Die „Segnungen“ der Privatisierung

Die neoliberale Doktrin wird auch die Finanzkrise überleben. Doch zu welchem Preis?

Von Sebastian Müller

Das mahnende Ereignis des Jahres 2008/2009 ist zweifelsohne die Finanz- und Wirtschaftskrise, die als die Größte seit Ende des 2. Weltkrieges in Erinnerung bleiben wird. Ungehemmte Spekulationsgeschäfte und Finanztransaktionen von Banken, Hedgefonds und Investment Groups fernab von jeder staatlichen Aufsicht, Besteuerung und Regulierung haben dieser Krise Tür und Tor geöffnet.

Doch es ist nicht nur eine Krise des Turbo-Finanzkapitalismus, der Ideologie des freien, uneingeschränkten Marktes, dessen abstruse Theorie spätestens jetzt als gescheitert angesehen werden müsste, sondern es ist auch – ja gerade deswegen – eine Krise der westlichen Demokratien (Das ist teilweise ein Rückgriff auf die Argumentation des Artikels über die Krise der Sozialdemokratie).

Das Argument, die Finanzkrise wäre ausschließlich auf das Fehlverhalten einiger schwarzer Schaafe zurückzuführen, wie Wirtschaftsvertreter immer wieder beteuern, ist mehr als nur zu kurz gegriffen und soll allein der Verschleierung des Offentsichtlichen dienen: Dass das gegenwärtige globale Finanz- und Wirtschaftssystem jegliche Legitimationsgrundlage verloren hat. Eine demokratische Legitimation hat dieses System ohnehin noch nie gehabt.

Wie aber sollen aus dieser fundamentalen Gesellschaftskrise, welche die Finanzkrise unverkennbar ist, die richtigen Lehren gezogen werden, wenn der Irrtum der alten Überzeugung bewusst geleugnet oder ignoriert wird? Wie soll eine neoliberale Wirtschafts-, Finanz-, und Gesellschaftspolitik aus den Angeln gehoben werden, wenn eben diese neoliberale Ideologie bereits die Agenda fast aller im Bundestag vertretenen Parteien beherrscht, und mehr noch, längst schon die Positionierung der großen Medien und das Bewusstsein weiter Teile unserer Gesellschaft bestimmt?

Wie groß war die Hysterie in den Medien und der deutschen Öffentlichkeit, als das Platzen der Immobilienblase in den USA schrittweise zu dem Ausmaß des jetztigen Desasters heranwuchs. Plötzlich, wie aus dem Nichts, wurden totgesagte Begriffe und Rezepte aus der verstaubten deutschen Mottenkiste geholt: „Verstaatlichung“, „Regulierung“, „Besteuerung“, „Keynesianismus“ und sogar „Sozialismus“ waren die Schlagwörter, welche plötzlich wieder in den Focus der Debatte gerieten.

Ergo: Rezepte, die im „Zeitalter der Globalisierung“ als wirkungslos galten, waren auf einem Schlag als Mittel gegen die Krise wieder gut genug – ein Paradoxon oder aber ein Armutszeugnis der neoliberal gefärbten Instant-Argumentation der deutschen “Medieneliten”. Plump und aufreisserisch wurde in den Polittalkshows die Frage nach dem Ende des Kapitalismus aufgeworfen. Viele Medien prognostizierten zumindest das Ende des Neoliberalismus. Diesbezüglich bräuchte man allerdings eine klare Begriffsdefinition, um zu wissen, was eigentlich konkret gemeint ist. Denn der Abschied von einem negativ besetzten Begriff bedeutet noch lange nicht den Abschied von den Merkmalen seiner Politik.

Durchsichtiger wurde das gesamte Begriffskarusell auch nicht, als Guido Westerwelle sich erdreistete zu behaupten, die FDP stünde seit jeher für einen starken Staat. Und mit einem Mal war die langjährige lafontainsche Regulierungs– und Transparenzforderung für den Finanzsektor nicht mehr polemisch, sondern gehörte zum guten Ton der parlamentarischen und öffentlichen Debatten aller Politiker und Parteien.

Dass diese kollektive, scheinheilige Einsicht allerdings nichts, aber auch rein gar nichts mit einem wirtschaftspolitischen Umdenken zu tun hat, sondern lediglich strategisch begründet ist, zeichnet sich nun immer deutlicher ab. Was nun zu beobachten ist, ist die altbewährte Taktik des Aussitzens seitens der Regierungskoalition hinter einem polemischen Krisenkompetenz-Gebaren. Die Rezepte der antizyklischen Wirtschaftspolitik und der Verstaatlichung (siehe die “Teilverstaatlichung” der Commerzbank – dazu Heribert Prantl: http://www.sueddeutsche.de/finanzen/67/456733/text/), werden wohl nur vorläufg angewandt und wieder zurückgenommen. Nach einem kurzen Maulkorb wird die Effizienz und Wohlstandsförderung des freien, deregulierten Marktes in der öffentlichen Debatte von den Meinungsmachern und Medienintellektuellen nun wieder lauter und selbstbewusster postuliert.

So hat Merkel ihre Verweigerungshaltung gegenüber einer antizyklischen Krisenpolitik dadurch unter Beweis gestellt, dass sie auf den sich abzeichnenden Wirtschaftsabschwung lediglich mit Durchhalteparolen reagierte, und das spärliche Konjunkturpaket viel zu spät durchgesetzt hat. Mehr noch, gemäß der immer noch herrschenden neoliberalen Ideologie war das Konjunkturpaket eine Fortführung der bisherigen CDU/SPD Wirtschaftspolitik: Die Entlastungen, die in diesem Paket enthalten sind, begünstigen einmal mehr die Konzerne und einkommensstarken Bevölkerungsschichten. Oder mit anderen Worten: Der Umverteilungsprozess von Unten nach Oben wird weiter fortgeführt, die Lasten der Krise müssen die vom Abschwung am meisten betroffenen Menschen tragen. Damit ist aber auch keine Konsum- und damit Konjunkturbelebung zu erwarten – der Teufelskreis angebotsorientierter Wirtschaftslogik.

Ernsthafte Diskussionen über Gesetzesentwürfe, die den unkontrollierten Finanztransaktionen einen Riegel vorzuschieben können, sind bisher ausgeblieben. Das ist genauso skandalös wie die Tatsache, dass die Mitverursacher der Krise juristisch nicht belangt werden (weil es auch dafür keine Regelung gibt).

Während Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger unter dem Vorwurf, dem Staat auf der Tasche zu liegen, durch die Hartz IV- und Agenda 2010-Reformen Kürzungen hinnehmen müssen, fahren Vorstandsvorsitzende, die wahrlich eine wirtschschaftliche und soziale Verantwortung besitzen, Unternehmen an die Wand und kassieren dafür Abfindungen in Millionenhöhe. Für eine höhere Rendite ist es Praxis, tausende von Arbeitsplätzen zu streichen. Den steigenden Gewinn lassen sich dann die Ackermanns dieser Welt mit höheren Bezügen vergelten.

Wer bei solchen Praktiken noch nicht merkt, dass es einen fundamentalen politischen und gesellschaftlichen Missstand gibt, muss nicht zuletzt den Bezug zu den wesentlichen Artikeln der deutschen Verfassung verloren haben: Art. 14, Absatz 2 GG: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Und aus dem Sozialstaatspostulat leitet sich das Sozialstaatsprinzip als eine Grundlage des Grundgesetzes ab. Art. 79, Absatz 3 GG: (Ewigkeitsklausel) schützt das Sozialstaatspostulat vor Verfassungsänderungen. Doch diese normativen Grundsätze werden in der Praxis immer mehr missachtet. Denn warum sollten Parteien, die längst im immer höheren Maße mit der Wirtschaftsaristokratie verflechtetet sind, und in mehr oder weniger offentsichtlichen Wechselwirkungen mit den Think-Tanks von Stiftungen großer Konzerne stehen, auch ein ideologisch freies Umdenken anstreben (bzw. anstreben können)?

Die neoliberale Agenda, sprich die Doktrin der schrittweisen Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge, damit des Bildungsektors, der Infrastruktur, der Gesundheit und des Energiesektors, als auch die Deregulierung der Wirtschaft, scheint zur deutschen und internationalen Räson geworden zu sein.

Ein Umdenken würde aber das pervertierte Profitstreben, die Logik der hemmungslosen Selbstbereicherung, ja die Individualisierung von Verantwortung und nicht zuletzt die Tendenz einer partikularisierten, egozentrischen „Gesellschaftsordnung“ von Grund auf in Frage stellen müssen. Eine tiefe Auseinandersetzung mit der Krise würde nicht nur eine oberflächliche Kritik an einzelnen Banken und Managern erfordern, sondern auch einer Debatte über den sozioökonomischen und kulturellen Wandel unter der neoliberalen Leitkultur in unserer Gesellschaft insgesamt bedürfen.

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