Nahostkonflikt

»Frieden mit Israel ohne Unterstützung durch Hamas nicht möglich«

Offener Brief ehemaliger EU-Politiker zur Nahost-Politik, 10.6.2011

Die Verhandlungen zwischen den beiden wichtigsten palästinensischen Gruppierungen Fatah und Hamas werden aller Voraussicht nach zur Bildung einer neuen palästinensischen Einheitsregierung führen. Die neue Übergangsregierung, die sich aus unabhängigen Politikern zusammensetzt, wird beauftragt werden, den Weg für die Abhaltung von Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Mai 2012 zu ebnen.

Die palästinensische Aussöhnung ist Teil des großen Wandels im Nahen Osten. Die Aussöhnung wurde von Ägypten nach ihrer eigenen Revolution vermittelt und zeigt, dass es ein starkes öffentliches Bedürfnis gibt, die Spaltung der letzten vier Jahre zu überwinden. Die Einheit der Palästinenser ist ein Ergebnis des arabischen Frühlings.

Wir, als ehemalige Ministerpräsidenten, Außenminister und Friedensvermittler haben aus erster Hand gelernt, dass die Sicherung dauerhaften Friedens nur unter Einbeziehung aller Konfliktparteien möglich ist. Wir halten es für äußerst wichtig, dass die internationale Gemeinschaft die palästinensische Einheit unterstützt und alle Schritte vermeidet, die den fragilen Versöhnungsprozess gefährden könnten. Wir fordern insbesondere die Vereinigten Staaten und die Europäische Union auf, mit der Übergangsregierung sowie mit der zukünftigen, im kommenden Jahr zu wählenden, palästinensischen Regierung einen konstruktiven Dialog zu führen. Aus folgenden Gründen ist dies von zwingender Notwendigkeit:

  • Es ist zum einen evident, dass die Überwindung der politischen und institutionellen Spaltung zwischen Westjordanland und Gaza Voraussetzung für die Bildung eines geeinigten und lebensfähigen palästinensischen Staats ist.
  • Zum anderen kann ein dauerhaftes Friedensabkommen mit Israel nur dann erreicht werden, wenn die palästinensische Führung den Frieden mit Israel im Namen aller Palästinenser und mit Zustimmung der wichtigsten politischen Kräfte aushandelt. Die palästinensische Aussöhnung steht der Verwirklichung einer Zwei-Staaten-Lösung also nicht im Wege, sondern ist – ganz im Gegenteil – deren Grundvoraussetzung. Es ist falsch, die Fatah vor die Wahl zu stellen, entweder mit der Hamas oder Israel Frieden zu schließen: Ein dauerhafter Frieden mit Israel ist ohne Unterstützung durch die Hamas nicht möglich.

Die palästinensische Wiedervereinigung birgt die Chance, einen Waffenstillstand auszuhandeln, erneute Angriffe gegen israelische Zivilisten aus dem Gaza-Streifen zu verhindern und somit die Sicherheit Israels zu fördern. Auch der Austausch palästinensischer Gefangener für den entführten israelischen Soldaten Gilad Schalit scheint vor dem Hintergrund des Versöhnungsabkommens möglich.

Das Einheitsabkommen bietet Möglichkeiten, die genutzt werden müssen, ohne Fehler aus der Vergangenheit zu wiederholen. Nach dem Wahlsieg der Hamas im Jahr 2006 verhängten die Vereinigten Staaten und die Europäische Union einen finanziellen und politischen Boykott gegen die palästinensische Regierung. Im Nachhinein erwies sich dieser Schritt als schwerer Rückschlag für den Friedensprozess, denn er verschärfte die innerpalästinensische Spaltung und führte zu einer Verfestigung der Blockade Gazas.

Das neue Einheitsabkommen und die Entwicklungen in der gesamten Region bieten die Chance einer Kurskorrektur US-amerikanischer und europäischer Nahost-Politik. Die sogenannten “Quartett-Kriterien”, einschließlich der Anerkennung des Existenzrechts Israels, sollten Ziele und nicht Voraussetzungen für einen Dialog mit der palästinensischen Führung und palästinensischen Gruppierungen sein. Die Einhaltung eines Waffenstillstands und der Verzicht auf Gewalt sind eine realistische Grundlage für die Aufnahme von Verhandlungen.

Die Unterstützung einer palästinensischen Einheitsregierung zu diesem wichtigen Zeitpunkt wäre für die USA und die EU eine gute Gelegenheit, ihr Engagement für eine Zwei-Staaten-Lösung, sowie für die Demokratiebestrebungen im gesamten Nahen und Mittleren Osten unter Beweis zu stellen.

Eine Alternative ist schwer vorstellbar. Wenn die palästinensische Aussöhnung untergraben wird, wird der israelisch-palästinensische Konflikt noch auswegloser werden, mit dramatischen Folgen für alle Beteiligten und für die gesamte internationale Gemeinschaft.

LISTE DER UNTERZEICHNENDEN

Dries van Agt: ehemaliger Ministerpräsident, Niederlande
Lord John Alderdice: ehemaliger Sprecher des Nordirischen Parlaments
Massimo d’Alema: ehemaliger Ministerpräsident, Italien
Frans Andriessen: ehemaliger Finanzminister, Niederlande; ehemaliger Vizepräsident der Europäischen Kommission
Halldór Ásgrímsson: ehemaliger Ministerpräsident, Island; Generalsekretär des Nordeuropäischen Ministerrats
Hanan Ashrawi: Sprecherin der palästinensischen Delegation bei den Nahost Friedensverhandlungen
Shlomo Ben-Ami: ehemaliger Außenminister, Israel
Betty Bigombe: Ugandische Politikerin, ehemalige Vorsitzende der Verhandlungen zwischen der LRA und der ugandischen Regierung
Laurens Jan Brinkhorst: ehemaliger Vizeministerpräsident der Niederlande
Hans van den Broek: ehemaliger Außenminister der Niederlande; ehemaliger EU Kommissar für Auswärtige Beziehungen
Uffe Ellemann-Jensen: ehemaliger Außenminister, Dänemark
Gareth Evans: ehemaliger Außenminister, Australien
Sir Jeremy Greenstock: ehemaliger britischer Botschafter für die Vereinten Nationen
Lena Hjelm-Wallén: ehemalige Außenministerin und Vizeministerpräsidentin, Schweden
Ioannis Kasoulides: ehemaliger Außenminister, Zypern
Mogens Lykketoft: ehemaliger Außenminister, Dänemark
Ram Manikkalingham: Ehemaliger Berater für den Präsidenten Sri Lankas für den Friedensprozess mit den Tamil Tigers
Louis Michel: ehemaliger Außenminister, Belgien; ehemaliger EU Kommissar für Entwicklung und Humanitäre Hilfe
Poul Nyrup Rassmussen: ehemaliger Ministerpräsident, Dänemark
Elisabeth Rehn: ehemalige Verteidigungsministerin, Finnland; ehemalige Uno-Untergeneralsekretärin
Alvaro de Soto: ehemaliger Uno-Sondergesandter für den Nahost-Friedensprozess
Thorvald Stoltenberg: ehemaliger Verteidigungsminister und Außenminister, Norwegen; ehemaliger Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen
Erkki Tuomioja: ehemaliger Außenminister, Finnland
Hubert Védrine: ehemaliger Außenminister, Frankreich

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4 Kommentare zu "Nahostkonflikt"

  1. Jacob Jung sagt:

    Interessant in diesem Zusammenhang ist für mich unter anderem der Passus: “Auch der Austausch palästinensischer Gefangener für den entführten israelischen Soldaten Gilad Schalit scheint vor dem Hintergrund des Versöhnungsabkommens möglich.”

    Im November 2010 hatte die Linksfraktion einen entsprechenden Antrag im Bundestag zur Abstimmung gebracht. Weil allerdings die Union und die FDP keine gemeinsamen Anträge mit der Linkspartei unterstützen wollen, haben diese kurzerhand einen eigenen Antrag formuliert. Auch in diesem wurde die Freilassung von Gilad Schalit gefordert. Allerdings fehlte in diesem Zusammenhang der Hinweis auf die gleichzeitig erwünschte Freilassung von Palästinensern in israelischer Gefangenschaft.

    Union, FDP, SPD und Grüne stimmten nun für den Antrag der CDU/CSU und lehnten den ursprünglichen Antrag der Linksfraktion ab. Diese enthielt sich dementsprechend bei der Abstimmung über den Unionsantrag.

    Heute wird die damalige Enthaltung der Linkspartei als eines der Hauptindizien kolportiert, auf die sich der Antisemitismus-Vorwurf gegen DIE LINKE stützt. Lustige Welt.

    Jacob Jung

  2. Danke für diese sehr wichtige Information, Jacob! Das wusste ich bisher selber noch nicht, verdeutlicht aber einmal mehr die Verlogenheit der Kampagnen gegen die Linkspartei.
    Ferner ist der Antrag ein Armutszeugnis der deutschen Nahostpolitik…

  3. Solaris Post sagt:

    Wir brauchen auch als LINKE eine kalre und feste Position, verbindlich für alle Mitglieder:

    Hier ein Versuch über: Interventionismus als Globalstrategie

    Die heute vorherrschende außenpolitische Praxis des Interventionismus
    -gefährdet und untergräbt die internationale Sicherheit und Zusammenarbeit
    – greift bewusst und zielgerichtet in die souveränen Entscheidungsbefugnisse und –abläufe von Staaten sowie
    – in zwischenstaatlichen Beziehungen ein und
    – verletzt oder gefährdet völkerrechtlich geschützte Rechtsgüter,
    – fordert jährlich tausende Opfer in den Zivilbevölkerungen,
    – zerstört Infrastruktur, Grundversorgung, Gesundheits- und Bildungssysteme und die Lebensperspektiven der betroffenen
    Bevölkerungen auf Jahrzehnte hinaus
    – und ist Grundlage und Ursache für neuen Hass, Gewalt und Krieg zwischen den Völkern, Kulturen und Staaten.

    Die ehemals blockfreien, sozialistisch oder antiimperialistisch orientierten Entwicklungs- und Schwellenländer wurden verstärkt in den letzten 30 Jahren durch politische und militärische Strategien erpresst und unterworfen, um ihre Einbindung in den westlichen Kapitalismus wieder herzustellen. Dazu diente u.a. das Konzept des low-intensity-warfare, die Ausbildung, Bewaffnung und Einschleusung krimineller, gewalttätiger verfassungsfeindlicher Gruppierungen und menschenverachtender paramilitärischer Einheiten (z.B. in Nicaragua, Angola, Kolumbien, Kroatien, Bosnien, Kosovo, Afghanistan, Irak, Pakistan, Iran, Libyen, Syrien,…). Flankiert wurde und wird der offene Interventionismus durch die Beeinflussung von Organisationen der internationalen Sicherheit (UNO), durch die Instrumentalisierung und einseitige Ausrichtung der Entwicklungshilfe und des internationalen Finanz- und Handelssystems (Beispiele: IWF, Weltbank, Washington Consensus, Welthandelsorgansation, Schuldenkrisen…) mit dem Ziel der finanzkapitalistischen Öffnung, der Deregulierung und Liberalisierung der Ökonomien der betroffenen Entwicklungs- und Schwellenländer.

    In den jugoslawischen Folgestaaten wurden die entstandenen gewaltförmigen Konflikte als Begründung genutzt, militärisch einzugreifen („humanitäre Aktion“). In allen intervenierten Staaten wurden in der Folge die Staatsorganisation, das Wirtschaftssystem, die Eigentumsverhältnisse und die Verfassung durch äußeren Druck oder durch unmittelbare Direktive (z.B. Bosnien, Irak, Afghanistan) verändert und an die Vorstellung der Nato/EU-Eliten angepasst. Dieser weltweiten Interventionsstrategie haben sich alle Bundesregierungen seit den frühen 1990ziger Jahren in zunehmendem Maße verpflichtet gefühlt und angeschlossen. Somit natürlich auch die Parteiführungen von SPD und Grüne. Eine schwerwiegende und besonders gefährliche Form des Interventionismus ist der Staatsterrorismus. Staatsterrorismus tritt höchstwahrscheinlich auch in privatisierter Form auf und korrespondiert mit den Formen der Privatisierung von Politik im allgemeinen: Private Militärorganisationen, unkontrollierbare Sub-Strukturen in Nachrichtendiensten und logenähnlich-klandestine Gruppen (ähnlich der italienischen ‚Propaganda Due’) mit Anbindung an Vertreter des militärisch-industriellen Komplexes kommen als Organisator, Auftragnehmer oder Vermittler in Frage. Als Auftraggeber können in diesen Fällen sowohl staatliche wie auch nichtstaatliche Akteure des „Geld-Macht-Komplexes“(Krysmanski) vermutet werden. Naturgemäß entzieht sich die Analyse des Staatsterrorismus (aufgrund der fehlenden Informationen) einer rechtsverbindlichen oder gar wissenschaftlichen Darstellung und Aufarbeitung. Evident ist jedoch, dass seit dem 11.9. 2001 ganz offensichtlich unter dem Anspruch Terror zu bekämpfen, Terror gegen die Bevölkerungen vieler Staaten angewendet wird.

    Schlussfolgerung für die Partei DIE LINKE:
    Personen, die durch ihr politisches Handeln, die heute weitverbreitete außenpolitische Praxis des Interventionismus verschleiern, verharmlosen oder gar gutheißen, können NICHT Mitglied der Partei DIE LINKE sein. Einer Partei, die sich der Demokratie, den Menschenrechten, der friedlichen internationalen Zusammenarbeit, dem Humanismus und den Werten der Aufklärung verpflichtet hat.

    Entscheidet Euch. Jetzt!

    Solaris Post

  4. Frieden in Israel wird es erst geben, wenn Israel eine offene,
    multikulturelle Gesellschaft wird.

    In Wahrheit ist eine Einstaatenlösung ebenso wie eine echte
    Zweistaatenlösung angesichts Israels Entschlossenheit, ein jüdischer
    Staat zu bleiben, nicht möglich.

    Das Hindernis für eine Lösung liegt nicht in der Aufteilung des Lands,
    sondern im Zionismus selbst. Solange Israel ein zionistischer Staat
    ist, werden seine Führer weder einen Staat noch zwei echte Staaten
    zulassen

    Jedes Schulkind in Israel lernt, dass das jüdische Volk vor langer,
    langer Zeit zweimal (jeweils nach einer Tempelzerstörung) aus “Eretz
    Israel” vertrieben wurde. Doch trotz der Deportationen und dem Leben
    im Exil hätten die Juden niemals die Hoffnung aufgegeben, in ihr
    „gelobtes Land” zurückzukehren, was ihnen ja auch nach 2000 Jahren
    gelungen sei.
    Selbst in der Israelischen Unabhängigkeitserkärung wird dieser
    historische Bezug ausdrücklich erwähnt und er ist ja auch das stärkste
    Argument des Zionismus, der das Recht der Juden auf die „Heimkehr”,
    auf den Staat Israel als zentrales Thema seiner intensiven
    Lobbyarbeit weltweit etabliert hat.
    Aber es gibt Historiker, die diesen Mythos nicht nur bezweifeln,
    sondern auch Studien betrieben haben um ihn zu widerlegen. Einer davon
    ist der in Österreich geborene Shlomo Zand (Sand), Historiker an der
    Universität von Tel Aviv.
    Sein Buch „Wann und Wie Wurde das jüdische Volk erfunden? (erschienen
    in Hebräisch und Französisch 2008) bringt die Grundlagen der
    zionistischen Bewegung natürlich ins Schwanken, ganz zu schweigen von
    den politischen Implikationen im so genannten „Nahostkonflikt”: Das
    „Existenzrecht” Israels seit 1948 fußt ja auch zu einem erheblichen
    Teil auf dem Mythos des Heiligen Landes, in das die Nachkommen der
    Diaspora endlich zurückkehren konnten, um ihre „nationale Heimstätte”
    (Balfour Declaration) zu beziehen.

    Die Vertreibung der Israeliten aus dem gelobten Land sei eigentlich
    ein christlicher Mythos, der den Exodus als Bestrafung für die
    Ablehnung des Christentums und die Kreuzigung Christi darstellt, sagt
    Sand.
    „Ich versuchte in Forschungsstudien Material über diese Vertreibung zu
    finden, musste aber zu meinem großen Erstaunen feststellen, dass es
    keine Literatur dazu gab. Die Römer haben die eroberten Völker nicht
    deportiert und hatten auch gar nicht die logistischen Mittel dazu.”
    (Was von anderen bestritten wird)
    Angesprochen auf die explosive Wirkung dieser Thesen im Hinblick auf
    das “Existenzrecht” Israels, sagte Sand, er denke nicht, dass der
    historische Mythos des Exils die Quelle der Legitimation seines Lebens
    in Israel sei und deshalb fürchte er auch nicht die Zerstörung dieses
    Mythos.
    „Wir sollten als Basis unserer Existenz hier nicht ein „historisches
    Recht” hernehmen, sondern die Bemühung eine offene Gesellschaft
    aufzubauen für alle Menschen in Israel, nicht nur für die Juden, damit
    unsere Kinder in Frieden leben können. Wenn Israel nicht eine offene,
    multikulturelle Gesellschaft wird, haben wir bald einen “Kosovo” in
    Galiläa.”

    Was ist eigentlich ein Israelit?
    Ein Israelit ist ein Mensch der im Lichte Gottes steht, der sich selbst und somit Gott erkannt hat. Wie auch eine Hildegard von Bingen sagt, sei ein wahrer Israelit, ein Mensch der im gelobten Land nun wohnt, dem Reich Gottes in uns.

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