"Man muss es halt erklären"

In den Leitartikeln beschwören die großen Medien wieder den Neoliberalismus

Von Sebastian Müller

Bild: FaceMePLS, "Alledaags Rome". Some rights reserved. Quelle:www.pigs.deSeit kurzem stehen in den gebeutelten Krisenländern Griechenland, Portugal und Spanien die Zeichen wieder auf Sturm. In Greichenland haben – nach Bekanntwerdung der neuesten Pläne der Troika (IWF, EZB und EU-Kommission) – die Gewerkschaften zu Protesten aufgerufen. In Spanien wurde, ähnlich wie auch in Portugal, von Demonstranten das Parlament eingekreist, um gegen die Entführung der Demokratie und die “Zweiparteiendiktatur der PPSOE” zu protestieren.

Während in Portugal die Proteste friedlich waren, heizte die spanische Regierung die Stimmung an, indem so getan wurde, als müsse das Parlament vor Putschisten verteidigt werden und die Polizei mit brachialer Gewalt vorging. Das alles muss berücksichtigt werden, wenn man von einer Radikalisierung der Proteste spricht. Die Frage die sich fast zwangsläufig stellt, ist, was man denn angesichts einer Krisenpolitik erwartet, die die Daumenschrauben für die Bevölkerung Schritt für Schritt weiter anzieht, sprich – rein destruktiv agiert.

Das veranlasste so manchen deutschen Redakteur, sich seine Gedanken über die Zustände im Süden zu machen. Verständnis für die abschätzig als “Krawallmacher” bezeichneten Demonstranten haben sie jedoch wenig. Vielmehr müsse man den Menschen auf der Straße die neoliberalen Schocktherapien besser erklären, dann würde es auch weniger Proteste geben, so die simple Quintessenz von Stefan Kornelius Leitartikel in der Süddeutschen Zeitung. Das erinnert ein wenig an Joachim Gauck, der vor noch gar nicht so langer Zeit Angela Merkel dazu aufforderte, ihre EU-Politik den Wählern besser zu erklären.

Was Kornelius und auch Gauck damit sagen wollen: Die derzeitige Krisenpolitik, die den Südeuropäern – insbesondere in Griechenland – derart zusetzt, die Politik der Kürzungen, Streichungen und Privatisierungen, also jene Politik die eine beispiellose Verarmungs- und Depressionsspirale in Gang gesetzt hat, ist demnach zwar richtig, wurde jedoch nicht verständlich vermittelt.

So sieht es auch Klaus-Dieter Frankenberger in der F.A.Z, der den Regierungen in den “Schuldenländern” rät, ungeachtet der Proteste gegen die Sparpolitik nicht den “Mut” zu verlieren, “an ihrem Kurs festzuhalten.” Denn, so Frankenberger, die Eskalierung der Proteste in Südeuropa zeigt, dass die Sparpolitik Wirkung zeige – “die Kürzungen treffen viele Leute wirklich.”

Das ist nicht nur reaktionär, man kann so etwas auch ignorant oder zynisch nennen. Doch der F.A.Z-Redakteur für Außenpolitik meint es ernst, denn er liefert eine handfeste Begründung gleich mit: “Wer die Wettbewerbsfähigkeit seiner Wirtschaft ruiniert, muss später einen hohen Preis zahlen.”

Wie die Experten der Troika scheint das Studium der Volkswirtschaftslehre auch Frankenberger nicht davor zu bewahren, die Ursachen der Krise völlig zu verkennen. Spanien, das vor der Finanzkrise als leuchtendes Beispiel der Prosperität galt, soll nun plötzlich keine Wettbewerbsfähige Wirtschaft mehr haben? Völlig missachtet wird, dass die sogenannte “Schuldenkrise”, wie sie nun nach einem grandiosen PR-Coup genannt wird, erst durch die umfassenden Bankenrettungsprogramme entstand und nicht durch eine Ausgabenpolitik auf Pump, wie es Frankenberger in allem Ernst behauptet. Im Gegenteil, die spanischen Staatsschulden reduzierten sich von 62,4 Prozent im Jahr 1999 auf 36,3 Prozent des BIP im Vorkrisenjahr 2007.

Das Verstörende ist, dass diese Widersprüche nicht einmal angedeutet werden. Ebenso wenig wird sowohl in der Süddeutschen als auch in der F.A.Z zur Kenntnis genommen, dass Deutschland durch seine langjährige Lohndumpingpolitik erheblichen Anteil an dem volkswirtschaftlichen Ungleichgewichten innerhalb der EU hat. Während Kornelius den Sparvorgaben immerhin ein Gerechtigkeitsdefizit attestiert, trommelt Frankenberger als Redakteur einer der angesehnsten Zeitungen Deutschlands völlig unkritisch und mit unterschwelligen Ressentiments für jene neoliberalen “Reformmaßnahmen” der Troika, die seit 2008 die Krise verstärkt haben.

Der neueste Clou, der die griechischen Gewerkschaften nun auf den Plan rief, hat es in sich: Die Hellenen sollen nun 13 Stunden täglich in einer 6-Tage-Woche arbeiten und dafür später in Rente gehen. Dabei stehen die Arbeitsbedingungen von Angestellten weder in einem direkten Zusammenhang mit den Staatschulden, noch haben sie die Finanzkrise ausgelöst. Richtig aber ist, dass Kürzungen bei Investitionen, Gehältern und sozialen Leistungen – sprich das Sparen inmitten einer Rezession – krisenverschärfend wirkt. Bekannt ist diese Binsenweisheit eigentlich schon seit 1930.

Und genau darin liegt das tatsächliche Problem der gewählten Verwalter der Troika-Vorgaben. Es gibt keine plausible Erklärung für diesen Generalangriff auf europäische Arbeitnehmer- und Sozialrechte. Insofern steigt – wie Kornelius konstatiert – mit der Zahl der Demonstranten auch “die Bereitschaft zum politischen Extremismus”. Die Frage ist nur – auf welcher Seite.

Artikelbild: FaceMePLS, “Alledaags Rome”. Some rights reserved. Quelle: www.pigs.de

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11 Kommentare zu ""Man muss es halt erklären""

  1. klaus baum sagt:

    Das Argument, man müsse es nur besser erklären, war kurz nach der Einführung von Hartz IV bereits im Umlauf. Mein Gegenargument war damals und ist es noch heute, die Lüge oder die Unwahrheit kann man nicht besser erklären. Die Lüge lässt sich nicht zur Wahrheit ummünzen.

    • Sebastian Müller sagt:

      „Und wenn alle anderen die von der Partei verbreitete Lüge glaubten – wenn alle Aufzeichnungen gleich lauteten -, dann ging die Lüge in die Geschichte ein und wurde Wahrheit.“ – George Orwell

  2. Dankeschön, sehr richtig! Nur das Wörtchen “Rezension” im vorletzten Absatz muss “Rezession” heißen!

  3. Reyes Carrillo sagt:

    Vielen Dank wieder für diese Einordnungen, lieber Sebastian! Ich beneide weder dich noch alle anderen Blogger jenseits der so genannten “Qualitätsmedien”, dass ihr euch das immer wieder antut, jeden neuen Tag diesen Manipulationsdreck derselben zu durchforsten! Meine sensiblen Magennerven würden das niemals aushalten! Respekt!
    Und es ist so wichtig, dass du und ihr immer wieder diese neoliberalen Nebelschwaden lüftet und wegpustet! Wirklich vergnügungssteuerpflichtig kann das aber nicht sein.

  4. Eric B. sagt:

    Gute Analyse. Ich würde noch ein wenig weitergehen und mir mal die strukturelle Gewalt anschauen, die in den Vorgaben der Troika und den Sparprogrammen steckt. Die Lasten der “Rettung” werden gezielt der Bevölkerung aufgebürdet; zugleich wird jede Alternative systematisch zerstört. Im Grunde ist es die Agenda 2010 für ganz Südeuropa, und Hartz IV für alle. Kein Wunder, dass die deutschen Leitmedien jubeln – während es Spanier und Griechen als Zwangsjacke empfinden…
    http://lostineurope.posterous.com/ein-gewaltverhaltnis

  5. Ein großes Ja, aber:

    Ich stimme vollkommen zu, dass die Berichterstattung (und vor allem die Kommentare) der deutschen Leitmedien über die jüngsten Demonstrationen geradezu peinlich war. Insbesondere ist es erschreckend, in welchem Ausmaß das, was in Südeuropa geschieht, immer noch als “die Krise der anderen” betrachtet wird. Dass die Austeritätspolitik im Wesentlichen auf die deutsche Bundesregierung als einflussreichstes Mitglied im Europäischen Rat zurückzuführen ist, wird dabei ebenso ignoriert wie die dramatischen Auswirkungen, die der ökonomische und gesellschaftliche Ruin der südlichen Mitgliedstsaaten auch auf den Rest von Europa haben wird.

    Nur zwei kleinere kritische Anmerkungen. Erstens: So richtig es ist, dass Spanien vor der Krise hohe staatliche Haushaltsüberschüsse hatte, so richtig ist leider auch, dass die spanische Wirtschaft seit Jahren ein Produktivitätsproblem (also einen “Mangel an Wettbewerbsfähigkeit”) hat. Der spanische Boom vor der Krise basierte vor allem auf dem Tourismus und der Baubranche – beides Sektoren mit geringen Qualifikationsanforderungen und kaum Chancen zur Produktivitätssteigerung. Am Anfang des spanischen Schuldenproblems standen auch nicht die Banken, sondern dass in der Finanzkrise die Immobilienblase platzte und die Arbeitslosigkeit (gerade unter Niedrigqualifizierten) nach oben schnellte. Die Lösung für dieses Problem aber wären natürlich Investitionen in mehr Bildung und Forschung, nicht der unsinnige Sparkurs, der die Wirtschaft immer weiter abwürgt.

    Und zweitens: Teil des Problems in Südeuropa ist tatsächlich, dass die Lohnstückkosten im Vergleich zu den nordeuropäischen Ländern zu hoch sind. Wenn die Troika vorschlägt, dass die griechischen Arbeitnehmer fürs gleiche Geld mehr arbeiten sollen, dann senkt das die Lohnstückkosten und ist zunächst einmal als Lösungsansatz nicht völlig unplausibel. Für die griechischen Unternehmen bedeutet das, dass sie bei gleichen Lohnausgaben mehr fabrizieren und verkaufen können, womit Investitionen wieder interessanter werden. (Nur müssen die Waren dann natürlich nach Nordeuropa exportiert werden – dem griechischen Binnenkonsum helfen Niedriglöhne definitiv nicht weiter.) Der Vorschlag der Troika ist in diesem Fall nicht offensichtlich dumm; er ist nur sozial außerordentlich unausgewogen, da er die Lasten der Krise massiv auf die griechischen Arbeitnehmer abwälzt. Dass die griechischen Lohnstückkosten im Vergleich zu Deutschland zu hoch sind, ließe sich ja auch dadurch lösen, dass die Löhne in Deutschland erhöht werden (worüber ich schon vor einem Jahr mal ausführlicher geschrieben habe: http://foederalist.blogspot.de/2011/10/was-passiert-wenn-europa-deutsch-wird.html ).

    Aber das sind, wie gesagt, nur Kleinigkeiten. An der Hauptsache, der beschämend unterkomplexen und selbstzufriedenen Wahrnehmung der Krise durch die deutschen Medien, die hier völlig zu Recht kritisiert wird, ändern sie nichts.

    PS. Ist es eigentlich Absicht, dass in dem Blogpost die Vornamen sowohl des SZ- als auch des FAZ-Kommentatoren falsch wiedergegeben sind? Herr Kornelius heißt nicht Frank, sondern Stefan, und Herr Frankenberger nicht Dieter, sondern Klaus-Dieter.

    • Sebastian Müller sagt:

      “Der spanische Boom vor der Krise basierte vor allem auf dem Tourismus und der Baubranche – beides Sektoren mit geringen Qualifikationsanforderungen und kaum Chancen zur Produktivitätssteigerung.”

      Das ist natürlich richtig und einer der Gründe dafür, das Spanien jetzt so eine hohe Jugendarbeitslosigkeit hat.

      “Teil des Problems in Südeuropa ist tatsächlich, dass die Lohnstückkosten im Vergleich zu den nordeuropäischen Ländern zu hoch sind. Wenn die Troika vorschlägt, dass die griechischen Arbeitnehmer fürs gleiche Geld mehr arbeiten sollen, dann senkt das die Lohnstückkosten und ist zunächst einmal als Lösungsansatz nicht völlig unplausibel.”

      Das will ich garnicht verhehlen, das sagen im übrigen auch die Keynesianer wie Flassbeck. Die Frage ist nur wo das letztendlich hinführen soll, wenn überall die Lohnstückkosten immer weiter nach unten korrigiert werden. Die tiefere Logik dahinter ist doch pervers. Es ist die Agendaisierung Europas. Wie Du selber sagst, wäre die einzig wirklich sinnvolle Alternative, die Löhne in Deutschland nach oben zu korrigieren – sonst sind wir irgendwann dort angelangt, wo wir im 19. Jahrhundert schon einmal waren. Ganz abgesehen davon, dass mit der Sparpolitik plus Lohnkürzungen etc. massiv die Binnennachfrage geschwächt wird.

      “Ist es eigentlich Absicht, dass in dem Blogpost die Vornamen sowohl des SZ- als auch des FAZ-Kommentatoren falsch wiedergegeben sind?”

      Eigentlich nicht, ich muss wohl unter einem plötzlichen Anfall von Legasthenie gelitten haben…

  6. maschkom sagt:

    Liebe Leute, es ist, war und wird niemals die Aufgabe einer Regierung sein, die Probleme der Menschen zu lösen, schon gar nicht die Finanziellen. Ihre Aufgabe ist es für einen sogenannten sozialen Frieden zu sorgen. Den Ausgleich zwischen den Interessen der Gesellschaft. Da die wirtschaftlichen Interessen immer höher bewertet werden (also nach Expansion, geringen Löhnen, billigen Ressourcen und persönlichen Vorteilen) als die Interessen benachteiligter Gruppen, kann eine Regierung aus eigenem Antrieb nicht für die angesprochene soziale Gerechtigkeit sorgen. Aus sich selbst heraus geht das nur vor der Wahl. Nach der Wahl geht´s um die Realpolitik. Erst mit einer Welle der Empörung und des Widerstands, der größer sein muss als das Problem selbst, gerät die Regierung in die Zwangslage der Wirtschaft (als Interessenlager) die Notwenigkeit einer Regulierung abzuringen, um den sozialen Frieden wieder herzustellen. Übrigens ist das auch das Prinzip von Gewerkschaften.

    Was momentan in Griechenland und Spanien abgeht werden wir auch bald in anderen Teilen Europas erleben. Sicher auch in Deutschland. Momentan krachen die Absatzmärkte in Europa weg. Das hat bereits Auswirkungen auf die Industrie in Deutschland. Momentan sind es nur 10 Weltkonzerne, die wirklich von diesem gemeinsamen Markt Europa profitiert hatten. Ungefähr 4 Mio. Deutsche besitzen Aktien an diesen Unternehmen. Die freuten sich bisher natürlich sehr darüber, dass die immer fetter werdenden Konzerne, denn die Aktien gingen weg wie warme Semmeln, die Industrie in Griechenland, Italien, Spanien und anderen verdrängen konnten. Dass die Betroffenen dieser Länder deshalb auf die Straßen gehen müssen sieht man auf dem Auszahlungsschein der Dividenden nicht.

    Das Problem in Europa ist also, dass die Bürger noch nicht oft genug und noch nicht zahlreich genug auf die Straßen gehen. Wenn sie auf die Straßen gehen, fordern sie nicht die Regulierung des Finanzsystems, sondern personenbezogene Forderungen, also persönliche Vorteile.

    In den Protestbewegungen fehlen die Ziele. Es fehlt die Einigung auf sinnvolle Forderungen, die Lösungen versprechen.Selbst die Occupy Bewegung äußert nicht einheitlich, was die Regierung verändern soll. Damit kann eine Regierung nichts anfangen. Es gibt keine Forderung, die die Regierung nehmen kann, um den sozialen Frieden wieder herzustellen.

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