Die „Segnungen“ der Privatisierung

Doch damit würde sich die Politik- und Wirtschaftselite den eigenen Ast absegen. Neoliberale Think-Tanks wie die Bertelsmannstiftung intervenieren daher überall dort, wo sich noch Einrichtungen und Institutionen zur eigenen Strategie der „Landschaftspflege“ instrumentalisieren lassen.

Bertelsmann ist einer der größten Medienkonzerne der Welt. Etwa 100.000 Beschäftigte erwirtschaften in 60 Ländern knapp 20 Mrd. Euro Umsatz. Es gibt kaum noch ein gesellschaftspolitisch relevantes Themenfeld, in dem sie sich nicht engagiert. So greift die Bertelsmannstiftung bspw. massiv in die Schul- und Hochschulpolitik ein (Mehr zu Bertelsmann: http://www.nachdenkseiten.de/?s=bertelsmann). Ziel der Stiftung ist es hierbei, die Grenze zwischen Staat und Markt, zwischen neutralem Bildungsauftrag und privatwirtschaftlicher Indienstnahme verschwimmen zu lassen bzw. die Bildung stärker auf ökonomische Interessen auszurichten (Stichwort Humankapital).

Der humboldsche Bildungs- und Aufklärungsgedanke steht den privatwirtschaftlichen Interessen hierbei im Weg. In diesem Kontext stand auch die geäußerte Kritik einiger Wirtschaftsvertreter, die deutsche Schulbildung wäre sozialistisch. Nicht zuletzt diese Aussage verdeutlicht das Interesse der Privatwirtschaft, das neoliberale, rein wirtschaftsorientierte Denken, also die ideengeschichtliche Theorie des „homo oeconomicus“ von Anfang an in der Gesellschaft als Dogma zu verankern. Zusammengefasst: Es soll eine ideologisierte, marktförmige angepasste und unkritische Gesellschaftskultur geschaffen werden, die das Primat der Konkurrenz und des freien, flexiblen Marktes in Politik, Wirtschaft, Kultur und Bildung hingenommen sowie verinnerlicht hat.

Eine besondere Vermittlungsrolle spielt hierbei die „vierte Gewalt“, die Medienlandschaft, welche von den Agiteuren dieser Interessen unterwandert ist. Allein zum Bertelsmann Konzern gehören Europas Nummer Eins im Fernseh- und Radiogeschäft, die RTL Group, die weltweit größte Buchverlagsgruppe Random House sowie der größte europäische Zeitschriftenverlag Gruner & Jahr. Grunar & Jahr gehören u.a. politisch relevante Magazine und Zeitungen wie der „Stern“ und die „Financial Times Deutschland“. 25,5 % der Aktienanteile besitzt der Verlag auch vom „Spiegel“.
Von diesen Zeitungen und Magazinen wird man daher unter anderem keine investigative Fundamentalkritik am Wirtschaftslobbyismus erwarten können.

Grundlegend für die Ideologie des freien Marktes ist auch die hayeksche Pervertierung des Freiheitsbegriffes, dessen Erörterung der Schlüssel zum Verständnis neokonservativer, bzw. neoliberaler Politik ist. Nach Friedrich August von Hayek, einem der geistigen Väter des Neoliberalismus, (nach ihm ist auch die Friedrich-von-Hayek-Stiftung benannt) ist demnach „der anonyme Druck, den die Gesellschaft oder der Markt ausüben, kein Zwang. Vielmehr besteht Freiheit gerade darin, sich freiwillig konform zu verhalten und sich den Marktkräften zu unterwerfen.“ Und wer Freiheit will, muss auch soziale Ungleichheit wollen. Denn umgekehrt sind alle, die in irgendeinem Sinne soziale Gerechtigkeit anstreben, schon auf dem „Weg zur Knechtschaft“. Von sozialer Gerechtigkeit zu reden, ist daher nicht nur ein Irrtum, sondern einfach Unsinn.

Somit ist die Aktzeptanz, ja die Vorraussetzung sozialer Ungerechtigkeit in der neoliberalen Lehre institutionalisiert. Und es ist nicht bloß eine zufällige Entgleisung, dass Hayek 1979 voll des Lobes über die wirtschaftliche Situation in Pinochets Chile feststellte: „Man kann ökonomische Freiheit ohne politische Freiheit haben, aber man kann nicht nicht politische Freiheit ohne ökonomische Freiheit haben.“ Vielmehr liegt dieser Satz ganz auf der Linie seiner Lehre. „Ihr gemäß ist nämlich persönlich-ökonomische Freiheit die Freiheit schlechthin, während die politische Freiheit, von ihr qualitativ unterschieden, unter die relativen Freiheiten eingereiht wird“ (Edelbert Richter in: ABC des Neoliberalismus).

Demokratie verträgt sich zwar auf dem ersten Blick gut mit ökonomischer Freiheit, ist aber für sie nicht konstitutiv. „Demokratie ist für die Freiheit heute sogar eher eine Gefahr, sofern sie auf dem Mehrheitsprinzip, der Volkssouveränität oder den Befugnissen des Parlaments beharrt. Von Demokratisierung der Gesellschaft oder gar der Wirtschaft kann nach Hayek ohnehin keine Rede sein“ (Ders.).

Damit tritt der Selbstwiderspruch, als auch die letztendliche, relative Demokratiefeindlichkeit der neoliberalen Doktrin deutlich zutage: Einerseits wird betont, dass jeder Versuch, mehr soziale Gerechtigkeit herzustellen, in die politische Knechtschaft führt, was den Eindruck erweckt, dass der höchste Zweck die politische Freiheit sei. Andererseits stellt sich jedoch heraus, dass es um diese gar nicht geht, sondern nur um eine andere Art der Knechtschaft: Die Unterwerfung unter den Markt, die noch nicht einmal eine beschränkte politische Freiheit garantiert. Anders formuliert: Die Ummodulierung des Freiheitsbegriffes unter das Primat des Marktes ist die theoretische Grundlage für die gegenwärtigen Tendenz der Demokratieentleerung, globalen Privatisierung und Deregulierung, sprich: der Marktradikalisierung!

Die bisher geschilderten Verquickungen, führen zu einem Konglomerat der „Eliten“ in Wirtschaft, Politik und Medien, mit dem Ziel einer Umgestaltung der Gesellschaft und des Wohlfahrtsstaates Deutschland hin zu einem Wettbewerbsstandort bzw. zu einer Konkurrenz- oder Marktgesellschaft. Die Durchsetzung dieser umfassenden Agenda wird schon längst jenseits jeglicher demokratischer Legitimität betrieben, da von einer ausgeglichenen Interessenvertretung hierbei keine Rede mehr sein kann. Unbegrenzte Ressourcen, und damit ein herausragender, ja schon institutionalisierter Einfluss der großen wirtschaftlichen Interessensvertreter, haben zu einer unangefochtenen, aber informellen und verfassungsfeindlichen Monopolstellung geführt. Diese Tatsache hat natürlich direkte Auswirkungen auf die allgemeine politische Kultur, auf die Parteienlandschaft und die Inhalte der Berichterstattung, deren demokratisch-pluralistische Funktionen immer mehr erodieren. Die Kontrolle der politischen Institutionen von Unten, als auch eine relevante Transparenz derselben, ist nicht mehr gewährleistet.

Diese Entwicklung ist nicht nur ein nationales, sondern vor allem auch ein internationales Phänomen, dass die neoliberale Europäisierung begünstigt:

Ein zentraler Entwicklungspfad entsteht daraus, dass sich im Zuge neoliberaler Globalisierung das Kontrollverhältnis demokratisch legitimierter nationalstaatlicher Politik gegenüber der Ökonomie drastisch verschoben hat. Nationalstaatliche Institutionen erleiden einen Kontrollverlust, während die internationale, entfesselte kapitalistische Ökonomie einen immensen Kontrollgewinn über Finanzströme, Arbeitsplatzverlagerungen, Prekaritätsschübe etc. zu verzeichen hat. Ein solchermaßen ausgestatteter Kapitalismus entwickelt autoritäre Züge, bei denen die Demokratie als Staatsform zwar Bestand hat, aber sich gleichzeitig die Qualität bisher bekannter Demokratien westlichen Typs verändert“.

Im Zuge des von den Industriestaaten forcierten Freihandels, der den Wettbewerbsstaat impliziert, werden Kontrollverluste demokratischer Politik sichtbar. Diese Kontrollverluste scheinen aber von den etablierten Parteien nicht ausreichend erfasst zu werden. Denn gerade seitens der Regierungskoalitionen wurde diese Entwicklung durch die bereits erörterte Politik, die den Wettbewerbsstaat – auch als Paradigma innerhalb der EU – offen propagiert, forciert.

Der geschilderte Kontrollverlust hat zur Konsequenz, dass die Politik der Entstaatlichung, bzw. der schrittweisen Privatisierung öffentlichen Eigentums, über die Köpfe aller zivilgesellschaftlichen Akteure und der Bevölkerungsmehrheit hinweg fortgesetzt wird. Das ist besonders im Kontext der quasi unregulierten internationalen Finanzwirtschaft zu verstehen. Hier lässt sich der Bogen wieder zurück zum Ursprung der Finanzkrise schlagen: Gerade die Ungleichgewichte der Einkommens- und Vemögensverteilung werden durch die neoliberale Wirtschaftspolitik verstärkt. Wie gezeigt wurde, schafft sie diese Missstände nicht nur, sondern setzt sie vorraus. Denn genau die Ungleichgewichte sind die Grundlage der Spekulation und der verheerenden Zustände auf den Finanzmärkten.

Die Antwort auf diesen unheilvollen Kreislauf kann, neben massiven zivilgesellschaftlichen Protest und Aufklärungsarbeit, nur ein radikaler nationaler, und europäischer Politikwechsel sein. Die Alternative wäre ein progressiver Konstutitionalismus, bzw. eine Europäisierung von links. Diese würde zunächst bei einer arbeits- und sozialpolitischen Fundierung und der demokratischen Kontrolle der neuen europäischen Ökonomie anzusetzen haben. In diesem Sinne fordert auch das „Euromemo 2008“ eine Reform der Wirtschafts- und Sozialpolitik der EU mit dem Ziel, ein europäisches Gesellschaftsmodell als alternative zum US-Modell zu entwickeln.

Wenn aber die zivilisatorische Errungenschaft des Sozial- bzw. Wohlfahrtsstaates und die damit verbundenen Wertevorstellungen nicht erhalten und auf die europäische Ebene transformiert werden können, werden auch die grundlegenden Vorraussetzungen einer funktionierenden Demokratie verloren gehen.

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