Spanien
Der radikale Pragmatismus von Podemos

Podemos ist keine klassische Linkspartei. Sie bedient sich einer Strategie der machtpolitischen Repräsentation, um bei den Parlamentswahlen die beiden Volksparteien mit ihren eigenen Waffen zu schlagen.

Podemos

Bild: Maria Navarro Sorolla / flickr / CC BY-NC 2.0

Spanien befindet sich im politischen Umbruch. Das Zweiparteiensystem, in dem sich seit dem Übergang zur Demokratie in den 70ern die sozialdemokratische PSOE mit der konservativen PP die Macht geteilt hat, steht vor dem Ende. Zwei neue Parteien, die linke Podemos und die rechte Ciudadanos, werden ins Parlament einziehen. Eine Koalitionsregierung scheint unausweichlich. Die Krise der alten Parteien ist dabei nur das sichtbarste Zeichen für einen tiefen Vertrauensverlust, mit dem das politische Establishment Spaniens zu kämpfen hat.

Ein erster Fingerzeig waren die „Indignados“, die im Mai 2011 auf dem Höhepunkt der hereinbrechenden Wirtschaftskrise in ganz Spanien wochenlange Demonstrationen abhielten und das symbolische Herz Spaniens, die Puerta del Sol in Madrid, besetzten. Dabei richtete sich ihre Wut zwar vor allem gegen die Sparpolitik, die die Rettung der Banken finanzieren sollte, und welche die PSOE gerade gemeinsam mit der PP in die Verfassung verankert hatte. Doch einer ihrer Slogans war auch: «Democracia real ¡YA! No somos mercancía en manos de políticos y banqueros». “Endlich echte Demokratie! Wir sind keine Waren in den Händen der Politiker und Banker!”

Es war also nicht allein ein sozialer Protest, etwa gegen die Jugendarbeitslosigkeit, die schon damals 44 Prozent betrug. In der 15-M Bewegung, die von einer großen Mehrheit der Bevölkerung unterstützt wurde, drückte sich die Entfremdung der Spanier vor ihrer diskreditierten politischen Klasse aus: „Sie vertreten uns nicht!“ (Die Indignados nennt man in Spanien 15-M nach dem 15. Mai 2011, dem Beginn der Proteste).

„Politik ist nicht, was du oder ich uns wünschen. Es ist was es ist, und es ist schrecklich. Schrecklich.“ – Pablo Iglesias

Bei den Wahlen 2011 brach der Stimmenanteil der regierenden PSOE um fast 40% ein. Der Gewinner war die konservative PP – noch funktionierte das System, in dem die Abwahl einer Regierung lediglich den Wechsel zur anderen Partei bedeutete. Die 15-M Bewegung verlief derweil im Sande; aus ihr entstanden zwar bedeutende neue soziale Bewegungen (gegen Zwangsräumungen, für die Verteidigung des öffentlichen Gesundheitswesens etc.), aber politisch schien sie keine Ergebnisse produziert zu haben.

Unter der Oberfläche aber rumorte es. 15-M war das erste Zeichen, dass der soziale, politische und kulturelle Konsens, der in den späten 70ern aus einem Kompromiss mit den alten Eliten der Franco-Zeit hervorgegangen war, ins Wanken geriet. Trotzdem dauerte es noch fast drei Jahre, bis sich die “Empörung” vom Mai 2011 in der Parteienlandschaft niederschlug.

Podemos schien aus dem Nichts zu kommen. Im Januar 2014 wurde im Internet ein Manifest veröffentlicht, dass unter dem Titel Mover ficha: convertir la indignación en cambio político („Spielstein bewegen: Die Empörung in politische Veränderung verwandeln“) die Aufstellung einer Kandidatur für die anstehende Europawahl forderte, um der europäischen Sparpolitik etwas entgegenzusetzen. Das Manifest, das von 30 Personen des öffentlichen Lebens unterzeichnet worden war, stammte aus dem Umfeld der trotzkistischen Partei “Antikapitalistische Linke”. Von Anfang an aber wurde deutlich, dass sich hier etwas ereignete, das weit über die Welt der winzigen linken Parteien hinaus wies.

Als Spitzenkandidat der neu entstehenden Liste wurde Pablo Iglesias vorgestellt, ein Professor der Politikwissenschaft an der Universität Madrid, der zwar nicht zu den Initiatoren des Manifestes gehörte hatte, aber seit Monaten im spanischen Fernsehen als eloquenter Kritiker der Sparpolitik präsent gewesen war. Die neue Bewegung gab sich die Vorgabe, nur anzutreten, wenn sich bis zum Mai 50.000 Unterstützer auf ihrer Website registriert hatten. Dieses Ziel war innerhalb von zwei Tagen erreicht und als die Partei drei Monate später bei der Europawahl antrat, erreichte sie 8% Prozent der Stimmen. Viele Spanier hatten auf eine solche Partei gewartet.

Im folgenden bildeten sich überall im Land fast 1000 sogenannter “Kreise”, lokaler Vereinigungen von Podemos, die der neuen Partei eine Graswurzelbasis schufen. Direkt nach der Europawahl im Mai 2014 kam es zum offiziellen Gründungskongress der neuen Partei. Der Aufstieg Podemos in den Wahlumfragen begann. Dieser beispiellos rasche Entstehungsprozess lässt sich vor allem auf das Scheitern sowohl der Protestbewegungen, als auch der traditionellen Linken zurückführen. Sie vermochten die “Empörung” und die Krise des politischen Regimes nicht zu nutzen. Podemos füllte dieses Vakuum.

Ursprünglich war Podemos lediglich als ein neuer Impuls im Kontext der bestehenden Linken gedacht. Die meisten Kader von Podemos waren aus 15-M und verwandten sozialen Bewegungen hervorgegangen. Man hatte sich auch um eine Zusammenarbeit mit der alten Linkspartei, der Unidad Izquierda bemüht (einem Bündnis aus der alten Kommunistischen Partei und neuen ökologischen Linken). Doch auf beiden Seiten stieß Podemos auf Ablehnung. Die aktivistische Linke misstrauten dem Anspruch einer einzelnen Organisation, für die “Empörten” zu sprechen, während die UI nicht in der Lage gewesen war, die Proteststimmung im Land aufzugreifen und paradoxerweise in einer vorsichtigen, abwartenden Haltung verharrte.

Für Podemos erwies sich diese Ablehnung als Glücksfall. Denn sie schuf den Raum für die Entwicklung einer eigenen politischen Identität, die sich deutlich von traditionellen Linken und sozialen Bewegungen unterscheidet.

Auf den ersten Blick scheint es, als läge Podemos’ Strategie darin, sich moderat zu geben um möglichst viele Stimmen abzugreifen – und auf eine gewisse Art stimmt das auch. Während das Gründungsmanifest noch eher den traditionellen Forderungen der radikalen Linken entsprach, ist inzwischen weder in den Programmen noch in der Rhetorik von Podemos die Rede von Klassenkampf oder Sozialismus. Wie Iglesias offen zugibt, kämpft Podemos letztendlich für den sozialen Kompromiss der Nachkriegszeit:

Von einer Prüfung der Staatsschulden zu sprechen, einer kollektiven Kontrolle strategisch wichtiger Wirtschaftssektoren, der Verteidigung und der Verbesserung öffentlicher Daseinsvorsorge, der Wiederherstellung der Souveränität und unserer industriellen Kapazitäten, von der Schaffung von Arbeitsplätzen durch öffentliche Investitionen, davon den Konsum zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass öffentliche Finanzinstitute kleine und mittlere Unternehmen und Familien unterstützen – das ist, wovon jeder Sozialdemokrat in Westeuropa vor dreißig Jahren gesprochen hätte.”

Dass Podemos trotzdem keine Partei der reformerischen Mitte ist, ist schon allein der zunehmenden Verengung des politischen Feldes geschuldet, in dem dieses Programm einer moderaten Sozialstaatlichkeit und keynesianischer Makroökonomie als linksradikal gilt – vor allem in der südlichen Peripherie.

Darüber hinaus steht hinter dem scheinbar gemäßigten Auftritt von Podemos eine strategische Einsicht. Dass nämlich die tiefe und langfristige Krise linker Politik, sowie die fast vollständige ideologische Hegemonie des Neoliberalismus es heute unmöglich macht, als dezidiert linke Partei politisch erfolgreich zu sein.

Basierend auf dem Konzept des Linkspopulismus des argentinischen Theoretikers Ernesto Laclaus und der Erfahrung der (bis vor kurzem) erfolgreichen linken Bewegungen Südamerikas des letzten Jahrzehnts, versucht Podemos “jenseits von Links-Rechts” eine neue politische Identität zu schaffen: die des “Volkes”, das sich als Gegenpol zur politischen und wirtschaftlichen Elite versteht. Grundsätzliche Kapitalismuskritik tritt dann in den Hintergrund, zugunsten einer oft moralisierenden Anklage der korrumpierten Politik und dem obszönen Egoismus der Reichen.

Eine solche Strategie entspricht auch der sozialen Realität Spaniens. Einer Realität, in der sich die Mehrzahl der Mittelschicht zugehörig fühlt und wenig mit traditioneller linker Politik am Hut hat, gleichzeitig aber der Druck der Verelendung und der Perspektivlosigkeit auch vor Akademikern nicht halt macht. Podemos basiert demzufolge auf der Wette, dass die Wirtschaftskrise zu einer Legitimationskrise des bestehenden politischen Regimes geführt hat. Die ermögliche es einer oppositionellen Kraft wie Podemos, eine Mehrheit hinter sich zu versammeln und einen radikalen Bruch herbeizuführen, so das Kalkül.

Um dieses Ziel zu erreichen, glaubte man jedoch die politische Kultur der Protestbewegungen hinter sich lassen zu müssen. Besonders zu Beginn wurde die Strategie der Partei nicht von einer Graswurzelbasis bestimmt, sondern von einigen Kadern um den Spitzenkandidat Pablos Iglesias, hervorgegangen aus einer losen politischen Gruppe aus dem Umfeld der Fakultät für Politikwissenschaften der Universität Complutense in Madrid. Diese Gruppe hatte seit einiger Zeit zwei Fernsehprogramme produziert, La Teurka und Fort Apache, in denen versucht worden war, eine politische Gegenöffentlichkeit aufzubauen.

Schon dort war das Ziel gewesen, das kleine Milieu der traditionellen Linken hinter sich zu lassen und mit einem populären Diskurs weite Teile der Bevölkerung anzusprechen. In der neuen Partei sollte nun die bei der Fernseharbeit gewonnene Erfahrung genutzt werden, um auf dem Schlachtfeld der Medien eine neue populistische Identität zu konstruieren. Alle, die von dem Egoismus und der Korruption der alten politischen Klasse genug hatten, sollten sich in ihr wiederfinden. Beispielhaft für diese Strategie ist der Begriff “la casta” (die Kaste), der genau diese Verfilzung von politischen und wirtschaftlichen Eliten beschreibt. Podemos hat diesen Begriff erfunden, der heute aus dem spanischen Diskurs nicht mehr wegzudenken ist.

In einer Rede verteidigte Iglesias diese Strategie der „populären Einheit“ gegen eine Tendenz, die er in seinem Buch Disputar la Democracia als „left infantilism1“ kritisiert. Er bezog sich dabei direkt auf Lenin, „diesen Glatzkopf – ein Genie. Er verstand die konkrete Analyse einer konkreten Situation. Während des Krieges, 1917, als das alte Regime in Rußland zusammenbrach, sagte er etwas sehr einfaches zur russischen Bevölkerung, ob Soldaten, Bauern oder Arbeiter. Er sagte: ‘Brot und Frieden.’

Und als er sagte ‘Brot und Frieden,’ was jeder wollte – das Ende des Krieges und genug zu essen zu haben – haben viele Russen, die keine Ahnung hatten ob sie ‘links’ oder ‘rechts’ waren, aber wussten, dass sie Hunger hatten, sich gesagt: ‘Der Glatzkopf hat recht.’ Und der Glatzkopf hatte Erfolg. Er erzählte den Russen nicht von ‘dialektischem Materialismus,’ er erzählte ihnen von ‘Brot und Frieden’. Und das ist eine der wichtigsten Lektionen des 20. Jahrhunderts.“

Man ersetze “Brot und Frieden” durch “la casta” und man bekommt ein Gespür für den radikalen Pragmatismus von Podemos. Man könnte das einen linken Wolf im Schafspelz des Populismus nennen, wenn die konkrete Programmatik von Podemos nicht so meilenweit von der Diktatur des Proletariats entfernt wäre.

Das besondere an Podemos im Kontext der europäischen Linken ist aber nicht ihr moderates Programm, sondern vielmehr, wie ernst sie es mit dem Versuch meinen, zu gewinnen. Einen Monat nach der Gründung von Podemos sprach Iglesias über dieses Thema in einer Talk-Show:

Die Niederlage liegt mir im Blut. Mein Ur-Onkel wurde erschossen. Mein Großvater wurde zum Tode verurteilt und war für fünf Jahre im Gefängnis. Meine Großmütter erlitten die Demütigung jener, die den Bürgerkrieg verloren hatten. Mein Vater war im Gefängnis. Meine Mutter war politisch aktiv im Untergrund. Es stört mich gewaltig, zu verlieren, ich kann es nicht ertragen. Und ich habe viele Jahre mit einigen Freunden fast unsere gesamte politische Aktivität darauf verwand, darüber nachzudenken, wie wir gewinnen können.”

Das Ergebnis war ein strategischer Pragmatismus, der bei vielen Linken nicht nur in Spanien auf Ablehnung stösst. Die Kritik richtet sich dabei weniger gegen die programmatische Zurückhaltung als den besondere Politikstil, der von Podemos entwickelt worden ist. Der Populismus der gelegentlich auch von Patriotismus spricht, die Professionalität der Medienarbeit, der Fokus auf Wahlerfolge, die Prominenz der Führungsfigur Iglesias – all das steht im grellen Kontrast zu der sich in den letzten Jahrzehnten entwickelten Kultur der oppositionellen Linken, für die Occupy Wall Street vielleicht das deutlichste Beispiel war.

Raul Zelik hat kürzlich eine Kritik an Podemos unter diesem Gesichtspunkt formuliert und ihnen bereits eine „absehbare Niederlage“ vorhergesagt, die vor allem dem Sündenfall der „Repräsentation“ geschuldet ist. Dies sei die „Illusion […], emanzipatorische Politik könne ebenso wie bei bürgerlichen Parteien (die Herrschaftsverhältnisse nicht überwinden, sondern verwalten wollen) an Repräsentanten übertragen werden.”

Das habe dazu geführt, “dass Podemos keine demokratisierende Kraft mehr entfaltet. In gewisser Hinsicht wirkt die Partei sogar dem entgegen, was die 15M-Bewegung an kollektivem Wissen erarbeitet hatte. Die Platzbesetzungen von Mai 2011 und die daran anschließende Protestwelle hatten eine spektakuläre Repolitisierung der Gesellschaft in Gang gesetzt. Millionen begriffen, dass politische Veränderungen nur durch die Selbstorganisation der Vielen und soziale Kämpfe durchgesetzt werden können.”

In der Tat basiert das Selbstverständnis von Podemos auf der Überzeugung, dass das Erbe von 15-M nur bewahrt und verwirklicht werden kann, indem man deren Praktiken hinter sich lässt. In einem Essay für New Left Review konstatierte Iglesias, dass “die Logik von 15-M (selbst) zu ihrem Scheitern geführt hatte.” Ihr Fehler wäre gewesen, “Politik auf den reinen Ausdruck sozialer Gegenmächte zu reduzieren, die durch Mobilisierung und geduldigen Aktivismismus hergestellt werden.“ Sie hätten nicht verstanden, dass spontane Graswurzelproteste nur ein Zwischenspiel sein könnten, durch die man „auf den Moment der Kühnheit hinarbeitet, in dem man ganz andere politische Techniken brauchen würde.“

Zelik sieht die Wirkung der 15-M Proteste positiver. Doch waren es wirklich Millionen, die damals dem politischen System ihre Zustimmung verweigerten und sich der “Selbstorganisierung der Vielen” verschrieben hatten? In der öffentlichen Diskussion mag der Protest enormen Widerhall gefunden haben, doch Einfluss auf den Kurs der Sparpolitik, geschweige denn eigene politische Macht, hat er nicht entfaltet. Was bringt die Politisierung einiger 10.000, möchte man fragen, wenn auf gesamtgesellschaftlicher Ebene alles beim alten bleibt?

Auch innerhalb von Podemos gibt es Kritiker, die sich als Gegengewicht zum Fokus auf Medien und Wahlkampf eine Rückkehr zur basisdemokratischen Mobilisierung wünschen. Vor einigen Monaten verteidigte Iglesias deshalb den eingeschlagenen Kurs in einem Blogeintrag, in dem er mit Bezug auf Gramsci seine Analyse noch einmal darstellte. 15-M war ihm zufolge das Symptom einer „organischen Krise“ der Hegemonie der herrschenden Ordnung gewesen. Podemos Strategie sei es folglich, eine „hegemoniale Politik“ zu betreiben, die darauf abzielte, das Zentrum des politischen Feldes einzunehmen – nicht einfach um Wahlen zu gewinnen, sondern um dieses Zentrum neu zu bestimmen.

„Wenn wir es schaffen, das Zentrum in der Notwendigkeit der Demokratisierung der Wirtschaft zu lokalisieren, kann Podemos gewinnen. Wenn aber das Zentrum in andere Parametern verlegt wird (eine blosse Erneuerung oder Austausch der Eliten), dann haben die herrschenden Sektoren der Gesellschaft ihre Fähigkeit zum Widerstand gezeigt.“

Im Gegensatz zum unter Aktivisten vorherrschenden Fokus auf Netzwerke (ob „soziale“ im Internet oder auf der Strasse), geht man dabei davon aus, dass das Fernsehen weiterhin die zentrale ideologische Institution bleibt, in der der Kampf um die Hegemonie ausgetragen wird. Das gleiche gilt für den Wahlkampf selbst, der während einer organischen Krise ein zentraler Ort im hegemonialen „Grabenkampf“ ist. Er stellt den „Moment des Triumphes oder des Scheiterns der politischen Strategen dar, die darum kämpfen ihre Erzählung dem sich ändernden Konsens aufzuzwingen.“

Die Strategie der “Selbstorganisation der Vielen” scheint im Gegensatz dazu die wagemutigere, radikalere Option. In der Praxis bedeutet sie aber vor allem eine vorauseilende Abdankung von der Macht. Diszipliniertes strategisches Handeln wird zu einem Ding der Unmöglichkeit, genauso wie eine kohärente Wahlkampfstrategie – was Zelik abfällig “Marketinglogik” nennt.

Die praktischen Argumente eines Pablo Igesias werden die Anhänger der anti-autoritören Schule also kaum überzeugen, liegt für sie die Aufgabe einer politischen Bewegung doch vor allem darin, durch ihre eigene radikal demokratische Verfasstheit die Gesellschaft schon zu verkörpern, die man sich wünscht.

Doch was ist so attraktiv an der Vision einer Gesellschaft – oder auch nur einer politischen Bewegung – die auf die permanente politische Mobilisierung all ihrer Teilnehmer angewiesen ist? Und wo bleiben dabei all jene, die nicht die Möglichkeiten, die Zeit oder schlicht nicht die Neigung besitzen, sich aktiv politisch einzubringen? Haben sie kein Recht auf Repräsentation?

Das entscheidenste Argument gegen diesen Entwurf ist, dass “Repräsentation” paradoxerweise die demokratischere Organisationsform ist. Gerade durch die Übertragung weitreichender Kompetenzen an eine politische Führung wird der Einfluss der Vielen gewahrt. Dies geschieht auf Kosten der Vollzeit-Aktivisten, die sich sonst an der Spitze einer informellen Hierarchie befinden würden.

Vielleicht ist es die lange Krise linker Politik, die zu einem Pessimismus geführt hat, dem die Vorstellung einer kooperativen “Selbstorganisation” so realitätsfern und sogar bedrückend erscheint. Möglich. Vielleicht ist es aber diese prinzipielle Ablehnung hierarchischer Organisation selbst, die am besten den neoliberalen Zeitgeist ausdrückt, der vor allem die heiligen Rechte des Individuums über die Möglichkeit stellt, durch kollektive Organisation politische Macht auszuüben.

Auch das Scheitern von SYRIZA bietet kaum einen Grund, den Versuch, durch Wahlen einen politischen Wandel herbeizuführen, aufzugeben. Viel spricht dafür, dass die harte Haltung der Troika in Griechenland unter anderem darauf abzielte, Spaniens drohende Abwendung von der Sparpolitik zu verhindern. Gerade das zeigt aber, dass Spanien als viertgrößte Volkswirtschaft der EU diese tatsächlich in Frage stellen könnte. Wenn also vor allem auf europäischer Ebene das Schicksal der Peripherie entschieden wird, scheint es um so aussichtsloser, dort lokalen Wiederstand zu leisten, ohne wenigstens zu versuchen, die Regierung selbst zu stellen.

Wie dem auch sei – es ist verfrüht, die Strategie von Podemos für gescheitert zu erklären. Es stimmt, die “Krise des Regimes” hat sich seit 2011 kaum vertieft, der radikale Bruch ist ausgeblieben und Podemos ist es nur zum Teil gelungen, das “Zentrum des politischen Feldes” neu zu definieren. Doch mit Podemos ist unwiderruflich eine grundsätzliche Alternative entstanden, an der sich jede weitere soziale und politische Entwicklung messen lassen muss. Nur wenn es der neuen Regierung gelingen wird, die Wirtschaftskrise zu beenden und effektiv gegen die Korruption vorzugehen, kann das alte “Regime von 78” die verlorene Legitimität wiedergewinnen. Dann ginge auch die seit der Krise bestehende Möglichkeit eines wirklichen Wandels wieder verloren. Doch das scheint – man kann beruhigt sein – sehr unwahrscheinlich.

—————————

1 Auf deutsch heisst die Schrift von Lenin, auf die er sich dabei bezieht, „Der ‚Linke Radikalismus‘, die Kinderkrankheit im Kommunismus“. Ich finde aber die englische Übersetzung passender: es ist keine Kinderkrankheit, sondern die „kindische Linke“.

Artikelbild: Maria Navarro Sorolla / flickr / CC BY-NC 2.0

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