deutlich am Beispiel der englischen riots: Wenn man sich die Kommentarbereiche der englischen Blätter ansieht, erkennt man wieder einmal wie nah vermeintliche Zivilisation und Barbarei einander stehen.
@ A.S. Flickering
Sehr guter Kommentar!
Jaja die Mitte. Alle Parteien (außer mal wieder die LINKE – wobei diese natürlich auch nur ein Glimmen und nicht das Licht am Horizont darstellt) stehen sich in der sog. politischen Mitte gegenseitig auf den Füßen und sind so konturlose wie verschiedene Eier in einem Omelette.
Unbedarfte Mitglieder der Mittelschicht mißdeuten die politische Positionierung in der “Mitte” wohl als Vertretung der Mittelschicht. Weit gefehlt!
So richtig, wie offensichtlich, ist die Beobachtung, dass die politische Kaste nur die Vasalen der Großkapitalseigner sind. Die Medien breiten für diese abgeschmackte Posse noch einen flauschigen Teppich aus, damit die Schritte nicht so hart wahrgenommen werden.
Der Kapitalismus breitet sich immer weiter aus, bis in die kleinsten Ritzen, treibt immer mehr feingliedrige Äderchen aus um auch noch bis in die letzte kleine Ecke zu kommen. Das fängt bei politischen Entscheidungsprozessen (Wirtschaftswachstum statt Gesellschaftswachstum) an und geht bis tief in den privaten Bereich K(ommerzialisierung der Freizeitgestaltung, usw.).
Nach wie vor fehlt es an einer alternativen Gesellschaftsordnung, einer Vision, der man sich mit kleinen Schritten nähern kann. Hier ist die Intelligenzia gefordert.
Eine Bändigung des Kapitalismus ist hier keine Lösung. Dass muß endlich auch die LINKE begreifen.
Wie A.S.F. schon bemerkt hat liegen die (restriktiv gebändigte) Zivilisation und die Barbarei nah beieinander. Gesellschaftliche Verwerfungen werden öfter und an immer mehr Orten auftauchen.
Wir haben nicht ewig Zeit!
“Wir haben nicht ewig Zeit!” Nee, haben wir nicht.
Generalstreik in Italien.
Generalstreik in Chile.
Und ein Gregor Gysi, der Madame Merkel die Leviten verliest… wird aber wohl auch nichts helfen…. http://www.youtube.com/watch?v=eWm6zq4eUCQ
Was bei der Diskussion über “die Zustände” viel zu selten Erwähnung findet: Das Wording, das Neusprech, die Terminologie sowie das “Umdrehen” von ehemals werthaltigen Begriffen wie Freiheit, Reform oder Verantwortung, hat dazu geführt, dass die Lämmer mittlerweile ihrer eigenen Schlachtung sogar selbst zustimmen. Der Staat als Dach über dem Kopf aller wird seit mehr als einem Jahrzehnt auf offener Bühne von einer handvoll wechselnder Kasperlefiguren zersägt, die anschließend die klirrende Kälte als frische Luft verkaufen. Professioneller als heute sind sogar ganze Völker noch nie für dumm verkauft worden. Billiard über drei Banden wird verstanden, Steuergesetze oder Hilfen für notleidende Banken, die den Wohlstand von unten nach oben verteilen, nicht. Es ist wie mit den Gorillas in unserer Mitte (http://de.wikipedia.org/wiki/Unaufmerksamkeitsblindheit): Bindet man die Aufmerksamkeit des Betrachters mit einer Aufgabe, bleibt die eigentliche Störung unentdeckt. Anders gesagt: Werden in ausreichend kurzen Intervallen Säue durchs Dorf gejagt, lässt sich unbehelligt das Tafelsilber klauen. Den Rest erledigen Experten, die dem Volk die Welt erklären. Sähe Descartes heute, wie mit Ursache und Wirkung umgegangen wird, er würde sich freiwillig einweisen lassen.
@le karl Ich habe allerdings den Eindruck, dass “die Völker” nicht so dumm sind, wie die Herrschenden gern glauben möchten. So langsam bemerken sie den Besch… (pradon) und wissen, dass “die oben” eh nur lügen und betrügen. Jedenfalls sind das Kommentare und Aussagen, die mir überall begegenen, off- und online, quer durch alle Bevölkerungsschichten und unabhängig vom geographischen Hintergrund. Menschen aus Pakistan erzählen mir das selbe wie Menschen aus den USA, Russland, Indien, Frankreich, Spanien oder sonstwo auf unserer Erde. Es mag noch nicht die kritische Masse erreicht sein, die Änderungen von unten provozieren, aber die ersten Vorbeben haben wir bereits mit den Aufständen in den arabischen Ländern am Anfang dieses Jahres, den Widerständen in Spanien und Griechenland, mit den Aufständen in Großbritannien, den Generalstreiks in Italien und Chile.
Den jetzigen Zustand des größten Teils der Bevölkerung würde ich mit dem Begriff der “pluralistischen Ignoranz” beschreiben wollen, den ich beim Lesen eines anderen Artikels neulich fand und der das Phänomen des Verhaltens der Menschen im Moment ziemlich gut beschreibt: http://en.wikipedia.org/wiki/Pluralistic_ignorance Ich verweise auf den englischsprachigen Artikel, weil der in seiner Beschreibung weiter geht und genauer ist
Sicherlich, uns mag immer wieder eine “Sau” offeriert werden, die “durchs Dorf gejagt wird”, allerdings funktioniert diese Taktik nur so lange, bis die Menschen bemerkt haben, was passiert. Dann lassen sie nämlich die Sau Sau sein und passen auf ihr Silber auf!
@ A.S. Flickering
Ein großartiger Kommentar. Das Beste was ich in der letzten Zeit gelesen habe
;-)
Jawohl, genau da liegt das Problem:
Die falsche „Positionierung der Mittelschicht. Bevor ihre Stellung völlig erodiert, müsste die Mittelschicht als Einheit von Bildungs- und Besitzbürgertum eine klare gesellschaftliche Position auf Seiten der Verlierer der gegenwärtigen Ordnung artikulieren. Ich fürchte, das wird nicht passieren. Der letzte Teil der Gesellschaft, der für die herrschende Klasse aufgrund der von ihm bereitgestellten finanziellen Ressourcen überhaupt noch von Interesse ist, tritt immer noch lieber kräftig nach unten, ohne zu erkennen, dass die Mittelschicht auch nur ein Auslaufmodell ist.”